Ich traf einen Menschen, der kategorisch gegen jedes Tempolimit ist. Es sei gegen jeden Menschenverstand, widersinnig, rechtsradikal und oder aber auch antisemitisch. Er will keine Argumente. Er will Freiheit. Dabei erzählte er mir eine interessante Geschichte, die ich hier – zwecks der Authentizität in der Ich-Form – wiedergebe. Ein Kommentar mit viel Satire.
Auftritt libertärer Schnellfahrer
Neulich war ich nackt im öffentlichen Schwimmbad, fühlte mich so frei. Zumindest so lange, bis entsetzte Mitbürger den Bademeister an seine Blockwartpflichten erinnerten und er mich unter vorgehaltenem Badetuch des Schwimmvereins hinauskomplimentierte.
Ich zog mich wieder an und ging in die nahe gelegene Kindertagesstätte, wo unsere Kinder dereinst glückliche Jahre verbracht hatten. Weil es gerade zu meiner Lebensphase passte, rauchte ich dort – selbstredend noch immer ganz angezogen – eine Zigarre, eine kleine Monte Christo.
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Nachdem ich mit allen Erziehern und -innen (D-Erzieher haben sie nicht) über die Reinheit des Tabaks aus Kuba gestritten hatte, verließ ich erbost das Gelände und setzte mich in mein warmes Auto – ein turbogeladener 4-Zylinder mit 150 PS. Kein Spoiler, kein Schnickschnack, kein Katalysator.
Den Kat habe ich ausgebaut und baue ihn zum TÜV-Besuch wieder ein. Der kostet Leistung. Das Auto war deshalb so warm, als ich aus der Kita kam, weil ich mir die Freiheit genommen hatte, den Motor laufen zu lassen.
Schließlich wollte ich mich nicht erkälten. Diese Temperatursprünge unserer Tage hauen ja das stärkste Pferd um, wenn man nicht aufpasst. Und ich passe auf.
Das Tempolimit – so absurd, wie der Blitzer
Zackig fuhr ich los. Der Motor war ja warm. Ich achte nämlich sehr auf pfleglichen Umgang mit meinem Auto. Wie gesagt, ich passe auf. Rasch bog ich auf den Stadtring ein.
Dieser Autobahnring, der meine Heimatstadt umgibt, ist eine landschaftlich interessante Strecke, vorbei am nachts leuchtenden Fußballstadion, an Feldern, die zu jeder Jahreszeit ihr Gesicht verändern und an Industriegebieten, die aussehen, wie Industriegebiete eben aussehen.
Davon sah ich jedoch nur herzlich wenig, denn ich gab soviel Gas, wie ich nur konnte. Ich hatte es nicht eilig, aber großen Spaß daran, bei 140 bis 180 Stundenkilometern – mehr gibt die kurvige Strecke und der Verkehr unserer Tage kaum her – zwischen den langsamen Spießer-Autos hindurchzuwedeln.
Die Geschwindigkeit auf diesem Stadtring ist durchgängig auf 100 Stundenkilometer begrenzt. Unter einer Brücke, die so breit ist, dass sie von den Stadtvätern stolz „Tunnel“ genannt wird, sind es 80, was auf einer Seite der Straße mit einem Dauerblitzer kontrolliert wird.
Ob der tatsächlich scharf ist, wird übrigens in der Lokalzeitung seit langem kontrovers diskutiert.
Wie das Tempolimit. Es ist so absurd. Da möchten linksgrünversiffte Weltverbesserer mir meine verfassungsrechtlich in den Grenzen von wann auch immer garantierte Freiheit nehmen, mit frei gewählter Geschwindigkeit zu fahren, wann und wo ich will.
Ist doch mein Benzin, das ich bezahle – und wenn mal was passiert, habe ich ja den Schaden. Mein Bauch gehört mir. Toller Schlussgag, oder?
Abgang libertärer Schnellfahrer
Zuletzt mache ich mir immer mehr Sorgen über den Zustand unserer Gesellschaft, unseres Staates und unserer Zivilisation. Wenn ich sehe, wie über Dieselfahrverbote und Tempolimits gestritten wird, erscheint mir dies als anschauliches Lehrstück, wie schlecht es uns wirklich geht.
Wir haben jedes Maß verloren. Wir können nicht mehr differenzieren, welche Tragweite ein Thema hat. Für uns, unsere direkte Nachbarschaft und unseren Planeten. Wir können nicht mehr diskutieren, weil das einen ergebnisoffenen Austausch von Argumenten verlangen würde.
Wir können nicht mehr ermessen, was die Schärfe der Auseinandersetzung mit uns macht – wir können nur noch Schützengräben. Wie unsere Vorväter ohne Rücksicht Generationen junger Männer in den blutgefüllten Schützengräben Frankreichs, Russlands und Spaniens geopfert haben, opfern wir jeden Tag mehr von dem, was wir Menschen so teuer errungen haben: Zivilisation.
Wenn ein Bundesminister gegen Tempolimits argumentiert, weil sie „gegen jeden Menschenverstand gerichtet“ seien, haben wir die Talsohle tiefer denn je ausgehoben und alle Anstandslimits aufgehoben.
Da bekommen wir – wohl zu Recht – den Eindruck, dass Menschen mit Macht jedes Mittel Recht ist, ihre Macht zu erhalten und ihre Meinung durchzusetzen. Aus dem gleichen Horst kommen dann am Wahlabend jene Tiefflieger, die Politikverdrossenheit, schlechte Wahlbeteiligung und Bestquoten für Faschos beklagen.
Täglich erwarte ich, dass die letzte rhetorische Keule geschwungen wird, die je nach eigenem Standort die Feinde als „linksradikal“ oder „antisemitisch“ diffamiert.
Das umgekehrte Sankt-Florians-Prinzip
Ich weiß nicht, ob und wie stark ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen die Umweltbelastung und Unfalltoten reduzieren kann. Ich weiß nicht, wie böse der Diesel wirklich ist, wie viel Hysterie, Bigotterie und globale Machtpolitik dahinter steckt.
Das gleiche Argument ist den einen für dies, den anderen für das gut. Dieselfahrverbote: Unsinn, weil wir das einzige Land mit diesem Unsinn sind. Generelles Tempolimit? Unsinn, weil wir das einzige Land mit diesem Unsinn sind.
Ein ebenfalls von allen Seiten gezogenes Schwert weist sirrend darauf hin, dass es doch andernorts viel Schlimmeres gäbe. Das umgekehrte Sankt-Florians-Prinzip: Kehr erstmal vor deiner eigenen Tür, bevor du mich auf meinen Unrat aufmerksam machen darfst.
Was soll die Dieseldebatte, wenn die soundsowenig größten Schiffe der Welt für soundsoviel mehr Emissionen verantwortlich sind als unsere Autos? Warum sollen wir unsere Bevölkerung mit Umweltgesetzen gängeln, wenn jenseits der Grenze wieder alles anders ist?
Ganz einfach: Weil es richtig ist.
Der Verweis auf größere und andere Sünder ist so absurd. Das weitergedacht, kannst du in den nächsten Laden gehen, deine Tasche mit Wurst, Schnaps und Zahnpasta füllen und an der Kasse vorbeigehen.
Und wenn der Sicherheitsmann nachfragt? Dann erkläre ihm, ach was, dann herrsche ihn an, sind ja meist Ausländer, dass er sich gefälligst nicht um die kleinen Ladendiebe wie dich kümmern solle, solange seine Brüder unsere Schwestern abstechen und in deutschen Fußgängerzonen jeden Tag mehr Kapitalverbrechen begangen werden als in seinem Laden Kartoffelchips lagern.
Diesen Monolog beende mit einem böse gefauchten „Freundchen“ und gehe deines Weges. Ohne Tempolimit, ohne Verstand, ohne mich.
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