Die Online-Händler Temu und Shein schicken Millionen Sendungen in die Europäische Union. Dabei steht der Vorwurf im Raum, dass viele Produkte den europäischen Schutzvorschriften nicht genügen oder falsch deklariert werden, um Zoll und Umsatzsteuervorschriften zu umgehen. Die Bundesregierung hat deshalb eine Reihe von Maßnahmen angestoßen. Doch sind diese ausreichend? Eine Kolumne von Carsten Lexa.
Im Kern zielen die vorgeschlagenen Maßnahmen darauf ab, die Einhaltung europäischer Standards zu gewährleisten und einen fairen Wettbewerb zu sichern. Zentrales Element ist der „Aktionsplan E-Commerce„, der erreichen soll, dass bestehende Gesetze im Onlinehandel auch gegenüber Anbietern aus Drittstaaten konsequent durchzusetzen werden.
Der Aktionsplan umfasst eine engere Zusammenarbeit sowie erweiterte Befugnisse der nationalen und europäischen Marktüberwachungsbehörden und des Zolls, um koordinierte Kontrollen durchführen zu können. Zudem unterstützt die Bundesregierung die Aufhebung der 150-Euro-Zollfreigrenze, die bislang für Pakete mit einem Warenwert unter 150 Euro aus Nicht-EU-Ländern galt.
Die Vorwürfe gegen Temu und Shein
Die 150-Euro-Zollfreigrenze sorgt dafür, dass für Sendungen mit einem Warenwert unterhalb dieser Grenze bei der Einfuhr von Waren in die Europäische Union kein Zoll entrichtet werden muss. Es fällt lediglich die Einfuhrumsatzsteuer an. Händlern wie Shein und Temu wird vorgeworfen, Sendungen unter dem tatsächlichen Wert zu deklarieren, um diese Freigrenze unrechtmäßig auszunutzen.
Das Problem dabei ist nun, dass der Zoll mit der Kontrolle der enormen Paketmengen überlastet ist. Nach Schätzungen der EU-Kommission sind im Jahr 2024 etwa vier Milliarden Pakete über verschiedene E-Commerce-Plattformen, ein großer Teil eben über chinesische Plattformen wie Shein und Temu, in die Europäische Union gelangt, wobei allein in Deutschland wohl täglich mehrere Hundertausend Sendungen ankommen.
Um das noch einmal zu betonen: mehrere Hundertausend pro Tag! Schließlich will die Bundesregierung die Verantwortung der Händler für die von ihnen vermittelten Waren stärken. In diesem Zusammenhang wird die Europäische Kommission aufgefordert, den Sanktionsrahmen des Gesetzes über digitale Dienste (Digital Services Act) voll auszuschöpfen, sodass mit entsprechend hohen Geldbußen eine abschreckende Wirkung entfaltet werden kann.
Argumente für die Maßnahmen
Wenn man sich nun anschaut, was die Bundesregierung nun für Maßnahmen anschiebt, dann muss man wohl auf den ersten Blick sagen: „Das ist ein guter Anfang.“. Denn die in der Europäischen Union gelten Standards in Bezug auf Produktsicherheit, Umwelt- und Gesundheitsvorschriften gelten für alle Marktteilnehmer und es ist erforderlich, entsprechende Maßnahmen einzuführen, um die Einhaltung der geltenden Standards durchzusetzen.
Denn die Bedenken mehreren sich, dass viele der importierten Produkte diese Standards nicht erfüllen und somit Verbraucher gefährden könnten. Und die Sicherstellung eines fairen Wettbewerbs ist ein Grundpfeiler des europäischen Wirtschaftssystems. Da europäische Unternehmen die geltenden Vorschriften einhalten müssen, sind sie im Nachteil, wenn ausländischen Anbieter diese einfach umgehen können.
Pragmatischere Vorschläge
Ich frage mich aber, ob die Maßnahmen der Bundesregierung ausreichen werden, oder ob es sich nur um „Papiertiger“ handeln, die letztendlich nur wenig oder keine Wirkung entfalten werden. Es ist beispielsweise schön, wenn die Zollgrenze fällt. Aber dann müssten ja alle (!) Sendungen überprüft werden.
Der Zoll ist aber heute schon überfordert, die Sendungen mit einem Wert von mehr als 150 Euro zu überprüfen. Abgesehen davon ist so eine Wertgrenze ja gerade sinnvoll, weil dann Kleinstfälle unbürokratisch behandelt werden können. Wenn die Bundesregierung und die EU also wirklich sicherstellen wollen, dass europäische Standards eingehalten und fairer Wettbewerb gewährleistet wird, dann müssen die Maßnahmen zielgerichteter, konsequenter und vor allem praktisch umsetzbar sein. Symbolische Kontrollen oder halbherzige Anpassungen reichen nicht aus – es braucht durchdachte, effektive Lösungen.
- Erstens: Die 150-Euro-Zollfreigrenze sollte nicht nur aufgehoben, sondern durch eine verpflichtende Umsatzsteuerregistrierung für außereuropäische Händler ersetzt werden. Wer Waren nach Europa verkauft, sollte sich steuerlich registrieren und die Umsatzsteuer direkt abführen. So wird sichergestellt, dass für alle Marktteilnehmer die gleichen Bedingungen gelten, unabhängig davon, wo sie ansässig sind.
- Zweitens: Eine vollständige Kontrolle aller Pakete ist angesichts der enormen Mengen schlicht nicht realistisch. Stattdessen braucht es eine intelligente, technologiegestützte Lösung. Moderne KI-gestützte Risikoanalysen könnten verdächtige Sendungen gezielt identifizieren, sodass die Behörden sich auf problematische Importe konzentrieren können. Gleichzeitig sollten Plattformen wie Shein und Temu stärker in die Verantwortung genommen werden: Wer regelmäßig unsichere oder nicht korrekt deklarierte Waren vertreibt, sollte mit empfindlichen Strafen und klaren Importbeschränkungen rechnen.
- Drittens: Europa muss seine eigenen Standards konsequenter verteidigen. Wenn europäische Unternehmen hohe Anforderungen an Umwelt-, Sicherheits- und Verbraucherschutz einhalten müssen, dann sollte das auch für importierte Waren gelten. Hier sind schnellere Maßnahmen notwendig, um Produkte zu verbieten, die gegen europäische Normen verstoßen. Zudem sollten Anbieter, die wiederholt gegen diese Vorgaben verstoßen, mit klaren Konsequenzen rechnen – von Verkaufsbeschränkungen bis hin zu empfindlichen Geldstrafen.
Fazit: Die Maßnahmen gegen Temu und Shein sind ungenügend
Die Maßnahmen der Bundesregierung sind ein überfälliger Schritt, um Plattformen wie Shein und Temu im Hinblick auf die Einhaltung der europäischen Standards zu regulieren und unfairen Wettbewerb zu unterbinden. Doch der vorliegende Entwurf wirkt unausgereift: ohne eine technische Lösung zur Identifizierung problematischer Sendungen und eine Registrierungspflicht für ausländische Händler wird sich wenig ändern.
Die Zollbehörden sind bereits heute überlastet, und die bloße Aufhebung der 150-Euro-Grenze ohne ein praktikables Kontrollsystem wird die Probleme nur verlagern, nicht lösen. Wenn die Maßnahmen so umgesetzt werden, droht Europa ein klassisches Bürokratiedilemma: mehr Regeln, aber wenig Durchsetzung.
Die Folge könnte ein Flickenteppich unwirksamer Kontrollen und weiterhin massenhaft unterdeklarierter Sendungen sein. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass der Import von Billigprodukten durch höhere Hürden und aufwendigere Verfahren für die Verbraucher teurer wird – ohne dass wirklich sichergestellt ist, dass alle Standards eingehalten werden.
Europa braucht deshalb eine Strategie, die nicht nur symbolische Wirkung entfaltet, sondern tatsächlich etwas bewirkt. Das heißt: klare Verantwortlichkeiten für Plattformen, gezielte technologische Steuerung statt flächendeckender Überregulierung und konsequente steuerliche Gleichbehandlung aller Marktteilnehmer. Ansonsten werden die Bemühungen der Regierung zwar auf dem Papier gut aussehen, in der Realität aber wirkungslos verpuffen.
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