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Musikhören in der Zukunft: Ein Hausbesuch bei Simfy


Simfy-Mitgründer Christoph Lange (links) und Pressesprecher Marcus von Husen

Seit Jahren gibt es in den deutschen Medien einen Reflex: Die Musikindustrie schreit und schreit wegen Raubkopien und wegbrechende Umsätze. Und Journalisten freuen sich darüber, weil sie in jedem Fall eine Story haben: Sie können der Industrie beistehen oder ihre Reaktion als übertrieben bezeichnen. Die Wahrheit ist, dass dieses Prozedere nicht mehr ist als eine Zirkusnummer. Denn in Wahrheit hat die Industrie den Kampf gegen Raubkopien verloren und abgehakt. Digital wird längst umarmt und Streaming ist der neue Heilsbringer der Industrie.

Die Dienste heißen Juke, Sony, Napster und (noch nicht so wirklich mit dem Segen der Industrie) Grooveshark. Im Ausland Spotify, Rdio oder Pandora. Der erste Dienst, der es in Deutschland geschafft hat, sich mit den Musiklabels zu einigen und eine legale, monatliche Musikflatrate kostenlos und werbefinanziert anzubieten, ist das Startup Simfy. Dies sitzt praktisch in unserer Nachbarschaft im Kölner Stadtteil Ehrenfeld, unweit von Konzerthallen wie dem „Underground“, der „Werkstatt“ und der „Live Music Hall“. Aufgrund der Nachbarschaft schlug ich neulich vor, man könnte sich ja mal treffen, ein bisschen über Musik plaudern und ein paar Fotos knipsen. Simfy war einverstanden und lud mich ein. Ein Hausbesuch bei einem der interessantesten deutschen Web-Unternehmen dieser Zeit und in Zukunft.


Vor Ort traf ich Simfy-Pressesprecher Marcus von Husen und Chief Marketing Officer (CMO) Christoph Lange. Vor einem Jahr titelte das Wirtschaftsportal „Business On“: „Christoph Lange verlegt seine Plattensammlung ins Netz“. Die Gema klatschte Beifall, als Simfy im Mai die Zahl von 1 Million registrierten Nutzern übertraf. Im Gegensatz zu Google hatten die Kölner sich im Januar mit den deutschen Urheberrechtsvertretern geeinigt. „Es war eine Frage der Konditionen“, sagt Lange. „Aber ich hatte das Gefühl, dass die Bereitschaft der Industrie schon lange vorher da war.“


Was Streaming so interessant macht, hatte ich selbst vor Kurzem aufgeschrieben: Man ist deutlich eher geneigt, mal in ein neues Album reinzuhören. Man könnte sich theoretisch so viele Alben und Tracks, wie man will, auf das Smartphone oder den Rechner schaufeln und zahlt trotzdem immer den gleichen Monatspreis dafür. Entwertet das nicht die Musik? „Eher im Gegenteil“, findet Lange. „Für mich ist Musik Emotionalität, die nie verloren geht. Das Ritual verändert sich, aber das Erlebnis bleibt.“ Vergleichbar sei es damit, ein Buch auszupacken, auf das man lange gewartet hat: Das Auspacken verliere an Reiz, aber im Endeffekt gehe es doch um den Inhalt.


Plattenliebhaber monieren, dass der soziale Aspekt verloren gehe, weil man sich weniger oft trifft, um Alben auszutauschen und gemeinsam zu hören. „Aber mal ehrlich“, fragt Lange: „Wie oft hat man das früher tatsächlich gemacht? Die Vergangenheit wird da von vielen verklärt.“ Durch Dienste wie Simfy habe heute jeder die Chance, Musik mit anderen auszutauschen. „Man hört weiterhin zusammen, wahrscheinlich sogar mehr als zuvor. Man sitzt dabei nur nicht mehr zwingend im selben Raum.“


Mit Konzertmitschnitten auf USB-Sticks fing alles an. Streaming kam erst später.

„Ich höre Musik heute viel weniger selektiv“, fügt Lange hinzu. „Ich muss mich nicht mehr für ein Album entscheiden, das ich mir kaufe. Ich kann mir laden, was mich interessiert und habe deswegen die Chance, Musik zu entdecken, die ich sonst nie gehört hätte.“ Und das sei deutlich mehr Musik als früher.


Big Mick is watching you: Simfys Zentrale wirkt wie eine Konzertgalerie.

Technisch und inhaltlich ist das nächste Ziel der Kölner, Teil von Facebooks neuer Content-Offensive zu werden. Das Social Network setzt für seinen neuen Social Graph verstärkt auf die Zusammenarbeit mit Unternehmen der Unterhaltungsindustrie. Über einen Ticker wird man verfolgen können, welche Filme oder Serien die Freunde gerade sehen, welche Bücher oder Blogartikel sie lesen und eben auch, welche Musik sie hören. Simfy bietet seinen Nutzern hier bereits seit Juni die Möglichkeit an, Songs auf der eigenen Pinnwand zu posten. Und die Freunde können sich den Song direkt auf der Facebook-Wall der Freunde anhören.


Konzertposter allerorten: Ein typisches Büro im Simfy-Hauptquartier

„Wir arbeiten aktiv mit Facebook zusammen, um diesen Prozess zu vereinfachen“, bestätigt Lange. Was man dann im Simfy-Player hört, würde ohne Zutun des Nutzers automatisch im Ticker auf Facebook gepostet – wenn man beide Dienste einmalig verbunden hat. Eine Vereinfachung, auch wenn vielen bei diesem Gedanken mulmig wird. Facebook würde dann all unsere musikalischen Vorlieben kennen. Und die Datenflutwelle würde um noch ein paar Meter ansteigen. In der Vergangenheit hat sich aber oft gezeigt, dass derart datenintensive Services wie der Facebook-Ticker nach einiger Zeit beschränkt werden, weil ihr Rauschen den Unmut der Nutzer auf sich zieht.

Langes Arbeit besteht in den Verhandlungen mit Musikern und Labels. Seine Aufgabe ist es, den Content-Schatz der momentan gut 13 Millionen Songs auf Simfy noch zu erweitern. Dabei helfen können ihm die Nutzer. Im Simfy-Forum gibt es eine Musikwunschbox, in der die Nutzer dem Team Vorschläge machen können. Am meisten gewünscht sind momentan Die Ärzte, die wie die Toten Hosen im Simfy-Katalog noch fehlen. Beiden hat Simfy im Forum das Etikett „wird überprüft“ vergeben. Während die Hosen generell noch keine Streaming-Rechte vergeben haben, schrieb Forum-Admin Sebastian Hansen zu den Berlinern: „Wir verhandeln weiterhin mit den Ärzten und es sieht gar nicht so schlecht aus. Also bitte habt noch etwas Geduld.“ Während Hörbücher in Planung sind, hat Simfy bereits damit begonnen, den Nutzerwunsch nach „Mehr Metal“ zu erfüllen. Die Red Hot Chili Peppers oder Metallica hat man dafür leider nicht bekommen. Forum-Admin Marie schreibt, warum das so ist: hier habe sich das Management der Bands gegen Streaming entschieden. Man habe alles versucht – vergeblich.


Die Media-Saturn-Tochter 24-7 Entertainment aus Berlin hat Anfang September auf der IFA einen mächtigen Simfy-Konkurrenten mit etwa gleich vielen Songs ins Leben gerufen: Juke. Nachdem Simfy den eigenen kostenlosen Service wenig später auf 20 Stunden im Monat begrenzen musste, bestehen nur noch marginale Unterschiede zwischen dem Anebot den Diensten. „Wir machen uns keine Sorgen um die Konkurrenz“, sagt aber Lange. „Die Bevölkerung fängt gerade erst an herauszufinden, was Streaming eigentlich ist. Da ist noch viel Platz für alle.“

Richtig los mit dem Streaming ging es für die Kölner durch den Zusammenschluss mit der Holtzbrinck-Tochter Steereo vor einem Jahr. Holtzbrinck stieg damit aus dem Geschäft aus; hinter Simfy stehen heute die Investoren DuMont Venture, Earlybird, NRW.Bank und Klaus Wecken. Der Dienst finanziert sich mit Werbung in der kostenlosen Version, sowie zwei Premium-Modellen für 5 Euro (werbefrei, Desktop-Version) und 10 Euro (werbefrei, Desktop & Mobil) im Monat.

Simfy startete einst als Musiksuchmaschine. Ein späteres Geschäftsmodell vor dem Streaming war der Verkauf von Konzertmitschnitten auf USB-Sticks in Band-Optik. Der erste Künstler, mit dem Simfy dabei zusammengearbeitet hat, war laut Marcus von Husen ein Schweizer: „Mit DJ BoBo hat alles angefangen.“

(Jürgen Vielmeier)

Über den Autor

Jürgen Vielmeier

Jürgen Vielmeier ist Journalist und Blogger seit 2001. Er lebt in Bonn, liebt das Rheinland und hat von 2010 bis 2012 über 1.500 Artikel auf BASIC thinking geschrieben.

23 Kommentare

  • Ohne nativen Mac-Client kann ich mich leider nicht dazu überwinden, das Abo zu bezahlen. Ansonsten finde ich es gut, dass es auch sowas wie Spotify in Österreich gibt 🙂

    Die einzige Hürde ist noch der native Mac-Client, das Air-Zeug ist leider auf dem Mac unbenützbar!

  • Streaming ist das einzig richtige für Musik. Klar musste ich auch weinen, als ich irgendwann meine letzten CD schlicht in den Müll geschmissen habe, aber dieses offline Speichern ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Schön, dass eine kleine, neue Firma diesen Markt evtl. tatsächlich erfolgreich für sich erschließt.

  • Im Prinzip wäre Simfy super, wenn der Musikkatalog wirklich das umfassen würde, was ich z.B. bei Amazon als MP3 Alben bekomme.

    Aber gerade im Metal-Bereich klaffen da noch _riesige_ Lücken. Klar, das ist jetzt nicht die Schuld von Simfy, aber für mich als Dienst indiskutabel. Ich habe Simfy eine zeitlang ausprobiert, aber da ich eben fast nur Metal höre, komme ich vielleicht auf eine Chance von 50% dass das, was ich dort hören möchte, auch vorhanden ist, was einfach zu wenig ist.

  • Leider ist der Client für den Mac unbrauchbar. Außerdem ist das Angebot abseits des Mainstreams (in meinem Fall vor allem elektronische Musik) nicht besonders toll… da hat Spotify (noch) mehr zu bieten, aber vielleicht ändert sich das ja noch.

  • die industrie hat den Kampf echt verloren, die denken jetzt so langsam erst um.
    der Kampf gegen Raubkopierer war verschwendete Zeit.
    werde mir das mal genauer anschauen.

    gruß max

  • Mit dem Datamining zusammen mit Facebook und dem Fehlen der interessanten Lieder machen sie sich leider keine Freunde. Aber der Knaller ist selbst das Interface von Groveshark ist besser. Dafür sollte es nun wirklich keine Entschuldigung geben. Finden neuer Songs geht hingegen am besten mit Pandora und last.fm.

  • “…Im Gegensatz zu Google hatten die Kölner sich im Januar mit den deutschen Urheberrechtsvertretern geeinigt…”

    Vielleicht haben die Piraten doch recht. Ohne Urheberrecht gäbe es statt Dieter Bohlen und Charlotte Roche nur noch Franz Kafka und Arthur Schopenhauer…
    😉

  • Wenn es einen (ständigen) Sync-Dienst für alle Meta-Daten wie Playlists, Favorites, Settings usw. geben würde – zumindest untereinander zwischen Spotify, Simfy, Grooveshark, Last.fm oder auch myjuke – dafür würde ich sofort zahlen und dann wäre es mir auch egal, wer da etwas anbietet.

    Aber wahrscheinlich wird das niemals passieren weil diese meta-Daten gerade die assets / der Anreiz sind, dass User A Dienst B benutzt. Daher muss ich auch bei Spotify bleiben, auch wenn ich lieber dafür zahlen und dafür bei Simfy sein würde. Aber diese Playlists & Co. mit meinen Freunden dort ist mir mehr wert.

  • Meine Musik bleibt schön offline bei mir, von Dritten unabhängig.

    So kann ich sie auch noch (überall, ohne Netz) hören, wenn Simfy oder ähnliche Dienste längst wieder in der Versenkung verschwunden sind.
    Auch gibt es keine Beschränkungen was die Auswahl angeht, oder Titel plötzlich nicht mehr abspielbar sind, weil es z.B. Lizenz-Streitigkeiten gibt.

    Zudem: Welche Daten sammeln solche Dienste über mich, wenn ich Musik höre?

    Für neue Musik gibts es längst unzählige (legale) Kanäle, da kommt Simfy arg spät.

  • @jke: Es gibt einen Importdienst der so ziemlich von allem die Playlists nach Spotify Importiert. Und ich weiß auch einen der Itunes/Spotify/Last.fm nach Grooveshark bringt. Natürlich nur wenn die Leider jeweils auch vorhanden sind.

    Komfort sieht anders aus aber es ist nicht völlig unmöglich.

    Für Simfy konnte ich nichts finden.

  • Man hört mehr und mehr vom musikstreaming-diensten. Ich war jetzt auch durch den artikel interessiert und hätte es gern ausprobiert. Dann gibt es auch noch ein kostenlose app und wenn das musik repertoire das her gibt was ich höre würde ich gern das geld bezahlen. ABER!!! ich lebe zur zeit in australien. keine chance und so lange sich an den internationalen rechten nichts ändert bleibt die musik wie bei anonymous schön offline. Schöner versuch aber ich glaub dann doch auch nicht daran. Ich denk auch, wenn man bestimmte spartenmusik hört ist das angebot eh nicht ausreichend.

  • Ich bin dafür, dass es Discs weiterhin gibt, ob man streamen darf oder nicht, ist mir egal, weil ich es nie gemacht habe und mir immer Discs kaufe, ich kaufe Klassik und bin einer der größten Mozartfans überhaupt und muss mir Hardware und Anlagen und Bluer-Ray-Dvd Player kaufen können. Ich bezahle lieber für CDs, DVDs und Blue-Rays.