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Interview: Es geht nicht um Gleichberechtigung im Job, sondern um Anerkennung für die geleistete Arbeit

Gleichberechtigung Female Empowerment PMI
Pixabay.com / StockSnap

Was ist Female Empowerment? Welche Einfluss haben Führungskräfte? Und geht es wirklich nur um Gleichberechtigung? Über diese wichtigen Fragen haben wir uns mit Angelika Collisi unterhalten. Die selbstständige Projektmanagerin hat nicht nur ihr eigenes Unternehmen aufgebaut, sondern engagiert sich auch im Chapter des Projekt Management Institut (PMI).

BASIC thinking: Hallo Frau Collisi, wir freuen uns auf das Gespräch, danke für Ihre Zeit! Sie sind selbständige Projektmanagerin mit einem eigenen Unternehmen und setzen sich gleichzeitig für Vereinbarkeit von Arbeit und Care Arbeit ein. Erzählen Sie uns gerne mehr von Ihnen und Ihren Projekten.

Angelika Collisi: Sehr gerne! Ich bin seit über 15 Jahren in Digitalisierungsprojekten als Projektleiterin, Change Managerin und Coach unterwegs. Dabei habe ich globale Software-Rollouts in DAX-Konzernen geleitet und bei TeleCovid Hessen die Vernetzung von 78 Kliniken für die Digitalisierung von Intensivkonsilen geführt.

Als Coach begleite ich Führungskräfte im Projekt – Projektleiter:innen in IT und Fachbereich, Scrum Master und Business Analyst:innen. Die Herausforderungen sind dabei häufig dieselben: Menschen davon zu überzeugen, ihr Verhalten zu ändern und gemeinsam an einem Ziel zu arbeiten.

Female Empowerment ist seit einigen Jahren in aller Munde. Meinen Sie, wir haben so langsam eine nachhaltige Verbesserung erzielt?

Ich denke, wir haben noch einen langen Weg vor uns. Solange Ehrgeiz bei Männern und Frauen unterschiedlich bewertet wird und sich Frauen anstrengen müssen, um möglichst akzeptables Verhalten zu zeigen, während ihre natürlichen Verhaltensweisen als unprofessionell gelten, sind wir noch weit entfernt von einer nachhaltigen Veränderung. Wir brauchen nicht nur Female Empowerment, sondern eine Integration von verschiedenen Verhaltensweisen, die als männlich oder weiblich gelten.

Führungskräfte haben Einfluss auf Vereinbarkeit von Arbeit und Care Arbeit

Wie nehmen Sie es in Ihrer täglichen Arbeit wahr: Nehmen alle Arbeitgeber die Vereinbarkeit von Arbeit und Care Arbeit ernst? Oder gibt es immer noch viele Vorurteile?

Das ist sehr individuell. Nach wie vor hat die direkte Führungskraft den größten Einfluss darauf, wie Vereinbarkeit anerkannt und umgesetzt wird. Vorurteile bestehen weiter, die Diskussion ums Home Office in Corona-Zeiten hat das nur transparent gemacht. 

Haben Sie Tipps, wie Frauen in der Praxis für mehr Gleichberechtigung in ihrem Job kämpfen können?

Ich halte das für das falsche Ziel. Es sollte nicht per se um „ich will mehr Gleichberechtigung“ gehen, sondern um „ich will anerkannt werden für meine Leistung“, „ich will ein angemessenes Gehalt für meine Leistung“ und „ich will gefördert und befördert werden, wenn ich mich um eine höhere Position bewerbe“.

Jede Frau muss in der Praxis zunächst für sich selbst um die Anerkennung für ihre Leistung kämpfen. Erst wenn sie Einfluss gewonnen hat, kann sie sich für mehr Gleichberechtigung für alle einsetzen, und das hoffentlich unabhängig vom Geschlecht.

Sie sind zusätzlich auch als Coach im Rahmen des PMI Chapters Deutschland tätig. Geben Sie uns gerne einen Einblick in Ihre Arbeit.

Ich habe mich in der Vergangenheit im Vorstand des PMI Frankfurt Chapter engagiert, und in den letzten Monaten die Vorbereitungen für den nächsten PM Summit geleitet. Ich bin davon überzeugt, dass Projektmanagement eine Kernkompetenz fürs Leben ist, und unterstütze die Arbeit des PMI gern.

Frauen führen und verhandeln anders als Männer

Wie ist Ihr Eindruck: Sind schon viele Führungskräfte sensibilisiert für die Herausforderungen, denen Frauen tagtäglich begegnen oder bedarf es eines speziellen Coachings?

Zuerst einmal hoffe ich sehr, dass Sie mit den „Herausforderungen, denen Frauen tagtäglich begegnen“ nicht nur die Care Arbeit meinen. Denn das würde Frauen wieder auf die Rolle Caregiver beschränken, und den Vorurteilen Vorschub leisten.

Tatsächlich bin ich hin und hergerissen. Einerseits finde ich es traurig zu sagen, dass wir Führungskräfte schulen müssen, um die „armen Frauen“ besser zu verstehen – das hat den falschen Klang. Andererseits treten Frauen anders auf, sie führen und verhandeln anders als Männer und treten anders für sich ein.

Dadurch passen ihre Talente und Führungskompetenzen nicht immer ins männliche Bewertungsraster – vielleicht nennen wir das lieber maskulines Bewertungsraster. Es geht mir nämlich nicht um die bewertenden Personen als Männer, sondern um das maskuline Denkmuster, das das Bewertungsraster bildet. 

Abschließend würden wir gerne wissen, was Sie denken: Was muss sich genau verändern, damit es dauerhaft nicht mehr zu der Ungleichheit zwischen Frauen und Männern im Job kommt?

Wir brauchen eine offene Grundhaltung für Kooperation, die Fähigkeit, in heterogenen Teams zusammen zu arbeiten, und viel mehr Training in echter Führung, die sich nicht an Positionen und Titeln festmacht sondern an Gruppensteuerung auf ein Ziel hin, an Moderation und Anleitung. Dann ist es egal, ob Business mit IT zusammenkommt, Männer mit Frauen mit nicht-binären Menschen, Ingenieure mit Marketing-Spezialisten oder Europäer mit Menschen aus anderen Regionen.

Das patriarchale Denken mit Hierarchien, Linien-Organisation, Silo-Bildung und der Förderung von gleichartigen old-white-male Stereotypen tut sich schwer damit, und es ist noch immer weit verbreitet. Aber die verkrusteten Strukturen brechen langsam auf, und ich unterstütze alle Menschen, die hier neues Denken und frischen Wind reinbringen.

Vielen Dank für das Gespräch!