Irgendwann zu Beginn des vergangenen Jahres wurde ich von einem Freund mal zu dem Theaterstück „Hochzeit auf Rheinisch“ eingeladen. Der eine oder andere Kölner und Düsseldorfer unter euch kennt es vielleicht oder hat es gar selbst auch gesehen. Allen anderen sei gesagt, dass es sich hierbei um ein improvisiertes Stück handelt, bei dem der Zuschauer interaktiv in die Geschichte eingebunden wird. Jeder Gast übernimmt nämlich die Rolle eine Familienangehörigen der beiden Vermählten und wird vor Beginn des Stücks kurz über seinen Charakter aufgeklärt beziehungsweise in diesen eingeführt. Anschließend geht das über weite Strecken improvisierte Spiel zwischen Bühne und Publikum los.
Etwas Vergleichbares, wenngleich nicht so unmittelbar, hat die Berliner Dependance der Agentur Jung von Matt nun im Auftrag des Fernsehsenders „13th Street“ fürs Kino entwickelt. In dem Horror-Trailer „Last Call“ sieht der Zuschauer eine junge Frau, die sich in der Ruine eines Sanatoriums auf der Flucht vor einem psychopatischen Killer befindet. Hierbei findet sie zufällig ein Handy, mit dem sie glücklicherweise eine Person anrufen und um Hilfe bitten kann. Diese Fügung wirkt zugegebenermaßen sehr konsturiert und erinnert an jene hunderttausendfach gesehenen Szenen in Hollywoodschinken, in denen beispielsweise ein dicker Laster den Weg bei einer Verfolgungsjagd versperrt. Der Kinobesucher wird aber in diesem Fall wohlwollend über diesen „Zufall“ hinwegsehen – vor allem dann nämlich, wenn plötzlich sein eigenes Handy klingelt und sich am anderen Ende die verängstigte Frau aus dem Film befindet.
Nun liegt es an ihm, die junge Frau vor dem verrückten Mörder zu schützen und ihr den richtigen Fluchtweg zu weisen. Darüber hinaus entscheidet er beispielsweise, ob sie einem anderen Opfer zur Hilfe eilen oder an ihr eigenes Wohl denken soll. Er wird also zum Teil der Handlung und bestimmt durch seine Kommandos und Ratschläge den Verlauf der Geschichte.
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Wie das funktioniert? Ähnlich wie bei dem oben erwähnten Theaterstück werden die Kinobesucher vor Beginn des Trailers zum Mitmachen aufgefordert. Sie werden dabei gebeten, ihre Handynummern an eine vorgegebene Kurzwahl zu senden. Mittels extra hierfür entwickelter Software wird dann eine dieser Nummern ausgewählt und der Zuschauer während der Vorstellung an der besagten Stelle im Film angerufen. Dabei hört der interaktive Helfer nicht nur die Stimme der Schauspielerin, sondern unter anderem auch ihren Atem oder ihre Schritte. Die Interaktion zwischen ihr und dem Zuschauer erfolgt dann über Spracherkennung beziehungsweise ein Sprachdialogsystem.
Hierzu werden die per Telefon gegebenen Anweisungen des Kinosaal-Helfers von der Software in Befehle umgewandelt, die wiederum die entsprechende Film-Szene abspielt. Je nach Anrufer erhält der Film also jedes Mal eine andere Wendung beziehungsweise einen anderen Handlungsverlauf. Hierdurch wird nicht nur die klassische Trennung zwischen dem in seinem Sitz hockenden, „passiven“ Zuschauer und der „aktiven“ Handlung auf der Leinwand aufgehoben, sondern auch die zwischen Zuschauer und Handlung selbst. Die Grundidee von „Last Call“ erinnert hierdurch entfernt an den Arnie-Klassiker „Last Action Hero“ oder das Video zum A-Ha-Hit „Take on me„, wo auch die Grenze (in Form der Leinwand) zwischen – für den Filmcharakter! – realer und fiktionaler Welt aufgehoben wird.
Medienübergreifende Interaktivitätsmöglichkeiten werden mit diesem Horror-Kurzfilm, den Jung von Matt in Kooperation mit den Unternehmen Aixvox, Telenet und Nuance entwickelt hat, damit auf ein neues Level gehieft. Zuvor hatten nämlich schon die Macher von Silktricky mit ihren interaktiven Online-Filmen „Bank Run“ und „The Outbreak“ neues Interaktivitäts-Terrain ergründet und die Messlatte diesbezüglich relativ hoch gelegt. Zudem hatte auch der Lübbe Verlag mit dem interaktiven Buch „Level 26“ ein bemerkenswertes Beispiel für diese Art des wechselseitigen Aufeinandereinwirkens von Konsument und Produkt präsentiert. Bezeichnenderweise spielt auch in diesem Plot ein gestörter Killer die Hauptrolle. Offenbar scheint sich dieses Genre in den Augen der Verantwortlichen besonders gut für solche interaktiven Ansätze zu eignen.
Was haltet ihr von dem Ansatz? Mal abgesehen davon, dass die Zuschauer natürlich mitziehen müssen und am Telefon nicht etwa aus Gehässigkeit, Dummheit oder anderen Gründen schweigen – coole Idee oder totale Zerstörung der Kino-Atmosphäre? Könnte diese Art von Film neben 3D-Filmen ein Grund für Filmliebhaber sein, wieder ins Kino zu gehen oder bewirkt sie eher das Gegenteil?
(Marek Hoffmann)