„Video killed the radio star“, da ist noch immer was dran. Doch Podcasts und andere Audio-Formate werden immer beliebter. In der Serie Hören/Sagen berichtet Sandro Schroeder über Neuigkeiten, Hör-Tipps und Macher aus der Audio-Welt.
Kurz zusammengefasst – Ausgabe 4
- News: Apple vs. Spotify: Drama in zwei Teilen, Werbung in Podcasts: Skip, skip, Hooray!
- Interview: Holger Ort vom Podcast Menschen mit Ideen
- Hörtipps: Die Anachronistin, Love + Radio
Neuigkeiten
Apple vs. Spotify: Drama Teil 1
Runde 1: Spotify klagt derzeit lautstark darüber, dass Apple seine Macht im Appstore missbrauche und den schwedischen Streaminganbieter benachteilige.
Der iPhone-Hersteller soll momentan verhindern, dass Spotify seine App für die iOS-Plattform aktualisiert. Mit dem Update wollte der Musikanbieter sein Abo-Geschäft im iOS-Betriebssystem auslagern und die Spotify-Abos nicht mehr über die In-App-Käufe bei iTunes abwickeln.
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Apple vs Spotify: what the app store battle means for users – https://t.co/ef5amv8r3V
— K Dubb (@TheReal_KDubb) July 13, 2016
Genau aus diesem Grund werde die aktuelle Version der Spotify-App aber nicht zugelassen, argumentiert hingegen Apple. Das Vorgehen von Spotify verstoße gegen die Nutzungsbedingungen für Entwickler.
Nach denen müssen iOS-Käufe jeglicher Anwendungen zwingend über das Bezahlsystem des Appstores abgewickelt werden, inklusive prozentualer Umsatzbeteiligung von Apple. Diese Spielregeln gelten für alle Anwendungen, unabhängig davon „ob sie mit Apple konkurrieren“, wie es in der schriftlichen Reaktion aus Cupertino heißt.
Apple vs. Spotify: Drama Teil 2
Trotzdem bleibt ein fader Beigeschmack, denn ganz neutral ist Apple in diesem Fall nicht. Der Fokus in Cupertino verschiebt sich momentan: Weg von den zurückgehenden iPhone-Verkäufen, hin zu Dienstleistungen wie Apple Music.
Vor zwei Jahren hatte man dafür Beats by Dr. Dre aufgekauft, momentan wird über eine mögliche Übernahme von Tidal spekuliert, dem Streamingdienst von Rapper Jay-Z. Damit werden die Kalifornier immer mehr zum direkten Streaming-Konkurrenten. Apples Dienst zählt mit mittlerweile 15 Millionen Abonnenten halb so viele zahlende Nutzer wie Spotify.
Nice chart: Apple Music VS Spotify pic.twitter.com/Mu8yCXhw7A
— Quintin Schevernels (@Quintin24) July 17, 2016
Runde 2: Zur selben Zeit deutet Apple gleich den nächsten Seitenhieb auf Spotify an. Die New York Times berichtet über einen Vorschlag der Kalifornier, das Urheberrecht für Musikstreaming zu vereinfachen: Die Streaminganbieter würden dann für Songs eine feste Gebühr von 9 Cent je 100 Abspielungen an die Künstler zahlen.
Was für die Musiker nach einer durchaus freundlichen Lösung des komplexen Tantiemen-Systems klingt, ist aber auch ein Angriff auf das Geschäftsmodell von Spotify.
Während Apple Music nur bezahlte Abonnements bietet und damit die Lizenzgebühren vergleichsweise leicht auffangen könnte, würde diese Streaming-Gebühr besonders die kostenlosen Spotify-Abos treffen. Klar scheint jedenfalls: Der Boxkampf um den Streaming-Weltmeistergürtel ist eröffnet. Ding, ding, ding!
Werbung in Podcasts: Skip, skip, hooray!
Skip me if you can: Durch meine Twitter-Timeline geisterte der Text „Podcasting Has An Ad-Skipping Problem, Too“ vom Wall Street Journal. Das zieht Parallelen zwischen dem Adblocker-Problem einiger Medien-Websites und dem Vorspul-Button in den meisten Podcast-Apps.
Frei nach dem Motto: Wo geworben wird, da wird geblockt. Podcast-Hörer könnten besonders die Werbeblöcke vor dem eigentlichen Podcast zielgerichtet überspringen, dank der Spul-Tasten einiger Apps. Das Wall Street Journal sieht deswegen ein Problem für die noch zarte Blüte Podcast-Werbung.
„Problem“https://t.co/hGoWjJyCpK
— Kai Kubasta (@kaikubasta) July 16, 2016
So sehr ich mir wünsche, dass dieses Vor-/Rückspul-Feature bei Podcast-Apps grundsätzlich erhalten bleibt, bin ich dennoch pessimistisch.
Bei einigen Angeboten zum zeitversetzten Fernsehen unterbinden ja Privatsender schon länger das Vorspulen der Werbung. Die Zuschauer dürfen dort das Programm zwar weiter selbstbestimmt aufzeichnen und ansehen (für Podcasts, sprich: „downloaden und anhören“), die Werbung müssen sie dennoch konsumieren.
Für die Privatsender ein logischer Schritt, schließlich finanziert die Werbung ihr Programm. Vielleicht ist das eine Entwicklung, die den Podcasts noch bevorsteht.
Gerade werbefinanzierte Podcast-Unternehmen wie Gimlet Media hätten jedenfalls ein Interesse daran, dass ihre aufwendig produzierten Werbeblöcke auch tatsächlich gehört werden und nicht zielgerichtet übersprungen werden.
Interview: Holger Ort vom Podcast ‚Menschen mit Ideen‘
Mit einer einzigen Podcast-Episode durchstarten, direkt in die iTunes-Charts vorstoßen. Dem Podcast Menschen mit Ideen ist gelungen, wovon viele Produzenten mehr oder weniger heimlich träumen dürften. Überrascht hat das allerdings auch Holger Ort selbst, der hinter dem Podcast steckt. Im Hören/Sagen-Interview spricht Holger darüber, wie er den iTunes-Erfolg erlebt hat, welche Pläne er mit seinem Projekt „doku.fm“ hat und wann es die zweite Episode von Menschen mit Ideen geben wird.
Holger, du hast bisher genau eine einzige, vollständige Episode in deinem Podcast veröffentlicht. Und mit dieser einzigen Episode bist du ziemlich erfolgreich in den iTunes-Charts gewesen. Erzähl mal, wie und wann du vom Erfolg erfahren hast.
Ich war total erstaunt. Ich war unterwegs und habe nur auf meinem Smartphone gesehen, dass die Downloadzahlen plötzlich hochgehen. Ich habe dann bei Twitter geschrieben:
Ich weiss ja nicht, wer für unseren kleinen Podcast Werbung gemacht hat, aber unsere Downloadzahlen explodieren gerade! ?
— Menschen mit Ideen (@IdeenPodcast) June 26, 2016
Dann kam eine Antwort auf Twitter: Schau mal bei iTunes nach, da stehst du auf Platz 2 bei Gesellschaft und Kultur (am 26. Juni 2016). Das Witzige ist eigentlich, dass ich mit der einen Episode natürlich nicht damit gerechnet habe. Und das Zweite, was ich mir nicht erklären konnte, dass es die iTunes-Charts in Deutschland und nicht in der Schweiz waren.
Hast du denn mittlerweile eine Erklärung gefunden, wie und warum du so einen Durchbruch bei iTunes hattest?
Nein, bisher habe ich keine Erklärung gefunden. Ich weiß, dass ich mal im Newsletter der Fotografin Miri Berlin war, die stellt dort aktuelle, empfehlenswerte Podcast-Folgen vor. Aber das war auch schon ein paar Tage vorher und ich habe keinen wirklichen Auslöser finden können. Ich war einfach total überrascht.
Ich muss unbedingt einen Podcast machen
Jetzt haben wir erst über den Erfolg, aber noch gar nicht über den eigentlichen Podcast gesprochen. Was machst du bei Menschen mit Ideen?
Das ist ein Podcast über Ideen und wie sie entstanden sind. Ideen entstehen ja niemals ohne den Menschen. Deswegen geht es in meinem Podcast um den Menschen, der diese Idee hatte. Es ist kein Wissenschaftspodcast oder ein technischer Podcast, sondern mir geht es da wirklich um den Menschen. Wie ist er auf diese Idee gekommen? War das ein Zufallsprodukt? Was ist seine Vorgeschichte? Wie tickt er im Alltag?
Ich unterstelle dir mal, dass Menschen mit Ideen kein Zufallserfindung war. Was war denn deine Idee, deine Motivation?
Bis vor zehn Jahren war ich Radiojournalist für die ARD, bin dann in die Schweiz gegangen und habe dann von heute auf morgen damit aufgehört. Damals habe ich die Entwicklung des Podcastings etwas verfolgt und gedacht ‚Ich muss unbedingt einen Podcast machen‘, aber mir ist nicht eingefallen, was ich machen könnte. So habe ich das eigentlich über die letzten Jahre vergessen gehabt. Und mit dem Boom in den USA ist mir das irgendwie wieder auf den Schirm gekommen: ‚Moment mal, du wolltest auch mal so etwas machen.‘
Ich wollte mir nicht diesen Zeitdruck geben
Bei iTunes steht nicht dein Name als Urheber, sondern „doku.fm„. Was hat es damit auf sich?
Eigentlich ist doku.fm geplant gewesen als ein Sammelbecken, als Netzwerk für mehrere Podcasts. Nicht nur von mir, sondern auch von anderen ehemaligen Radiojournalisten, die ich gefragt habe. Mit der Idee hatte ich schon vor über zwei Jahren rumgesponnen. Die Begeisterung war auch erst recht groß.
Aber als es darum ging, dass wir bisher keine Sponsoren haben und dass man ja erstmal mit mehreren Episoden in Vorleistung gehen muss, um überhaupt an Geld zu kommen – da war das Interesse dann nicht mehr so groß. Verständlicherweise natürlich, die Kollegen können jetzt nicht mehrere Monate ohne Geld arbeiten.
Meine Vision von doku.fm war, das es als Podcast-Netzwerk auf den Markt gehen sollte. Ich bin immer noch in Gesprächen mit Schweizer Kollegen. Mein Ziel bleibt es, dass doku.fm auch mal mit verschiedenen Produktionen an den Start gehen kann und dadurch bessere Chancen auf Sponsoren hat.
Warum machst du das jetzt auf eigene Rechnung und nicht für einen deiner früheren Auftraggeber, nicht für ein Radio, sondern bestreitest das Ganze als Podcast?
Das hat für mich eigentlich praktische Gründe. Ich bin vor zehn Monaten Vater geworden und habe vormittags immer meine Tochter, um die ich mich kümmere. Und ich habe einfach gemerkt, dass es momentan schwierig ist, mich an Deadlines zu halten. Wenn etwas Unvorhersehbares kommt, dann wäre es ungünstig in der Redaktion anzurufen: ‚Der Beitrag kommt erst morgen, nicht heute.‘ Ich wollte mir nicht diesen Zeitdruck geben.
Wann wird es denn die zweite Episode von Menschen mit Ideen geben?
Also ich sage: Bald. Noch in diesem Sommer.
Das komplette Interview mit Holger Ort vom Podcast Menschen mit Ideen gibt es auf SoundCloud, bei iTunes gleich hier zum Nachhören.
Hörtipps
Die Anachronistin (Geschichte/Storytelling)
Geschichtsunterricht trifft Familiengeschichte: Nora Hespers verbindet in ihrem Blog und Podcast Die Anachronistin das Geschichtsbuchwissen zum Nationalsozialismus mit dem Leben ihres Großvaters: Theo Hespers wurde 1943 von den Nationalsozialisten hingerichtet, weil er ein Widerstandskämpfer war.
Seiner Geschichte spürt die Radiojournalistin Hespers in bisher zwanzig, gut zehnminütigen Episoden nach. Die Anachronistin ist dabei schlicht produziert, toll erzählt und zieht reflektiert die Parallelen zum aktuellen Weltgeschehen.
Love + Radio (englisch, Audio-Kunst/ Storytelling)
Storytelling-LSD für die Ohren: Love + Radio gehört zu meiner persönlichen Podcast-Grundausstattung, auf die ich nicht verzichten möchte. Der Podcast ist alles andere als nebenbei-tauglich, weil er jeden Monat Grenzen überschreitet: Die meist 45-minütigen Episoden sind eine anspruchsvolle Mischung aus LSD-Trip für die Ohren und persönlichem Storytelling.
Nicht immer ist klar, wo die Grenze zwischen Realität und Fiktion verläuft. Dazu kennt Love + Radio keine Tabus, fordert Hörer und Vorstellungskraft heraus. Derzeit produzieren Nick van der Kolk und Brendan Baker die fünfte Staffel, die am 26. September beginnen soll. Episode zum Einsteigen: Split Brain.
Die nächste Ausgabe von Hören/Sagen erscheint am 9. August 2016. Mit Neuigkeiten rund um Podcasts und Audio im Web, Interviews und Hörtipps. Folge uns auf Twitter, Facebook und abonniere unseren Newsletter, um die nächste Folge nicht zu verpassen! Ihr habt Feedback zu Hören/Sagen? Dann schreibt mir bei Twitter (@saschroeder), kommentiert den Artikel und hinterlasst bei iTunes eine Bewertung!