Wenn es eine Zeitlang so schien, als würden mit Googles Android und Apples iOS zwei mobile Betriebssysteme das Rennen machen, kann man sich bald über mangelnde Auswahl zumindest in der Nische nicht mehr beschweren. Neu ist, dass Motorola Mobility offenbar seit Monaten an einem eigenen System arbeitet, wie Informationweek meldet. Und der Smartphone- und Tablethersteller scheint es ernst zu meinen: Er hat einer internen Quelle nach drei ehemalige Mitarbeiter von Apple und Adobe um sich geschart, um das System zu fertigen. Der Deutsche-Bank-Analyst Jonathan Goldberg bestätigte die Gerüchte.
Warum Motorola das macht? Weil man angeblich unzufrieden mit dem Aufwand ist, der mit Android verbunden ist. Jeder Versionssprung (etwa von 2.2 auf 2.3) erfordert viel Entwicklungsarbeit für alle unterstützten Geräte. Durch die Fragmentierung mache Google sich selbst und den Hardwareherstellern das Leben schwer. Offiziell bleibt Android natürlich die erste Wahl für Motorola, wie ein Unternehmenssprecher gegenüber Informationweek bestätigte. Zur Erinnerung: Motorola war der erste Anbieter, der mit dem „Xoom“ ein Tablet mit Googles angepasster Android-Version Honeycomb (3.0) auf den Markt brachte. Schaut man sich dort um, dürfte die Motivation nach einer Systemvielfalt offenbar werden: Die Hersteller wollen nie wieder so von einem Betriebssystem abhängig sein wie einst von Microsoft Windows.
Fünf Hersteller, eine Absicht: Unabhängigkeit
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Mit einer Eigenentwicklung dürfte Motorola eine ähnliche Strategie fahren wie Samsung, HTC und LG, die je nach Endgerät verschiedene Plattformen einsetzen: mehr Systeme bedeuten weniger Abhängigkeit. Von Microsoft war Motorola vergangenen Oktober noch wegen angeblicher Patentverletzungen bei Android verklagt worden. Man klagte prompt zurück, aber der Schock dürfte tief gesessen haben. Weil Apple iOS alleine für sich selbst beansprucht und Windows Phone 7 mit argen Problemen kämpft, ist mit Android derzeit streng genommen nur ein konkurrenzfähiges System auf dem Markt. Das wissen die Hersteller – und deswegen entwickeln viele von ihnen an Eigenlösungen, um sich auf dem Markt besser zu positionieren:
- HP hält an WebOS fest, das man einst von Palm übernommen hatte. Mehr noch: Das innovative System soll bald auf eigenen PCs und Laptops eingesetzt werden – zusätzlich zu Windows. Am liebsten würde sich HP damit der Abhängigkeit von Microsoft ganz entziehen, aber das ist noch Zukunftsmusik.
- Intel hält allen Unkenrufen zum Trotz an der Entwicklung von MeeGo fest, das auf Tablets, Netbooks und KFZ-Bedienkonsolen laufen kann. Intel ist der festen Überzeugung, dass die Kunden neben iOS und Android noch ein weiteres System wollen.
- Nokia hat sich für Windows Phone 7 statt Android entschieden. Bis man im kommenden Jahr eigene Systeme damit veröffentlicht, will man noch 150 Millionen Geräte mit Symbian herausbringen und auch an der Entwicklung von MeeGo weiter mitarbeiten.
- RIM setzt für sein Blackberry-Tablet PlayBook auf ein eigenes System, das man vom Hersteller QNX übernommen hat (und das HPs WebOS stark ähnelt). Auf neuen Blackberry-Smartphones kommt die Version 6 der Eigenentwicklung Blackberry OS zum Einsatz.
- Samsung hat mit Bada ein eigenes System, offiziell vornehmlich für einfache Handys und preiswerte Smartphones.
Fragmentierung bedeutet viel Aufwand für Entwickler
Auffällig an den meisten der Entwicklungen ist, dass es nicht wie früher gegen Microsoft geht. Man hat Angst, sich in eine Abhängigkeit gegenüber Google zu begeben. Motorola dürfte daneben aber noch einen viel profaneren Grund im Hinterkopf haben: Für die sehr interessante Webtop-Anwendung gibt es ganz einfach noch keine passende Software aus der Android-Entwicklerschmiede oder sonstwoher. Bei Webtop kommt ein Dual-Core-Smartphone sowohl als Handy als auch als Herzstück für einen Hardware-reduzierten Laptop zum Einsatz. Hier muss man zwangsläufig etwas Eigenes entwickeln, weil es niemand sonst anbietet.
Es ist zunehmend ein Rennen um Ökosysteme statt um die beste Hardware, hat Microsoft-Chef Steve Ballmer bei der Bekanntgabe der Kooperation mit Nokia gesagt. Er meint damit Komplettsysteme aus Hardware, Betriebssystem und Anwendungen. Da das nicht alle Anbieter haben, werden wohl nicht alle Betriebssysteme überleben. Probleme bringt die Fragmentierung auch für Entwickler mit sich. Die müssen ihre Apps für immer mehr Plattformen bereit stellen, es sei denn, Webapps setzen sich irgendwann durch. Kunden hingegen könnten die Entscheidung, was ihr nächstes Smartphone wird, zunehmend vom Betriebssystem abhängig machen statt bislang vom Hersteller. Und hier kommt es auch auf Menge und Qualität verfügbarer Apps an – was wiederum von Entwicklern abhängt. Die Anbieter der Betriebssysteme müssen es den Entwicklern also so leicht wie möglich machen, ihre App dort unterzubringen. Dann können sie auch mit einem eigenen System erfolgreich sein. Zumindest in Zukunft – denn aktuell dürfte kaum ein Weg an Android vorbei führen.
(Jürgen Vielmeier)