Wirtschaft

Insolvenz als Abo-Modell: Das einstige Schreckgespenst gibt es nicht mehr

wie oft kann man Insolvenz beantragen, Insolvenzantrag, Insolvenz als Abo
Adobe Stock/ blende11.photo
geschrieben von Tibor Bauer

Viele neue Regeln rund um die Insolvenz sorgen nicht nur für ein immer geringes Verständnis für die eigene finanzielle Situation. Auch die Abschreckung geht immer mehr verloren. Denn: Das Schreckgespenst Insolvenz gibt es nicht mehr. Eine Kolumne von Tibor Bauer – alias „Mr. Schufa“. 

Eine Privatinsolvenz ist an sich eine gute Sache. Um als überschuldeter Mensch wieder am Wirtschaftskreislauf teilhaben zu können, gibt man für eine gewisse Zeit seine finanzielle Selbstbestimmung auf, um anschließend wieder schuldenfrei zu sein. Dies sorgt für ein verbessertes wirtschaftliches Wachstum der Gesellschaft.

Immer mehr Insolvenzen in Deutschland – das ist der Grund

Während und wegen der Corona-Pandemie stieg die Zahl der angemeldeten Privat- beziehungsweise Verbraucherinsolvenzen unnatürlich in die Höhe. Sogar Jahre danach, jetzt 2024, wurden wieder wachsende Insolvenzanträge von Privatpersonen prognostiziert.

Gleichzeitig gab es zwei gravierende Änderungen im Insolvenzrecht. Einerseits wurde die Insolvenzzeit ab Oktober 2020 von ehemals sechs Jahren auf drei Jahre reduziert. Außerdem wurde die Speicherung der Restschuldbefreiung bei der Schufa und allen anderen Auskunfteien in Deutschland von drei Jahren auf gerade mal sechs Monate gekürzt.

Die Begründung der extremen Verkürzung der Speicherzeit war, dass die Erteilung einer Restschuldbefreiung – als letzter Schritt einer erfolgreich beendeten Insolvenz – im öffentlichen Insolvenzverzeichnis auch nur sechs Monate gespeichert wird und somit die Auskunfteien dies auch nicht länger speichern dürfen.

Man mag munkeln ob diese erheblichen Erleichterungen der Tatsache geschuldet sind, dass immer mehr Menschen in die Insolvenz gehen oder aber dem europäischen Druck, dass Deutschland in Europa bisher das Land mit der längsten Insolvenzdauer war. Andere europäische Länder handhaben Insolvenzen innerhalb von zwölf Monaten.

So stiegen laut statistischem Bundesamt die monatlichen Anmeldungen für Privatinsolvenzen von April 2023 bis April 2024 um fast 30 Prozent – von anfangs 4.906 auf 6.277. Hatte man früher also neun Jahre mit einer Insolvenz zu kämpfen, ist man heute bereits nach dreieinhalb Jahren fertig und die Schufa ist sauber.

Wie oft kann man Insolvenz beantragen?

Auf meinem TikTok-Kanal liefere ich meinen Followern täglich Input zu Themen rund um die Schufa, Schulden und Insolvenz. Zusätzlich erreichen mich durch Nachrichten und Livesendungen wöchentlich hunderte von Fragen. Wollten die meisten bis vor einigen Monaten noch wissen, wie man bezahlte Forderungen schneller als drei Jahre aus der Schufa bekommt, geht ein Großteil der Fragen mittlerweile um die Insolvenz. Vor allem eine Frage scheint viele zu beschäftigen: Wann kann man erneut eine Insolvenz beantragen?

Wurde die Privatinsolvenz erfolgreich mit der Erteilung der Restschuldbefreiung abgeschlossen, besteht nach elf Jahren die Möglichkeit, erneut einen Insolvenzantrag zu stellen. Bei einer abgebrochenen Insolvenz geht es bereits nach drei beziehungsweise fünf Jahren. Die zweite Insolvenz dauert allerdings nicht mehr drei, sondern fünf Jahre plus das Halbjahr, bis die Restschuldbefreiung – und damit auch sämtliche Schulden/ Negativeinträge aus der Schufa gelöscht sind.

Obwohl die Wartezeit so lang ist, scheinen die Menschen dies bereits kurz nach der ersten Insolvenz in Kauf zu nehmen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Insolvenz schon fast wie ein Streaming-Angebot oder ein Abo betrachtet wird.

Habe ich mein Leben verpfuscht, gehe ich in die Insolvenz. Habe ich danach immer noch nicht gelernt mit Geld umzugehen, gehe ich einfach ein zweites mal in die Insolvenz.

Keine Abschreckung mehr

Der Sinn einer Insolvenz ist einerseits die Menschen wieder in die allgemeine Finanzwirtschaft einzugliedern. Denn nur ein Mensch, der konsumiert, kann Steuern zahlen. Nur ein Mensch, der Geld zum Ausgeben hat, kann für die Löhne anderer sorgen. Es ist wichtig für die Gesamtwirtschaft eines Landes, dass seine Bewohner Geld zum ausgeben haben.

Anderseits sollte die Insolvenz aber auch, gerade wegen seiner Eigenart der temporären finanziellen Freiheitsberaubung und der selbstempfundenen Stigmatisierung als Abschreckung und Lehre dienen, sich zukünftig besser mit den eigenen Finanzen und finanziellen Entscheidungen zu beschäftigen und aus den begangenen Fehlern zu lernen. Durch den erleichterten Zugang und der spürbaren Verkürzung nehmen aber viele diese Abschreckung gar nicht mehr wahr.

Viele merken die Insolvenz nicht einmal

Die Insolvenzordnung, gekoppelt mit einer sehr humanen Pfändungstabelle für Lohnpfändungen, beinhaltet mittlerweile so viele Ausnahmen bezüglich Enteignung von Insolvenzmasse und Verwertung von Hab und Gut, dass es in vielen Fällen für die Betroffenen keinerlei spürbaren Änderungen gibt.

Sie liegen mit den ganzen Freibetragserhöhungen und Ausnahmeregelungen unterhalb der Pfändungsgrenze, nutzen rechtliche Schlupflöcher und haben sogar bereits während der Insolvenz mehr Geld zur Verfügung als davor. Denn in der Insolvenz brauchen sie sich weder vor Kontopfändung zu fürchten noch müssen sie die leidigen Ratenzahlungen, die sie vor Beginn der Insolvenz leisten mussten, bezahlen.

Dadurch erscheint für viele die Insolvenz sogar als eine Art finanzieller Urlaub vom Leben. Warum also nicht einfach nach ein paar Jahren erneut reingehen?

Natürlich trifft dies nicht auf alle zu, die in die Insolvenz gehen müssen. Aber es ist dennoch ein sehr deutlicher Anteil, der stets wächst und wächst. Ich sitze direkt am Puls der Zeit und bemerke durch die Gespräche mit und die Fragen der Menschen, dass die Insolvenz sich mittlerweile zu einem Werkzeug der Massen und nicht mehr ein Werkzeug des Staates entwickelt.

Durch die Insolvenz wird die Schufa ausgetrickst

Ein letzter Punkt scheint auch in Mode zu kommen. Die aktuelle Diskrepanz bei der Speicherdauer von bezahlten Schulden versus Restschuldbefreiung spielt nicht gerade in die Image-Karten der Schufa. Außerdem gibt es, zum Teil nicht nachvollziehbare Unterschiede bei der Speicherung von Einträgen in der Schufa.

Bezahlt jemand seine Schulden, zum Teil über Jahre oder Jahrzehnte hinaus, so wird dies noch drei Jahre in seinem Schufa Account gespeichert. Geht allerdings jemand in die Insolvenz, bezahlt seine Schulden gar nicht oder nur einen Bruchteil, verschwinden die negativen Einträge sechs Monate nach Erteilung der Restschuldbefreiung.

Und das vollkommen legal – sogar mit Hilfe des Staates und der EU. Dies scheint in letzter Zeit sogar ein echtes Argument zu sein, um den Schritt in die Insolvenz zu machen. Es ist zum Teil einfacher, schneller und kostengünstiger.

Fazit: Die Insolvenz hat an Abschreckung verloren

Die früher so gefürchtete Insolvenz ist mittlerweile in Augen vieler eine Flucht nach vorne, ohne viel aufgeben zu müssen. Durch die reduzierte Laufzeit, den hohen Freibeträgen und der sehr human gehaltenen Insolvenzordnung spürt ein Großteil der Betroffenen entweder gar kein Unterschied zum Leben vor der Insolvenz, oder haben sogar ein finanziell besseres Leben als davor.

Die wenigen Unannehmlichkeiten, die man hat, wie Imageverlust, Wartezeit durch Überforderung der Insolvenzverwalter oder der Mehraufwand durch die wenigen Obliegenheiten in der Insolvenz werden zwar als störend empfunden, stehen aber oft der gewonnenen Freiheit kaum entgegen.

Ein Lerneffekt, sein Leben den eigenen finanziellen Möglichkeiten anzupassen fehlt immer mehr, denn aufgrund des Sozialstaates ist man in fast jeder Lebenslage abgesichert. Und sollte das Leben einem ein zweites mal übel mitspielen (meistens sind immer die anderen an der eigenen Misere Schuld), so kann man ja problemlos ein weiteres mal den Weg in die Insolvenz suchen.

Auch interessant: 

Über den Autor

Tibor Bauer

Tibor Bauer ist Affiliate Consultant mit über 20 Jahren Berufserfahrung. Ende 2023 startete er unter dem Namen „Mr. Schufa“ einen TikTok-Kanal Seine Kernkompetenzen sind die Schufa, Schulden und Insolvenzen. Seine Community umfasst mittlerweile fast 80.000 Follower. Pro Live-Auftritt hören ihm bis zu 5.000 Menschen zu. Mr. Schufa ist einer der am schnellsten wachsenden deutschsprachigen Content Creators auf Tiktok.

Kommentieren