Das Start-up Wondder hat ein Virtual-Reality-Training für Unternehmen entwickelt, mit dem sich unterbewusste Vorurteile abbauen lassen. Das Programm dient vor allem der persönlichen Weiterentwicklung. Langfristig gesehen soll es auch für Privatpersonen zugänglich sein.
Ich setze die VR-Brille auf und schlüpfe in die Haut von Valentina Turova. Als erste Frau überhaupt soll ich auf den Mond fliegen. Auf der Pressekonferenz vor dem Start konfrontieren mich die Journalisten mit Geschlechterklischees.
Ob ich als Frau denn keine Angst hätte oder vor lauter Panik weinen müsste. Ob ich denn keine Kinder bekommen wollen würde oder Angst um meine Geschlechtsorgane hätte.
Kurz vor dem Start wird meinem Kollegen gegenüber die Bedeutung seiner Reise eingeräumt. Ich wiederum werde auf mein Äußeres reduziert: Der Raumanzug stehe mir gut. Wir begeben uns zur Einstiegsluke. Gleich erfolgt der Start: 3, 2, 1 …
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Mit Virtual Reality die erste Frau im Weltall
Zurück in der Realität fragt mich Mihai Streza, Gründer und CEO von Wondder, wie es denn war. Tatsächlich haben mich die geschlechtsspezifischen Vorurteile und unterschwelligen Diskriminierungen etwas sprachlos gemacht. Das Erlebnis an sich hingegen war beeindruckend.
Auch wenn es sich um eine fiktive Simulation handelt, habe ich bereits nach wenigen Sekunden die räumliche Orientierung verloren. Die Szene an sich ist an die Geschichte von Walentina Tereschkowa angelehnt, die 1963 tatsächlich als erste Frau in den Weltraum flog.
Bis zu 52 Prozent weniger Vorurteile
Bereits mithilfe der Einführungs-Sequenz lassen sich bis zu 52 Prozent der unterbewussten Vorurteile abbauen, erzählt mir Mihai Streza.
Die Szene spielt in einem Hotel und dient der Vorbereitung auf das eigentliche Training als erste Frau im Weltall. Für die Einführungs-Sequenz setze ich die VR-Brille zum ersten Mal auf und kann meinen Avatar frei wählen.
Zur Option stehen eine weiße oder farbige Frau oder ein weißer oder farbiger Mann. Ich entscheide mich für die farbige Frau. Im virtuellen Hotel wiederum kann ich mich anschließend hin- und her-teleportieren.
Ich kann die Fische im Aquarium füttern, ein Obst aus einem Automaten ziehen oder mich im Spiegel betrachten. Mein Avatar folgt dabei sämtlichen Bewegungen von mir.
VR-Training führt zu Verhaltensveränderungen
Auch im Schaufenster vor dem Hotel kann ich mich in meiner neuen Haut betrachten, nachdem ich mit dem Aufzug hinuntergefahren bin. Allein diese Erfahrungen seien entscheidend, um eine Vielzahl an unterbewussten Vorurteilen abzubauen, so Mihai Streza. Und das sagt er nicht nur so. Das kann er auch belegen.
Denn eine im Wissenschaftsjournal Nature veröffentlichte Studie des Psychologen und Neurowissenschaftlers Mel Slater bestätigt diese Zahl. Im Gegensatz zu herkömmlichen Schulungen geht es nicht ausschließlich um einen kognitive Effekt. Das VR-Training von Wondder führe tatsächlich auch zu Verhaltensänderungen.
Das Diversity-Training von Wondder
Das Trainingsprogramm von Wondder umfasst bisher zwei Einheiten.
Die Einführungs-Sequenz im Hotel, die in etwa zehn Minuten dauert und das eigentliche Training als erste Frau im Weltall, das rund 20 Minuten beansprucht. Während der Einheiten verliere ich allerdings jegliches Zeitgefühl, sodass es gefühlt auch insgesamt drei Minuten oder drei Stunden hätten seien können.
Weitere Trainingseinheiten seien laut Streza bereits in Planung. Erst kürzlich konnte sein Unternehmen zwei Großaufträge an Land ziehen, so erzählt er mir. Dabei handelt es sich um ein skandinavisches Unternehmen, das die Schulung 700 seiner Mitarbeiter:innen weltweit anbieten möchte.
Der zweite Großkunde sei eine Organisation aus der Schweiz, die sich mit Geschlechtergleichstellung beschäftigt. Die Namen der beiden Unternehmen könne Mihai Streza jedoch noch nicht preisgeben. Er ist sich jedoch sicher, dass einer Erwähnung spätestens nach dem Training nichts mehr im Wege stehe.
Vorurteile abbauen für 500 Euro pro Person
Langfristig gesehen sei es jedoch das Ziel, nicht ausschließlich Unternehmen und deren Angestellte abzuholen. Auch Privatpersonen sollen mithilfe einer VR-Brille oder eines VR-Headsets künftig auf die Anwendung zugreifen können, um das Training in Eigenregie zu absolvieren.
Das aktuelle Angebot von Wondder umfasst ein kostenloses Einführungsprogramm, ein allgemeines VR-Training für fünf bis zehn Personen ab 500 Euro pro Teilnehmer und ein kundenspezifisches Programm für eine unbegrenzte Teilnehmerzahl ab 700 Euro pro Teilnehmer.
Im Gegensatz zu herkömmlichen Schulungen sei das Training von Wondder nicht nur effektiver sondern oftmals auch preiswerter, so CEO Mihai Streza.
Welche Gefahren birgt Virtual Reality?
Auf das Thema Risiken und Nebenwirkungen angesprochen, wirkt Mihai Streza nachdenklich. Er befasse sich vor allem mit den positiven Effekten der Technologie. Dennoch sei er sich potenzieller Risiken bewusst.
In erster Linie könnte Virtual Reality einerseits zu manipulativen Zwecken missbraucht werden. Andererseits gibt es noch keine Langzeitstudien über die Auswirkungen der Technologie auf die Psyche und das menschliche Sein. Auch Psychologe Mel Slater äußert diesbezüglich Bedenken.
Als ich unmittelbar nach dem Training mein Glas Wasser greife, fühlt sich die Situation etwas merkwürdig an. Dieses Gefühl verschwindet allerdings nach wenigen Sekunden.
Mihai Streza versichert mir, dass dies normal sei und die einzelnen Trainingseinheiten von Wondder deshalb bewusst kurz gehalten sind. Pausen zwischen den Einheiten seien ratsam aber nicht zwingend erforderlich.
Datenschutz und Sicherheit
In puncto Datenschutz äußert der Wondder-CEO allerdings keinerlei Bedenken. Neben dem Oculus-Headset von Facebook nutzt das Unternehmen auch andere Modelle, die langfristig gesehen keinerlei Daten speichern. Und auch die Nutzung der Oculus-Brille sei bedenkenlos.
Schließlich müsse ein B2B-Kunde wie Wondder im Gegensatz zu B2C-Kunden keinerlei Verbindungen mit Facebook eingehen. Die Datenabfrage und das Zwischenspeichern erfolgen bei allen von Wondder eingesetzten VR-Brillen ausschließlich innerhalb der eigenen App und während der Anwendung.
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