Sonstiges

Warum so plötzlich? Google bereitet Abreise aus China vor (Update)

china_google

Wie Google auf der offiziellen Blogseite berichtet, wurde Mitte Dezember des vergangenen Jahres eine gezielte und schwere Cyber-Attacke auf die IT-Infrastruktur des Unternehmens unternommen – und zwar von China aus. Hierbei wurde laut David Drummond, SVP, Corporate Development and Chief Legal Officer, „geistiges Eigentum“ des Unternehmens gestohlen. Doch was Drummond hier so schön euphemistisch verpackt, ist nur die Spitze des Eisberges:

  • Die Attacke der Hacker galt nicht nur Google, sondern mindestens 20 großen Unternehmen. Einige von ihnen haben, wie Google, den Angriff bereits offiziell bestätigt.
  • Hauptziel des Angriffs auf den Suchgiganten waren die Gmail-Accounts von Menschenrechtsaktivisten und deren Unterstützern, und zwar sowohl in den USA und Europa als auch in China selbst.
  • Als Reaktion auf den Angriff hat Google angekündigt, die vereinbarte Zensur in China zu beenden und sich notfalls sogar komplett aus dem Land zurückzuziehen.

Wie ist das Ganze nun zu bewerten? Fangen wir mit dem letztgenannten Punkt an. Die Entscheidung, als Gegenmaßnahme gegen den Hacker-Angriff die selbstbestimmte Zensur in China (ein Beispiel hierfür ist oben zu sehen, dazugehöriger Artikel) wieder aufzugeben, wird von vielen begrüßt. Es dürfte allerdings klar sein, dass die chinesische Regierung dies nicht zulassen oder dabei tatenlos zusehen wird. Schlimmstenfalls greift sie selbst ein und zensiert oder sperrt Seiten. Somit bliebe Google – wenn man konsequent handelt – nur der Abzug aus dem Land: Einstellung des Dienstes Google.cn und Auflösung aller Niederlassung. Auch dies dürfte dann wieder einigen gefallen, allen voran dem Weißen Haus in Washington, dem politisch momentan die Hände gebunden sind und das bis auf drohende Hinweise auf US-Wirtschaftsinteressen in China keinen Druck ausüben kann. Sollte Googles Handeln zudem zum Vorbild für andere Unternehmen werden, dann gäbe es politisch unter Umständern wieder etwas Hochwasser. Baidu – Googles größter Konkurrent in China, wird sich auf jeden Fall freuen, denn es winkt die problemlose Eroberung der restlichen 37 Prozent bei den Marktanteilen.

Verrat am chinesischen Volk?

Große Furcht dürfte Googles Androhung im Land der Mitte daher nicht verbreiten. Ist es also nur ein Bluff? Immerhin schreibt Drummond im Blog, dass man sich in den nächsten Wochen mit der chinesischen Regierung zusammensetzen wolle, um über die Zukunft der Suchmaschine in dem Land zu diskutieren. Da könnte es förderlich sein, im Vorfeld schon ein bißchen mit den Säbeln zu rasseln.

Handelt es sich nicht um einen Bluff und Google macht seine Ankündigung tatsächlich wahr, bestraft das nicht nur viele Millionen Chinesen, die auf Googles Dienste angewiesen sind und für die die Suchmaschine eines der letzten verbliebenen Mittel ist, um gegen die Repressionen im Land anzukämpfen. Es wäre auch ein Verrat an der eigenen Firmenpolitik. Denn als Google.cn im Jahre 2006 gelauncht wurde, tat man dies unter dem „Don’t Be Evil„-Credo, einer Art „Der Zweck-heiligt-die Mittel“- oder „Die Vorteile wiegen die Nachteile auf“-Politik in Bezug auf Zensur. Google hatte seinerzeit abgewägt, ob kleine Zugeständnisse an die Zensur zu verschmerzen seinen, wenn man dafür der chinesischen Bevölkerung einen größeren Zugang zu Informationen zur Verfügung stellen könnte. Und man hat sich für Letzteres entschieden.  

Dieser Vorgang wird im Blogpost auch nochmal erwähnt. Allerdings stellt man nun fest, dass in Anbetracht der Umstände die Waage zu Chinas Ungunsten gekippt sei. Als man den Service in dem Land startete, wies man ausdrücklich auf Folgendes hin: „[…] werden wir aufmerksam die Bedingungen in China beobachten, inklusive neuer Gesetze und anderer Beschränkungen unserer Angebote. Wenn wir feststellen, dass wir unsere gesetzten Ziele nicht erreichen können, werden wir nicht zögern, unsere Vorgehensweise in China zu überdenken.“

Angekratztes Image als Cloud-Visionär

Darüber hinaus reizt das Google-Ultimatum noch ein weiteres Gedankenspiel: Google könnte Sorge haben, dass die Nutzer außerhalb von China das Vertrauen in die Produkte des Suchriesen verlieren. Und in einer Zeit, in der fast täglich über (mangelnden) Datenschutz gesprochen wird, ist ein Hack bei dem größten Datenkraken der Welt ein Fiasko: Cloud-Computing ist Googles Zukunft! Kein Wunder also, dass sich Dave Girouard, Präsident von Google Enterprise, postwendend zu einem dementierenden Blogpost gezwungen sah, in dem die Sicherheit der Cloud trotz des Hacks betont wird.

Finanziell könnte Google den Abzug aus China zu diesem Zeitpunkt übrigens gut verkraften. Wie Drummond in einem Interview mit CNBC eingestand, war der Grund für Googles Engagement in China nie wirklich finanziell motiviert. Bevor Google also Ziel weiterer Attacken wird, die das Ansehen und vor allem das Vertrauen der User in die Möglichkeiten des Unternehmens verringern, ihre Daten sicher aufbewahren zu können, wird daran gedacht, einfach den Stecker zu ziehen. Natürlich in der Hoffnung, dann unbehelligt zu bleiben. Und das chinesische Volk wäre bei dieser rein geschäftlich motivierten Entscheidung ein Kollateralschaden.

Update: Donnerstag, 14. Januar, 14.30 Uhr

Die kommunistische Regierung in China hat offiziell – aber nur indirekt – Stellung zum Streit mit Google und den USA bezogen. Wie Reuters heute berichtet, erklärte ein Regierungssprecher, Pornografie, Hacker-Angriffe und Online-Betrug, aber auch Gerüchte und Falschinformationen gehörten zu den größten Gefahren im Internet.

Die Internet-Medien hätten daher eine große Verantwortung, mit der Regierung zusammenzuarbeiten. Letzterer obliege es hierbei aber, die Rolle der Meinungsführerschaft im Internet zu spielen und jegliche Bedrohung für die chinesische Gesellschaft zu verhindern. Während seiner gesamten Rede vermied es der Sprecher, Google namentlich zu nennen.  

Via: Zdnet / Searchengineland / Paidcontent

(Marek Hoffmann)

Über den Autor

Marek Hoffmann

Marek Hoffmann hat von 2009 bis 2010 über 750 Artikel für BASIC thinking geschrieben und veröffentlicht.

30 Kommentare