In der Serie „Start-up-Check!“ nehmen wir die Geschäftsmodelle von Start-ups unter die Lupe. Heute werfen wir dabei einen Blick in den sozialen Sektor. Wie profilieren sich Start-ups in diesem Bereich und was macht sie so besonders? Heute: Das soziale Online-Trinkgeld-Unternehmen Tip Me.
Soziale Unternehmen – das hört sich sehr nach Philanthropie an. Und gerade deshalb ist es interessant darauf zu blicken, warum Menschen ein Unternehmen starten, um damit Gutes zu vollbringen UND Geld zu verdienen.
Seitdem sich die Nachfrage nach guten, sinnvollen nachhaltigen Produkten bei den Verbrauchern erfreulicherweise ganz gut entwickelt hat, spielt auch ein ganz bestimmter Unternehmer-Typus auf dem Markt eine immer größere Rolle: der soziale Unternehmer – zum Beispiel in Gestalt von Jonathan Funke.
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Funkes Ziel ist es, bei Marktteilnehmern über Tip Me einen Impact für den gesamten Markt zu bewirken. Das beginnt beim Einkauf von Textilprodukten bei jeweiligen Partnern. Verbraucher können dabei Mitarbeiter in der Herstellung, die sich üblicherweise in Entwicklungsländern auf der Südhalbkugel befindet, ein Trinkgeld geben, das zu 100 Prozent bei den Arbeitern ankommt.
Auf diese Weise erzielt Tip Me einen Impact, der den Unterschied macht: Bei dem Arbeiter vor Ort, der gerechter bezahlt wird, bei dem Herstellungsbetrieb, dessen Fortbestand durch die Bestellung gesichert wird und beim Verbraucher selbst, der durch die Spende sein gutes ethisches Verhalten untermauert.
In diesem Streben nach globaler Gerechtigkeit steckt auch das Potential von Tip Me: das Leben von Millionen von Menschen auf dem Globus zu verbessern.
Wer steckt hinter Tip Me?
Jonathan Funke, Gründer und CEO von Tip Me, ist ein Paradebeispiel für die Generation Z. Sie vereint die Kritik an neoliberalen Globalisierungsprinzipien rein kapitalistischer Produktionsweisen sowie deren soziale und ökologische Folgen, die ja nun die Generation Z sowie deren Folgegenerationen de facto auszubaden haben.
Zum Beispiel mit Unternehmen, die soziale, nachhaltige und sinnvolle Ziele mit wirtschaftlichen Ambitionen verbinden. Funke, Mitte 20, ist in dieser Hinsicht ein alter Hase und verfügt über reichlich Berufserfahrung. Man mag es kaum glauben, aber bereits im Alter von fünf Jahren gründet er die später mit zahlreichen internationalen Auszeichnungen überhäufte Kinder-Radiostation Radijojo!
Ok, gemeinsam mit seinem Vater zwar, weil es halt ohne „Vormund“ in diesem Alter eben nicht anders geht. Als Kinderreporter interviewt er in dieser Zeit unter anderem die Verhaltensforscherin Jane Goodall und Songwriterin Joan Baez. Das hinterließ offensichtlich einen derart bleibenden Eindruck und vermittelte Funke die Überzeugung, dass nichts unmöglich ist.
Infiziert von dieser intrinsischen Motivation, einen Unterschied zu machen, gründet Jonathan Funke nach diversen Projekten 2018 Tip Me. Unterstützt wird er dabei von Helen Deacon, Head of International Cooperation, sowie von CFO Renan Compagnoli.
Was macht Tip Me?
Wie gesagt: Unternehmensziel von Tip Me ist es, die negativen Folgen der Globalisierung auszugleichen, die ja gerade in der westlichen Textilindustrie ganz eklatant zum Vorschein getreten sind. Wir erinnern uns alle an das Desaster in Bangladesh, wo vor nunmehr neun Jahren beim Einsturz einer baufälligen Nähfabrik 1.134 Menschen ums Leben kamen.
Sie wurden dazu gezwungen, unter lebensbedrohlichen Bedingungen und zu vergleichsweise – man kann es nicht anders sagen – unterirdischen Löhnen zu arbeiten. Und genau in diesem Wirtschaftssektor sieht Tip Me aktuell wohl auch seinen Markt. Im Vordergrund steht deshalb die Akquise möglichst vieler „visionärer Modemarken“, wie Tip Me selbst sagt.
Acht Modelabels haben sich bereits angeschlossen
Seit dem offiziellen Unternehmensstart am 2. September 2021 haben sich acht Labels dem Geschäftsmodell angeschlossen – allesamt Modeunternehmen, die sich ethischen Arbeits- und Produktionsgrundsätzen verschrieben haben. Die Zusammenarbeit mit Tip Me basiert auf der Basis einer selbstentwickelten Software, die in den Check-out-Prozess integriert wird.
Damit können Kunden der Tip Me-Partner-Shops beim Bezahlen ein Trinkgeld geben, das direkt an die Mitarbeiter vor Ort, derzeit etwa nach Vietnam, Indien oder Pakistan, geht. Für die Nutzung dieser Lösung entrichten Brands eine monatliche Gebühr sowie eine traffic- und salesabhängige Provision an Tip Me, durch die sich das Unternehmen im Wesentlichen monetarisiert.
Technisch lässt sich die Software binnen 30 Minuten in jeden Online-Shop integrieren. Tip Me hinterlegt Belegschaften, Mitarbeiter für Mitarbeiter, mit Foto und kurzer Bio im Check-out eines Partner-Shops. Dadurch versenden Online-Shops weltweit Trinkgelder an Arbeiterinnen und Arbeiter. Die Transaktionen überwacht ein Payment-Provider.
Was macht Tip Me so besonders?
Die Transparenz in Lieferketten erlebt ja vor allem in der Textindustrie einen großen Aufschwung. Immer mehr Modemarken veröffentlichen die Standorte ihrer Fabriken und setzen auf etwa auf Nachhaltigkeitszertifikate, die etwa die Einhaltung bestimmter sozialer oder ökologischer Mindeststandards transparent machen.
Die Lösung von Tip Me geht aber noch einen Schritt weiter. Per WhatsApp und Co. ist das Unternehmen direkt und weltweit mit den Arbeitern in der Produktion verbunden. Treten also Probleme am Arbeitsplatz auf, können Mitarbeiter das Team per WhatsApp direkt kontaktieren.
Auf diese Weise fungieren die Arbeiter selbst als Qualitätskontrollinstanz. Das reduziert einerseits globale Ungleichheit und verbindet andererseits über die Tip Me Funktion Konsumenten und Hersteller direkt miteinander. Das Konzept ist ein Erfolg. Immerhin schon 40 Prozent der Kunden geben in den Partnershops zusätzliches Trinkgeld.
30 Millionen Euro für 140.000 Arbeiter und deren Familien
Auf diese Weise will das Unternehmen bis 2025 30 Millionen Euro Trinkgeld für etwa 140.000 Arbeiter und deren Familien sammeln. Für dieses angestrebte Wachstum benötigen Funke und sein Team ein Startkapital von 500.00 Euro. Die Mittel akquiriert Tip Me allerdings nicht von klassischen Venture-Capital-Investoren.
Stattdessen kommt das Geld per Crowdinvesment aus der Community – bis dato sind es etwa 112.000 Euro. Die Besonderheit dabei: Als „purpose driven company“ kann Tip Me deshalb auch nicht verkauft werden. Die Investitionssummen starten bei 100 Euro, nach oben gibt es keine Grenzen.
Die Rechnung ist einfach: Pro 1.000 Euro Investment sammelt Tip Me eigenen Berechnungen zu Folge 66.530 Euro Trinkgeld ein, die direkt an Arbeiter gehen. Investoren leihen der Organisation das Geld dabei über fünf bis zehn Jahre. Bei einem Zinssatz von beachtlichen 7 Prozent erhalten sie am Ende der Laufzeit 2.050 Euro zurück.
Hauptmotivation für diese Investitionsstrategie ist der „Impact“. Investitionen, die in der Community gesammelt wurden, fließen auch dorthin wieder zurück. Das alles natürlich unter der Voraussetzungen, dass sich kontinuierlich neue Partner-Shops für Tip Me entscheiden.
Gibt es Kritikpunkte?
„Der Erwerb dieser Vermögensanlage ist mit erheblichen Risiken verbunden und kann zum vollständigen Verlust des eingesetzt Vermögens führen.“ Dieser gesetzlich vorgeschriebene Passus ist quasi überall auf der Tip Me-Homepage zu lesen.
Dabei punktet das Unternehmen durchaus durch das Charisma seines Gründers und dessen charmanter Idee, die Welt, für die Menschen in strukturschwachen Gebieten, gerechter zu machen. Wer will das nicht? Das ist sehr ehrbar.
Allerdings durchlebt dieser Planet gerade zwei globale Krisen, der, obwohl er es gerade jetzt müsste, für Werte wie soziale Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit oder Umweltschutz nur wenig Platz lässt. Krieg und Corona schaffen vielmehr Fakten und Realitäten, die sich rational nicht begründen lassen.
Das wirkt sich auch auf das Investitionsklima aus. Aus diesem Grund steht Tip Me meiner Meinung nach vor einer sehr herausfordernden Zukunft, sofern es nicht gelingt, möglichst schnell viele zusätzliche ethische Modelabels zu akquirieren oder sogar die eine oder andere große Marke von einer Zusammenarbeit mit Tip Me zu überzeugen. Das dürfte gerade für potenzielle Investoren ein positives Signal darstellen.
Fazit: Das Online-Trinkgeldsystem Tip Me
Aber gerade große Modemarken strukturieren ihre Textilproduktion gerade um. C&A etwa verlagerte seine Jeans-Herstellung bereits nach Deutschland, viele deutsche Moderversand-Labels wie Mey und Hedlich lassen etwa in Portugal herstellen. Hintergrund: weltweite Lieferengpässe.
Sie zwingen Unternehmen dazu, ihre Supply Chains zu überdenken und sie weiter zu diversifizieren. Mitunter heißt das auch, Teile der Produktion wieder näher an den Heimatstandort zu holen. Das bedroht etwa Arbeitsplätze in Asien. Also auch jene der Näherinnen und Näher in der dortigen Textilindustrie, an die sich soziale Unternehmen wie Tip Me überwiegend richten.
Hier ist Flexibilität gefordert. Sich nicht nur auf die Textilindustrie zu konzentrieren, sondern Partner aus weiteren Wirtschaftssektoren wie etwa der Mikro- und Unterhaltungselektronik, der Touristik oder der metallverarbeitenden Industrie zu erschließen, ist eine Strategie, mit der Tip Me in ruhigere Fahrwasser gelangen könnte. Die größte Herausforderung dürfte hier in der Anpassung und Skalierung der Software auf komplexe Supply Chains liegen.
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