Am 8. März 2022 ist Internationaler Weltfrauentag. Viele Unternehmen starten dann wieder Kampagnen, die mehr Geschlechtergerechtigkeit versprechen. Doch hilft das der Sache? Oder: Wird der Weltfrauentag als Marketing- und PR-Maßnahme missbraucht?
International Women´s Day: Genau wie am Tag der Vielfalt am 18. Mai viele Unternehmen im vergangenen Jahr rasch einmal kurz die Regenbogenflagge gehisst haben, werden wir auch zum Weltfrauentag wieder viele Kampagnen, Aktionen und Absichtserklärungen hören und sehen, die uns Frauen feiern und mehr Geschlechtergleichheit versprechen.
Ich frage mich: Nützt das der Sache der Frauen etwas? Bringen diese Aktivitäten mehr Fairness zwischen Männern und Frauen in die Wirtschaft? Oder sind sie vielleicht sogar eher schädlich?
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Weil die Entscheider (und ich verzichte hier bewusst auf das Gendern) der Unternehmen, die diese Aktionen und Kampagnen veranstalten, dann gedanklich ein Häkchen machen und sich sagen: „Guck mal, jetzt haben wir doch Tausende von Euro in diese Kampagne investiert und der Welt gezeigt, wie sehr wir Frauen wertschätzen. Thema Gender Equality: erledigt!“
Ich will mich keinesfalls gegen kreative und innovative Kampagnen zum Weltfrauentag stellen. Als Kommunikationsexpertin liebe ich gute Kampagnen! Sie sollten aber in dem Sinne nachhaltig sein, dass sie für Werte stehen, die in den Unternehmen auch gelebt werden – und zwar an 365 Tagen im Jahr.
Der Weltfrauentag wird meines Erachtens von zu vielen Firmen als Marketing- und PR-Anlass missbraucht. Mich begeistern Unternehmen, in denen Diversität nicht Teil der Kommunikationsstrategie, sondern des Mindsets ist. Die Frauen „empowern“ und nicht nur hochleben lassen. Die sie nicht auf einen Sockel heben, sondern in den Chefsessel setzen.
Weltfrauentag 2022: Eine PR-Show ohne Nachhaltigkeit
Dass der Weltfrauentag ein Anlass ist, den man kommunikativ nicht verpassen darf, haben die meisten Marketingverantwortlichen inzwischen auf dem Zettel. Er hat sich zu einer festen Instanz in vielen Redaktionsplänen entwickelt.
Bei der Umsetzung der Kommunikations-Kampagnen geht aber leider einiges schief. Erinnert ihr euch noch an das Vorstandfoto von Engel & Völkers, das 2019 viral ging? Zum Weltfrauentag sprach der neue Vorstand über weibliche Vorbilder. Kleiner Schönheitsfehler: Das frisch besetzte Gremium bestand ausschließlich aus Männern.
Selbst wenn solche Fettnäpfchen vermieden werden, muss ich leider konstatieren, dass die meisten Kampagnen zum Weltfrauentag schlicht nicht nachhaltig sind. Sie sind klassische Beispiele für Pink Washing, weil sie nicht die Realität der Unternehmen abbilden und deshalb auch nicht langfristig das Image prägen.
Mit meinen Agenturkolleg:innen habe ich die vom Fachmagazin W&V ausgezeichneten Top 18 Kampagnen zum Weltfrauentag von 2021 einem Check unterzogen. Wir haben sie stichprobenartig analysiert und geprüft*, inwiefern sie – unabhängig vom Weltfrauentag – über den Jahresverlauf mit Leben gefüllt wurden. Dabei sind wir zu dem ernüchternden Ergebnis gekommen, dass der Großteil der Kampagnen den Weltfrauentag in unseren Augen nicht überlebt haben.
Genauso wie eine Partnerschaft nicht dadurch besser wird, dass man seinem Partner oder seiner Partnerin einmal im Jahr zum Valentinstag Blumen schenkt, so wird auch ein Unternehmen nicht dadurch als Arbeitgeber für Frauen attraktiver, dass es sie einmal im Jahr feiert.
Positiv-Beispiele für glaubwürdige und nachhaltige Kampagnen
Zum Glück gibt es auch positive Beispiele, und denen möchte ich etwas mehr Raum geben. Die folgenden Kampagnen sind mir im Gedächtnis geblieben, weil sie kreativ sind, den Weltfrauentag überlebt haben und nachhaltig gelebt wurden und noch gelebt werden.
Mercedes punktete 2019 mit einer aufwändiger Hommage an Automobilpionierin Bertha Benz: Ohne Bertha Benz würde es Mercedes-Benz heute wohl nicht geben. Deshalb widmet ihr die Automarke zum Weltfrauentag einen ermutigenden und inspirierenden Film.
MyPostcard x TERRE DES FEMMES mit #IamChampion: In ihrer gemeinsamen Kampagne riefen die Organisationen Frauen zu Mut und Selbstliebe auf. 25 Frauen erzählen im Kampagnenvideo, was genau sie als Kämpferinnen ausmacht. Für jede versendete Karte spendet MyPostcard den Gewinn an die Frauenrechts-Organisation Terre des Femmes.
„Sie trägt sich selbst auf Händen“ von der Kölner Gründerin des Start-ups Femtasy. Die Plattform für Audioporn hat 2021 auf Instagram zum Weltfrauentag ein Video geteilt, in dem gesagt wird, dass alle Frauen einzigartig sind. Die Kampagne ist schön, einzigartig, mutig, leise und gleichzeitig sehr stark.
Lego fragt in einem emotionalen Spot „How do we get girls ready for the world?” und beantwortet sich selbst die Frage: „Girls have always been ready. Now it´s time for the world to get ready for them.”
Und, ganz simpel: In meiner Heimatstadt Köln wurde die größte Tageszeitung für einen Tag vom „Kölner Stadtanzeiger“ zur „Kölner Stadtanzeigerin“ – ein Beispiel, das ich sehr gemocht habe.
Woher kommt der Weltfrauentag und wo steht er heute?
Um die Gegenwart zu verstehen, ist es m. E. wichtig, einen Blick in die Historie des Weltfrauentages zu werfen: Ursprünglich steht der 8. März für den Kampf gegen Vorurteile und für Gleichberechtigung, nicht für Geschenke in Form von Unterwäsche und Blumen. Der von Clara Zetkin im Jahr 1910 ins Leben gerufene Tag ist eine sozialistische Erfindung, die auf einen Streik von tapferen Textilarbeiterinnen im Kampf um Gleichberechtigung, das Wahlrecht für Frauen sowie die Emanzipation von Arbeiterinnen zurückgeht.
In Deutschland beschloss die rot-rot-grüne Landesregierung in Berlin 2019 als erstes und einziges Bundesland, den 8. März zum Feiertag zu erklären. „Wie kein anderes Datum steht der 8. März für den langen Weg hin zur Gleichstellung der Geschlechter“, erklärte der Regierende Bürgermeister Michael Müller die Entscheidung.
Während manche fordern, dass der Weltfrauentag deutschlandweit ein Feiertag wird, verlangen andere wie Alice Schwarzer gar seine Abschaffung: „Der 8. März gehört einfach abgeschafft!“ Sie plädiert für „365 Tage für Menschen – und die Tiere und die Natur gleich dazu“ und fügt hinzu: „Der Frauentag ist eine symbolische Schmeichelei statt der realen Gleichberechtigung.“
Wir sind weit von Gender Equality entfernt
Wie viel Wahrheit in der Kritik steckt, der Weltfrauentag könnte ein Ablenkungsmanöver sein, um Frauen Wertschätzung vorzugaukeln, aber echte Gleichberechtigung vorzuenthalten, zeigt ein anderer Aktionstag, der in Unternehmenskampagnen deutlich weniger gefeiert wird.
Direkt am Vortag des Weltfrauentag, dem 7. März, ist der Equal Pay Day, der internationale Tag für Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern. Er macht auf den bestehenden Gender-Pay-Gap aufmerksam und markiert symbolisch die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern. Die unbereinigte Entgeltdifferenz beträgt im Durchschnitt 21 Prozent, was einem Zeitraum von 77 Kalendertagen im Jahr entspricht. Das heißt: Bis zum 7. März arbeiten Frauen im Vergleich zu Männern umsonst!
Der Global-Gender-Gap-Bericht des Weltwirtschaftsforums (WEF) zeigt, dass wir bei gleichbleibender Geschwindigkeit noch 133 Jahre brauchen, um den Gender Gap zu schließen. Das ist doch mal eine gute Nachricht für die überüberüberübernächste Generation!
Aber man muss gar keine aufwändigen Lohnberechnungen anstellen, um zu sehen, wie weit wir noch von einer selbstverständlichen Gleichberechtigung entfernt sind. Vor einigen Tagen hat ein Foto von einem CEO-Lunch im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz viel Aufmerksamkeit in den sozialen und journalistischen Medien erregt.
Dort sind die Wirtschaftsspitzen am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz bei einem Mittagessen im Bayerischen Hof zu sehen. Keine einzige Frau oder Person of Color sitzt mit am Tisch. Das ist die Realität im Jahr 2022.
Aber es besteht auch Anlass zur Hoffnung!
Die Überzeugung, dass Diversität handfeste Vorteile für Unternehmen bietet, wird sich trotzdem Schritt für Schritt durchsetzen. Davon bin ich überzeugt. Und sei es schon schlicht deswegen, weil man sich in Zeiten des Fachkräftemangels gar nicht erlauben kann, auf 50 Prozent der potenziellen Arbeitskräfte zu verzichten.
Sehr optimistisch stimmt mich die Tatsache, dass die neue Bundesregierung nun tatsächlich für Gleichstellung auch auf Top-Level in Europa eintritt. Am 17. Februar beschloss sie, in der EU-Rat Sitzung am 14. März für die europäische Führungspositionsrichtlinie zu stimmen.
Damit beendet Deutschland seine langjährige Blockadehaltung innerhalb der EU.
Mit der Richtlinie werden neue Impulse für die Gleichstellung in der EU gesetzt und verbindliche Standards für gleichberechtigte Teilhabe geschaffen. Das Ziel der Richtlinie: 40 Prozent Frauen in Aufsichtsräten oder 33 Prozent in Aufsichtsräten und Vorständen.
Weltfrauentag: Der schmale Grat zwischen emotionaler Ansprache und PR-Debakel
Female Empowerment, Diversity und Gender Equality spielen in meinen Augen in der Werbewelt völlig zurecht eine immer größere Rolle. Und deshalb ist es auch gut, wenn es Anlässe wie den Weltfrauentag gibt, die die Wirtschaft und die Gesellschaft immer wieder daran erinnern, wie viel bereits für die Gleichberechtigung erreicht wurde, aber auch daran, welcher lange Weg noch zu gehen ist.
Kommunikationskampagnen können Inspiration liefern, sie können Frauen ermutigen, selbstbewusster im Job zu agieren und aufzeigen, dass sich Vielfalt für Unternehmen lohnt.
Mein Wunsch ist nur, dass wir Frauen und weibliche Vorbilder das ganze Jahr über feiern und dass wir an 365 im Jahr für Gleichberechtigung, Fairness und Wertschätzung zwischen den Geschlechtern eintreten.
#KeinevonVielen
So mache ich dieses Jahr mit meinem „Macherinnen“- Netzwerk, das ich 2019 kurz vor der Pandemie gegründet habe. Anlässlich des Weltfrauentages starten wir damit, Kölnerinnen aus verschiedenen Branchen in die Sichtbarkeit zu bringen. Unsere Botschaft: Wir sind KEINE VON VIELEN.
Alle Frauen aus dem Netzwerk präsentieren einen Fakt über eine Branche, in der Frauen unterrepräsentiert sind. Zu sehen sind die Botschafterinnen ab dem 8. März auf den digitalen Billboards des Out-Of-Home Spezialisten Ströer in Köln. Das ist aber nur der Startschuss, denn die Kampagne wird auch über den Tag hinaus ganzjährig weiteren Kölnerinnen ein Gesicht geben und damit nachhaltig wirken.
In diesem Sinne hoffe ich in diesem Jahr auf intelligente Kampagnen, die von echten Change-Prozessen in Unternehmen berichten, die authentisch und nachhaltig helfen, die Kultur des betreffenden Unternehmens zu verändern oder Impulse setzen.
Hier sehe ich eine wichtige Aufgabe von externen Kommunikationsberater:innen. Wenn wir Kampagnen für Unternehmen entwickeln, fragen wir neben den Kommunikationszielen auch immer nach den Proof Points: Wie können wir das Image, dass ihr in der Öffentlichkeit zeigen wollt, glaubwürdig belegen?
Wir planen dann die Kommunikation anhand realer Anlässe, Projekte und Personen. Und kreieren so Kampagnen, die neben externen Stakeholdern auch die Mitarbeitenden emotional erreichen und überzeugen. Wenn das gelingt, freuen wir uns auch über Blumen zum Weltfrauentag.
*Geprüft wurden: Wiederaufnahme des Kampagnen-Motivs in den Instafeed über den Jahresverlauf, Mehrfach-Nutzung des Kampagnen-Hashtags, Tab/Link auf Webseiten-Menü.
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