Handgestoppte 60 Minuten ist Jochen Schweizer zu spät. „Heute war Arbeitstag“, sagt er, aus einem Flugzeug sei er nicht gesprungen. Der Gründer und Chef der nach ihm benannten Unternehmensgruppe hat viel zu tun. In diesem Jahr ist er zum dritten Mal als Investor bei „Die Höhle der Löwen„, dem VOX-Erfolgsformat, bei dem Start-ups vor fünf Investoren, den Löwen, pitchen können. Im BASIC thinking-Gespräch spricht Schweizer über seine schlimme Krise 2003, seine Personenmarke und warum er manchmal das Gefühl hat, bei „Die Höhle der Löwen“ ein Nickerchen machen zu müssen.
BASIC thinking: Herr Schweizer, wo ist die Verbindung zwischen dem Typ, der aus Flugzeugen springt und sich mit dem Kayak die Beine bricht, um sein Leben zu retten und dem Typ, der schick angezogen in einer Fernsehshow sitzt, um in Start-ups zu investieren?
Jochen Schweizer: Die Verbindung ist die Unsicherheit. Mein ganzes Leben war unsicher, damals in meiner Zeit als Stuntman und auch heute als Investor. Insbesondere Seed-Investments sind sehr unsicher. Insofern hat sich in meinem Leben nicht viel verändert, außer dass sich diese Unsicherheit nicht mehr nur auf den physischen Bereich bezieht.
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Unsicherheit kennen Sie auch aus Ihrer Anfangszeit. Am 10. Juli 2004 standen Sie vor fünf Investoren im Mandarian Oriental Hotel in New York City und haben um Geld für Ihre Idee gebeten. Sie sind ohne Geld nach Hause geflogen. Wie hat Sie das verändert?
Es hat mich nicht verändert, denn in Zeiten der Unsicherheit und der Veränderung ist Haltung der Schlüssel zum Erfolg. Haltung ist etwas, was nicht verhandelbar ist. In guten wie in schlechten Zeiten: Meine Haltung bleibt immer gleich.
Jetzt sitzen Sie auf der anderen Seite. Wie kam es vor ein paar Jahren dazu, dass Sie zu „Die Höhle der Löwen“ gekommen sind?
Ich erhielt einen Anruf von Sony, ob ich mir das vorstellen könnte und habe mir dann das Konzept und einige Folgen von „Shark Tank“, der US-Version, angeschaut. Ich habe mich auch mit meinen PR Experten und dem Management beraten. Dann haben wir entschieden, dass ich mitmache.
Was treibt Sie an?
Neugierde, Freude und der Wunsch, etwas beizutragen und zurückzugeben. Ich kann sagen, dass es mir heute nach vielen Kämpfen und einem sehr langen Weg sehr gut geht. Und wenn ich jetzt etwas weitergeben kann – nicht nur Geld, sondern auch Erfahrung und Ratschläge – dann gibt mir das eine große Befriedigung.
Sie äußern sich nicht immer positiv über Ihre Erfahrungen mit den Investoren Ihrer Firma, die Sie inzwischen ausbezahlt haben. Was unterscheidet den Investor Jochen Schweizer von den Investoren von früher?
Der Begriff Business Angel wird manchmal ein wenig missverstanden. Ich habe damals geglaubt, dass Business Angel im wörtlichen Sinne Engel seien. Ganz so engelhaft sind die aber nicht. Ich möchte bei meiner Investorentätigkeit nicht etwas suggerieren, was ich nicht halten kann. Ich gehe mit einem klaren Gedanken an ein Thema heran und wenn ich meine Vorstellungen durchsetzen kann, stehe ich auch zu 100 Prozent dahinter. Aber wenn nicht, steige ich lieber aus.
Sie sind ja das beste Beispiel für eine Personenmarke. War das damals eine bewusste Entscheidung, als Sie noch nicht wussten, was aus der Firma mal werden würde?
Nein, da stand kein Konzept dahinter. Ich bin die Schritte immer sehr intuitiv gegangen und habe ja letztlich nichts anderes getan als das, was ich am besten kann. Ich habe die Fähigkeit, Menschen dazu zu bringen, Dinge zu tun, die sie nicht getan hätten, wenn Sie mich nicht getroffen hätten. Die hatte ich schon als Kind. Und im Endeffekt hat sich diese Fähigkeit auf eine Marke übertragen, die daraus entstanden ist.
2003 ist Ihr Unternehmen in eine schwere Krise geraten, als ein Mensch am Bungeeturm in Dortmund gestorben ist. Hätten Sie sich damals gewünscht, Ihren Namen etwas weniger lesen zu müssen und sich vielleicht hinter einer Firma verstecken zu können?
Ich hätte mich auch nicht versteckt, wenn die Firma einen anderen Namen gehabt hätte, weil Verstecken nicht mein Charakter ist. In der gleichen Minute, als mich diese Nachricht erreichte, habe ich Position bezogen und diese Position habe ich durchgezogen bis zum Ende aller Anschuldigungen, bis zur Restrukturierung und dem Wiederaufbau meines doch schwer angeschlagenen Unternehmens. Ich hätte mich auch nicht anders verhalten, wenn ich Karl Schmitz heißen würde.
Wussten Sie bei dem Anruf 2003 sofort, wie heftig die Krise sein würde?
Ich wusste es in der gleichen Minute. Als mein Geschäftsführer mich anrief und sagte: „Jochen, wir haben einen Toten in Dortmund“, wusste ich, dass mein Leben ab diesem Moment ein anderes werden würde. Da ist ein Mensch gestorben, das ist eine schwere Verantwortung. Da wir die Ursache nicht kannten, haben wir alle Sprungtürme auf Anhieb stillgelegt. Die Konsequenzen waren mit natürlich klar: Zusammenbruch des Cashflows, schwere Anschuldigungen in der Öffentlichkeit, insbesondere von der Presse. Aber so ist es nun mal. Was ich daraus mitgenommen habe, ist die Erkenntnis: Am Ende hängt alles von einem selbst ab.
2004 ging dann Ihre Website online. Wo stünde ihr Unternehmen jetzt, wenn es das Internet nicht gegeben hätte? Hätte Ihre Idee auch im stationären Einzelhandel funktioniert?
Selbstverständlich. Das Unternehmen wäre auch erfolgreich geworden, wenn es kein Internet gäbe. Es ist natürlich auch immer eine Portion „richtiger Augenblick“ dabei. Manchmal müht man sich vergeblich und kommt einfach nicht zum Ziel. Viele geben dann irgendwann auf. Wenn man aber nicht aufgibt, weiter geht und immer wieder sein Bestes gibt, dann trifft dieses Streben irgendwann auch auf den richtigen Augenblick – und dann hat man Erfolg. In meinem Fall war es so, dass das Internet damals sprunghaft gewachsen ist, sodass wir jedes Jahr unsere Umsätze im Online-Bereich versechsfachen konnten. Wenn es kein Internet gegeben hätte, wären wir heute aber auch eine erfolgreiche Firma, vielleicht wären wir kleiner. Dann wäre der Wettbewerb aber auch kleiner.
Apropos Wettbewerb: 2004 war das Internet noch eher jungfräulich. Sie investieren ja auch teilweise in Start-ups, die das Internet als Vertriebsweg nutzen. Was hat sich seit 2004 verändert für Gründer im Netz?
Früher gab es eine deutlich höhere Transparenz und Durchschaubarkeit des Gesamtmarktes. Heute sind etwa das Online-Marketing oder der SEO– und SEA-Bereich viel komplexer und es ist nicht mehr damit getan, 100.000 Euro bei Google zu investieren und dann wird’s schon laufen. Nein, man muss sich ganz genau überlegen, wo und wie man seine Mittel investiert, um die höchste Effizienz beim Neukundengeschäft zu gewinnen.
Seit den Anfängen von „Die Höhle der Löwen“ hat sich viel getan: Das Format hat sich einerseits etabliert, aber nun vor der dritten Staffel auch verändert durch den Weggang von Vural Öger und Lencke Steiner und die neuen Löwen Carsten Maschmeyer und Ralf Dümmel.
Einerseits vermisse ich den Augenaufschlag von Vural und Lencke hat auch polarisiert. Ich glaube, das war nicht schlecht für die Sendung. Andererseits haben wir mit Carsten Maschmeyer und Ralf Dümmel zwei Profis am Start, die auch von professionellen Teams und Beratern umgeben sind. Das bedeutet aus meiner Sicht, dass die Qualität und Professionalität des Löwen-Panels gewachsen ist. Mein Team und ich haben auch viel gelernt aus den ersten beiden Staffeln: Wir sind viel schneller in den Entscheidungen geworden, wir wissen besser als früher, was die Gründer erwarten. Ich erwarte also für die dritte Staffel einen deutlichen Zuwachs an Qualität.
Sie sagen, Lencke Steiner hat polarisiert. Carsten Maschmeyer ist nun auch nicht gerade eine Persönlichkeit, die nicht polarisieren würde. Ist er die richtige Besetzung?
Diese Frage beantwortet einerseits die Quote und andererseits die Verwirklichung der Deals, die in der Sendung vereinbart wurden. Ich möchte das auch gar nicht beantworten, aber Sie können es sich ja selbst beantworten, indem Sie die Quoten vergleichen und sich die Deals anschauen. Je mehr Deals realisiert werden, desto professioneller ist die Show.
Beim zweiten Punkt bin ich bei Ihnen. Bei der Quote nicht. Eine Sendung mit vielen Zuschauern ist noch lange keine gute Sendung.
Das ist eine Frage der Betrachtung. Aus der Sicht eines kulturschaffenden Redakteurs gebe ich Ihnen Recht. Aus der Sicht des kommerziellen Fernsehveranstalters gebe ich Ihnen nicht Recht. Für den ist entscheidend: Wie viele schauen die Sendung und wie viel kann ich für die Werbung verlangen.
Wie ist Ihr Verhältnis zu den anderen Löwen, speziell mit Judith Williams, mit der es ja das ein oder andere Mal kleinere Raufereien gab.
Entspannt. Wir sind alle unterschiedliche Charaktere. Vor der Kamera gibt es manchmal ein bisschen Aufregung und kurz danach ist alles wieder gut. Die Konfliktszenen sind nicht gespielt, da bekommt man sich schon mal in die Wolle, aber ich bitte Sie: Wir sitzen bei den Drehs 15 Tage lang stundenlang nebeneinander. Jetzt stellen Sie sich mal vor, wir müssten diese Zeit gemeinsam auf einem Segelboot verbringen. Das würde ja auch nicht reibungslos funktionieren.
Wie hält man es eigentlich aus, den ganzen Tag neben dieser Feuerschale zu sitzen?
Um ehrlich zu sein: Neben der Feuerschale ist nicht die beste Luft und ich muss aufpassen, dass ich nicht müde werde.
Sie sind dann aber schon noch wach genug beim Investment, oder?
Es gab durchaus Phasen, in denen ich das Gefühl hatte, ich müsste mal kurz ein Nickerchen machen.
Was hat sich in der dritten Staffel noch verändert?
Die Vorbereitung der Gründer. Sie kommen viel besser vorbereitet zu uns. In der ersten und zweiten Staffel kamen manchmal Gründer in die Show, die das nicht waren. Wenn Gründer in der Höhle der Löwen auftreten, erwarte ich, dass sie gut vorbereitet sind und ihr Geschäftsmodell in und auswendig kennen.
Sie sollen in dieser Staffel ja nicht so stark zugeschlagen haben, hört man?
Da wissen Sie mehr als ich. Die Anzahl der Deals eines Löwen hängt von seiner Agenda ab. Das heißt: Jeder Investor hat eine bestimmte Vorstellung, in welche Industrien, in welche Geschäftsmodelle oder Produkte er investieren will. Wir Löwen sind ein uns heterogen ergänzendes Panel, weil wir fünf alle unterschiedlich sind. Die Anzahl der Deals, die ein Löwe abschließt, hängt ganz wesentlich von der Vorauswahl des Senders ab, also von der Frage, welche Gründer die Chance erhalten, sich mit Ihrere Idee zu präsentieren
Gibt es Pläne für eine vierte Staffel mit Ihnen?
Überlegungen gibt es immer, ich überlege immer in alle Richtungen.
Herr Schweizer, vielen Dank für das Gespräch.
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