Moritz Mann hat die Unternehmen Protofy und Stadtsalat gegründet. Mit seinem ersten Start-up Feelgood scheiterte er allerdings. Im Interview verrät er, welche Gefahren Amazon birgt und welche Rolle das Scheitern auf dem Weg zum Erfolg spielt.
BASIC thinking: Hallo Moritz, mit Protofy hast du ein Start-up gegründet, das Online-Shops, Apps und Vertriebsstrategien für kleine und mittelständische Unternehmen entwickelt. Mit Stadtsalat hast du einen eigenen Lieferdienst an den Start gebracht. Wie passen und spielen diese beiden Konzepte zusammen?
Protofy und Stadtsalat sind im Bereich der digitalen Produkte und Technologie miteinander verbunden. Als wir gründeten, sollte Stadtsalat unser Proof-of-concept werden. Das heißt, wir haben die Vorgehensweise, wie wir neuartige Produkte in den Markt bringen, ausprobiert und Traktion gefunden.
Meine Mitgründer Marcus und Tom haben in der folgenden Stadtsalat-Ausgründung ein sehr erfolgreiches Unternehmen gebaut. Auf den ersten Blick stehen sich Stadtsalat als analoges Produkt und die digitalen Dienstleistungen von Protofy vielleicht konträr gegenüber.
Das Erfolgsmodell von Stadtsalat ist aber eines, das sehr stark im technischen Bereich liegt: ein vollständig datengetriebenes Geschäftsmodell. Vom nach außen sichtbaren Onlineshop, über digital gestützte Prozesse wie Nachfrage-, Produkt- und Mengenvorhersagen, eine automatisierte Routenplanung: die Möglichkeiten, die wir bei Protofy haben, haben Stadtsalat erfolgreich und effizient unterstützt.
Moritz Mann: Unternehmen sollten sich nicht von Amazon abhängig machen
Als CEO liegt dein Fokus im operativen Geschäft auf Protofy. Wie kann man im E-Commerce-Bereich mit Platzhirschen wie Amazon mithalten?
Amazon ist zunächst einmal ein krasser Orientierungspunkt und ein Vorbild dafür, wie man die Customer-Experience im Sortiment, Produktverfügbarkeit, Shop-Erfahrung, Auslieferung und Service bis zur Rückgabe in den Vordergrund stellen kann.
Gleichzeitig sehe ich aber auch eine große Gefahr darin, weil Amazon einen Großteil des E-Commerce Marktes dominiert. Andere Unternehmen sollten sich meiner Meinung nach davor schützen, sich zu abhängig zu machen.
Es ist das naheliegende Streben nach einfachen Lösungen. Amazon hat den Zugang zu den Kund:innen und bietet außerdem den kompletten Service für Lager sowie Logistik. Man sollte seine eigenen Kanäle und seine Unabhängigkeit aber nicht vergessen.
Man kann Amazon als Marktplatz durchaus in der eigenen Strategie haben. Allerdings sollten die eigenen Kanäle – eigene Infrastruktur, Online-Shops oder Mobile-Apps – nicht vernachlässigt werden.
Das heißt, ihr seht euch nicht unbedingt als Konkurrenz-Angebot zu Amazon, sondern als Ergänzung?
Es gehört zur Unternehmensstrategie zu bewerten, ob man Produkte auf Amazon anbieten möchte. Wir unterstützen Unternehmen in der Entscheidungsfindung. Was wir dabei immer empfehlen, ist die eigenen Kanäle auf keinen Fall zu vergessen und Amazon maximal als einen weiteren Kanal zu sehen.
Protofy: Eine User-Experience, die über die Basics hinaus geht
Im E-Commerce-Bereich ist die Konkurrenz groß. Was grenzt Protofy von anderen Unternehmen ab?
Ich glaube, dass es im E-Commerce einmal die Basics gibt. Die Standardflows wie Kategorien, Navigation, Suche, Warenkorb und einen Check-Out. Das ist das, was wir in allen Shops sehen und erwarten.
Spannend wird es in dem Moment, in dem die User-Experience über die Basics hinaus im Mittelpunkt steht. Starke Kundenorientierung führt uns dazu, dass die Führung durch das Sortiment und die Verzahnung von Inhalten für jede Marke, für jede Produktgattung und für jede Zielgruppe unterschiedlich sein kann.
Ein gutes Beispiel ist da immer das Musikhaus Thomann im Bereich Instrumente, Audio-Equipment und Co. Die Inhalte, die Thoman anbietet, gehen weit über das hinaus, was ich auf einer Produktseite von Amazon darstellen könnte. Es gibt eine viel bessere Beratung und spezifischere Informationen.
Bei Instrumenten oder Mikrofonen gibt es beispielsweise Tonspuren, die Kund:innen sich anhören können. Das ist ein wahnsinniger Mehrwert und gibt Sicherheit bei der Entscheidungsfindung. Und ich glaube, darin liegt der Schlüssel: Auf Kundenbedürfnisse zu schauen und individuelle Lösungen zu entwickeln. Und das ist etwas, was wir mit Protofy anbieten.
Über das Scheitern als Weg zum Erfolg
Mit deinem ersten Start-up „Feelgood“ bist du im Jahr 2014 gescheitert. Was läuft nun anders?
Grund des Scheiterns war, dass wir das Thema Kundenzentrierung nicht im Blick hatten. Wir glaubten es zwar, aber wir hatten es nicht. Wir hatten schon eine Vision, die vielleicht auch heute noch zu einem interessanten und relevanten Geschäftsmodell führen könnte.
Es ging um individualisierte Ernährungs- und Fitnesspläne, die wir in einer App im Abo anbieten wollten. Wir sind dann aber in die Falle gelaufen, es zu perfekt machen zu wollen. Wir haben uns über ein Jahr Zeit genommen, um Inhalte und App zu entwickeln und das Produkt vermeintlich zu perfektionieren.
Das Problem dabei war, dass wir zu spät daran gearbeitet haben, die Validierung für unser Produkt zu erlangen – wird das Produkt so wirklich benötigt und können Kund:innen damit in ihrem Alltag arbeiten?
Was heute anders läuft, ist, dass wir diesen Moment möglichst früh setzen, um Daten zu sammeln und unsere Produkte erfolgreich auf den Markt zu bringen.
Erfolg, Scheitern und Fehlerkultur
Welche Rolle spielt das Scheitern für dich als Weg zum Erfolg?
Ich betrachte Scheitern als Weg des Lernens, um Erfahrung zu sammeln. Dabei ist es egal, ob ein Geschäftsmodell scheitert oder ob es Anpassungen bedarf. Wir sind immer dabei zu lernen und Feedback zu sammeln.
Aus der Erfahrung mit Feelgood habe ich gelernt, dass es der falsche Weg ist, zu lange Produkte im stillen Kämmerlein zu entwickeln. Das Scheitern ist deshalb ein essentieller Bestandteil von dem, wie ich heute persönlich bin, wie ich arbeite und auch wie Protofy vorgeht. Und das möchte ich nicht missen.
Welche Rolle spielt die Fehlerkultur in deinen Unternehmen?
Fehler gehören dazu. Über Feelgood durfte ich genau das lernen und kann sagen, dass es nichts Schlimmes ist. Ganz im Gegenteil: Ich bin dankbar für das, was ich lernen durfte.
Wichtig dabei ist zu abstrahieren, wie ich mein Vorgehen anpassen kann. Und erst wenn man sowohl in großen als auch kleinen Fragen mit Fehlern umgehen kann, kommt man voran.
Das stellen wir auch im Team und in unserer Unternehmenskultur fest. Wir haben wenig Angst vor Fehlern und vor dem Scheitern und dadurch ein besseres Miteinander.
Die Start-up-Kultur in Deutschland: „Ausgewogen mit Verbesserungspotential“
Du hast Stadtsalat in kürzester Zeit gegründet. Wie blickst du grundsätzlich auf die Start-up-Kultur in Deutschland. Man hört und liest ja immer wieder, dass das Setting zu bürokratisch sei.
Ich glaube, dass wir in Deutschland einen guten, aber nicht den idealen Standort haben, um ein Unternehmen zu gründen. Zu nennen wären die nicht-digitalen, bürokratischen Prozesse. In anderen Ländern kann ich ein Unternehmen online von heute auf morgen gründen und direkt loslegen. Bei uns ist das ein Prozess, der länger dauert.
Auch beim Thema Mitarbeiterbeteiligungen haben wir einen Nachteil. Gleichzeitig ist Deutschland ein Standort, an dem wir aber auch für vieles dankbar sein können – vor allem, was unsere Bildung, unser Sozialwesen und unsere so oft hinterfragte Infrastruktur angeht. Unternehmen zehren auch von all diesen Faktoren. Ich sehe das Thema also ausgewogen mit Verbesserungspotential.
Welche Rolle spielen die aktuelle Inflation und Wirtschaftskrise auf Start-up-Ebene?
Wir beobachten gespannt, gar angespannt, die Entwicklungen. Viele Start-ups, die allein Wachstum priorisiert haben, stellen sich in diesen Monaten um. Der finanzielle Runway spielt eine größere Rolle, Profitabilität wird priorisiert. Auch wir im Agentursegment sehen in unserem unmittelbaren Umfeld Veränderungen.
Wir hatten, was die Digitalisierung angeht, zwei Boomjahre, viele Unternehmen sind große Investitionen angegangen. Aktuell gibt es eine größere Vorsicht, Entscheidungen werden sehr bewusst abgewogen. Wir haben insgesamt eine ganz gute Balance aus langjährigen Bestandskunden und einigen Neukunden, die wir trotz der Krise gewinnen konnten.
Führt die Entlassungswelle zu einer Gesundung im Markt?
Vor allem in der Tech-Branche rollt momentan eine Entlassungswelle. Viele Unternehmen handhaben das unterschiedlich. Wie gehst du mit dem Thema um?
Von außen betrachtet ist es interessant zu beobachten, wie die unterschiedlichen Unternehmen mit den Veränderungen im Markt umgehen – und ja tragischerweise auch mit Entlassungen.
Ich nehme wahr, dass Transparenz und Klarheit enorm wichtig sind. Wertschätzung für die Mitarbeitenden, die die Unternehmen begleitet haben – zum Beispiel in Form von Hilfestellung bei der Jobsuche. Die Entwicklung finde ich auch insofern spannend, dass sie gewissermaßen auch zu einer Gesundung im Markt führt.
Denn was die teilweise verrückten Unternehmensbewertungen angeht, die oft kaum auf Profitabilität ausgelegt waren, findet offenbar ein Umdenken statt. Und das schätze ich als positiv ein, denn es kann letztlich auch zu mehr Nachhaltigkeit in den Unternehmen führen.
Vielen Dank für das Gespräch, Moritz.
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