Wirtschaft

Entmündigung: Mutiert die Schufa vom Wächter zum Henker?

Schufa Henker Wächter
Schufa
geschrieben von Tibor Bauer

Entmündigung, Beeinflussung und Lenkung: Genau diese drei Worte beschreiben die Empfindungen der Menschen am besten, wenn es um die Schufa geht, findet Tibor Bauer – alias Mr. Schufa. Mutiert die Auskunftei also immer mehr zum Henker? Eine Kolumne. 

Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.

Es ist 1927. Das erste Funk-Ferngespräch zwischen Frankfurt am Main und New York findet statt. In Genf tritt die Abrüstungskonferenz zusammen. Der 1. FC Nürnberg wird deutscher Fußballmeister und der Nürburgring wird eröffnet. Das Mutterschutzgesetz tritt in Kraft.

Die Arbeitslosenversicherung wird eingeführt. Das Versandhaus Quelle wird gegründet. Und ja: Auch die Schutzgemeinschaft für Absatzfinanzierung wurde in diesem Jahr gegründet, die später nur noch unter dem Namen „Schufa“ bekannt sein soll.


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Damals dachte jedoch noch niemand daran, welche weitreichende und für viele lebensverändernde ja gar zukunftszerstörende Konsequenzen diese Gründung mit sich ziehen könnte.

Schufa: Vom Elektrizitätswerk zur Kreditsicherung

Die Idee für die Schufa stammt von Mitarbeitern der Berliner Elektrizitätswerke. Deren Stromableser konnten sehr genau sagen, welche Kunden rechtzeitig und pünktlich ihre Rechnungen bezahlt haben und welche nicht.

Man wollte die „guten“ Kunden belohnen, indem man ihnen den Zugang zu teuren Haushaltsgeräten über Ratenzahlungen ermöglichte. Denn wer seine Stromrechnung pünktlich zahlt, wird wohl auch solvent genug sein, Ratenzahlungen pünktlich zu tilgen.

Die Idee fand sehr schnell bei anderen Unternehmen Anklang, sodass schlussendlich die Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung – kurz Schufa – ins Leben gerufen wurde. Damit begann eine bisher fast hundertjährige Reise.

Der Wächter war geboren

Hauptaufgabe der Schufa war und ist es, ihre Mitglieder über das Zahlungsverhalten von bestehenden und möglichen neuen Kunden zu informieren, um das finanzielles Risiko eines Ausfalls der Zahlungen so gering wie möglich zu halten.

Fun Fact: Die Voraussetzungen durch die Schufa waren in der Vor- und Nachkriegszeit so streng, dass viele Deutsche keinen Kredit erhalten konnten. Zu dieser Zeit kam der „Schweizer Kredit“ in Mode, da dabei keine Abfrage der Schufa erfolgte. Dieser Kredit ist bis heute DAS Synonym für einen schufafreien Kredit, obwohl dieser in den meisten Fällen aus Liechtenstein kommt.

Die Sammlung der Daten konnte beginnen, denn jedes Unternehmen, das „Part of Schufa“ war, lieferte und nutzte die Daten des Konsumwächters. Mit der technologischen Entwicklung der vergangenen 100 Jahre wurde das Sammeln, Verarbeiten und Auswerten von Daten immer raffinierter, zielgerichteter und genauer.

Die Prognosen wurden laut eigenen Angaben immer präziser. Denn Zahlen können nicht lügen, solang man genug von ihnen hat. Big Brother begann dann, auf Grund der immens hohen Anzahl von Schufa-Partnern, immer tiefer in das Alltagsleben eines jeden einzelnen Bürgers in Deutschland einzudringen. Oft hatte man das Gefühl, dass die Notwendigkeit noch tiefergehendere, noch detailliertere, noch mehr Daten zu erhalten, mit sich selbst begründet wurde.

Schufa: Wie der Bock zum Gärtner wurde

Ein Unternehmen nach dem anderen schloss sich der Schufa an. Sei es als Partner oder als Inhaber. Denn die Schufa gehört nicht sich selbst. Sie wurde privatrechtlich gegründet und geführt, wandelte sie sich 2000 in eine Aktiengesellschaft um, deren Aktien aber nicht öffentlich an der Börse gehandelt werden.

Hauptaktionäre mit jeweils knapp 30 Prozent sind die Genossenschaftsbanken und die Sparkassen-Finanzgruppe. Der Rest ist auf Unternehmen aus Finanzen und Handel aufgeteilt. Interessanterweise ist die Schufa Holding AG unter anderem am Bad Homburger Inkasso mit einer Sperrminorität von 25,1 Prozent beteiligt. Ein Schelm, wer etwas Böses dabei denkt.

Lange Zeit dachte man, dass die Schufa – aufgrund der Bankenzugehörigkeit – sich selbst über sämtliche Datenschutzgrenzen hinwegsetzen würde. Sowas wie eine Schutzfunktion gab es nicht. Denn das Geheimnis der Zusammensetzung des Schufascores wird streng gehütet, wie das Rezept für Coca Cola. Nur durch investigativen Journalismus und einige wenige Whistleblower war es bisher möglich, an mehr Informationen über die 70 Faktoren für das Scoring zu kommen.

Das Geheimnis des Schufa-Scores

70 Faktoren sollen es sein, die den lebensbestimmenden Schufa-Score ausmachen. 13 davon sind öffentlich. Über 50 kann man im Internet recherchieren. Doch: Alle wird man nicht finden. Bei so einer Wirtschaftsmacht fragt man sich natürlich, wer über über den Score-Algorithmus Bescheid weiß? Wer kontrolliert das alles? Oder: Gibt es denn Kontrollen?

Laut Internet gibt es genau drei Kontrollpunkte:

  1. Der Hessische Datenschutzbeauftrage kontrolliert die Auskunftei
  2. Der zuständigen Datenschutzbehörde ist die Schufa-Formel bekannt
  3. Die Schufa unterliegt der DSGVO

Die Schufa selbst argumentiert, dass ihre Formel ein Geschäftsgeheimnis darstellt, das den Wert der Firma ausmacht. Man darf dabei nicht vergessen: Die Schufa verdient Geld und das nicht zu wenig. 2023 lag der Umsatz bei 267,1 Millionen Euro.

Die Bevölkerung sieht das anders, denn die Unwissenheit macht Angst. Die Unkenntnis, welche Werte eine Rolle bei der Berechnung des Scores spielen, in welchem Verhältnis sie zueinanderstehen und vor allem in welcher Relevanz zur Notwendigkeit der zu erfassenden Daten, sorgen für Unmut und schüren Verschwörungstheorien.

In den Augen der meisten Bürger in Deutschland gehört die Schufa abgeschafft. Sie verstehen nicht den Schufa Score, ja zum Teil wissen sie nicht einmal, wie dieser Score ihr Leben tatsächlich beeinflusst und indirekt auch lenkt.

Eine helle Vision wird zur dunklen Macht

Ob Beeinflussung, Lenkung oder Entmündigung: Wenn man Menschen auf der Straße fragt oder mich Menschen auf meinem Tiktok-Kanal „Mr. Schufa“ fragen, sind es genau diese drei Wörter, die ihre Empfindungen am besten beschreiben. Die Schufa beeinflusst ungewollt unser Leben. Sie entscheidet im Hintergrund, ob wir mehr oder weniger für einen Vertrag bezahlen.

Sie lenkt uns und auch die Entscheidungen derer, von denen wir als Ottonormalverbraucher abhängig sind. Es gibt kaum noch einen Vertrag, der nicht in irgendeiner Form mit der Schufa zu tun hat. Kaum eine Entscheidung über Teile unseres Lebens, die nicht entweder als Datenpaket an die Schufa geht oder eben durch ein solches gelenkt wird.

Entmündigung, wohl das heftigste Gefühl der Menschen. Der Lebens-Ohnmacht nahe, keine Möglichkeit zur Selbstbestimmung, denn mittlerweile ist das Spinnennetz aus Daten, Scoring, Bewertungen und Schubladendenken so extrem verwoben, dass unsere Entscheidungen nicht mehr wirklich eine selbständige Willenserklärung, sondern lediglich eine Reaktion auf die Entscheidung Dritter sind.

Natürlich kann man argumentieren, dass all die Nutzerdaten und deren schlussendliche Auswertung allesamt auf unsere freien Entscheidungen zurückzuführen sind. Natürlich kann man den Menschen vorwerfen, dass die Probleme, die sie haben nicht durch die Schufa, sondern durch sie selbst verursacht worden sind. Auf den Punkt gebracht stimmt das auch.

Und gleichzeitig auch nicht. Denn solange echte Zahlungsstörungen, Schulden und Probleme da sind, ist es nachvollziehbar, dass Institute die rote Karte für weitergehende Geschäfte zeigen. Doch spätestens nach Erledigung der Störungen wäre eine Beendigung des persönlichen Finanzembargos angebracht. Die zum Teil unrealistischen Speicherzeiten – unabhängig von Höhe und Dauer der Schuld bringen Menschen um ihre Zukunft.

Mutiert die Schufa vom Wächter zum Henker?

Bei all dem Big Data-Gedöns, bei all der Sammlerei und Auswerterei, bei all der automatisierten Ausfallwahrscheinlichkeitsberechnung wird eine Sache vergessen: Der Mensch lebt nicht ewig, er hat nur dieses eine Leben. Im Gegensatz zur Schufa, die in drei Jahren ihren hundertsten Geburtstag feiert, ist ein Menschenleben begrenzt und meist sogar durch Krankheit oder Unfall unnatürlich gekürzt.

Drei Jahre Speicherung einer bezahlten Forderung von 400 Euro bedeuten bei einem 40-jährigen Menschen 7,5 Prozent seines bisherigen Lebens. Ist es wirklich notwendig, fast 10 Prozent des Lebens eines Menschen zu maßregeln für etwas, was schon erledigt ist? Wo niemand etwas verloren hat?

Eine Zahlungsstörung zu beenden – also eine Schuld zu begleichen – ist etwas Gutes. Nur leider nicht für die Schufa, deren Score und für die Partner der Schufa. Denn obwohl man schuldenfrei ist, wird man über Jahre hinweg markiert. „Vorsicht, dieser Mensch war Alkoholiker – er hat zwar eine Kur gemacht und ist von der Flasche weg, aber gebt ihm drei Jahre keinen weiteren Tropfen, er könnte rückfällig werden.“

Was so gut wie niemand weiß ist, dass die Schufa über 300.000 Auskünfte an ihre Partner herausgibt – pro Tag!  300.000 Entscheidungshilfen, über Menschen, die teilweise nicht einmal etwas davon wissen. Sie kennen die Strukturen nicht, wer alles Daten von der Schufa zieht. Sie wissen nicht, wie dieses Spiel zwischen Scoring, Preisgestaltung und Entscheidungsrelevanz gespielt wird.

Was sie wissen, ist, dass sie einfach nur Leben wollen, aber es anscheinend eine große unsichtbare und gnadenlose Maschinerie gibt, die mittlerweile gefühlt über 50 Prozent unseres Lebens und wohl über 90 Prozent unserer finanziellen Zukunft entscheidet.

Vor knapp 100 Jahren wurde ein Geist gerufen, um etwas positives zu schaffen. Um der Gesellschaft einen Gefallen zu tun. Für wirtschaftliches Wachstum und Senkung der finanziellen Risiken für Unternehmen. Der Geist kam und tat was ihm geheißen. Er drang in unser Leben, nahm das, was er brauchte und wuchs.

Wuchs zu einem indirekten Kontrollorgan heran und machte sich für Banken und Co. so unentbehrlich, dass ohne die ihn diese nicht kollabieren würden. Und jetzt haben wir ein Problem, denn durch gesellschaftlichen Druck, wirtschaftlicher Notwendigkeit und einer zu spät eingeschränkten Arbeitsweise wurde aus dem Wächter ein Henker. Ein Henker der über das Leben und Zukunft von Millionen von Menschen entscheidet.

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Über den Autor

Tibor Bauer

Tibor Bauer ist Affiliate Consultant mit über 20 Jahren Berufserfahrung. Ende 2023 startete er unter dem Namen „Mr. Schufa“ einen TikTok-Kanal Seine Kernkompetenzen sind die Schufa, Schulden und Insolvenzen. Seine Community umfasst mittlerweile über 130.000 Follower. Pro Live-Auftritt hören ihm über 13.000 Menschen zu. Mr. Schufa ist einer der am schnellsten wachsenden deutschsprachigen Content Creators auf Tiktok.

2 Kommentare

  • Selten so etwas unqualifiziertes gelesen. Die Darstellung ist einseitig und deutet eher auf Profilierung des eigenen Contents hin. By the way, die Paypals und Googles dieser Welt haben mehr Daten als die Schufa vermutlich einmal haben wird. Vom Wächter zum Henker, zum Totlachen. Denn die Schufa entscheidet nichts, nur Banken und Vertragspartner der Schufa, dem entsprechen ist das wohl ein Henker ohne Seil.

  • Dem kann ich nur zustimmen. Dem Autor dürfte bekannt sein, dass die Schufa die Speicherfristen nicht selbst gemacht hat. Diese sind gesetzlich geregelt und die Schufa hält sich an diese Vorgaben.