Marketing Wirtschaft

Christoph Kull über Missbrauch von Daten: „Davon grenzen wir uns ab“

geschrieben von Philip Bolognesi

Worauf achten die Menschen beim Kontakt mit Marketing? Welche Unterschiede gibt es zwischen den Generationen und wie können wir Markenvertrauen aufbauen? Darüber haben wir im Interview mit Adobe-Deutschland-Chef Christoph Kull gesprochen.

Das Vertrauen in Marken bröckelt. Dieses Phänomen betrifft alle Generationen – von 18 bis 99. Das geht aus der Studie „Across The Ages“ hervor, die Adobe auf der diesjährigen Dmexco vorgestellt hat.

Das Motto der Leitmesse lautete dieses Jahr: Trust in You. Der Gedanke dahinter: Werbungtreibende müssen sich endlich offensiv mit den gesellschaftlichen Herausforderungen und ihren Nutzern auseinandersetzen.


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Adobe-Deutschland-Chef Christoph Kull im Interview

Doch was ist den Menschen in Deutschland überhaupt in der Marken-Kommunikation wichtig? Wie geht unsere Gesellschaft mit Daten um und wie lässt sich das schwindende Vertrauen in Unternehmen erklären? Hat das Marketing versagt?

Über diese und weitere Themen haben wir auf der Dmexco mit Christoph Kull gesprochen. Er arbeitet als Deutschland-Chef für Adobe und stand uns Rede und Antwort.

BASIC thinking: In „Across The Ages“ gebt ihr das große Wort Vertrauen vor. Was gab den Anlass dazu? War es das Feedback der eigenen Kunden oder sind es die zahlreichen Medienberichte über Datenverstöße oder Datenlecks in der jüngsten Vergangenheit?

Christoph Kull: Es waren weniger die Schlagzeilen der Vergangenheit. Es ist ein Thema, das in der Gesellschaft allgegenwärtig und auch dank der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) in der Breite angekommen ist.

Das Markenvertrauen der deutschen Konsumenten ist gering und das sollte Unternehmen aufhorchen lassen. Markenvertrauen ist eng verbunden und quasi das Fundament für eine nächste Evolutionsstufe im modernen, datengetriebenen Marketing. Denn nur mit ausreichend relevanten und qualitativ hochwertigen Daten lassen sich personalisierte und hochrelevante Angebote adressieren.

Um diese Daten erfassen und nutzen zu können, benötigen wir eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Konsumenten und Marken. Das ist die Basis des Marketings von morgen und wir sollten unbedingt verantwortungsvoll mit dieser Beziehung umgehen.

Dass Vertrauen für jedes Unternehmen eigentlich essenziell und vorausgesetzt ist, ist nicht neu. Doch Ende 2018 wurde Vertrauen als Marketing-Trend auserkoren. Warum gelangt das erst heute in den Fokus?

Während sich Vertrauen in einem Unternehmen bislang eher auf die Qualität der Produkte oder die Korrektheit von Produktangaben bezog, geht es jetzt ans Eingemachte, und zwar um die Frage, wie gehen Unternehmen mit dem wertvollsten und schützenswertesten Gut ihrer Kunden um, nämlichen ihre persönlichen Daten.

Ich denke, dass wir gerade ganz gut beobachten können, dass sich der Markt entwickelt – und zwar hin zu einer Realität, in der Unternehmen auf Basis persönlicher Informationen von Interessenten und Kunden Erlebnisse ausspielen.

Diese Erlebnisse lassen sich zum ersten Mal in der Geschichte des Marketings hochgradig personalisiert bei hoher Skalierung gestalten. Darin liegt eine enorme Chance, die Marketer jetzt nutzen müssen.

Die erste Maßnahme für mehr Vertrauen

Du sprichst nun von sensiblen Daten, auf die wir nicht verzichten können?

Ja, denn wie vorhin bereits erwähnt vertraue ich dem Unternehmen nicht nur, dass die Angaben des von mir gekauften Fahrzeugs korrekt sind, sondern ich gebe auch meine persönlichen Informationen weiter. Damit meine ich nicht nur Name und Adresse.

Wenn es um demografische Daten – also zum Beispiel um Einkommen, Hobbys oder Interessen – geht, dann geht es eben so langsam ans Eingemachte. Ich muss unbedingt darauf vertrauen können, dass das Unternehmen mit meinen Daten in meinem Sinne umgeht. Und ich muss mir als Kunde zu jeder Zeit im Klaren darüber sein, welchen Mehrwert mir dieser Datentransfer bietet.

Hier geht es um Transparenz in der Interaktion und nicht zuletzt darum, in Zukunft auch spürbar bessere und relevantere Informationen und Erlebnisse zu erhalten.

Welche erste Maßnahme sollten Unternehmen umsetzen, um Markenvertrauen aufzubauen?

Zunächst sollten sich die Unternehmen um den Datenschutz bemühen. Laut unserer Studie sind es in Deutschland tatsächlich nur 26 Prozent der Befragten, die Unternehmen darin vertrauen, im Sinne des Kunden mit den erhobenen Daten umzugehen.

Das ist schon ein deutliches Urteil, das Unternehmen ernst nehmen und den darin enthaltenen Arbeitsauftrag erkennen sollten.

Was ist also zu tun?

Zwei wesentliche Dinge: Zunächst sollten Marken für die bereits erwähnte Transparenz sorgen. Kunden sollte ganz unmissverständlich klar gemacht werden, was mit ihren Daten zu jeder Zeit passiert.

Außerdem brauchen sie die Möglichkeit, diese Daten einzusehen und deren Verwendung einzuschränken. Das sollte mit einem Klick möglich sein. Das war übrigens auch eine Aussage unserer Studie: Fast 90 Prozent der Befragten sagen, es muss mehr in die Aufklärung – gerade von jungen und älteren Konsumenten – investiert werden.

Neben Transparenz ist die zweite Konsequenz: Das Versprechen einlösen und Kundenerlebnisse personalisieren und relevant gestalten, also spürbar bessere Interaktionen mit der eigenen Marke möglich machen.

Wenn ich als Konsument einen Mehrwert durch die Weitergabe meiner Daten erwarte und mir trotzdem irrelevante Werbeanzeigen präsentiert werden, sinkt natürlich das Vertrauen. Und damit sinkt die Bereitschaft, dies auch in Zukunft zu tun. So ein Vertrauensvorschuss ist schnell aufgebraucht und kann nur schwerlich wiederaufgebaut werden.

Die junge Generation: Ein Paradoxon?

Wie soll das ganz praktisch aussehen? Wie erkläre ich meinen Kunden, was ich mit ihren sensiblen Daten anstelle? Reicht es, dies über einen Text zu kommunizieren oder soll ich in einem Video die Zusammenhänge erklären?

Ich denke, es gibt verschiedene Wege, die sich dazu eignen. Ich kenne Unternehmen, die das mit einem Video kurz erklären oder in Form einer Präsentation. Natürlich muss dies zum Unternehmen und zur Zielgruppe passen.

Ein sehr spannender Trend: Einerseits stellen jüngere Generationen bereitwilliger die eigenen Daten zur Verfügung, andererseits schützen sie sich auch besser. Was denkst du, welche Konsequenzen das langfristig hat?

Der Grund, warum sich die Jüngeren besser schützen, ist der, dass sie technisch versierter sind und auch besser verstehen, was es für Einstellungsmöglichkeiten gibt. Diese Fähigkeit bewirkt etwas sehr Positives: Unternehmen und Konsumenten sprechen auf Augenhöhe über das Thema Daten.

Dies ist eine Mündigkeit, die es auch in älteren Generationen herzustellen gilt.

Dem widerspricht, dass es gleichzeitig die Generation ist, die über sich sagt: Wir sind diejenigen, die am einfachsten zu beeinflussen sind und eventuell auch noch am meisten Aufklärung bedürfen.

Ich sehe das als Chance: Zum einen sind Konsumenten immer versierter im technischen Umgang mit Daten und können deshalb auf Augenhöhe mit Unternehmen kommunizieren. Gleichzeitig gibt es immer noch viel Aufklärungsbedarf, was mit diesen freigegebenen Daten passiert oder nicht passiert.

Wir erkennen, dass die jüngeren Generationen schon sehr differenziert den Umgang mit Daten reflektieren. Deswegen glaube ich, dass der Dialog über den Umgang mit Daten und Vertrauen künftig informierter – also auf höherem Niveau – stattfinden wird. Je mehr ich über einen Themenbereich weiß, desto klarer werden mir in der Regel auch mögliche Negativaspekte, die es aufzulösen gilt.

Wer trägt die Verantwortung für die digitale Aufklärung?

Auch bei der älteren Generation wächst die Sorge um die eigenen Daten. Was denkst du, warum das gerade bei dieser Altersgruppe der Fall ist?

Die jüngere Generation ist mit digitalen Angeboten aufgewachsen und hat ganz natürlich gelernt, auch im digitalen Raum zu interagieren und zu leben.

Die älteren Generationen stiegen zu einem erheblich späteren Zeitpunkt in ihrem Leben ein und müssen sich bestimmte Denkweisen aneignen und neue Medienkompetenz aufbauen.

Wie könnte eine Lösung aussehen: Brauchen wir dafür ein eigenes Schulfach?

Man kann nie früh genug damit anfangen. Tatsächlich gibt es diese Lehrangebote bereits in der Schule meiner Kinder. Dort gibt es ganz spezielle Aufklärungs-Sessions zum Oberthema Digital. Hier müsste man verstärkt ansetzen.

Außerdem ist es auch Aufgabe der Unternehmen. Unsere Untersuchung sagt, dass weniger als 20 Prozent der Befragten daran glauben, dass es die Politik schafft, das Thema Vertrauen und den damit verbundenen Umgang mit Daten gesetzlich zu verankern.

Bei Adobe machen wir da schon recht viel. Dies drückt sich zum Beispiel in unserem Privacy by Design-Ansatz aus. So haben wir eine langjährige Praxis, Datenschutzfunktionen, die aktuelle Bestimmungen erfüllen oder übererfüllen, proaktiv bereits in unsere Produktentwicklung einzubinden.

Wir beteiligen uns zudem an wichtigen Branchenforen des Adtech-Ökosystems, wie dem IAB Europe und der EDAA. Ebenso sind wir an der Entwicklung von Best Practices, Kodizes, Richtlinien und Standards in diesem Bereich beteiligt.

Markenvertrauen: Die Implementierung in der Praxis

Wie sieht diese Integration auf eine auf Vertrauen basierte technische Infrastruktur aus?

Adobe unterscheidet sich da von einigen anderen großen Unternehmen der Branche. Daten sind kein Bestandteil unseres Geschäftsmodells. Viele Anbieter machen mit Unternehmensdaten sehr viel Umsatz. Dabei ist nicht immer jedem klar, wie diese Daten genutzt werden.

Davon grenzen wir uns klar ab. Wir stellen die Plattform zur Verfügung und die Daten gehören unseren Kunden. Wir helfen unseren Kunden, indem wir in den Produkten die Möglichkeit integrieren, transparente Einblicke zu erhalten, was mit den eigenen Daten geschieht.

Gleichzeitig sollten wir aber auch sparsam mit Daten umgehen. Die fortschreitende Perfektionierung der Technologie wird dazu führen, dass wir mit weitaus geringeren, aber qualitativ hochwertigeren Datensätzen viel mehr erreichen können, als mit einer schier unübersichtlichen Menge unstrukturierter irrelevanter Daten.

Welche Rolle kann denn das Marketing übernehmen? Wie lässt sich dieses andere Bewusstsein oder diese Veränderungen ganz konkret implementieren?

Marketing ist aus meiner Sicht verantwortlich für das Management der Kundenbeziehung und die Kommunikation. Wir sind in der Verantwortung, ganz konkret Kundenerlebnisse zu entwickeln. Wie agiert ein Kunde mit mir und wie interagieren wir über verschiedene Touchpoints?

Das muss sauber aufgesetzt sein, damit der Kunde zu jedem Zeitpunkt weiß, warum er diese Empfehlung oder diesen Newsletter erhält.

Der zweite Punkt ist noch einmal die Kommunikation hinsichtlich der Transparenz. Es muss Aufgabe der Marketing-Abteilung sein, darzulegen, was mit den Kundendaten geschieht.

5 Tipps und Ratschläge für Marketing-Verantwortliche

Zum Abschluss: Welche fünf Tipps hast du für Marketer, wenn du die Ergebnisse eurer Studie heranziehst?

Der erste Punkt: Seid selbstbewusst, liebe Marketer. Ihr gestaltet einen wesentlichen Teil eures Unternehmens. In Zeiten globalen Wettbewerbs und zunehmender Vergleichbarkeit von Produkten, entscheidet mehr und mehr das Gesamterlebnis, welche ich mit einer Marke verbinde. Kundenerlebnisse sind die neue Währung. Customer Experience ist das, was ein Unternehmen abgrenzt.

Es ist nicht nur die Qualität der Produkte. Deswegen kann man an diesem strategisch ganz wichtigen Punkt selbstbewusst auftreten. Das Marketing bekommt in der Wertschöpfung heute ganz neue strategische Bedeutung und muss viel früher ansetzen – nämlich schon in der Konzeption von Produkten und Dienstleistungen.

Der zweite Tipp: Beschäftigt euch mit Technologie und Daten. Es hilft, wenn die IT-Abteilung euer Freund ist. Es hilft aber noch mehr, wenn ihr selbst in euren Reihen Data-Scientists habt, die verstehen, wie man verschiedene Datenquellen zusammenführt und nutzbar macht.

Die dritte Empfehlung ist, dem Thema Vertrauen mehr Bedeutung beizumessen und dies entsprechend anzugehen. Das ist ein Appell aus unserer Studie: Unternehmen sind aufgefordert, für mehr Vertrauen in der Beziehung zu ihren Kunden zu sorgen. Das geht über Transparenz und das Einlösen des Versprechens im Umgang mit Daten. Bietet bessere Kundenerlebnisse!

Vierter Punkt: Verliert eure Kunden nicht aus den Augen. Bei aller Liebe zu Technologie und Daten: Es bedarf immer einer kreativen, menschlichen Leistung, um am Ende des Tages richtig zu kommunizieren und eine nachhaltige Beziehung zu seinen Kunden aufzubauen. Maschinen können hierbei unterstützen, die eigentliche Beziehungspflege aber nicht vollständig übernehmen.

Und der fünfte Punkt: Beschäftigt euch mit Artificial Intelligence. Aus unserer Sicht wird diese Technologie eine Revolution auslösen, deren erste Auswirkungen wir bereits erleben: Anomalien können in kürzester Zeit identifiziert werden, die ein Data-Scientist ohne Unterstützung nur mühsam aufspüren kann.

In Echtzeit kann die Technologie eine Hyper-Personalisierung herstellen, und zwar in einer Skalierung, die nur durch Artificial Intelligence in dieser Qualität möglich ist.

Macht euch klar: Kunden haben Lust auf Interaktion und danken es Unternehmen, wenn diese mitdenken und Empathie zeigen. Wir haben so viele Möglichkeiten, bei denen ihr euch bedienen könnt. Der Tisch ist reich gedeckt. Die Zeit für Marketer war noch nie besser. Schaut optimistisch mit viel Spaß und viel Elan in die Zukunft!

Vielen Dank Christoph für das Gespräch!

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Über den Autor

Philip Bolognesi

Philip Bolognesi war von 2018 bis 2020 in der Redaktion von BASIC thinking tätig. Er hat Kommunikationswissenschaften studiert und ist zertifizierter Social-Media-Manager. Zuvor hat er als freiberuflicher Online-Redakteur für CrispyContent (Serviceplan Berlin) gearbeitet und mittelständische Unternehmen in ihrer Online-Kommunikation beraten. Ihn trifft man häufig im Coworking-Space Hafven in Hannover.