Wirtschaft

Hoher Krankenstand: Das, was wirklich krankt, ist das Arbeitssystem!

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Adobe Stock/ only_kim
geschrieben von Sandra Karner

Der hohe Krankenstand bei Mercedes-Benz hat nicht nur im Unternehmen selbst für Diskussionen gesorgt. Es stellt sich auch die Frage, wie Arbeitgeber mit ihren Angestellten umgehen sollten, wenn das Geschäft stockt und die Belastungen steigen. Eine Kolumne. 

Wenn Mercedes-Chef Ola Källenius die „Krankheitsquote“ in seinem Unternehmen kritisiert, mag das auf den ersten Blick wie eine berechtigte Klage klingen. Auf den zweiten Blick stellt sich jedoch die Frage: Warum steigt der Krankenstand wirklich, und warum gerade jetzt?

Warum ist der Krankenstand bei Mercedes so hoch?

Beginnen wir mit dem Offensichtlichen: Der Arbeitsplatz hat sich seit der Pandemie radikal verändert. Homeoffice, flexible Arbeitszeiten und die Erkenntnis, dass Mitarbeitende durchaus eigenverantwortlich arbeiten können, haben die Erwartungen vieler Beschäftigter neu geprägt.


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Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wollen über 40 Prozent der deutschen Beschäftigten nicht mehr zurück in eine Welt voller starrer Arbeitszeiten und strenger Präsenzpflicht. Und doch steht auch die Debatte zur angeordneten Rückkehr ins Büro hoch im Kurs.

Der hohe Krankenstand bei Mercedes lässt sich nicht allein durch die Herausforderungen des Homeoffice oder die Rückkehr ins Büro erklären. Ein beträchtlicher Teil der Belegschaft, besonders in der Produktion, arbeitete nie von Zuhause aus.

Für sie bedeutet der Arbeitsalltag immer noch Schichtarbeit, körperliche Belastung und anspruchsvolle Bedingungen. Diese Arbeitsweise, so zeigen Untersuchungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, birgt ein erhöhtes Risiko für gesundheitliche Probleme, von Schlafstörungen über Rückenbeschwerden bis hin zu Burnout.

Wenn Krankheit zum Luxus wird

Dass hohe Krankenstände ein Kostenfaktor sind, ist kein Geheimnis – und in Zeiten, in denen der Automarkt schwieriger geworden ist und Luxusstrategien noch nicht so richtig „zünden“, ist es nachvollziehbar, dass die Führungsetage angespannt ist.

Tatsächlich kostet jeder krankheitsbedingte Ausfalltag nicht nur direktes Geld, sondern sorgt auch für Engpässe und zusätzliche Belastung der verbleibenden Mitarbeitenden. Nach Angaben des AOK Bundesverbands verursachen Arbeitsunfähigkeitstage in Deutschland insgesamt Kosten in Höhe von etwa 76 Milliarden Euro jährlich.

Verständlich, dass ein Unternehmen wie Mercedes sich Sorgen macht, wenn diese Belastung steigt. Aber: Das was krankt ist das System. Es geht um die Geschäftswelt ganz allgemein. Und natürlich nicht nur um Mercedes. Unsere Arbeitswelt steckt in einem System fest, das Mitarbeitende wie austauschbare Teile betrachtet, in dem eine Lücke einfach durch das nächste Zahnrad gefüllt wird.

Das schafft auf Dauer eine Kultur, in der Gesundheit und Wohlbefinden hinten anstehen. Es geht um viel mehr als nur um eine Zahl (den Krankenstand). Es geht um die Frage, ob Beschäftigte in einem Umfeld arbeiten, das sie langfristig gesund und motiviert hält.

Hoher Krankenstand: Stellschrauben für eine gesunde Unternehmenskultur

Doch was braucht es wirklich, um diese „Erkältungskultur“ zu durchbrechen? Ein wesentlicher Punkt, der oft vernachlässigt wird, ist die körperliche Gesundheit und Ergonomie am Arbeitsplatz. Während Büroangestellte ergonomische Arbeitsplätze und flexible Schreibtischlösungen kennen, sieht es in der Produktion oft anders aus.

Ständige Wiederholungen derselben Bewegungsabläufe, wenig ergonomisch optimierte Prozesse und lange Stehzeiten führen zu einem schleichenden Gesundheitsverschleiß. Ein Betrieb, der langfristig denkt, investiert daher nicht nur in teure Maschinen, sondern auch in regelmäßige Gesundheitschecks, bessere Pausenregelungen und eine Schichtplanung, die auf die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeitenden Rücksicht nimmt.

Dazu kommt die psychische Komponente: Zahlreiche Studien wie der Gallup Engagement-Index 2023 belegen mittlerweile seit Jahren, dass Unternehmen, die ihren Angestellten Wertschätzung entgegenbringen, eine spürbar niedrigere Krankheitsquote aufweisen.

Menschen, die sich in ihrem Unternehmen sicher und wertgeschätzt fühlen, sind gesünder – so einfach ist das. Doch oft wird diese Erkenntnis zur „Kuschel-Strategie“ abgetan, wenn eigentlich harte Fakten zeigen: Vertrauen und eine offene Kommunikation sind die kostengünstigsten und effektivsten Werkzeuge gegen langfristige Produktivitätsverluste.

Druck von allen Seiten: Markt vs. Arbeitsplatzunsicherheit

Ein oft übersehener Punkt ist der Einfluss von Marktunsicherheit und Restrukturierungen auf die psychische Gesundheit. Der Druck, den Marktanteil zu halten, die Umstellung auf Elektromobilität und die Transformation der Automobilindustrie sorgen für eine anhaltende Unsicherheit in der Belegschaft.

Beschäftigte, die nicht wissen, wie es mit ihren Arbeitsplätzen weitergeht, sind nicht nur weniger motiviert – sie sind auch anfälliger für Krankheiten. Diese anhaltende Unsicherheit – ob das eigene Unternehmen den Marktumbruch übersteht, welche Zukunft die eigene Stelle hat – ist ebenfalls ein enormer Belastungsfaktor. Ein Unternehmen wie Mercedes kann hier gegensteuern, indem es klare Kommunikation über die Zukunftsperspektiven bietet und so das Stressniveau senkt.

Ist der hohe Krankenstand ein strukturelles Problem?

Bleibt die Frage: Ist der hohe Krankenstand wirklich ein Zeichen von „fehlender Arbeitsmoral“, wie manche Führungskräfte meinen – oder ist er das Symptom eines strukturellen Problems? Studien und praktische Erfahrungen zeigen, dass Krankmeldungen meist nicht aus einer „Feierlaune“ entstehen, sondern durch tatsächliche physische und psychische Erschöpfung.

Wenn Angestellte nicht nur unter chronischem Stress, sondern auch unter dauerhafter körperlicher Belastung stehen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich der Krankenstand erhöht. Ein systematischer Blick auf diese Faktoren zeigt: Langfristige Gesundheit der Mitarbeitenden ist die eigentliche „Premium-Strategie“ für jedes Unternehmen, das auch in zehn Jahren noch stark am Markt sein will.

Am Ende bleibt der Wunsch, dass Unternehmen das Thema Gesundheit und Resilienz langfristig und nachhaltig angehen – und nicht nur dann, wenn die Zahlen nicht stimmen und ein Sündenbock gesucht wird. Mercedes – wie viele andere Unternehmen auch – muss sich fragen:

Reicht es, nur über Kosteneinsparungen nachzudenken, wenn das eigentliche Kapital des Unternehmens, die Gesundheit und Motivation der Belegschaft, auf dem Spiel steht? Wie jeder Autofan weiß: Nur ein gut gepflegter Motor schnurrt zuverlässig und lange.

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Über den Autor

Sandra Karner

Sandra formt leidenschaftlich gerne leistungsstarke und motivierte Teams. Ihr Leitsatz lautet “Erfolgreiche Unternehmen haben starke Teams”. Sie ist als Agile Coach und Team-Performance Coach angetreten, um Führungskräfte und deren Teams nachhaltig erfolgreicher zu machen. Sie liebt es Zusammenarbeits-Prozesse zu optimieren und eine Kultur der Zusammenarbeit zum Leben zu erwecken. Ihre Spezialthemen sind Feedback- und Fehlerkultur. Vor ihrer Selbstständigkeit war sie über zehn Jahre im Konzernumfeld als Führungskraft und Change Agent im Einsatz.

2 Kommentare

  • Schade, wenn pauschal kritisiert um die eigenen Leistungen zu verkaufen. Natürlich ist die Unternehmens- und Gesundheitskultur sehr wichtig, nur ist der akuelle Krankenstand in Deutschland weltweit am höchsten. Auch im direkten Vergleich der o.g. Firmen mit Ihren Standorten. Die Denke das Unternehmen prinzipiell ausbeuten verstehe ich nicht.
    Vielmehr haben die Menschen den Sinn in der Arbeit zunehmend verloren, nicht alle, aber für viele ist eben ein Job. Vll. sollten wir am Mindset der Menschen arbeiten, aber damit lässt sich als Coach viel weniger verdienen, oder?

  • Sehr geehrte Frau Karner, ich kenne die Arbeitsbedingungen bei Mercedes: Die Produktion hat eine 35 Stundenwoche, davon können andere Branchen nur träumen. Die Schichtarbeit wird sehr hoch entlohnt, oft ist dort der Verdienst höher als in anderen Berufen. Während Corona hat Mercedes die Kurzarbeit maximal ausgenutzt. Ich habe erlebt, wie die Mitarbeiter 6 Wochen zu Hause waren, um das Kurzarbeitergeld auszuschöpfen und direkt im Anschluss hat man wieder 3 Schichten gefahren, um den Rückstand aufzuholen. Ich denke, vielen Mitarbeitenden geht es einfach zu gut und das Krankschreibenlassen ist extrem einfach. Das sieht man auch daran, dass viele Krankentage nicht am Stück genommen werden, sondern permanent 1-2 Tage, was in meinen Augen nichts mit ernsthafter Krankheit oder Überbelastung zu tun hat, sondern mit 0 Bock….

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