Fleisch von Amazon, Joghurt von Rewe.de und Biomilch aus dem Alnatura-Onlineshop: Kauft man so heutzutage ein? Oder schreien die Bundesbürger noch nicht vor Glück, wenn der Lieferdienst ihre Nahrungsmittel an die Haustüre bringt? Wir haben uns angeschaut, wie groß und attraktiv das sogenannte E-Food-Angebot derzeit ist und wohin die Branche sich entwickeln will. // von Jürgen Kroder
Onlineshopping über alles? Nein!
Vor ein paar Monaten sorgte mein Artikel “Wo ist der Kunde noch König? Oder: Darum nehmen Onlineshops dem stationären Handel die Kunden weg” für heiße Diskussion: Obwohl ich teilweise noch ziemlich “oldschool” agiere und im Laden um die Ecke einkaufe, geht mir das Offline-Shopping zunehmend auf den Keks. Warum sollte ich meine eigenen vier Wände verlassen, wenn ich mit wenigen Klicks auch alles geliefert bekommen kann?
Alles? Nein, nicht alles. Bislang weigere ich mich, teure oder große Anschaffungen wie Notebooks, Kameras oder Waschmaschinen bei Amazon & Co. zu bestellen. Solche Dinge möchte ich anschauen, anfühlen und antesten. Der Fairness halber kaufe ich dann in dem Laden, wo ich eine kompetente Beratung erhielt.
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Allerdings gibt es viele Produkte, die kenne ich in- und auswendig, trotzdem bestelle ich sie in keinem Onlineshop: Lebensmittel. Warum eigentlich? Eine gute Frage. Einerseits, weil ich Angst habe, dass die Produkte nicht mehr frisch sind, wenn sie zu mir geliefert werden. Andererseits habe ich mich ehrlich gesagt noch nie mit dem sogenannten E-Food-Markt beschäftigt. Für BASIC thinking habe ich das nachgeholt.
Nahrung aus dem Internet boomt. Und irgendwie auch wieder nicht.
Von Büchern über Schuhe bis hin zu Fernsehern im XXL-Format: Es scheint nichts mehr zu geben, das die Deutschen sich nicht liefern lassen. Wie sieht es bei frischen Nahrungsmitteln aus? Boomt das Onlineshopping auch hier? Bin ich ein Außenseiter, weil ich bislang das Thema links liegen ließ?
Jein. Laut dem Report “The State Of Online Grocery In Europe” wuchs der E-Food-Markt in den letzten Jahren signifikant an. Von 2013 auf 2014 konnte in den Niederlanden ein Wachstum um 55 Prozent verzeichnet werden, in Frankreich um “nur” 25 Prozent – Deutschland liegt mit 38 Prozent ungefähr dazwischen.
Wow, ein Wachstum von fast 40 Prozent – das klingt beeindruckend. Davon würden sich andere Branchen gerne eine Scheibe abschneiden. Oder? Wie so oft täuschen die Zahlen. Betrachtet man den Anteil von E-Food am gesamten Lebensmittelmarkt, so tritt schnell Ernüchterung ein: In Deutschland beträgt er gerade mal 0,8 Prozent. Oder anders ausgedrückt: 99,2 Prozent der Nahrungsmittel kaufen die Bundesbürger noch offline.
Probleme beim E-Food-Markt: Zu wenig Auswahl
Trotz der noch geringen Zahlen scheint Musik in der Luft zu liegen. Und noch viel Potential nach oben. Zum Beispiel im Angebot. Das heißt: Wer von den großen Ketten bietet überhaupt die Möglichkeit, online Milch, Joghurt, Fleisch und mehr zu bestellen? Ich habe die mal die Webseiten der bekannten Ketten abgegrast.
Mein Ergebnis fällt mittelprächtig aus: Während Aldi (Süd und Nord), Norma und Real gar keine Lebensmittel zum Bestellen anbieten, hat Lidl beispielsweise nur schwer verderbliche Produkte wie Oliven, Balsamico oder Kaffee im Online-Sortiment. Dagegen punkten Rewe, Feinkost Käfer oder Alnatura mit Obst, Fleisch, Milch und dergleichen.
Zudem trübten ein paar Punkte meinen Online-Check: Bei Alnatura wird die Ware erst ab einem Bestellwert von 49 Euro kostenlos geliefert, beim Partner Gourmondo.de waren einige Produkte nicht auf Lager, Bringmeister.de von Kaiser’s Tengelmann liefert nur in München und Berlin. Und als ich bei Edeka24.de “Joghurt” in die Suchmaske eingab, bot man mir Katzenfutter und Schokoriegel als Ergebnis an.
Was ist mit Amazon?
Überzeugt hat mich die Gesamtlage also nicht. Macht es vielleicht – wie so oft – Amazon besser? Zeigt der Online-Shopping-Gigant auch hier, warum er als Platzhirsch gilt? Nein, nicht wirklich.
Zwar fand ich auf Anhieb ein paar interessante Fleischprodukte, Milch und Brot, aber beim Joghurt fällt die Auswahl ziemlich übersichtlich aus: Die Suchtreffer zeigen mir zuerst Angebote für Joghurtkulturen, Joghurt-Makern und Bücher über Joghurt. Auch die spezielle Lebensmittel- & Getränke-Seite haut mich nicht vom Hocker.
Die Kunden: „Faul, kritisch, geizig“
Jetzt kann ich verstehen, warum das E-Food-Business noch solch einen geringen Anteil ausmacht: Es ist noch ziemlich unterentwickelt , fragmentiert und unattraktiv. Kein Wunder hat das Offline-Shopping hier noch die Oberhand.
Doch die Gründe für das vorerst mies laufende Geschäft kann man nicht nur bei den Anbietern suchen, auch der Kunde (der ja stets der König sein will) trägt seinen Teil dazu bei. Laut etailment.de sei der E-Food-Kunde zusammengefasst gesagt “faul, kritisch und ein bisschen geizig”.
Eine Studie von KPMG bläst ins gleiche Horn: Zu hohe Lieferkosten sind ein Hinderungsgrund, eine Lieferung bis an die Wohnungstüre (auch in höher gelegen Etagen) wie auch eine Rückgabemöglichkeit wird erwartet. Zudem zweifeln die meisten Kudnen noch an, ob die gelieferten Waren wirklich frisch kommen würden. Der Kunde scheint bei Lebensmitteln also genau das zu erwarten, was er von Büchern und Schuhen bereits kennt. Keine leichte Aufgabe.
Der Wettkampf beginnt
Der E-Food-Markt mag vielleicht nicht einfach sein, aber trotzdem wirkt er für verschiedene Unternehmen attraktiv. Da die großen und bekannten Ketten wie Aldi, Norma und Konsorten den neuen Markt bislang nicht beackern, positionieren sich eben neue Anbieter in der Nische und ihren Sub-Nischen. Zum Beispiel Seiten wie Lebensmittel.de, myTime.de, sowie das Rocket-Internet-Startup Hellofresh.de (das kürzlich eine Finanzspritze von 75 Millionen Euro erhielt) oder der DHL-Marktplatz Allyouneed.com.
Und die international agierenden Web-Giganten wollen natürlich auch etwas vom immer größer werdenden Kuchen abhaben. Beispielsweise plant Google in den USA einen Lieferservice namens Google Express, der Lebensmittel von bekannten Supermarkt-Ketten wie Costco und Wholefoods ausliefern soll.
Wer verfolgt, was Amazon so alles treibt, weiß, dass das eigentlich schon ein alter Hut ist. Unter dem Namen Amazon Fresh fahren bereits seit 2007 grüne Lieferwagen durch Seattle, in weiteren US-Städte wie New York und San Francisco ist das Angebot ebenfalls etabliert. Hierzulande sollen der Dienst ebenfalls bald starten.
Fazit: E-Food-Markt gleicht Entwicklungsland
Habe ich einen Trend verschlafen, weil ich mir bislang keine Gedanken über Nahrungsmittel aus dem Internet machte? Nein, definitiv nicht. Der Markt gleicht einem Entwicklungsland. Und das nicht nur in Deutschland, wo ja vieles im Bezug auf das Internet gerne als #Neuland gesehen wird.
Aber das Geschäft mit frischen Lebensmitteln nimmt so langsam Fahrt auf. Er verspricht ein Big Business zu werden, ansonsten würden nicht so viele Firmen in den Markt vorstoßen. Bis das Angebot aber wirklich attraktiv wird, könnten noch einige Monate oder gar Jahre vergehen. Bis dahin werde ich wohl weiterhin ganz klassische im Supermarkt um die Ecke einkaufen.
Wie ist das bei euch? Seid ihr bereits E-Food-User? Lasst es uns in den Kommentaren wissen!
Vielen Dank für den interessanten Einblick. Ein Hauptgrund, neben logistischen und auch lebensmittelrechtlichen Problemen, dürften die geringen Margen in diesem Bereich sein. Insofern ist die Erwartungshaltung von Kunden, auch Lebensmittel versandkostenfrei zu erhalten (inkl. kostenintensiver Kühlbox, angeliefert ggf. noch im Kühlwagen) tatsächlich kontraproduktiv. Das Rückgaberecht ist auch ein Problem. Wenn ich mich recht erinnere, dürfen zurückgegebene Lebensmittel nicht mehr in den Verkauf. Es ist unklar, ob Lebensmittel darum von diesem Recht ausgeschlossen werden können (mal abgesehen von schnell verderblicher Ware).
Was ich allerdings aus Marketing-Sicht nicht verstehe ist, dass die Lebensmittelhändler nicht zumindest eine Art Online-Schaufenster oder einen Online-Katalog einführen, um die in den Läden verfügbaren Waren online zu präsentieren. Oder gleich das geschickte Konzept von Ikea abkupfern: Ikeas Online-Shop bemüht sich mit allen Kräften (hohe Versandkosten, lange Lieferzeiten), die Kunden vom Online-Kauf abzuhalten. Sie sollen weiterhin in die Märkte kommen. Ein Grund werden vermutlich die dort (suchtartig 🙂 ) einsetzenden Beikäufe sein. Im Lebensmittelbereich bzw. für den Supermarkt spielt das auch eine große Rolle.
Beikäufe gibt es auch beim Onlineshopping. Denke doch nur mal an Amazons „Kunden die kauften, kauften auch“ und andere Recommendations!
Hi Jürgen, das ist tatsächlich der Versuch, Beikäufe online zu stimulieren. Es klappt aber nicht. Die Wirkkraft von Ikeas unterer Etage mit den Mitnahmeartikeln lässt sich so im Netz nicht abbilden.
Das ganze wird erst richtig interessant wenn die selbstfahrenden Packete kommen. Viele vergessen Selbstfahrende Autos müssen keine Tonnen schwere Blechkisten mehr sein. Dann könnten die Hersteller praktisch ihre Ware direkt ohne Umwege zum Kunden verkaufen und für cent beträge anliefern. herkömmliche Mittelsmänner wie z.b. Discounter werden dann praktisch unnötig. Google übernimmt die Logistik (Smartphone, Suche, Anlieferung) komplett.
Noch zu der Beikauf Bemerkung von Ralf. Google könnte zusätzliche Waren einfach dazu packen quasi das Minibar Modell der Hotels übernehmen. Besonders wenn sie es schaffen die Waren bis in den Kühlschrank zu liefern. Abgerechnet wird beim herausnehmen aus dem Kühlschrank. Verschmähtes geht zurück.
Der Unterschied zu anderen Waren in meiner Großstadtwelt ist,
– der Wege zum Supermarkt ist kürzer, wenn er nicht sogar auf dem Weg liegt. Das gilt sogar für einen Bioladen.
– Was ich haben will, ist normalerweise vorrätig.
– Wenn ich aber an das Zustellungshickhack bei anderen Waren denke, das will ich nicht bei Lebensmittel haben.
Der Komfortgewinn bei Lebensmittel ist deutlich geringer als bei anderen Waren.
Mir würde es schon reichen, wenn ich mir beim Supermarkt um die Ecke online meinen Einkauf zusammenstellen und dann am Drive-In-Schalter abholen könnte.
Ich muss zugeben, dass ich zu diesen „problematischen“ Kunden gehöre, die nur dann online bestellen, wenn es für sie nicht teurer ist als im Markt. Dennoch kann ich das Gejammer darüber, wenn es teurer ist und Versand kostet, nicht verstehen. Denn hier wird durch den Verkäufer eine zusätzliche Dienstleistung erbracht und es entstehen zusätzliche Kosten. Da finde ich es okay, wenn es mehr kostet. Auch wenn es mir persönlich die Mehrkosten nicht Wert ist.
Ich habe jetzt ein paar Mal den Rewe Lieferservice (bei den ersten Bestellungen versandkostenfrei) ausprobiert. Hat alles gut geklappt. Nur manches nervt dann doch. Zum Beispiel:
– Es dauert seine Zeit, bis man online seinen Warenkorb zusammengeklickt hat (auch mit etwas Übung).
– Man muss sich in einem gewissen Zeitfenster zu Hause bereithalten und auf die Lieferung warten. Das mag ich vom Gefühl her irgendwie nicht.
– Die Ersatzartikel sind oftmals unpassend. Das kann doof sein, wenn der eigentliche Artikel wichtig für einen ist. Direkt im Markt würde man wohl einen passenderen Artikel wählen oder „nebenan“ (oftmals ist bei Rewe direkt in der Nähe noch ein anderer Markt) kaufen.
Hätte ich kein Auto, wäre ich sicherlich stärker angetan vom Lieferservice. So aber hat er für mich persönlich keinen echten Mehrwert gegenüber der Erledigung meines Einkaufs auf dem Nachhause-Weg.
Ja, weiter so Deutschland, kauft eure Lebensmittel, online, blind und erhöht euren Müll anstatt ihn zu reduzieren. Ich kaufe lieber regional, gute Produkte. Gute Lebensmittel dürfen ruhig etwas teurer sein. Spart bei der Verpackung und achtet statt dessen auf bessere Qualität eurer Lebensmittel.
Gruss
Tom
Bei uns in Sulingen bietet das E Center einen Lieferservice.
Zweimal in der Woche wird ausgeliefert. Im Online Shop kann das komplette Warensortiment
bestellt werden. Bei uns auf dem Land ist zB. Aus Gründen von Alter, Immobilität der Onlinekauf eine gute Alternative. Alte Menschen wurden früher vom fahrenden Tante Emmaladen versorgt, die gibt es schon lange nicht mehr. Ich würde mich darüber freuen wenn jemand für die Senioren Sammelbestellungen machen würde.
Ein Freund möchte einen Lieferservice gründen. Am Rande unserer Stadt baut er selbst Lebensmittel an. Eigentlich ist er Bauer, aber er hat erkannt, dass es besser ist, wenn man der Bequemlichkeit der Menschen nachkommt.