Laut einer aktuellen Studie offenbart sich in der Start-up-Szene derzeit eine wenig diskutierte Realität: Die psychische Belastung der Gründer steigt gewaltig – mit teilweise erheblichen Konsequenzen. Doch was sind die drängendsten Probleme und welche Auswirkungen haben sie auf das persönliche Wohlbefinden?
Gründer:innen von Start-ups stehen vor einem Dilemma: Überforderung, Erschöpfung und finanzielle Probleme führen dazu, dass fast die Hälfte von ihnen erwägt, ihr Start-up im laufenden Jahr aufzugeben oder zu schließen.
Eine aktuelle Umfrage von Sifted unter 156 Gründer:innen hat ergeben, dass die vergangenen zwölf Monate insbesondere für VC-unterstützte Technologie-Start-ups besonders hart waren.
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Sinkende Bewertungen, zurückhaltende Investoren, Entlassungen in der gesamten Branche und eine noch nie dagewesene Überprüfung der aktuellen Rentabilität beziehungsweise der Rentabilitätsaussichten haben ihre Spuren hinterlassen.
Gründer wollen ihr Start-up an den Nagel hängen: Die Datenlage
Die Anzahl der befragten Gründer:innen ist zwar klein, aber repräsentativ: Rund zwei Drittel der befragten Gründer sind männlich und ein Drittel weiblich, wobei knapp ein Drittel als Einzelgründer:innen tätig ist.
Die Mehrheit der Befragten führt Unternehmen in der Frühphase: 19 Prozent sind eigenfinanziert, 17 Prozent befinden sich in der Pre-Seed-Phase, 36 Prozent in der Seed-Phase und 24 Prozent in der Serie-A-Phase. Die meisten (86 Prozent) haben in den letzten zwei Jahren eine Finanzierung erhalten.
Mentale Gesundheit als Problem
Die Gesamtsituation für die Gründer:innen sieht dabei nicht gut aus: 45% der befragten Gründer:innen bewerten ihren aktuellen mentalen Gesundheitszustand als „schlecht“ oder „sehr schlecht“. Starken Stress im letzten Jahr gaben 85% an, während 75% von Angstzuständen berichteten. 61 Prozent haben daran gedacht, ihr Unternehmen zu verlassen, und 49% ziehen dies, wie bereits erwähnt, für das kommende Jahr in Betracht.
55 Prozent der Gründer:innen litten im letzten Jahr unter Schlaflosigkeit, 53 Prozent unter Burnout. 39 Prozent berichten von Depressionen. Einige Gründer:innen äußern, dass sie die Freude an der Arbeit verloren haben und sich nach einem einfacheren, unbeschwerteren Leben sehnen.
Bezüglich der Frage, wie offen Gründer:innen mit mentalen Herausforderungen umgehen, gibt knapp ein Fünftel der Befragten an, sehr offen zu sein, während eine ähnliche Anzahl das Gegenteil berichtet. 65 Prozent der Gründer:innen suchen diesbezüglich Unterstützung bei ihrem Lebens- oder Ehepartner, 54 Prozent bei Freunden und Familie und 41 Prozent bei einem Coach oder Therapeuten.
Gründe für die Probleme
Die Hauptherausforderungen, denen sich die Gründer:innen gegenübersehen, sind die Kapitalbeschaffung, das Gleichgewicht zwischen Berufs- und Privatleben sowie die Erzielung von Gewinn.
Mehrere Gründer:innen nennen „finanzielle Sicherheit“ als Hauptgrund für die Überlegung, ihr Unternehmen aufzugeben und eine finanziell stabilere Beschäftigung zu suchen. Zwischenmenschliche Herausforderungen wie die Kundenbindung oder Entlassungen und Neueinstellungen im Start-up werden dagegen derzeit als geringere Herausforderungen im Leben der Gründer:innen angesehen.
Konflikte mit Mitgründer:innen sind ein weiterer Grund, die eigene Position und Situation im Unternehmen zu überdenken. Die Probleme reichen von Meinungsverschiedenheiten über die Zukunft des Unternehmens bis hin zu kulturellen und organisatorischen Differenzen.
Gründer: Probleme führen zu Konsequenzen
57 Prozent der Gründer:innen geben an, im letzten Jahr weniger Sport getrieben zu haben, 42 Prozent haben sich weniger gesund ernährt. 62 Prozent haben weniger Urlaub gemacht und 64 Prozent haben weniger Zeit mit Freunden und Familie verbracht.
Die ständige Arbeitsbelastung, auch an Wochenenden und im Urlaub, belastet einige Gründer:innen sehr stark: Einer der Befragten verlor fast seine Ehe und Familie, ein anderer wurde zunehmend ängstlich, depressiv und sozial isoliert.
Die Haltung der Investoren
Besonders unschön dabei: Mehr als die Hälfte der Gründer erhält von ihren Investoren keinerlei Unterstützung in Bezug auf ihre psychische Gesundheit. Einige fühlen sich aufgrund des Drucks vielmehr dazu gedrängt, ihr Unternehmen zu verlassen, während andere das Gefühl haben, dass ihre Investoren nicht wirklich an ihnen und ihren Herausforderungen interessiert sind.
Von denjenigen, die ernsthaft über einen Ausstieg nachdenken, würden die meisten zunächst eine Pause einlegen und sich dann nach einer neuen Stelle umsehen wollen, oder – und das ist auf den ersten Blick überraschend – ein neues Unternehmen gründen.
Andere denken dagegen über komplett neue Beschäftigungen nach, wie ein Buch zu schreiben, als Berater zu arbeiten oder als Unterstützer:in in einen Aufsichts- oder Beirat zu gehen. Und dann gibt es noch die, die antworten, dass sie einfach nur an einem Strand liegen wollen.
Fazit: Gründer am Limit
Die Ergebnisse der Umfrage unter den Gründer:innen zeichnen ein beunruhigendes Bild von den mentalen und emotionalen Kosten, die das Führen eines jungen Unternehmens mit sich bringen kann. Es wird deutlich, dass die Belastungen weit über die finanziellen Aspekte hinausgeht, sondern vielmehr teilweise tief in das persönliche Wohlergehen der Gründer:innen eingreifen.
Die Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, mehr Unterstützung und Ressourcen zur Verfügung zu stellen, um das Wohlbefinden von Gründer:innen zu fördern und sie in die Lage zu versetzen, ihr Unternehmen erfolgreich zu führen, ohne ihre Gesundheit zu opfern.
Notwendig ist dazu aus meiner Sicht, in einem ersten Schritt die psychischen Belastungen, denen sie ausgesetzt sind, viel stärker zur Kenntnis zu nehmen.
In einem zweiten Schritt muss dann über gezielte Angebote nachgedacht werden, mit denen die psychologische Unterstützung, die Entlastung und eine Kultur der Offenheit gegenüber solchen Herausforderungen im Start-up-Ökosystem gefördert werden kann. Denn letztendlich brauchen wir starke Gründer:innen und ihre Innovationen, um den Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen.
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