Wirtschaft

Wir sollten endlich ein gemeinsames europäisches Bewusstsein entwickeln!

EU, Europa, Europäische Union
Adobe Stock/ Yagnik
geschrieben von Carsten Lexa

Europa steht Ende 2023 an einem entscheidenden Wendepunkt. Entstanden aus dem Wunsch nach Frieden und Stabilität nach Jahrzehnten des Konflikts, steht die Europäische Union heute vor der Aufgabe, ihre Rolle in einer sich rasch verändernden Welt neu zu definieren. Die zentrale Frage, die sich dabei stellt, ist, wie die Bürgerinnen und Bürger Europas ihre Loyalitäten ausbalancieren können – gegenüber der eigenen Familie, der lokalen Gemeinschaft, dem Berufsleben, der nationalen Identität, der Menschheit insgesamt und dem Planeten Erde.

Die unterzeichnete, aber noch nicht in Kraft getretene Verfassung der Europäischen Union, genauer der „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ von 2004, formuliert, dass die Völker Europas, stolz auf ihre nationale Identität und Geschichte, entschlossen sind, alte Gegensätze zu überwinden und immer enger vereint ihr Schicksal gemeinsam zu gestalten. Diese Aussage trifft den Kern der europäischen Identität.

Denn sie erkennt an, dass trotz der Vielfalt der Sprachen, Kulturen und Traditionen in Europa ein gemeinsames Ziel verfolgt wird: die Schaffung einer Union, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit und der gegenseitigen Achtung beruht. Gleichzeitig ist es eine Verpflichtung für die Europäer, sich ihrer eigenen Identität und Geschichte bewusst zu sein und sie zu ehren, aber auch offen zu sein für neue Entwicklungen.


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Es ist ein Aufruf, gemeinsam Lösungen für globale Probleme zu finden, die keine nationalen Grenzen kennen, wie Klimawandel, globale Wirtschaft, Cyberkriminalität oder pandemische Bedrohungen.

Zum Jahresende möchte ich mich der Frage zuwenden, wie diese verschiedenen Loyalitäten – gegenüber der Familie, den Nachbarn, dem Beruf, dem eigenen Land, der Menschheit und dem Planeten Erde – miteinander in Einklang gebracht werden können, ohne dass sie in Konflikt geraten.

Ich bin nicht so vermessen zu behaupten, dass meine Überlegungen „die großen Perspektiven“ aufzeigen. Aber vielleicht gelingt es mir auch zu zeigen, dass diese Loyalitäten nicht nur miteinander vereinbar sind, sondern dass sie im Zusammenspiel eine größere Stärke und Resilienz für Europa als Ganzes darstellen. Durch die Verbindung lokaler, nationaler und globaler Perspektiven kann Europa eine führende Rolle bei der Gestaltung der Zukunft übernehmen.

Familie

Die Familie ist der Grundbaustein jeder Gesellschaft und prägt die ersten Schritte jedes Einzelnen in Europa. Loyalität zur Familie bedeutet, für ihre Mitglieder da zu sein, ihre Werte und Traditionen zu bewahren und zu fördern. Diese familiären Werte und Traditionen sind oft tief in der nationalen Kultur verwurzelt und tragen zur Vielfalt der europäischen Kultur bei.

Gleichzeitig fördern sie ein Verständnis für die Bedeutung von Unterstützung und Zusammenhalt, das über den familiären Rahmen hinaus auf die größere Gemeinschaft und die Menschheit ausgedehnt werden kann.

Nachbarschaft

Loyalität gegenüber der Nachbarschaft zeigt sich im Engagement für das lokale Umfeld und die Gemeinschaft. Dazu gehören die Teilnahme an lokalen Veranstaltungen, die Unterstützung lokaler Unternehmen und Initiativen sowie der Schutz der lokalen Umwelt.

Solche Aktivitäten stärken das lokale Gemeinschaftsgefühl und fördern gleichzeitig das Bewusstsein für größere nationale und globale Fragen. Lokale Erfahrungen und Kenntnisse können oft auf nationaler oder globaler Ebene genutzt werden, um effektive Lösungen für gemeinsame Herausforderungen zu finden.

Beruf

Berufliche Loyalität in Europa ist eng mit dem Konzept der beruflichen Exzellenz und dem Beitrag zum Gemeinwohl verbunden. Dazu gehört, dass man seine Arbeit mit Integrität und Leidenschaft verrichtet, was wiederum zur wirtschaftlichen Stärke und Stabilität des Landes beiträgt. Darüber hinaus spielen europäische Unternehmen und Arbeitnehmer eine wichtige Rolle in der Weltwirtschaft, indem sie Lösungen für globale Herausforderungen wie Klimawandel und nachhaltige Entwicklung liefern.

Land

Die Loyalität zum eigenen Land ist in Europa oft mit Stolz auf die eigene Kultur, Geschichte und Errungenschaften verbunden. Gleichzeitig hat die Geschichte der Europäischen Union gezeigt, dass nationale Loyalität nicht in Isolationismus oder Nationalismus umschlagen muss, sondern in produktiver Zusammenarbeit mit anderen Nationen zum Wohle aller bestehen kann. Diese Loyalität fördert die Achtung nationaler Unterschiede und trägt zur Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Identität bei.

Menschlichkeit

Die Loyalität gegenüber der Menschheit spiegelt sich in der Verpflichtung Europas wider, globale Herausforderungen wie Klimawandel, Armut und Menschenrechte anzugehen. Die Europäer erkennen an, dass viele der heutigen Herausforderungen keine nationalen Grenzen kennen und dass eine Zusammenarbeit über die Grenzen einzelner Länder hinaus notwendig ist, um nachhaltige Lösungen zu finden. Diese globale Perspektive ist tief in der europäischen Politik und Diplomatie verwurzelt und beeinflusst die Art und Weise, wie Europa auf der Weltbühne agiert.

Erde

Die Loyalität gegenüber dem Planeten Erde wird in Europa durch ein starkes Engagement für Umweltschutz und Nachhaltigkeit unter Beweis gestellt. Dazu gehören Maßnahmen zur Verringerung des ökologischen Fußabdrucks, zur Förderung erneuerbarer Energien und zum Schutz der natürlichen Ressourcen. Dieses Engagement geht über nationale Grenzen hinaus und ist ein zentraler Bestandteil der europäischen Identität und Politik.

Ein Geflecht von Loyalitäten

In Europa stehen die genannten Loyalitätsformen nicht isoliert nebeneinander, sondern sind eng miteinander verwoben. Die Loyalität gegenüber der Familie fördert Werte, die in der Nachbarschaft und im Berufsleben Anwendung finden. Erfahrungen und Lehren aus dem lokalen Umfeld können auf nationaler und globaler Ebene genutzt werden. Die Achtung nationaler Identitäten trägt zur Bildung einer stärkeren und geeinteren europäischen Gemeinschaft bei, die wiederum in der Lage ist, effektiv auf globale Herausforderungen zu reagieren.

Viele Loyalitäten, eine Konsequenz

Angesichts der Globalisierung, des technologischen Fortschritts und der komplexen sozioökonomischen Herausforderungen befindet sich Europa an einem entscheidenden Wendepunkt seiner Geschichte. Da diese Herausforderungen von einzelnen Ländern nur schwer oder gar nicht bewältigt werden können, ist die Europäische Union heute mehr denn je gefordert, ihre Rolle in einer sich rasch verändernden Welt neu zu definieren.

Das Ziel der Völker Europas in der Europäischen Union, alte Gegensätze zu überwinden und ihr Schicksal gemeinsam zu gestalten, spiegelt den Kern der europäischen Identität wider: Europa ist ein Kontinent, der trotz seiner sprachlichen, kulturellen und traditionellen Vielfalt gemeinsame Ziele verfolgt – Demokratie, Freiheit, gegenseitige Achtung und Offenheit für neue Entwicklungen.

Es ist ein Aufruf, gemeinsam Lösungen für globale Probleme zu finden, die keine nationalen Grenzen kennen.
Die unterschiedlichen Loyalitäten der Bürgerinnen und Bürger sind dabei kein Hindernis. Sie sind nicht nur miteinander vereinbar, sondern ihr Zusammenspiel macht Europa insgesamt stärker und widerstandsfähiger. Die Loyalität gegenüber der Familie stärkt die sozialen Bindungen und fördert Werte, die auf die Nachbarschaft und das Arbeitsleben ausgedehnt werden können.

Die Verbundenheit mit der lokalen Gemeinschaft bildet die Grundlage für ein starkes nationales und europäisches Bewusstsein. Berufliches Engagement trägt zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Nation und der EU bei, während der Nationalstolz in einem größeren europäischen Rahmen gedeiht. Die Loyalität gegenüber der Menschheit und dem Planeten Erde schließlich lässt uns die globalen Herausforderungen gemeinsam angehen.

Ein Aufruf an uns alle

Die Europäische Union steht vor der Aufgabe, diese verschiedenen Loyalitäten so miteinander in Einklang zu bringen, dass sowohl die Vielfalt als auch die Einheit Europas gestärkt werden. Wir Bürgerinnen und Bürger sollten unsere reiche Vielfalt an Kulturen, Sprachen und Traditionen als Quelle der Stärke begreifen und gleichzeitig (endlich) ein gemeinsames europäisches Bewusstsein entwickeln.

Wir sollten im neuen Jahr unsere unterschiedlichen Hintergründe als Bereicherung begreifen und erkennen, dass nur ein gemeinsames und enges Verständnis in wesentlichen Fragen die Herausforderungen der Zukunft lösen kann.

Europa mit seiner Fähigkeit, unterschiedliche Loyalitäten miteinander in Einklang zu bringen und gleichzeitig stolz auf seine verschiedenen nationalen Identitäten und seine Geschichte zu sein, ist in der einzigartigen Lage, eine führende Rolle bei der Gestaltung einer nachhaltigeren, gerechteren und friedlicheren Welt zu übernehmen. Es ist unsere gemeinsame Verantwortung und unser Privileg als Europäer, dieses Erbe zu bewahren und weiterzuentwickeln. Machen wir dies zu unserem Leitgedanken für 2024!

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Über den Autor

Carsten Lexa

Rechtsanwalt Carsten Lexa berät seit 20 Jahren Unternehmen im Wirtschafts-, Gesellschafts- und Vertragsrecht. Er ist Lehrbeauftragter für Wirtschaftsrecht, BWL und Digitale Transformation sowie Buchautor. Lexa ist Gründer von vier Unternehmen, war Mitinitiator der Würzburger Start-up-Initiative „Gründen@Würzburg”, Mitglied der B20 Taskforces Digitalisierung/ SMEs und engagiert sich als Botschafter des „Großer Preis des Mittelstands” sowie als Mitglied im Expertengremium des Internationalen Wirtschaftsrats. Er leitete als Weltpräsident die G20 Young Entrepreneurs´Alliance (G20 YEA). Bei BASIC thinking schreibt Lexa über Themen an der Schnittstelle von Recht, Wirtschaft und Digitalisierung.