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Alles, was Ihr über BMWs selbstfahrendes Motorrad wissen müsst

geschrieben von Nicole Scott

Die Todesrate bei Unfällen ist für Motorradfahrer 28-mal höher als bei Autofahrern. Das zeigt, wie wichtig es ist, dass bei der Entwicklung eines selbstfahrenden Motorrads die Sicherheit der Nutzer im Mittelpunkt steht und nicht nur die Technik an sich.

In Sachen Motorräder stehen die Hersteller vor einer Reihe von einzigartigen Herausforderungen und BMW Motorrad arbeitet bereits seit zwei Jahren an der Entwicklung eines selbstfahrenden Zweirads.

Der Plan ist aber nicht, ein vollautonomes Motorrad auf den Markt zu bringen. Stattdessen möchte BMW einzelne Aspekte der Technologie nutzen, um Motorräder in kritischen Situationen sicherer und stabiler zu machen. Autos werden mittlerweile mit Fahrassistenzsystemen wie Spurassistenten oder Notbremsfunktionen ausgestattet; BMW möchte ähnliche Features nutzen, um vermeidbare Motorradunfälle zu verhindern.

Solche Assistenzfunktionen in ein Motorrad zu integrieren stellt jedoch eine große Herausforderung dar. Autos können problemlos selbstständig auf die Bremse treten, denn in den meisten Fällen wird der Fahrer unbeschadet davon kommen. Bei einem Motorrad würde er dagegen buchstäblich vom Sattel fliegen. Wenn man bedenkt, wie viel Kontrolle der Fahrer über die Balance seines Motorrads hat, lässt sich leicht erkennen, welche neuen Gefahren solche automatischen Korrekturen mit sich bringen; selbst, wenn sie noch so klein ausfallen.

Ein weiterer Aspekt ist der variable Platzbedarf eines Motorrads im Straßenverkehr. Wenn sich der Fahrer nämlich in die Kurve legt, ändert sich die Begrenzungszone; diese dient dazu, die Größe eines Objekts und dessen nötigen Sicherheitsabstand zu berechnen. Bei einem Auto ändert sich dieser Wert kaum, bei einem Motorrad kann er sich dagegen in kürzester Zeit drastisch verändern.

Wenn sich das Fahrrad nach rechts oder links neigt, verändert sich die Fläche, die das Motorrad auf der Straße einnimmt. Dies ist eine Variable, die sich für ein Auto nicht wirklich ändert.

Diese variable Begrenzungszone ist aber nicht nur für selbstfahrende Motorräder relevant, auch autonome Autos müssen diese Variable in Zukunft in ihre Berechnungen miteinbeziehen.

Motorräder beschleunigen wesentlich schneller und das Fahrverhalten eines Motorradfahrers unterscheidet sich zudem völlig von dem eines Autofahrers. Überhol- und Spurwechselmanöver laufen bei beiden Fahrzeugen nämlich sehr unterschiedlich ab. Häufig sind Motorräder wesentlich unberechenbarer als andere Fahrzeuge wie beispielsweise LKWs.

Auch was die Daten angeht, die von den Fahrzeugen produziert werden, gibt es zwischen Autos und Motorrädern einige Unterschiede. Hier kommt wieder die variable Begrenzungszone ins Spiel. Autos haben in der Regel eine gleichbleibende Begrenzungszone – es sei denn, die Türen sind geöffnet. Würde ein autonomes Motorrad genau diese Information empfangen, wird es sich möglicherweise zur Seite neigen, was sich wiederum auf seine eigene Begrenzungszone auswirken würde. All diese Dinge müssen bei der Festlegung neuer Standards zur Aufzeichnung und Priorisierung von Daten unbedingt berücksichtigt werden.

Vergesst Car-to-Car-Kommunikation – wir brauchen Vehicle-to-Vehicle-Kommunikation

Wenn ihr mit dem Thema bereits vertraut seid, werdet ihr wissen, dass die Standardisierung der Car-to-Car-Kommunikation aktuell ein wenig problematisch ist. BMW Motorrad möchte dieses Problem adressieren und auf die besonderen Anforderungen von Motorrädern aufmerksam machen. Denn es scheint, als würde die Automobilindustrie bei der Entwicklung neuer Standards Motorräder kaum berücksichtigen.

Würde die Motorradbranche diese Sache nicht in die Hand nehmen, wäre es in Zukunft nicht möglich, Dinge wie den Neigungswinkel oder die Bremsinformationen eines Motorrads auf andere Fahrzeuge zu übertragen. BMW generiert die Daten, welche die Automobilindustrie benötigt, um neue Infrastruktur- und Kommunikationsstandards für intelligente Fahrzeuge zu schaffen.

Es ist klar, dass V2V-Features und Selbstfahrsysteme in der Autobranche ihre Anfänge nehmen werden, denn die Technologie ist noch nicht auf die Größe von Motorrädern abgestimmt. Die Geräte zur Aufzeichnung der Daten füllen bei Prototypen schließlich den gesamten Kofferraum aus; bei Motorrädern gibt es schlicht und einfach nicht so viel Platz.

Das CMC – Connected Motorcycle Consortium – entwickelt neue Standards für Auto- und Motorrad-Ökosysteme. Man möchte dort aktiv sicherstellen, dass Motorräder hinsichtlich dieser Technologie nicht ausgeschlossen werden.

Was wird im Video gezeigt?

Das Video ist wirklich beeindruckend – auch, wenn man eigentlich kein vollautonomes Motorrad sieht, denn das Fahrzeug folgt einer vorgegebenen GPS-Route. Noch ist das Fahrzeug nicht mit Umgebungssensoren ausgestattet. Vor dem Test musste BMW zusätzlich zur Strecke auch eine Reihe von Parametern festlegen, beispielsweise die Straßenzusammensetzung und Fahrbahnbreite.

Die drei Kästen hinten am Fahrzeug stecken voller Technik und Entwicklungsarbeit. Es handelt sich um eine Kombination aus Equipment aus dem örtlichen Elektroladen und einigen selbst angepassten Bauteilen aus der Rennwerkstatt. Das Gesamtgewicht beträgt ganze 70 Kilogramm.

Der Computer führt in Echtzeit die Berechnungen für die Stabilisierung des Motorrads durch. Die Stabilisierungs- und Lenkfunktion ist ein äußerst interessantes Feature; in Zukunft könnte sie zum Beispiel auch bei Fahrschulfahrzeugen zum Einsatz kommen.

BMW möchte auch eine Funktion zur Kollisionsvermeidung integrieren, um herauszufinden, wie sich Gefahrensituationen am besten vermeiden und umgehen lassen. Letzten Endes möchte BMW Assistenzsysteme entwickeln, mit deren Hilfe sich das Unfallrisiko minimieren lässt.

Zwar plant BMW nicht, ein selbstfahrendes Motorrad auf den Markt zu bringen, aber ein solches Projekt ist wichtig, um auf die besonderen Anforderungen von Motorrädern im Straßenverkehr der Zukunft aufmerksam zu machen – und natürlich, um uns mit diesem skurrilen Video eines fahrerlosen Motorrads zum Staunen zu bringen.

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Nicole Scott