„Video killed the radio star“, da ist noch immer was dran. Doch Podcasts und andere Audio-Formate werden immer beliebter. In der Serie Hören/Sagen berichtet Sandro Schroeder über Neuigkeiten, Hör-Tipps und Macher aus der Audio-Welt.
Kurz zusammengefasst – Ausgabe 3
- News: Soundcloud sorgt für Unmut, Gimlet startet Ebay-Podcast
- Interview: Dirk Primbs vom Podcast Anerzählt
- Hörtipps: Mutti und ich, Everything sounds
Neuigkeiten
Soundcloud: „So geht man nicht mit zahlenden Kunden um“
A platform orange: Die Audio-Plattform Soundcloud beweist erneut wenig Transparenz und wenig Feingefühl für die Podcast-Landschaft. In der mobilen Ansicht von Soundcloud-Einbettungen liegt neuerdings ein orange-farbener Balken über der gewohnten Audio-Vorschau. Die prominente Schaltfläche führt die Nutzer auf die Seite der Plattform, nur die deutlich kleinere Schaltfläche erlaubt das direkte Abspielen als eingebettetes Element.
Die Umstellung ohne Vorankündigung sorgt für Unmut, auch beim Podcast-Label Viertausendhertz. Dort hatte man sich zum Start bewusst für die Plattform als Hosting-Anbieter entschieden: „Nur Soundcloud erfüllt alle Anforderungen, die wir haben. Zur Zeit“, verteidigte das Label noch im Januar diese Entscheidung gegen Kritik. Der orange-farbene Balken ist nun aber ein Grund für das Unternehmen, Abstand von Soundcloud zu nehmen – auch wenn es nicht der einzige Grund ist:
Neue Stellenangebote
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„Mit zahlenden Kunden kann man so nicht umgehen. Wer weiß, was als nächstes kommt. Auch sind die Statistiken eher mangelhaft transparent“, so Viertausendhertz-Mitgründer Nicolas Semak. „Wir werden Soundcloud weiter bespielen, aber wir hosten unsere Dateien für die Feeds woanders und werden innerhalb dieser Woche auf einen anderen Webplayer umsteigen.“ Das Label werde nun schrittweise zum Anbieter podigee wechseln.
Und ja, wir hören euer “told you so”. 😉 #soundcloud
— Viertausendhertz (@4000hertz) June 29, 2016
„Open for Business“ – Ein Podcast für Ebay
Offen für das Werbe-Geschäft: Das US-amerikanische Podcast-Unternehmen Gimlet Media hat eine Tochterfirma für „Branded Content“ gegründet. Gimlet Creative soll komplette Podcasts für Werbekunden produzieren, dabei aber klar von der journalistischen Redaktion getrennt sein. Denn relativ früh nach der Gimlet-Gründung hatten sich Unternehmen gemeldet und wollten mehr, als nur Werbeblöcke in den Episoden zu schalten.
How to build a business from the ground up.
Open for Business a new podcast by @eBay.https://t.co/O3rS8LtKbk pic.twitter.com/rw89uelw9H— Apple Podcasts (@ApplePodcasts) June 14, 2016
Den Wunsch, einen ganzen Podcast zu finanzieren und die Inhalte zu bestimmen, hat sich die Auktionsplattform Ebay nun bei Gimlet Creative erfüllt. „Es darf nicht wie ein Infomercial klingen“, hatte Gimlet-Mitgründer Matt Lieber noch Anfang Sommer gesagt. Aber für meinen Geschmack fällt der Name Ebay in den ersten drei Episoden einfach zu häufig, um nicht das Gefühl einer überlangen Werbung hervorzurufen. Auch bleibt „Open for Business“ für mich deutlich hinter dem Qualitätsstandard der anderen Gimlet Podcasts zurück.
Noch kann und muss das Modell „Branded Podcast“ beweisen, wie viele Hörer es an sich binden kann. Finanziell dürfte die Rechnung aber für Gimlet bereits aufgehen. Sechs- bis siebenstellige Beträge hatten sich die Gründer für Branded Podcasts vorgestellt, als sie im eigenen Unternehmenspodcast Startup laut darüber nachdachten. Aktuell sollen schon die nächsten Kunden an der Gimlet-Kasse stehen: Das IT-Unternehmen Hewlett-Packard und die Streaming-Plattform Spotify.
Interview: Dirk Primbs vom Podcast Anerzählt
Würde man die Wikipedia-Serien „Was geschah am…“ und „Schon gewusst?“ in einen Podcast zusammenwerfen, dann würde wahrscheinlich der Podcast Anerzählt entstehen. In den gut zehnminütigen Episoden erzählt Dirk Primbs täglich von kuriosen Fakten, Ereignissen und Zahlen – beispielsweise von der Zahl 42 „als Antwort auf alles“ oder dem Weltrekord „223 km/h mit dem Mountainbike“. Bei Anerzählt gibt die Episodenzahl das Thema der jeweiligen Folge vor. Im Hören/Sagen-Interview spricht Dirk über die Idee hinter dem Podcast, über Sonntagsfolgen, seine Seite podcorn.de – und wie das Trio zusammenhängt.
Dirk, du verdienst dein Geld bei einem großen Suchmaschinenanbieter und du hast eine Familie. Wie schafft man es da noch nebenbei einen täglichen Podcast zu produzieren?
Die Kunst ist, nicht von täglich senden auf täglich produzieren zu schließen. Ich habe mit Bedacht ein Thema gewählt, das nicht an tagesaktuelle Ereignisse gekoppelt ist. Damit kann ich die Episoden auch schwungweise produzieren.
Außerdem bin ich mittlerweile sehr gut darin, Themen vorzubereiten, wenn ich Leerlaufzeiten habe. Der Gang zum Supermarkt und dort an der Kasse zu stehen, das ist bei mir gleichzeitig auch das Fahnden nach dem nächsten Thema. Dadurch kann ich die eigentliche Produktion auf Zeiten konzentrieren, wenn ich mal zwei, drei Stunden Zeit habe. Bei mir hat eine Episode zehn Minuten – da bekommst du in dieser Zeit auch mal zwei Wochen Vorlauf produziert.
Dein Podcast heißt Anerzählt. Ich würde ihn als Mischung von Wikipedia, unnützen Wissen und einem lockeren Erzählton beschreiben. Wie bist du auf dieses Format gekommen?
Das ist, ganz egoistisch, persönliche Neugier. Ich bin vielseitig interessiert und habe mich schon immer gerne mit verschiedenen Themen beschäftigt – ohne dabei den Anspruch zu haben, Expertise aufzubauen. Diese Neugier bedient Anerzählt sehr gut.
Deine Beschreibung ist schon ganz in Ordnung: Auf der Suche nach Anlässen für den Podcast surfe ich relativ ziellos durch das Web und durch Wikipedia. Wenn ich irgendwo hängen bleibe, dann erzähle ich davon. Entweder, damit auch Andere hoffentlich Lust bekommen, sich etwas mehr mit dem Thema zu beschäftigen – oder das Ganze zumindest den Charakter von Partywissen erfüllt.
Als Podcaster sind wir zu oft in unserer eigenen kleinen Filterbubble gefangen
Du produzierst sehr kurz und minimalistisch. Gibt es eine Episodenzahl, bei der du sagst: ‚Jetzt will ich was anderes machen’ und einen Schlussstrich unter Anerzählt ziehst?
Am Anfang hatte ich mal den Gedanken, ich mache 42 Folgen und dann höre ich auf. Dann hat es aber so viel Spaß gemacht, dass ich diesen Vorsatz gleich wieder gestrichen habe. Im Augenblick denke ich mir, ich mache ein Jahr voll – also 365 Episoden. Ich glaube ehrlich gesagt, ich werde selbst dann weitermachen, weil die Abwechslung gegeben ist.
Bei Anerzählt gibt es auch Sonntagsfolgen, in denen du andere Podcasts vorstellst. Daneben betreust du die Seite Podcorn.de, auch da stellst du Hörtipps und andere Podcasts vor. Was ist da deine Motivation?
Das geht auch auf meine Motivation zurück, warum ich überhaupt podcaste, warum ich Anerzählt mache. Ich bin vor einigen Jahren durch Zufall in die Podcasts reingestolpert und fühlte mich inspiriert und unterhalten. Viele Menschen wissen gar nicht, was für ein Schatz da wartet, gehoben zu werden.
Mit Anerzählt will ich eine Einstiegsdroge bieten: Interessante, kleine Schnippsel zum Durchhören. Und wenn jemand sagt: ‚Ich gebe diesen Podcasts eine Chance‘, dann findet er bei podcorn.de einen Weg, um da langsam reinzuwachsen. Die Sonntagsfolgen mache ich, weil ich glaube, als Podcaster sind wir zu oft in unserer eigenen kleinen Filterbubble gefangen und reden zu wenig über die anderen.
Ich bin immer deprimiert, wenn Podcasts nur auf diesen Geldbetrag reduziert werden
Du hast im Januar über das Geldverdienen mit Podcasts geschrieben: ‚Wer professionell bezahlt werden will, der muss auch professionelle Produkte liefern und muss für den Markt statt für sich selbst produzieren.’ Jetzt gibt es in Deutschland erste Unternehmen, die das versuchen – in den USA gibt es da schon deutlich mehr. Was glaubst du, warum ist der US-amerikanische Markt breiter aufgestellt?
Der Vergleich wird ja oft herangezogen. Deswegen habe ich mal ein Script genommen und habe damit alle im iTunes Store gelisteten Podcasts eingesammelt. Das waren über 100.000 Podcasts im englischsprachigen Raum und über 4000 im deutschsprachigen. Das sind Dimensionen.
Dann wundert es auch nicht mehr, dass es eine Handvoll US-amerikanische Unternehmen gibt, die darauf ein erfolgreiches Geschäft aufbauen. This American Life, Gimlet Media und so weiter – die teilweise sogar auf dem Grundstock von Public Radio stehen. Ich würde sagen, die machen nicht mal einen einstelligen Prozentbereich aus.
Jetzt zurück nach Deutschland: Es gibt sehr wohl ein paar Podcaster wie Tim Pritlove, die ihr Geld damit verdienen. Mich würde es nicht wundern, wenn deren prozentualer Anteil in Deutschland gar nicht so weit vom Anteil im englischensprachigen Raum entfernt ist…
… aber absolut gesehen ist die Zahl von geldverdienenden Podcastern in Deutschland natürlich kleiner, weil schon die Grundgesamtheit, also der Markt viel kleiner ist…
Genau, es sind weniger Podcasts, es ist auch ein kleinerer Markt. Im US-amerkanischen Bereich bewegt sich Geld nach anderen Gesetzen und in anderen Mengen. Wenn man sich aber die unterschiedlichen Podcast-Zahlen anschaut, dann lassen sich einige Unterschiede sehr gut verstehen.
Ein Letztes dazu: Ich bin immer deprimiert, wenn Podcasts nur auf diesen Geldbetrag reduziert werden und das Ziel ist, das nächste Gimlet Media zu werden oder seinen Lebensunterhalt damit zu verdienen. So sehr ich diesen Wunsch verstehen kann, so sehr glaube ich, dass es kurz gesprungen ist. Weil das Medium an sich – gerade weil es in Deutschland etwas kleiner aufgebaut ist – sehr schöne Community-Aspekte hat.
Das komplette Interview mit Dirk Primbs von Anerzählt gibt es auf SoundCloud, bei iTunes gleich hier zum Nachhören.
Hörtipps
Mutti und ich (Porträt, Storytelling)
„Die liebevollste Podcast-Produktion, die ich seit langem gehört habe“, das sagt Dirk Primbs über den Podcast „Mutti und ich“ – und hat damit mehr als recht. Den Radio-Hintergrund von Macherin Marietta Schwarz hört man ihrem ersten Podcast jedenfalls an. Mit vielen atmosphärischen Tönen, Musik und dem Blick einer Tochter zeichnet die Journalistin ein liebenswürdiges Porträt ihrer Mutter. „Weitere Staffeln sollen folgen – von anderen Kindern über andere Mütter“, heißt es auf der Website. Hoffentlich.
Everything sounds (englisch, für Audiophile)
„Everything sounds“ spitzt die Ohren: Ein kurzer Podcast, der sich mit der Rolle von Tönen und Geräuschen in Kunst, Wissenschaft und Alltag beschäftigt. Die beiden Endzwanziger liefern eine detailverliebte Produktion, die an den Stil von Radiolab erinnert – und mindestens genauso neugierig klingt. Momentan erscheinen neue Episoden eher unregelmäßig – da bleibt genügend Zeit, das Archiv durchzuhören. Lieblingsfolge: The 100$ guitar project.
Die nächste Ausgabe von Hören/Sagen erscheint am 26. Juli 2016. Mit Neuigkeiten rund um Podcasts und Audio im Web, Interviews und Hörtipps. Folge uns auf Twitter, Facebook und abonniere unseren Newsletter, um die nächste Folge nicht zu verpassen! Ihr habt Feedback zu Hören/Sagen? Dann schreibt mir bei Twitter (@saschroeder), kommentiert den Artikel und hinterlasst bei iTunes eine Bewertung!