An der Bushaltestelle, an der Hauswand, an der Kreuzung, ja sogar auf dem Boden – Werbung ist wirklich überall in unseren Städten. Damit muss endlich Schluss sein! Der öffentliche Raum soll wieder den Bürgern gehören, findet jedenfalls die Initiative „Volksentscheid Berlin Werbefrei“ und sammelt deshalb Unterschriften für eine werbefreie Stadt.
Eigentlich ist Fadi El-Ghazi Anwalt für Strafrecht. Themen wie Marketing, Werbung oder Social Media beschäftigten ihn nur am Rande. Bis eine riesige Werbung von Mercedes Benz an einem Haus in Kreuzberg auftauchte.
Eine Bekannte, die nebenan in einem Urban-Gardening-Projekt involviert war, kam daraufhin zu El-Ghazi und fragte: „Viele sind sauer, weil sie glauben, wir hätten die Werbung geschaltet. Kann man nichts dagegen machen?“
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Unter der aktuellen Gesetzgebung nur sehr wenig, stellte El-Ghazi fest. Was ihn schließlich anspornte, gemeinsam mit anderen “Berlin Werbefrei” ins Leben zu rufen. Wir haben mit Fadi El-Ghazi über öffentlichen Raum, freie Gedanken und den Sinn von Turnschuh-Plakaten gesprochen.
Außenwerbung hat keine Opt-Out-Option
BASIC thinking: Ihr kämpft mit der Bürgerinitiative „Berlin Werbefrei“ gegen Außenwerbung im öffentlichen Raum in Berlin. Was stört euch so sehr an der Werbung?
Fadi El-Ghazi: Wenn man durch Berlin läuft, kommt man sich zum Teil wie in einer Dauerwerbesendung vor. Es gibt kaum eine Freifläche, die nicht für Außenwerbung genutzt wird. Das ist einfach zu viel! Als Bürger wird dir damit die Entscheidung abgenommen, ob du Werbung sehen willst oder nicht, du hast gar keine andere Wahl.
Einige Plakate sind aber sehr unterhaltsam oder kunstvoll!
Das ist richtig. Trotzdem kannst du dir – anders als bei digitaler Werbung – nicht aussuchen, welche Werbung du sehen möchtest. Es gibt bei Außenwerbung keine Opt-Out-Option. Nicht immer ist die Werbung angebracht, wie Tabak- oder Alkoholwerbung in der Nähe von Schulen zum Beispiel.
Wir glauben auch, dass der Anstieg der digitalen Außenwerbung Autofahrer stark ablenken wird und damit die Sicherheit im Straßenverkehr gefährdet wird. Daher unser Ansatz: All das muss weg!
Ihr wollt stattdessen, dass die Bürger selbst entscheiden, was sie im öffentlichen Raum sehen?
Genau! Wir finden es nicht in Ordnung, dass aktuell mit der massiven Außenwerbung nur wenige Unternehmen darüber entscheiden, was wir in unserem öffentlichen Raum sehen. In Berlin sind es gerade mal eine Handvoll Unternehmen, die die Rechte an allen verfügbaren Werbeflächen haben – und somit liegt die Meinungshohheit über die omnipräsenten Inhalte allein bei ihnen.
Das finden wir nicht richtig. Das ist Meinungsmache, beinah so wie Rundfunk im öffentlichen Raum. Öffentlicher Raum ist aber ein Gemeingut und Außenwerbung ist eine krasse Einschränkung in der Gestaltungsfreiheit und der Gedankenfreiheit.
Außenwerbung verstößt also gegen die Grundrechte der Bürger?
Das aktuelle Gesetz sieht ja eigentlich jetzt schon Außenwerbung als Ausnahme im öffentlichen Raum vor. Allerdings gibt es nur sehr vage Einschränkungen – wenn die Werbung als störende Häufung oder verunstaltend gilt. Das ist sehr schwammig formuliert. Genau deshalb sieht unser Gesetzesentwurf eine radikalere Lösung vor: Werbung für Dienstleistungen und Produkte soll im öffentlichen Raum komplett verboten werden.
Ist das damit nicht auch eine Art Zensur darüber, was die Bürger sehen dürfen?
Nein! Wir sind ja auch weiterhin dafür, dass bestimmte Werbung weiterhin erlaubt sein soll. Also: Wenn es um Informationen geht, die dem allgemeinen Interesse dienen oder wenn es Botschaften sind, die das Gemeinwohl betreffen. Auch der Handel soll natürlich weiterhin für das eigene Geschäft werben dürfen.
Wenn also ein Café seine Tafel mit dem Tagesmenü auf die Straße stellt, soll das weiterhin so bleiben. Eine weitere Ausnahme sind auch Werbeflächen an öffentlichen Toiletten oder Bushaltestellen, allerdings nur für begrenzte Zeit und nur wenn die Werbeeinnahmen direkt in die Instandhaltung dieser Anlagen gehen.
Trotzdem wollt ihr selbst dort die Inhalte aber radikal beschränken. Wäre es nicht fairer, wenn die Bürger über jede einzelne Kampagne individuell entscheiden könnten?
Das wäre wiederum Zensur, weil man anfangen würde, gute Werbung gegen schlechte Werbung abzuwägen und wer will das schon entscheiden? Auch ist das praktisch gar nicht machbar, da es dann theoretisch zu jedem Werbeplakat eine Bürgerabstimmung geben müsste. Daher fordern wir den Kahlschlag. Dann spart man sich auch die mühselige Debatte darum, ob diese Werbung an diesem Ort angemessen ist oder ob man das Plakat jetzt künstlerisch anspruchsvoll findet oder nicht.
Beschwerden gegen Werbung sind zahnlos
Ihr fordert sogar: Wenn jemand auf einer Privatfläche eine Außenwerbung schaltet, soll das auch verboten werden. Geht das nicht zu weit, Menschen vorzuschreiben, was sie auf ihrem Grundstück machen dürfen oder nicht?
Es ist ja auch jetzt schon nicht so, dass du auf deinem Grundstück alles machen kannst was du willst. Da gibt es ja die Inhalts- und Schrankenbestimmung, die zum Beispiel dafür sorgt, dass du dir keine Mega-Soundanlage in den Garten stellst und die Musik den ganzen Tag laut dröhnt.
Genauso ist das mit der Außenwerbung. Sie wirkt sich – auch auf einer Privatwand – negativ auf den öffentlichen Raum aus. Außenwerbung ist im Prinzip wie optischer Lärm. Genau das wollen wir damit auch gesetzlich festhalten.
Bürger können sich auch jetzt schon beim Deutschen Werberat über störende Werbung beschweren. Reicht das nicht?
Sie können sich über einzelne Kampagnen beschweren, aber nicht über die Anzahl der Plakate. Hinzu kommt, dass der Deutsche Werberat keine Sanktionsmöglichkeiten hat. Er kann die Industrie auffordern, die Werbung zu stoppen. Passiert das nicht, kann er ein Unternehmen öffentlich rügen, also über die Presse zum Beispiel. Das war es dann aber auch schon. Das Unternehmen muss die Kampagne nicht beenden.
Unser Gesetzesentwurf sieht dagegen vor, dass – bei der von uns vorgesehenen Außenwerbung – die Gerichte im Zweifelsfall entscheiden. Findet jemand eine Werbung diskriminierend und das Unternehmen sieht dies anders, sollte das ein Gericht mit entsprechenden Konsequenzen entscheiden.
Öffentlicher Raum kann ruhig mal nackt bleiben
Sagen wir mal, eure Initiative setzt sich durch und ein Großteil der Außenwerbung in Berlin verschwindet. Was soll mit der freien Fläche passieren?
Da möchten wir eigentlich keine Vorgaben machen. Das sollte direktdemokratisch von den Bürgern entschieden werden. Denkbar sind Kunstprojekte oder Grünflächen – wie in Grenoble, die ja seit 2014 Werbung durch Bäume ersetzen. Die Gestaltung sollte aber unserer Meinung nach den Bürgern überlassen werden.
Dazu muss man aber auch sagen, dass die Außenwerbung oft auch einfach störend im Weg steht. Zum Teil sieht man ja auch die Architektur gar nicht mehr. Da ist es dann sicherlich auch ganz sinnvoll, einfach mal den öffentlichen Raum „nackt“ zu lassen.
Was wären die Vorteile, wenn die Außenwerbung so stark reduziert wird?
Die meisten von uns laufen mit Scheuklappen durch die Stadt, weil man sich ja irgendwie von dieser Massenberieselung schützen möchte. Ohne die Werbung könnten wir statt auf den Boden auf andere Menschen schauen, mehr interagieren oder auch die Umgebung bewusst wahrnehmen. Wir hätten endlich mal Raum für freie Gedanken.
Also anstatt, dass ich über neue Turnschuhe nachdenke, philosophiere ich über den Sinn des Lebens?
Du hast einfach den mentalen Raum für andere Gedanken. Anstatt dass du dich fragst, ob du noch ein neues paar Turnschuhe brauchst, obwohl du schon 20 im Schrank hast, kannst du einfach mal den blauen Himmel anschauen.
Das klingt ja sehr romantisch, aber Tatsache ist auch, dass die Stadt mit den Werbeflächen Geld verdient. Ihr habt ausgerechnet, dass damit insgesamt 31 Millionen Euro im Budget wegfallen. Was ihr aber vertretbar findet …
Das sind 0,1 Prozent des Haushaltes und wir glauben, ein Preis, den man für mehr Freiheit im öffentlichen Raum durchaus zahlen kann. Wir müssen auch mal darüber nachdenken, was wir eigentlich wollen. Wollen wir, dass unser öffentlicher Raum ein Konsumkatalysator wird? Oder wollen wir unsere Ressourcen schonen und selbst entscheiden, was wir mit unserem Raum machen?
Ihr habt sehr breite Unterstützung für die Initiative erfahren. Woher kommen eure Fans?
In der Tat ist das sehr bunt gemischt. Es gibt junge Menschen, die sich an der permanenten Konsumaufforderung stören. Es gibt Familien, die nicht möchten, dass ihre Kinder ständig mit Werbung berieselt werden. Viele lokale Unternehmer stehen hinter uns. Auch die Kirchen unterstützen die Idee der Gedankenfreiheit und viele Politiker möchten auch die Debatte um den öffentlichen Raum neu anregen. Was mich aber selbst überrascht hat: Die ersten Unterschriften, die bei uns per Post hereinkamen, waren von Menschen über 70. Da sieht man mal, dass das ein Thema ist, dass wirklich alle beschäftigt.
Wie macht ihr denn eigentlich Werbung für „Berlin Werbefrei“?
Wir haben einmal den Grumpy Bär. Der ist ganz bewusst ohne bunte Farben und als Postkarte designt statt als Flyer.
Darüber hinaus haben die Medien viel über uns berichtet und wir nutzen natürlich auch Social-Media-Kanäle.
#BerlinWerbefrei sagt Danke ❤️
Ein herzliches Dankeschön an unseren engagiertesten & ältesten #Berlin #Werbefrei Unterstützer. Danke, Joachim!
(Dessen Unterschrift leider nicht zählt, da er selbst in Potsdam gemeldet ist ?) pic.twitter.com/pcOcuEt8Rm— Berlin Werbefrei (@berlinwerbefrei) February 5, 2018
Sobald das Wetter etwas besser wird, möchten wir auch auf die Straße gehen. Uns schweben da Demonstrationen mit Spaßfaktor vor. Wir möchten zum Beispiel Musiker einspannen oder DJs fragen.
Wie lange geht eure Unterschriftenaktion noch?
Wir haben am 16. Januar angefangen und haben danach sechs Monate Zeit, um 20.000 Unterschriften zusammenzubekommen. Damit muss der Senat unseren Gesetzesentwurf berücksichtigen. Sollten die Abgeordneten dann dagegen entscheiden, haben wir weitere vier Monate Zeit, um noch 180.000 Unterschriften zu sammeln – für einen Bürgerentscheid. Wir glauben aber, dass wir mit unseren 20.000 Unterschriften „Berlin Werbefrei“ schon durchsetzen können.
Vielen Dank für das Gespräch!
[…] gucken „mal eben kurz“ auf das Handy, spielen am Radio herum, sind abgelenkt von einem Werbeplakat, sind gedanklich noch beim Streit mit dem Chef – um nur einige Beispiele zu nennen. Keiner kann […]
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