Ecosia und Qwant wollen gemeinsam einen europäischen Suchindex entwickeln. Das Ziel der beiden Suchmaschinenanbieter: Mehr Unabhängigkeit von Google und Bing – auch für Europa. Im Interview: Ecosia-Gründer und -Geschäftsführer Christian Kroll.
BASIC thinking: Hallo Christian, gemeinsam mit Qwant wollt ihr einen europäischen Suchmaschinen-Index entwickeln. Warum?
Christian Kroll: Wir haben darüber schon seit vielen Jahren nachgedacht, denn als Suchmaschine wäre es schön, wenn man nicht von anderen abhängig ist. Alle anderen Suchmaschinen wie Startpage, DuckDuckGo oder wir sind entweder von Google oder Bing abhängig. Das sind einerseits zwar unserer Partner, aber gleichzeitig auch unserer Wettbewerber.
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Aktuell kommen mehrere Dinge zusammen, die uns an einen eigenen Suchindex glauben lassen – auch wenn das eine riesige Aufgabe ist. Zum einen gibt es seit März 2024 den Digital Markets Act (DMA), der neue rechtliche Rahmenbedingungen erlaubt. Unter anderem sind die großen Plattform-Monopole verpflichtet, Daten gewissermaßen zu teilen oder uns Zugriff zu gewähren.
Es gibt beispielsweise Suchanfragen, die haben wir noch nie gesehen. Google hat sie vielleicht aber schon ein paar Mal gesehen und kann dadurch besser antworten. Auf solche Dinge können wir künftig auch zugreifen. Ein anderes Beispiel: Ein Restaurant trägt seine Öffnungszeiten nur bei Google Maps ein. Woher sollen wir dann wissen, wann sich die Öffnungszeiten beispielsweise geändert haben?
Prinzipiell sichert uns der DMA zu, dass wir an solche Dinge besser rankommen – und das ist teilweise auch schon passiert. Außerdem gibt es nun Innovationen wie LMMs (Large Language Models), die es einfacher machen, einen Suchindex zu bauen als es noch vor fünf Jahren der Fall war. Auch die Rechenkapazitäten sind deutlich günstiger geworden.
Die generative Zukunft der Internetsuche
Inwiefern verändert das die Internetsuche?
Suchmaschinen entwickeln sich immer mehr von einer Seite mit blauen Links hin zu einer Seite, auf der bereits perfekte Antworten angezeigt werden – vielleicht noch mit ein paar Quellen und einigen wenigen Links. Diese generative Suche liegt im Trend.
Weder wir noch Google wissen, wie genau das in Zukunft aussehen wird. Aber es ist ziemlich klar, dass sich in diese Richtung etwas tun wird. Da Google und Bing unsere Wettbewerber sind, haben wir nicht die Garantie, dass wir weiterhin die Zugriffe bekommen wie jetzt. Deshalb wollen wir einen eigenen Suchindex haben.
Microsoft hat außerdem die Preise erhöht, weil es auf einer Goldgrube sitzt. Microsoft hat gemerkt: Wir haben da etwas, das brauchen nicht nur wir, sondern das brauchen auch die ganzen KI-Anwendungen wie beispielsweise ChatGPT.
Solche Sprachmodelle benötigen aktuelle Daten, um zu funktionieren. Die bekommt man aber nur über einen Webindex. Auf diese generative Zukunft wollen wir uns vorbereiten – zumal immer mehr Unternehmen wie Meta oder OpenAI für ihre Produkte einen guten Index brauchen werden.
Wie entwickelt man einen Suchindex?
Wie kann man sich die Entwicklung und Funktion eines solchen Index vorstellen?
Zunächst einmal muss man crawlen, also über ein Programm so viele Websites wie möglich einlesen und gucken, wie diese miteinander verlinkt sind. Dann weiß man schon einmal ungefähr, was die Inhalte sind. Diese kann man dann verschlagworten. Wenn ich beispielsweise „Donald Trump“ eingebe, dann gibt es wahrscheinlich Millionen Ergebnisse.
Das hilft aber zunächst einmal nicht weiter, denn man will ja bestimmte oder gute Informationen zu einem Thema erhalten. Deshalb braucht es ein bestimmtes Ranking, anhand von bestimmten Begriffen, die inhaltlich zueinander passen.
Dieses Ranking muss mit Nutzerdaten trainiert werden, um zu merken, welche Inhalte und Artikel relevanter sind. Das ständige Training ist eine extrem wichtige Komponente – und dafür brauchst du Nutzer. Wir und Qwant können so einen Suchindex bauen, da wir die beiden größten europäischen Suchmaschinen sind, die Nutzer haben – also echten Suchtraffic.
Nur so kann man seinen Index schrittweise verbessern. Das Web zu crawlen ist eine Voraussetzung dafür. Aber es müssen die Relevanz und das Ranking funktionieren.
Um all das muss man einige Dinge herumbauen. Wenn du beispielsweise wissen möchtest, wie das Wetter wird, dann möchte man nicht zehn blaue Links angezeigt bekommen, sondern eine kleine Box, die das Wetter anzeigt. Es geht nicht nur um den Index selbst, sondern einen gut gerankten Index. Hinzu kommt noch das Generative.
Wenn jemand zum Beispiel fragt: „Was isst Donald Trump am liebsten?“ Dann kommt ein LLM zum Einsatz, das Websites durchliest und dann beispielsweise sagt: „Steak mit Kartoffeln“.
Ein europäischer Suchindex gegen die Abhängigkeit von US-Technologien
Das heißt, ihr wollt auch KI-Funktionen wie AI Overview von Google in eure Suche integrieren?
Google hat Tausendmal mehr Ressourcen als wir. Das heißt: Wir müssen erst einmal abwarten, was die anderen machen. Neben der Relevanz gibt es aber auch anderen Themen. Es stellt sich beispielsweise die Frage, was mit den Akteuren passiert, die Content zur Verfügung stellen.
Eine Konsequenz der generativen Suche ist etwa, dass die Leute nicht mehr aus der Suchergebnis-Seite rausklicken. Das heißt: Man bekommt beispielsweise eine Antwort direkt auf Google und klickt nicht mehr weiter. Solche Fragen müssen beantwortet werden.
Was wir zunächst einmal machen, ist sicherzustellen, dass wir die Technologie haben, um bei dieser Transformation prinzipiell mitmachen zu können. Wie genau das aussehen wird, kann ich aktuell noch nicht sagen. Ich bin mir aber sicher, dass wir in diesem Bereich etwas machen werden. Denn nicht nur wir werden das brauchen, sondern auch andere.
Ein funktionierender Webindex ist für Unternehmen interessant, die etwas mit KI machen – aber auch für Universitäten und Regierungen. Für mich als europäischer Bürger ist es wichtig, dass wir nicht nur von US-Technologien abhängig sind. Wenn Trump sagt: „Ich stelle euch die Suchmaschinen ab“, dann müssen wir zurück zu Telefonbüchern.
Ist es vorstellbar, dass ihr euren Index anderen Suchmaschinenanbietern zu Verfügung stellt?
Wir sprechen mit allen alternativen Suchmaschinen und wollen sagen: „Hey, guckt mal, was wir da haben. Wir hätten euch gerne als Kunden – wenn ihr wollt“.
Erst einmal müssen wir den Index aber so aufbauen, dass wir ihn selber nutzen können, um sicherzustellen, dass er gut ist. Dann sind unsere Türen offen.
Startpage oder DuckDuckGo sind etwa in einer ähnlichen Situation. Es heißt zwar „European Search Perspective“ (EUSP), aber es müssen nicht alle Europäer sein.
Wie wird sich Ecosia verändern?
Was verändert sich durch euren Suchindex für Ecosia-Nutzer?
Wir werden unseren Suchindex schrittweise einbauen. Unser Ziel ist, dass wir ab Anfang 2025 auch unsere eigenen Suchergebnisse anzeigen. Wir machen das aber nur, wenn das Ergebnis mindestens genauso gut ist wie das, was wir von Google und Bing bekommen.
Wir können dann sehen, was besser geklickt wird. Das, was wir von Google und Bing bekommen, ist leider nicht das, was Google und Bing selber verwenden. Deshalb hoffe ich auf eine Verbesserung, was die Qualität der Suchergebisse angeht. Wir haben dann die Freiheit, Dinge anders zu ranken.
Wenn man nach Nachrichten bei Bing sucht, werden beispielsweise häufig die Medien oben angezeigt, die den besten Umsatz generieren. Ich persönlich finde: Man sollte die Medien oben anzeigen, die die Wahrheit sagen. Mit einem eigenen Index haben wir die Möglichkeit, Dinge anders zu tun – auch wenn das nicht von heute auf morgen geht.
Wollt ihr komplett auf euren eigenen Webindex setzen?
Langfristig ja. Man kann das nicht vom einen auf den andern Tag machen, weil man lernen muss. Ich hoffe, dass wir bis Ende 2025 einen signifikanten Anteil unserer Suchanfragen selber stemmen. Vielleicht 30 bis 50 Prozent – ganz genau kann ich das noch nicht sagen. Danach wird es schrittweise schwieriger.
Es kann etwa tiefe Suchanfragen geben, die wir noch nie gesehen haben. Dann müssen wir erst einmal unseren Index anwerfen, um zu schauen, was wir darauf als Antwort ausgeben. Das kann eine ganze Weile dauern. Es ist auch wichtig, dass wir weiterhin Zugriff auf die Indizes von Google und Bing haben – auch über die Wettbewerbshüter.
Denn es gibt Dinge, die wir aufgrund unserer Größe nicht abbilden können. Zum einen wissen wir nicht, wann ein Restaurant seine Öffnungszeiten ändert. Das heißt: Wir müssen Zugriff darauf kriegen. Zum anderen: Wenn jemand etwas zu einem tief wissenschaftlichen Thema sucht, das bei uns noch nicht aufgetaucht ist, dann müssen wir ebenso Zugriff bekommen.
Wenn wir weiter wachsen, kommen wir nach einigen Jahren hoffentlich dahin, dass wir solche Sachen zu 80 bis 90 Prozent selbst abdecken können.
Google und Bing reagieren auf europäischen Suchindex
Wie haben Google und Bing auf euer Vorhaben reagiert?
Wir haben beide vorher informiert und sie haben gesagt, dass sie es super finden. Ob das wirklich so ist, weiß ich nicht. Wir befindet uns in einer Situation, in der extreme Monopole vorherrschen. In Portugal hat Google beispielsweise einen Marktanteil von 99 Prozent – auf mobilen Geräten. Das ist nicht gesund. Denn niemand sollte so viel Marktanteil haben in einem so wichtigen Bereich.
Das hat die Europäische Kommission erkannt. Gesetze wie der Digital Markets Act wurden geschrieben, um das möglich zu machen, was wir jetzt tun – also anderen Chancen zu eröffnen. Google will natürlich keinen Marktanteil verlieren, aber sie wollen sich nicht noch mehr Druck aufladen. Denn bei einem so hohen Marktanteil kann man nicht von einem Wettbewerb auf Augenhöhe sprechen.
Deshalb kommen auf Google eine ganze Menge an Regulationen und Regeln zu, die wahrscheinlich auch nerven. Man wünscht sich vielleicht auch manchmal einen Wettbewerber. Ich glaube, dass es Google daher nicht unbedingt stören dürfte. Insgesamt ist eine Alternative gut für das ganze Ökosystem. Dass wir Dinge ermöglichen, wird von vielen positiv gesehen.
Wie wollt ihr diese Dinge finanzieren?
Wir selbst haben ein bisschen Geld und Qwant hat ein bisschen Geld. Qwant wurde Mitte 2023 von dem Gründer von OVH übernommen, Europas größter Hosting-Firma. Das heißt: Es stehen Kapital und Serverkapazität zur Verfügung. Wir sind also zwei Firmen, die nicht nur Traffic, sondern auch ein bisschen Geld haben.
Das alles wird einige Millionen kosten, aber wir sind bereit zu investieren. Wir sparen sogar dadurch, dass wir unseren eigenen Index benutzen. Denn wenn wir Traffic zu Google oder Microsoft weiterleiten, wollen sie Geld von uns. Mit einem eigenen Index würden wir uns das sparen.
Außerdem hoffen wir, dass wir selbst Kunden gewinnen können. Ich würde mich auch nicht beschweren, wenn jemand aus der deutschen, europäischen oder der französischen Regierung sagt: „Wir finden das richtig toll, wir unterstützen das mit Fördermitteln“. Wir würden es aber auch alleine hinkriegen.
Ein gemeinsamer Suchindex von Ecosia und Qwant: Warum passt das zusammen?
Es ist schwierig, wenn wir das alleine machen würden. Denn für jeden von uns ist es ein kleines bisschen zu groß. Ressourcen zu bündeln macht deshalb Sinn. Wir sind außerdem beide in der Situation, dass wir diese technologische Innovation, die wir nicht von unseren Partnern Google und Microsoft bekommen. In Gesprächen haben wir dann gemerkt, dass wir ähnlich ticken.
Wir sehen zwar die Herausforderung, aber dass es auch wichtig ist eine Alternative zu schaffen, die aus Europa kommt. Unsere Ziele waren gleich – auch das, was wir beide beitragen können. Die Anteile am gemeinsamen Unternehmen sind deshalb auch gleich: fünfzig-fünfzig.
Für uns ist es großes Glück, einen Partner gefunden zu haben, der auch die Bereitschaft hat zu sagen: „Wir machen das jetzt ein paar Jahren“. Damit all das Erfolg hat, brauchen wir aber nicht nur eine gute Suchmaschine, sondern auch ein gutes Werbenetzwerk. Denn eine Suchmaschine ohne Werbung ist kein gutes Geschäftsmodell.
Außerdem ist es wichtig, dass wir Zugänge zu den Plattformen bekommen und dass die Wettbewerbshüter darauf achten. Der Grund, warum Google so erfolgreich ist, ist nicht, dass alle Google als Suchmaschine auswählen, sondern dass Google voreingestellt ist. Diese Monopolsituationen müssen schrittweise aufgelöst werden. Das geht aber nicht vom einen Tag auf den anderen.
Christian, vielen Dank für das Gespräch.
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