Überstunden, zu wenig Geld oder zu viel Stress: Kündigungsgrüne gibt es viele. Neuerdings zählt auch die Unzufriedenheit mit Unternehmenswerten dazu. Oder: sogenanntes Conscious Quitting. Wir erklären dir, was man darunter versteht und ob der Trend bereits in Deutschland angekommen ist.
Nur etwa 55 Prozent der Berufstätigen in Deutschland beabsichtigen, in den nächsten zwölf Monaten bei ihrem Arbeitgeber zu bleiben. Fast die Hälfte ist also dazu bereit, das Unternehmen zu verlassen – und das nicht nur in Deutschland.
Denn in der Arbeitswelt breitet sich ein neuer Trend aus: Wie CNBC und LinkedIn berichten, wollen etwa 87 Prozent der Kündigungswilligen ihren Job aufgeben, weil sie den Unternehmenswerten nicht zustimmen. Vor allem in der Generation Z und der Generation der Young Professionals zeichnet sich das Phänomen Conscious Quitting ab.
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Was ist Conscious Quitting?
„Vergessen Sie Sitzsäcke und Fitnessstudio-Mitgliedschaften. Mitarbeiter:innen wollen starke Werte und positive Auswirkungen“, schreibt der niederländische Geschäftsmann Paul Polman in einem Blogbeitrag. Darin stellt er das aktuelle Net Positive Employee Barometer vor und erklärt, wie die Werte von Unternehmen sowie ihr Einfluss auf die Welt die Attraktivität für ihre Mitarbeitenden verändern.
Insgesamt 4.000 Arbeitnehmer:innen in den USA und Großbritannien wurden dafür zu ihrem Befinden am Arbeitsplatz befragt. Die Studie zeigt, dass die meisten Menschen in Unternehmen arbeiten wollen, die einen positiven Einfluss auf die Welt haben – und der Anspruch ist sehr hoch.
Conscious Quitting: Mitarbeiter erwarten mehr Engagement
Auch wenn viele Angestellte wissen, dass ihr Unternehmen Maßnahmen zur Bewältigung großer gesellschaftlicher und ökologischer Herausforderungen wie beispielsweise dem Klimawandel oder der sozialen Ungleichheit ergreife, sagen zwei von drei Befragten, dass das noch nicht ausreiche.
Sie fordern, dass Arbeitgeber:innen noch mehr tun. Viele haben sogar das Gefühl, dass sich CEOs und andere Führungskräfte nicht genug einbringen. Außerdem ziehen sie aus dieser Ambitionslücke ihre Konsequenzen.
Barometer zeigt: Arbeitnehmer würden trotz Wirtschaftskrise lieber kündigen
Selbst in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zieht die Hälfte der Befragten eine Kündigung in Betracht, wenn die Werte des Unternehmens nicht mit ihren eigenen übereinstimmen. Ein Drittel gibt zudem an, dass sie diesen Schritt bereits vollzogen haben.
Mit Blick auf den demografischen Querschnitt ließe sich laut Polman erkennen, dass diese Zahlen bei den Millennials und in der Generation Z sogar noch höher ist. Er schließt daraus, dass die Ära des Conscious Quitting – der bewussten Kündigung – begonnen habe.
„Vor allem jüngere Arbeitnehmer fürchten um die Welt, die sie erben werden.“
Es sei ein beispielloser Moment in der Geschichte der Menschheit, so Polman. Eine Zeit der Dauerkrise, in der Pandemien, Krieg, globale Erwärmung, wirtschaftliche Turbulenzen und soziale Spaltung in unterschiedlichem Maße die Stabilität und Zukunft bedrohen. „Vor allem jüngere Arbeitnehmer fürchten um die Welt, die sie erben werden.“
Laut Paul Polman überrasche es daher nicht, dass viele ihre Zeit und ihr Talent in Unternehmen einbringen wollen, die sich bemühen, Teil der Lösung zu sein. Außerdem sage eine auffallend hohe Zahl von Angestellten, dass sie gehen werden, wenn ihre Arbeitgeber:innen sie im Stich lassen.
Conscious Quitting in Deutschland
Dass Conscious Quitting kein Phänomen ist, dass sich ausschließlich auf die USA oder Großbritannien beschränken wird. Das zeigt auch eine Stepstone-Umfrage aus Deutschland. Hierzulande finden es demnach 76 Prozent der Beschäftigten wichtig, dass das Thema Nachhaltigkeit einen hohen Stellenwert bei ihrem Arbeitgeber hat.
Unter den 12.000 Befragten gab dabei fast jeder Zweite an, dass er bei einem Jobwechsel gezielt nach nachhaltigen Unternehmen suchen würde. Jeder Dritte würde dafür sogar weniger Gehalt in Kauf nehmen.
Deutschland auf dem Weg zum Conscious Quitting?
Trotzdem haben Werte wie Nachhaltigkeit und Umweltschutz bei deutschen Arbeitnehmer:innen noch nicht den gleichen Stellenwert erreicht wie in den anderen untersuchten Ländern. Einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge gewinnen diese Themen zwar stetig an Relevanz.
Allerdings sind ihnen die Arbeitsplatzsicherheit, das Gehalt und Kollegialität untereinander bisher immer noch wichtiger als die Unternehmenswerte. Das sei jedoch angesichts anhaltender, extremer und sehr unmittelbar bedrohlicher Krisen nicht verwunderlich, heißt es in der Studienbeschreibung.
Kündigungen kosten Unternehmen ein Vermögen
Was oft nicht besprochen wird: Wenn Mitarbeiter:innen kündigen, kostet das viel Geld. Personaler:innen können pro Kündigung zwischen 90 und 200 Prozent des Jahresgehalts pro angewandeltem Angestellten als unternehmerischen Zusatzkosten und anschließender Personalgewinnung kalkulieren.
Grund genug das Phänomen Conscious Quitting ernst zu nehmen. Die Risiken für Vorstände, die den Trend und seinen Ursprung ignorieren, lägen laut Paul Polman auf der Hand: Wenn sie den Erwartungen und Bedürfnissen der derzeitigen und künftigen Mitarbeiter:innen nicht gerecht werden, werde ihr Unternehmen weniger attraktiv, weniger produktiv und letztlich weniger erfolgreich.
Stattdessen sollten sie den Benefit in der neuen Bewegung sehen: Angestellte wollen Teil der Mission sein, die Auswirkungen des Arbeitgebers auf die Welt zu verbessern. Sie bieten ihre Zusammenarbeit an. Diese enorme Chance sollten CEOs weltweit nicht ignorieren.
Conscious Quitting: Unternehmen reagieren mit neuen Stellenausschreibungen
Dass es doch einige Unternehmen gibt, die auf die aktuellen Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden reagieren, zeigt sich laut LinkedIn bereits. Immer mehr Arbeitgeber:innen schreiben Stellen aus, in denen sie die Unternehmenswerte berücksichtigen. So sollen Bewerber:innen es einfacher haben, zuzusagen.
Ausschreibungen dieser Art seien um ganze 154 Prozent angestiegen. Der positive Effekt sei außerdem spürbar, denn die Unternehmen, die auf ihre Werte eingehen, erhalten im Vergleich zu den vergangenen Jahren fast 50 Prozent mehr Bewerbungen.
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