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Peinliche Twitter-Schlammschlacht nach der Bundespräsidentenwahl

kelber

Der Samstag war eine protokollarische Katastrophe: Gewählt wurde der Bundespräsident, gefeiert das 60-jährige Bestehen des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Zunächst schien es, dass beide Anlässe im Bundestag einen würdevollen Rahmen finden würden. Doch dann geriet einiges außer Kontrolle. Eigentlich hätte es der Bürger schon ahnen können, als Parlamentschef Lammert die Abgeordneten nach dem Urnengang dazu ermahnte, der Partymeile vor dem Brandenburger Tor wenigstens bis zur Verkündung des Wahlergebnisses fernzubleiben. Der Rat war weise, doch die Folgen unangenehm: Im Plenarsaal herrschte die Disziplin einer Grundschulklasse am letzten Tag vor den großen Sommerferien. Die Zeit verstrich quälend langsam.

Bevor das Ergebnis schließlich offiziell öffentlich wurde, irrten Saaldiener mit Blumensträußen durch die Reihen der Fraktionschefs, schlichen zurück, kamen wieder. Eine Blaskapelle bezog vor dem Bundesadler Stellung, dabei wusste jeder, dass eine Entscheidung im ersten Wahlgang Köhlers sicherer Sieg wäre. Lauter Jubel brandete im schwarz-gelben Block auf, während Gesine Schwans Unterlippe leise zu zittern begann. Hausherr Lammert lief derweil unruhig draußen im Schatten des Reichstags und der Ü-Wagen auf und ab, checkte sein Handy, blickte nervös umher und strich sich das Sakko glatt. Wo blieb Köhler?

Es muss diese Mischung aus Spannung und Langeweile gewesen sein, die im Folgenden zwei zurückgelehnte Abgeordnete dazu trieb, ihre Smartphones aus der Tasche zu holen und für ein wenig Aufregung zu sorgen. SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber warf seins jedenfalls an, schoss ein paar Fotos und postete sie auf Twitpic und – man weiß bis heute nicht wie – bekam irgendwie Wind von den Interna der Auszählung. Gegen 14.15 Uhr twitterte er das erste Gerücht, zwei Minuten später dann die folgende Meldung: „Nachzählung bestätigt: 613 Stimmen. Köhler ist gewählt!“ In Windeseile verbreitete sich die Nachricht auf Twitter, auch wenn zu diesem Zeitpunkt niemand wissen konnte, ob sie tatsächlich stimmte. Dafür kam ja auch kurze Zeit neues Futter: CDU-Frau Julia Klöckner, als Mitglied der Zählkommission in die geheime Abstimmung involviert, zwitscherte nun fröhlich: „#Bundesversammlung Leute, Ihr könnt in Ruhe Fußball gucke. Wahlgang hat geklappt!“ Wohlgemerkt: Das alles passierte, während Lammert für nur kurze Zeit das Klassenzimmer verlassen hatte, um auf den Gewinner des Tages zu warten – der jedoch im Stau steckte. So wusste die halbe Nation von dem Abstimmungsergebnis, lange bevor die Zahlen in ein Mikrofon gesprochen wurden und Bundeshorst seine fünfminütige Standup-Dankesrede halten konnte.


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Eine mehr als delikate Angelegenheit – die jedoch noch nicht vorbei ist. In die Debatte um die Legitimität eines parlamentarischen Außerhaus-Tweets haben sich nun weitere Stimmen gemischt; mittlerweile herrscht in der politischen Microblogosphäre eine Schlammschlacht, die an Peinlichkeit nicht mehr zu überbieten ist. Ich habe im Folgenden die Twitter-Diskussionen nachgezeichnet. Die Hauptakteure sind: Ulrich Kelber (SPD), Volker Beck (Grüne), Julia Klöckner (CDU) und nicht zu vergessen der Vorsitzende der SPD Niedersachsen, Garrelt Duin.

Klöckner: „#Bundesversammlung Bundes-Hotte hält Dankes-Antrittsrede – toll!!!!“
Klöckner: „Zur Twitter-Diskussion von der Bundesversammlung: ich habe bewusst erst nachdem Kapelle/Blumen reinkamen, Applaus begann u. jeder wusste, dass es keinen 2. Wahlg. gibt, getwittert, dass 1. Wahlgang geklappt hat. Namen oder Stimmergebnis zu vermelden, wäre unangemessen gewesen.“
Beck: „protokollarischer totalausfall muss im ältestenrat besprochen werden #bpw“
Klöckner: „@UlrichKelber Na, na, Hr. Kelber, was hör ich da? Im DLF behaupten Sie, ich hätte das Ergebnis aus der Auszählung getwittert?“
Kelber: „@JuliaKloeckner hör ich mir an, wollte ich zumindest so nicht sagen“
Klöckner: „@UlrichKelber…Sie wissen, dass das nicht stimmt – wollen Sie ablenken? Tut man doch nicht…“
Kelber: „@JuliaKloeckner in DLF reingehört. Habe ich wirklich falsch gesagt. Hiermit entschuldige ich mich öffentlich bei Ihnen. War nicht Absicht!“
Duin: “ @UlrichKelber Lese gerade bei BILD.de, dass wir nicht mit rechtlichen Konsequenzen zu rechnen hätten. Hallo? Warum auch?#bpw #twitter“
Beck: „@UlrichKelber trotzdem bleibt richtig: Twitter ist nicht Wikileaks. Was offline nicht ok ist, wird auch online nicht besser. Oder?“
Kelber: „@Volker_Beck Widerspruch. Dann tratscht das Ergebnis doch nicht im ganzen Reichstagsgebäude rum.“
Beck: „@UlrichKelber Ich habe es niemanden weitergetratscht. Bei uns hat es nur der Vorstand gewusst. Woher hast Du es denn?“
Kelber: „@Volker_Beck Im Grenzbereich SPD/Linke, wo ich saß, war das allgemein bekannt!“
Duin: „@Volker_Beck Ich wusste es von Leuten, die als Gäste auf der Fraktionsebene standen! Finde ganze Aufregung künstlich. #bpw #nuisgutgewesen“
Klöckner: „Finde es überzogen, dass aus dem verfrühten Hereinrufen der Kapelle eine Riesenaffäre gemacht wird. Wo Menschen sind, passieren Fehler“
Duin: “ @Volker_Beck Jedenfalls lenkt das alles schön vom eigentlichen, politischen Fehler ab… Aber dazu werde ich jetzt nix twittern! :-)“

Wie dieser Kindergarten in der Lage sein soll, in Zeiten von #Wirtschaftskrise, wachsender #Arbeitslosigkeit, #Zensursula und #Bildunsgnotstand den Karren aus dem Dreck zu ziehen – ist mir unbegreiflich.

(André Vatter)

Über den Autor

André Vatter

André Vatter ist Journalist, Blogger und Social Median aus Hamburg. Er hat von 2009 bis 2010 über 1.000 Artikel für BASIC thinking geschrieben.

59 Kommentare

  • Hauptsache die Diäten fließen und zwar reichlich. Stecken wird diese Leute egal welche Partei in ein Sack und hauen drauf. Wir treffen immer den richtigen.

  • Einerseits finde ich es ja sehr gut, dass die #politiker endlich anfangen die Ressourcen des Internets #web2.0 zu nutzen um die #öffentlichkeit ein wenig am politischen Geschehens teilhaben zu lassen.
    Doch andererseits sollte man auch im #internet gewisse #grundregeln für den zwichenmenschlichen Umgang nicht vergessen und ein gewisses #niveau wahren!
    Mein Gott, das sind auch nur #menschen, allerdings auch hochbezahlte die uns würdig vertreten sollen #zwickmühle

  • Was für ein Unsinn, jetzt die Twitterer peinlich zu heißen. Peinlich war, dass Lammert seine Zählkommission nicht im Griff hat, dass Fraktionsvorsitzende offenbar gleicher sind als andere und überdies das Wasser nicht halten können und das Köhler hergebeten wurde/werden musste. Wieso war der nicht im Bundestag wie die anderen Kandidaten.
    Und ganz besonders peinlich war die ARD, die glaubte den Zuschauern ein Ergebnis vorzuenthalten, dass alle längst kannten.

  • Also ich sehe da weder eine Schlammschlacht, noch einen Kindergarten. Das ist eine Twitterunterhaltung in der sich die Beteiligten einfach über das Geschehene unterhalten, teils halt auch kontrovers. Via Twitter hab ich schon deutlich schlimmere Debatten gesehen.

    Wieso auch nicht? Ich finde es gut, dass Politiker bereits sind Twitter & Co. zu nutzen. Dadurch bekommt man auch mal einen Einblick abseits der Fernsehbilder, Protokolle und Zeitungsberichte. Endlich mal ein wenig Menschlichkeit in der Politik, natürlich inklusive Fehlern.

    Kindisch finde ich nur die entstandene Debatte darüber und die stellenweise Forderung nach Konsequenzen. Ebenso finde es es überzogen, dass Frau Klöckner jetzt auf ihr Amt als Schriftführerin verzichtet. Wobei sonst die Aufregung wohl noch größer gewesen wäre.

    Es war doch nicht das DSDS-Finale, das bis zum Schluss spannend bleiben muss, damit die letzte Werbepause nochmal richtig was reinspült. Klar, die Feierlichkeit litt ein wenig. Also einigt man sich einfach darauf, sowas beim nächsten Mal zu unterlassen und gut ist.

    Und das in der Pause etwas Trouble herrscht… mein Gott? Sollen die alle strammstehen, wenn gerade Pause ist? Ich glaube das sich die wenigsten Menschen in Pausen schweigend in eine Ecke stellen und versuchen sich nicht zu bewegen. Insbesondere wenn schon ein Ergebnis die Runde macht, auf das alle warten 😉

  • Politiker 2.0 sind einfach transparenter … alles wahrscheinlich Dinge die seit Jahrzehnten abgehen und wir einfach nicht mitbekommen haben. Ich hoffe die Politik merkt, dass sie inzwischen viel mehr unter Beobachtung ist und es mal Zeit wird erwachsen zu werden. Die Zeiten sind vorbei in denen man sich 4 Jahre lang wie auf Klassenreise benehmen konnte und nur mal für 3 Monate Wahlkampf der Öffentlichkeit stellt.
    Wem das nicht reicht, der lese bitte mal den Spiegel 22/2009 („MACHT: Der CDU-Abgeordnete Philipp Mißfelder und die Verformung des Menschen in der Politik“) zum JU-Vorsitzenden. Da bekommt man richtig Vertrauen in die Politiker!

  • Es gibt ’ne ganz einfache Geschichte, mit der man sowas vermeidet: Im Reichstagsgebäude gehört ein Störsender installiert, der alle GSM-, UMTS- und sonstigen Funknetze lahmlegt. Fertig aus.

    Die Leute sollen dort ihre Arbeit machen und nicht blöde rumtwittern.

  • Danke für diesen Beitrag, trauriger Vorgang in der Bundesversammlung. Er hat Demokratie und Bundespräsidenten beschädigt. Beim Bürger bleibt doch der Eindruck zurück, dass alle gleich sind, nur ein paar *Freaks* gleicher, nämlich diejenigen, die vor Lammert die Zählergebnisse verkündet haben. Im nachfolgenden Schlagabtausch über Twitter verstärkte sich mein Eindruck dahingehend, dass diese Leute nicht mit Konsequenzen konfrontiert werden möchten und sich dabei auch noch super fühlten („#nuisgutgewesen“). Es gibt zwei Möglichkeiten: Man bleibt beim Verfahren der repräsentativen Demokratie, das aus historischen Gründen mit dem Grundgesetz so eingerichtet worden ist, dann müsste das Verfahren einwandfrei und würdevoll funktionieren (eine technische Sperrlösung fände ich gerade im Zusammenhang mit der Angelegenheit #zensursula absurd; es muss verfahrenstechnische und institutionelle Konsequenzen geben). Oder man entscheidet sich dafür, den Bürger den Bundespräsidenten direkt wählen zu lassen, wenn man die Auffassung teilt, dass die Bürger nach 60 Jahren GG demokratiefähig genug sind [Nachtrag 1: auch unabhängig von dieser Story hier]. Dann hätten wir wie in den USA und Frankreich mehr Präsident/in und weniger Kanzler/in. Dass sich CDU/CSU und SPD für diese Option nicht begeistern können, wundert mich nicht. [Nachtrag 2: Der Schlagabtausch der Abgeordneten via Twitter hätte auch nicht abgewürgt werden sollen, er war ja aufschlussreich].

  • Kann @André (6) nur zustimmen STOP Schlammschlacht übertrieben STOP Finde es auch gut, dass Politiker offener werden STOP Danke für Rekonstruktion STOP #bundesversammlung #bpw #basicthinking 😉

  • Da dachte ich mir – sensationslüstern wie ich bin – das schaue ich mir an… und dann lese ich so einen kunstvoll aufgeblasenen Kinderkram. Da ist ja der Wetterbericht aufregender.

  • @10: Das Gegenteil ist richtig: alle Netzbetreiber haben für eine optimale Indoor-Versorgung im Bundestag gesorgt.

  • Da trieft die Mittelmäßigkeit aus allen Tweets.
    Der Bundestag ist nicht irgendeine gesellige Zusammenkunft.
    Es ist doch nicht zuviel verlangt den mit Menschen zu besetzen, die dem Amt auch ein bißchen Würde verleihen, oder?
    Das muss doch möglich sein.

  • Es schadet doch niemandem, wenn das Ergebnis ein paar Minuten vorher bekannt ist – das ist doch nur demokratisch und transparent. Das Getue um Protokoll und das alleinige Vorrecht der Bundestagspräsidenten auf Verkündung des Ergebnisses, das schon jeder kennt, passen nicht in die moderne Zeit – und Verschwiegenheitspflichten gibt es in diesem Fall ohnehin nicht. Vorabinformationen an Journalisten und Vertraute gibt es schon so lange wie den Bundestag. Jetzt kann es halt nur jeder sehen. Übertrieben ist, finde ich, eher das Verhalten des Ältestenrates, wo jetzt schon Handyverbote wie in der Schule vorgeschlagen werden. Warum nicht eine Twitterwand im Bundestag aufbauen, dann können sich die Abgeordneten die Zwischenrufe sparen?

  • Sehr guter Artikel, ihr arbeitet euch langsam aber sicher wieder in meine Feedliste.

    Aber ist schon großartig, wie einige Tweet-Evangelisten hier Transparenz mit kindischen Ausplappereien wichtigtuerischer Hinterbänkler verwechseln.

  • @#20 Würde das nicht Transparenz nennen. Aber ich sehe auch nichts schlimmes an dieser Diskussion über Twitter.

  • Kay, die nachfolgende Diskussion ist mir ziemlich egal. Da können sich jetzt meinetwegen die großen PR- und Marketingberater dran hochziehen, die sich allzu gerne als Ghosttwitterer andienen würden.

    Eine Wahlentscheidung der Bundesversammlung am Protokoll vorbei mal eben so in die Welt zu zwitschern, spricht aber m.E. einfach nur für eine Mischung aus Dummheit, Eitelkeit und Wichtigtuerei, die mir Pickel bereitet. Vor allem weil diese Leute offenbar leider nicht kapiert haben, dass Twitter kein privater SMS-Service, sondern ein öffentlicher Kanal ist. #Medienkompetenz null

  • Besten Dank für das Lob – und danke für die Kritik. Vielleicht noch ein paar Worte als kleine Ergänzung:

    1.) Wenn Parlamentarier die Demokratie nicht ernst nehmen – wer dann? Der Bundespräsident hat bereits einen schweren Job, um als moralische Instanz überhaupt wahrgenommen zu werden. Was da am 23. Mai passiert ist, war eine groteske Scharade. Die Blumensträuße, die Kapelle und eben die „Twitterphäre“ zeigen, dass viele Politiker eher das Unterhaltungspotential der Veranstaltung schätzten. Es war ja nur die Partywahl von „Bundes-Hotte“. Ich würde dieses eine Mal gar nicht großartig darüber streiten wollen, wenn sie an anderer Stelle dafür eine gewisse Ernsthaftigkeit an den Tag legten. Seht euch diese Bild hier an: http://tinyurl.com/pc8pr3 – das war eine wichtige Debatte. Aber wo sind eure Abgeordneten?

    2.) Demokratie hat viel mit Vertrauen zu tun. Wenn zunächst ein kleiner Abzähler das ihm bekannte Ergebnis an irgendeinen Vorstand „simst“ (O-Ton Kelber – s. http://www.tagesschau.de/inland/twitteraffaere100.html) und es dann, bevor es amtlich ist, via Twitter über den Äther geschickt wird, ist es schlicht furchteinflößend. Was ist, wenn dasselbe bei anderen Abstimmungen geschieht? Was ist, wenn der Bundeswahlleiter eine halbe Stunde vor Schließung der Wahllokale das Ergebnis twittert, nur weil bei einer Partei zufällig ein Sektkorken geknallt ist? Es kann nicht im Interesse der Politik sein, dass der Wähler sich (völlig zurecht) fragt, wie geheim und wie korruptionsfrei solche Wahlen überhaupt noch ablaufen.

    3.) Stichwort: Medienkompetenz. Allem Anschein nach sind heutige Politiker schlicht überfordert, um mit modernen Medien umzugehen. Den Kindern wird gepredigt, sich bei SchülerVZ anständig zu benehmen: „Andere lesen mit, sehen eure hochgeladenen Bilder. Passt auf!“ Doch es sind dieselben Prediger, die sich in affigster Manier in aller Öffentlichkeit die oben genannten Grabenkämpfe liefern. Warum? Weil es effektvoll ist, schneller als die dpa funktioniert, einen oberflächlich-authentischen Anstrich hat und – achja! – die Follower-Zahl erhöht. Wer seriös ist und merkt, dass er Mist gebaut hat, greift zum Hörer und klärt die Sache. Aber die Clowns tröten stattdessen – angestachelt vom mitlesenden Publikum – ihre Gehässigkeiten in die Welt hinaus.

    Übrigens bin ich froh, dass mittlerweile einer der Angesprochenen reagiert hat: Volker Beck hat auf seinem Blog eine kleine Stellungnahme verfasst (danke dafür!): http://beckstage.volkerbeck.de/2009/05/26/twitter-ist-nicht-wikileaks/

  • Und was bitte ist daran so schlimm.

    Die Informationshoheit über die Politik ist beim Bürger angekommen. Dort, wo sie eigentlich auch hin gehört. Es ist nicht mehr der Vorsitzende der Bundesversammlung, der salbungsvoll das Ergebnis von der Kanzel verkündet. Es ist nicht mehr das inszenierte Protokoll, das Blumen, Kapellen und Dankesredner aufmarschieren läßt, bevor dann endlich dem Stimmvieh gesagt werden darf, wer gewählt wurde. Es ist nicht mehr das wir sagen euch was für euch gut ist. Das wichtigste, was es in einer (e)Demokratie geben kann, ist Wirklichkeit geworden: Die Information über das Gemeinwesen, die Handlungs- und Deutungshoheit über das Geschehen, sie ist dem Protokoll aus den Händen gerutscht und dort gelandet, wo sie hin gehört: Mitten unter uns.

    http://ypsilonminus.wordpress.com/2009/05/26/zwitscher-und-seine-affare/

  • @Ben Ermann

    Wenn du glaubst, Demokratie bestünde darin, etwas 15 Minuten früher zu wissen als andere, dann werde glücklich damit. Deutungshoheit, welch großes Wort für das Gezwitscher
    “#Bundesversammlung Leute, Ihr könnt in Ruhe Fußball gucke. Wahlgang hat geklappt!”

  • @André: Vielen Dank für den interessanten Feed; schön, das mal im Überblick zu lesen.

    Für mich hat die ganze Geschichte noch eine weitere Dimension. Es ist ja ziemlich egal, ob das Protokoll nun durch Twitterer verletzt wurde oder durch einen Präsidenten, der die Blasmusik zu früh ausposaunen lässt, wer gewonnen hat. Ich sehe jedenfalls jede Menge Leute, die nicht mehr abzuwägen wissen, welche Bedeutung es hat, dass sie Interessen anderer vertreten sollen. So lustig es ist, wenn politischer Alltag sich in reale Satire auflöst: Nicht jede Regel ist dazu da, gebrochen zu werden, und gerade im Umfeld einer Abstimmung würde ich mir mehr Sensibilität wünschen. Von Twitterern ebenso wie von Herrn Lammert.

    Godwi

  • Hallo Namensvetter (@24),

    erstmal danke für deine ausführliche Antwort. Bevor ich darauf eingehe aber zunächst zwei Dinge, die ich im ersten Kommentar nicht (1.) bzw. vielleicht nicht klar genug (2.) geschrieben habe:

    1. Der Artikel ist wirklich super geschrieben und liest sich sehr schön! Da muss ich den meisten hier zustimmen. Einzig die gute Recherche mag ich dir nicht anerkennen 😉 Immerhin ist das ein Artikel vom Dienstag, der über einen Skandal am Samstag berichtet. Aber das soll auch kein Vorwurf sein, denn selbst Bild.de hat das Thema erst Montag aufgegriffen 🙂

    2. Ich finde es nicht ok, dass es so gelaufen ist. Wenn das höchste Staatsamt vergeben wird, sollte dies in einer angemessenen Zeremonie ablaufen. Aber den „Skandal“ empfinde ich als künstlich aufgebauscht. Mir hätte es gereicht, wenn die Fehler kurz angesprochen werden (Kapelle, Twitter, Blumenstraußparade), man intern darüber diskutiert und sowas einfach nicht wieder passiert.

    Jetzt direkt zu deinen Antworten:

    1.) Habe ich ja mit 2. schon weitgehend abgehandelt. Der Vergleich zu der Debatte (dein verlinktes Foto) hinkt aber meiner Meinung nach. Wieso da so wenig los war, sollte getrennt diskutiert werden und wäre sogar wirklich eine Diskussion wert.

    2.) Dir sollte eigentlich klar sein, dass dieses Szenario nicht möglich ist, denn die Auszählungen beginnen erst mit Schließung der Wahllokale (aus gutem Grund, wie wir sehen). Die allerersten Hochrechnungen basieren auf Umfragen der Fernsehsender vor den Wahllokalen und selbst diese werden erst nach Schließung publiziert. Gleiches gilt auch für die #bpw: Im Tagesschau-Video fehlt bspw. der Tweet von Frau Klöckner, in dem sie schreibt „#Bundesversammlung Müssen nachzählen, Differenz – ah, jetzt stimmts. Umschläge werden geöffnet. Melde mich mal ab wg. Auszählgeheimnis.“ Auch ihre simsenden Kollegen werden dies erst nach der Auszählung getan haben (sonst wäre ja kein exaktes Ergebnis dabei gewesen).

    3.) Ich sehe wie gesagt weder Gehässigkeiten noch sonst irgendwas schlimmes in den genannten Tweets. Es ist lediglich eine Diskussion über die Sache. Kelber entschuldigt sich sogar bei Klöckner für eine missverständliche Aussage in einem Interview. Klang nicht sehr gehässig.

    Mein Fazit: Es sind eine Reihe von Fehlern passiert, die sich so nicht wiederholen sollten. Mit der Feststellung sollte das Thema aber eigentlich durch sein. Ich habe die Wahl live im TV verfolgt ohne Twitter zu lesen… und ich wusste dank Kapelle auch recht früh, dass die Sache wohl durch ist. Man könnte fast meinen, die Twitterpolitiker sollen jetzt als Sündenböcke für andere organisatorische Fehler herhalten. Oder aber die Medien bedauern, dass man keine anderen erhofften Besonderheiten (2. Wahlgang o.ä.) vermelden konnte.

  • Ich finde es absolut in Ordnung, wenn jemand die Ergebnisse vor der Veröffentlichung kommuniziert – das war doch nur eine Frage der Zeit, bis so etwas passiert. Wer solche Dinge verhindern will, muss schlicht Handys und alle Rechner auch für Abgeordnete im Reichstag verbieten.

  • Hm, eventuell war meine Pauschal-Kritik nicht verständlich. Nur kurz zur Klärung, was mir an diesem Artikel nicht passt und ohne jemanden beleidigen oder verletzen zu wollen: Der Zusammenhang zwischen Überschrift und Inhalt ist für mich schon beinahe der BILD entlehnt.

    Unter dem Strich steht, dass Politiker genauso eitle bzw. noch eitlere Fazkes sind, wie alle anderen Menschen auch und gerne mit Neuigkeiten hausieren gehen… und dass – wenn es schon ein Protokoll gibt – dieses bitteschön auch eingehalten werden sollte. Aber das Thema lautet nicht „Selbstdarsteller halten parlamentarisches Protokoll nicht ein“, sondern „peinliche Twitter-Schlammschlacht nach der Bundespräsidentenwahl“. Und wenn das nunmal das Thema ist, dann ist im Artikel das Thema eben verfehlt, unter einer Schlammschlacht verstehe ich etwas anderes.

    Damit habe ich in keiner Weise irgendetwas Wertendes über den Vorgang an sich vorgebracht und ich lasse ich nun auch ungern in die Ecke der Politikverdrossenen oder der Desinteressierten stellen (sonst wäre ich wohl auch kaum jetzt gerade hier am Schreiben).

    – Ja, den Beteiligten sollte man die Ohren lang ziehen
    – Nein, es ist immer noch keine „peinliche Schlammschlacht“
    – Nein, die Demokratie oder das Amt des Bundespräsidenten wurde dadurch nicht beschädigt, mit Verlaub haben das vermutlich kaum mehr als 2% der Bundesbürger überhaupt mitbekommen und diejenigen, die das mitbekommen haben, reagieren nicht gerade zum geringeren Teil mit „na und“.

    So, nun habe ich schon wieder deutlich mehr dazu geschrieben, als ich vorhatte. Tut mir leid. Ich mag nur einfach solche reißerisch aufgemachten Luftblasen nicht. 😉

  • Hoffentlich legen diese Politiker beim Thema Internetsperre und Internetzensur ein ebenso praktisches Grundwissen für das Internet am Tage und verhindern das Vorhaben.

  • Jetzt mal ernsthaft: Dieser Artikel beinhaltet rein garnichts neues und ist auch nicht gut recherchiert, da es einfach eine Zusammenschreibe aus anderen Medien ist. Zudem kommt er einige Tage zu spät.

  • Kindergarten, der mit seinen Privilegien, Aufgaben und technischem Spielzeug nicht würdevoll umgehen kann.
    Wir mußten neulich im Kino bei einer Vorpremiere des Films Todestrieb unsere Handys und Mp3-Player am Eingang abgeben (mit flughafenreifer Personenkontrolle). Warum kann man das nicht auch in Bundestag und vor allem wichtigen (zur Verschwiegenheit verpflicheteten) Gremien machen?

  • Ich finde es kommt immer auf den Nutzer an, und wie verantwortlich er mit den neuen Möglichkeiten umgeht. Das dabei immer mehr Selbstdarsteller mit inhaltslosem „gezwitscher“ in den Vordergrund rücken ist anscheinend leider unvermeidbar. Wer die Möglichkeiten jedoch gezielt nutzt um anderen zu schaden, dem sollte auf die Finger getwittert werden. Finde ich: http://www.unserebrd.de/2009/07/31/bonns-mdb-ulrich-kelber-spd-schreibt-peter-finger-grune-ist-vaterlandsloser-geselle/