Auf dieses Buch war ich gespannt: „Verhandeln, um zu siegen“ schreibt Autor Kurt-Georg Scheible auf dem Cover und meint damit, dass endlich Schluss sein muss mit dem Streben nach einer Win-Win-Situation beim Verhandeln. Doch hält das Buch, was es verspricht? Eine Rezension.
Seit mehr als 15 Jahren begleite ich Mandanten in Verhandlungssituationen, sei es beim Verkauf von Unternehmen, sei es beim Aushandeln von Vertragsbedingungen. Aus diesem Grund bin ich immer begierig, mehr über das Thema „Verhandeln“ zu erfahren.
Was ist das Harvard-Konzept?
Insbesondere die Idee hinter dem Harvard-Konzept hat es mir schon lange angetan. Das Harvard-Konzept ist ein Verhandlungskonzept, das in den späten 1970er Jahren entwickelt wurde. Es legt den Schwerpunkt auf einen kooperativen, problemlösenden Verhandlungsansatz anstelle eines kontradiktorischen Ansatzes.
Eines der wesentlichen Elemente dieses Ansatzes ist es dabei, persönliche Emotionen und Wahrnehmungen von den anstehenden Problemen zu trennen. So können sich die Parteien auf eine objektive Lösung des Problems konzentrieren und persönliche Angriffe oder emotionale Reaktionen, die Konflikte eskalieren lassen, vermeiden.
Ein zweiter Punkt ist die Konzentration auf Interessen (also die zugrunde liegenden Bedürfnisse, Wünsche oder Bedenken) und nicht auf Positionen (die spezifischen Forderungen) einer Partei. Indem sie sich auf die Interessen konzentrieren, können Verhandlungsführer Gemeinsamkeiten erkennen und kreative Lösungen finden, die die Bedürfnisse beider Parteien befriedigen, anstatt sich auf bestimmte Positionen festzulegen.
„Verhandeln, um zu siegen“ – eine Rezension
Das Buch „Verhandeln, um zu siegen“ von Kurt-Georg Scheible will nun mit diesem Ansatz aufräumen. Genau deshalb habe ich mich auf dieses Buch gefreut. Denn ich erlebe in Verhandlungen immer wieder, dass das Anstreben einer Win-Win-Situation, also einer Situation, in der beide Parteien mit einem Gewinn, und nicht als Verlierer aus der Verhandlung herausgehen, nicht immer zielführend ist.
Genau das ist auch der Ausgangspunkt des Autors. Er erklärt im Rahmen der Einführung, dass es im Rahmen einer Verhandlung vielmehr darum geht, einander auf Augenhöhe zu begegnen. Eine Win-Win-Situation stellt sich oftmals als ein Kompromiss heraus. Dabei sollte das Ziel vielmehr sein, dass jeder für sich als ein Sieger aus der Verhandlung herausgeht.
Das setzt aber voraus, dass „alle Verhandlungsteilnehmer ein gutes Gefühl während der Gespräche haben und auch das Ergebnis ohne Unbehagen, ja sogar mit Zufriedenheit betrachten können; wenn alle ein Ergebnis erreicht haben, dass ihnen langfristig zum Vorteil gereicht.“ (vgl. S. 17).
Damit nun ein/ Leser/in dieses Ziel erreichen kann, werden in 9 Kapiteln die wesentlichen Elemente guten Verhandelns beschrieben. Dabei geht es los beim Briefing, über die Analyse und die Recherche sowie das Festlegen der Ziele, hin zum Training, dem Coaching und der Simulation bis schließlich zur Verhandlung und der Nachbereitung.
Kurze und prägnante Kapitel
Gut gefällt mir dabei, dass Scheible in den einzelnen Kapiteln kurz und prägnant darstellt, worum es eigentlich geht. So zeigt er, dass ohne eine sorgfältige Vorbereitung, die auch das Verhandlungsteam und die Beziehungen untereinander, sowie ohne ein klares Ziel und erkannte Alternativen eine sinnvolle Verhandlung nur schwer möglich ist.
Insbesondere macht es Sinn, das Ziel und die Wege dorthin genau zu identifizieren. Der Autor schreibt, dass „man oft mit der Vorstellung in Verhandlungen geht, es gäbe nur eine Lösung, statt sich Alternativen zu überlegen.“ (vgl. S. 33). Dem kann ich nur zustimmen.
Sehr häufig erlebe ich, dass eine Verhandlungspartei vermeintlich nur ein Ergebnis einer Verhandlung im Hinterkopf hat. Wenn sie dann aber erkennt, dass es nicht nur ein zufriedenstellendes Ergebnis gibt, sondern mehrere, dann ergeben sich plötzlich neue Verhandlungsoptionen.
Smart-Prinzip und Öko-Check
Und was das Ziel angeht, so kann man es nur immer und immer wieder sagen: es muss klar formuliert sein. In diesem Zusammenhang verweist Scheible auf das Smart-Prinzip, also dass ein Ziel spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert sein muss.
Ist es das nicht, dann liegt vielleicht eine vage Vorstellung vor, was man erreichen möchte. Es wird aber nicht greifbar. Durch die Anwendung des Smart-Prinzips wird es deutlich. Doch Scheible geht noch einen Schritt weiter. Er erweitert das Smart-Prinzip um den sogenannten „Öko-Check“ (vgl. S. 63), was für Wirtschaftlichkeit steht.
Denn hinsichtlich eines „smarten Ziels“ muss noch eine Kosten-Nutzen-Überlegung erfolgen. Das liegt in der Überlegung begründet, dass ein Ziel oftmals auch mit Risiken verbunden ist. Dem Nutzen, dem Erreichen des Ziels, stehen also Kosten gegenüber, wobei diese Kosten nicht immer rein monetär betrachtet werden müssen. Eventuell muss das Ziel dann aufgrund der Kosten überdacht werden.
Darüber hinaus beschreibt Scheible anschaulich, welche Rolle im Rahmen einer Verhandlung das Training, da Coaching und die Simulation spielen und wie sich diese von einander abgrenzen. Deutlich wird insbesondere, welchen Sinn diese einzelnen Elemente haben und wie sich auf den Erfolg von Verhandlungen auswirken.
„Verhandeln, um zu siegen“: Die Nachbereitung einer Verhandlung
Gut gefällt mir dabei, dass Scheible genau beschreibt, was eine Verhandlungspartei mit Training und was mit Coaching erreichen kann, aber auch wo am sinnvollsten mit einem Coaching angesetzt werden kann – nämlich bei den Glaubenssätzen, und nicht (erst) beim Verhalten (vgl. S. 102).
Schließlich widmet sich Scheible im letzten Kapitel der Nachbereitung einer Verhandlung. Diese ist in meinen Augen immens wichtig, wird aber oftmals vernachlässigt. Dabei geht es nicht nur um da sorgfältige Aufbereiten des Verhandlungsergebnisses, sondern auch das Festhalten von dem, was gut gelaufen ist, was nicht gut gelaufen ist und was die Gründe jeweils waren.
Eine sorgfältige Nachbereitung nämlich legt den Grundstein für Verbesserungen. Scheible unterscheidet insoweit zwischen der Sach- und der Beziehungsebene und gibt Tipps für die Optimierung zukünftiger Gesprächsverläufe durch eine sinnvolle Nachbereitung.
Viele Praxisbeispiele, wenig Tiefgang?
Zusammenfassend kann ich sagen, dass mich das Buch nicht enttäuscht hat. Es ist systematisch aufgebaut, bietet viele Beispiele aus der Praxis und konkrete Hinweise, wie man in der Praxis mehr Erfolg bei Verhandlungen erzielen kann. Darüber hinaus finden sich am Ende eines jeden Kapitels sinnvolle Zusammenfassungen der Aspekte, die in einem Kapitel angesprochen wurden.
Wenn ich zwei Dinge kritisieren müsste, dann ist das auf der einen Seite der Umfang der Ausführungen in den einzelnen Kapiteln und die fehlende Unterteilung dieser Kapitel. So wären Zwischenüberschriften in den einzelnen Kapiteln hilfreich gewesen, um die unterschiedlichen Inhalte besser trennen zu können.
Wenn man in einem Kapitel etwas sucht, dann fällt das ohne diese Zwischenüberschriften schwer. Darüber hinaus hatte ich teilweise das Gefühl, dass es zu einzelnen Aspekten in den Kapiteln noch viel mehr zu sagen gegeben hätte. Viel wurde angesprochen und auch kompakt abgehandelt, aber manchmal blieb das Gefühl, dass nur an der Oberfläche gekratzt wurde. Hier wären zumindest weiterführende Anmerkungen oder Verweise hilfreich gewesen.
Rezension: „Verhandeln, um zu siegen“ – Fazit
Auf der anderen Seite stellte sich mir am Ende des Buches die Frage, ob der Autor wirklich das Harvard-Konzept ad acta legen will. Mein Eindruck war vielmehr, dass er Elemente des Harvard-Konzeptes übernommen und weiterentwickelt hat. Insbesondere die Betonung von Alternativen, der Fokus auf die Beziehung der Verhandlungsteams untereinander und zueinander und die Klarheit über Ziel und der Strategie zeigen Ähnlichkeiten zum Harvard-Prozess.
Vielleicht ist es aber auch gar nicht nötig, sich streng vom Harvard-Konzept abzugrenzen. Am Ende, und da betont Scheible, müssen die Parteien mit einem guten Gefühl verhandeln und auf das Ergebnis blicken. Und das ist letztendlich, um was es geht. Dieses Buch hilft auf jeden Fall, Verhandlungen systematisch anzugehen. Und das macht es in meinen Augen empfehlenswert.
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