Es gibt gefühlt nur noch zwei Kategorien: Entweder bist du links-grün-versifft oder ein brauner Nazi. Wenn man sich durch die Kommentarspalten bei Facebook, Instagram und Co. liest, fragt man sich: Wo bleibt das Niveau auf Social Media? Wir sollten dieses Schwarz-Weiß-Denken endlich aufbrechen. Eine kommentierende Analyse.
16 Millionen Deutsche werden mit Hass im Netz konfrontiert
Beginnen wir einmal mit den Fakten: Das Statistische Bundesamt hat im Dezember 2023 eine repräsentative Umfrage unter allen Deutschen im Alten zwischen 16 und 74 Jahren durchgeführt. Dabei kam heraus, dass rund 92 Prozent der Befragten das Internet nutzen. Umgerechnet in Zahlen sind das 57,4 Millionen Menschen in Deutschland.
Mit Blick auf die Konfrontation mit Hass, Erniedrigungen oder Beleidigungen im Internet und in den sozialen Medien berichtet mehr als ein Viertel (27 Prozent) von persönlichen Erlebnissen. Demnach sind 15,8 Millionen Deutsche laut Statistischem Bundesamt entweder selbst Opfer von Beleidigungen geworden oder sie haben sie mitbekommen.
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Jugendliche und junge Erwachsene besonders stark betroffen
Je jünger die Befragten waren, desto stärker sahen sie sich mit Hass und Beleidigungen jeglicher Art konfrontiert. So haben mehr als 36 Prozent der 16- bis 44-Jährigen bereits Hatespeech mitbekommen oder selbst erlebt. Bei den 65- bis 74-Jährigen war es dagegen gerade einmal ein Siebtel.
Das zeigt: Insbesondere junge Menschen, die bereits seit langer Zeit mit den sozialen Medien sozialisiert worden sind, sind auch besonders stark polarisiert. Oder anders ausgedrückt: Ältere Menschen wahren noch eher das Niveau auf Social Media, während es in den jüngeren Altersklassen kaum noch vorhanden ist.
Rassismus, Sexismus, Gender-Diskriminierung: Überall regiert der Hass
Doch: Warum werden Menschen in sozialen Medien überhaupt beleidigt? In den allermeisten Fällen – zu 79 Prozent – sind die betroffenen Personen aufgrund ihrer politischen oder gesellschaftlichen Ansicht beleidigt oder erniedrigt worden. Im Anschluss folgen:
- Rassistische Äußerungen aufgrund der ethnischen Herkunft (58 Prozent)
- Sexuelle Orientierung (54 Prozent)
- Religion und Weltanschauung (47 Prozent)
- Biologisches Geschlecht (38 Prozent)
- Körperliche und geistige Behinderungen (23 Prozent)
Alleine diese sehr lange Liste an „Ursachen“ für Beleidigungen zeigt, dass unsere Gesellschaft mittlerweile primär von Hass und Kurzschlussdenken geleitet wird. Es wirkt beinahe wie ein Wünsch-Dir-Was. Man muss sich nur einen beliebigen Grund suchen, um andere Menschen zu beleidigen oder zu erniedrigen. Besonders stark sinkt das Niveau auf Social Media.
Bist du links-grün oder braun?
Dabei ist vor allem eine relativ neue Erscheinung für mich besonders bedenklich. Denn es scheint keine politische Mitte mehr zu geben. Es regiert in den Kommentarspalten ein Schwarz-Weiß-Denken, das ungeahnte Ausmaße angenommen hat. Dabei ist keine politische Gesinnung besser.
Schnell ansteht dabei der Eindruck, dass es nur noch zwei gesellschaftliche Lager gibt. Auf der einen Seite stehen links-grün gerichtete Idealisten. Sie setzen sich für den Klimaschutz ein und wollen Menschen unabhängig von ihren sexuellen Gesinnungen akzeptieren. Auf der anderen Seite gibt es Nazis.
Vorsicht beim inflationären Gebrauch des Begriffs „Nazi“
Es ist eigentlich fast bedenklicher, dass derart viele Menschen, die zum Teil auch nur konservativere Ansichten vertreten oder den Kapitalismus und die freie Wirtschaft nicht sofort verteufeln als „braun“, „rechts“ oder „Nazi“ bezeichnet werden.
Um es deutlich zu sagen: Mit Björn Höcke gibt es einen sehr gefährlichen rechtsradikalen Politiker in Deutschland, der womöglich bald Ministerpräsident wird. Fernab von Böcke ist der Schlachtruf „Nazi“ – auch historisch betrachtet – in vielen Fällen bei Diskussionen in den sozialen Medien unangebracht.
Niveau-Limbo in Social Media: Wenn die eigenen Argumente ausgehen, folgt Hass
Tatsächlich scheint unserer Gesellschaft die Fähigkeit abhanden gekommen zu sein, sich niveauvoll auszutauschen. Ich selbst verbringe gerne an freien Tagen oder am Feierabend auch einmal einige Minuten oder Stunden damit, in Kommentarspalten mitzudiskutieren.
Dabei zeigt sich das immer gleiche Schema: Eine Person verbreitet ihre persönliche Meinung und denkt, dass es sich dabei um Fakten handelt. In den allermeisten Fällen geschieht dies in Facebook-Gruppen, da diese ein zusätzliches Maß an Anonymität bieten. Ob das Thema dabei Sport, Aktien oder das Wetter ist, macht keinen Unterschied.
Gegenargumente zeigen kaum eine Wirkung
Wenn man nun mit diesen Menschen anfängt zu diskutieren und Gegenargumente zu bringen, die mit wissenschaftlichen Quellen unterlegt sind, schlägt der Ton schnell um. Oftmals reicht die eigene Argumentationskette nicht mehr als Kommentar.
Was im Anschluss kommt, sind Beleidigungen und Hass. Wenn die eigenen Argumente ausgehen, ist die kritische Diskussion schnell beendet. Dann wird die persönliche Ebene eröffnet – und damit ist Schluss. Tatsächlich zeigt eine Studie der Landesanstalt für Medien in Nordrhein-Westfalen, dass Gegenargumente keine Wirkung auf Hassverbreiter hat.
Freundlichkeit ist Trumpf
Trotzdem werde ich nicht müde, mich in sinnlose Diskussionen einzumischen. Denn meiner Meinung nach gehört es zu den wichtigsten Aufgaben als Mitglied einer Demokratie, sich für einen fundierten Meinungsaustausch einzusetzen. Dabei ist es essenziell, den Meinungspluralismus zu akzeptieren.
So vielseitig wie unsere Gesellschaft ist, so vielseitig sind auch die Meinungen. Nicht immer ist es einfach, den Gegenüber zu verstehen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die andere Person im Unrecht ist. Wir müssen alle lernen, unser Ego ein Stück weit zurückzustellen.
Die wichtigste Erkenntnis aus meinen stundenlangen Diskussionen in den Kommentarspalten ist übrigens denkbar einfach. Was beleidigende Personen am meisten ärgert ist Freundlichkeit. Wer sich nicht auf das Niveau der Hater herablässt, hat die besten Chancen sie aus den Kommentarspalten zu vertreiben.
Denn wer Etikette und Anstand wahrt, schafft es blinde persönliche Meinungen zu durchbrechen. Tatsächlich macht es Spaß, Hass mit Freundlichkeit entgegenzutreten und zu beobachten, wie sich die Menschen selbst disqualifizieren und Unterstützer verlieren. Das mag hochnäsig klingen, ist aber in Zeiten der gesellschaftlichen Verrohung auch ein Stück Schadenfreude.
Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Kommentar. Diese journalistische Stilform spiegelt die Meinung des Autors wider. Kommentare sind weder objektiv noch sind sie für die gesamte Redaktion repräsentativ.
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Ein toller Artikel. Dankeschön! Und den Teil „So vielseitig wie unsere Gesellschaft ist, so vielseitig sind auch die Meinungen. Nicht immer ist es einfach, den Gegenüber zu verstehen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die andere Person im Unrecht ist. Wir müssen alle lernen, unser Ego ein Stück weit zurückzustellen.“ werde ich in nächster Zeit definitiv öfter mal zitieren.