Der deutsche Bundestag und die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) haben sich für eine 3G-Regelung in Bus, Bahn und Flugzeug ausgesprochen. Mit der Zustimmung des Bundesrats gilt dann 3G im ÖPNV. Das ist zwar nachvollziehbar, trifft allerdings die falschen Menschen. Ein Kommentar.
3G im ÖPNV in Deutschland kommt
Der deutsche Bundestag und die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) haben am Donnerstag, den 18. November 2021, weitreichende Neuerungen beschlossen, um die Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland zu verlangsamen.
Mit der Zustimmung des Bundesrats am Freitag, den 19. November 2021, tritt auch eine Maßnahme in Kraft, die fast alle Menschen betrifft und neu ist: So führen die Parteien in Deutschland eine 3G-Regel im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) ein.
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Was bedeutet 3G im ÖPNV?
Konkret bedeutet das, dass nach der Verabschiedung durch den Bundesrat, die sogenannte 3G-Regel auch im ÖPNV gilt. 3G ist die Abkürzung für geimpft, genesen oder getestet.
Das heißt: Wer mit dem Bus, der Straßenbahn, der S-Bahn, dem Regional-Express oder dem ICE fahren will, muss entweder geimpft oder genesen sein oder einen tagesaktuellen Antigen-Schnelltest vorweisen, der nicht älter als 24 Stunden ist.
Betroffen sind jedoch nicht nur regionale Angebote und die Deutsche Bahn, sondern auch Flugzeuge, wie sich inzwischen herauskristallisiert hat. Neben dem Nachweis des 3G-Status ist außerdem das Tragen einer medizinischen Maske verpflichtend.
Wie wird 3G in Zug, Bus und Flugzeug kontrolliert?
Soweit sind die Pläne der Parteien und der Ministerpräsidenten nachvollziehbar. Schließlich zeigt sich insbesondere im ÖPNV, dass immer weniger Menschen eine Maske tragen und somit das Risiko für Infektionen deutlich steigt.
Allerdings ist die Einführung von 3G im ÖPNV auch ein nicht zu bewältigender Kraftakt. Deshalb hat schon (Noch-)Kanzlerin Angela Merkel bei der MPK gesagt, dass die 3G-Regeln in Bussen und Bahnen stichprobenartig kontrolliert werden sollen.
3G im ÖPNV: Ein logistischer Super-GAU
Flächendeckende Kontrollen sind logistisch unmöglich. Schließlich würde dies letztendlich bedeuten, dass an jeder Bushaltestelle und an jedem Bahnsteig der 3G-Nachweis kontrolliert werden müsste.
Die Alternative – die Kontrolle im Verkehrsmittel selbst – ist in allen Bussen und Zügen ebenfalls nicht zu leisten. Am einfachsten ist die Kontrolle noch im Flugzeug, da beim Check-in ohnehin Passdaten und Boarding-Pässe kontrolliert werden.
Täglich 15 Millionen Fahrgäste im ÖPNV
Laut Angaben des Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) sind jeden Tag 15 Millionen Menschen in Deutschland mit dem ÖPNV unterwegs. Diese Masse an Menschen zu kontrollieren, bringe erhebliche Probleme mit sich, sagt VDV-Chef Oliver Wolff.
Deshalb fordert er von Bund und Ländern umfassende Sicherheitspartnerschaften mit der Polizei und den Mitarbeiter:innen der Kommunen. Anders sei eine Kontrolle der 3G-Regelungen in Bus, Bahn und Co. nicht realisierbar.
Erhöhte gesundheitliche und körperliche Gefahr für Kontrolleure
Hinzu kommt, dass schon die Kontrolle der Maskenpflicht innerhalb des letzten Jahres offenbart hat, dass Impfgegner, Maskenverweigerer und Coronavirus-Leugner zu einem hohen Aggressionspotenzial tendieren.
Körperliche und somit gesundheitsgefährdende Ausschreitungen gegenüber Kontrolleuren sind beim 3G-Nachweis nochmals verstärkt zu erwarten. Um das Personal der Verkehrsbetriebe zu schützen, braucht es deshalb externe, professionelle Dienstleister und Hilfe.
Rechtliche Bedenken rund um 3G im ÖPNV mehren sich
Doch nicht nur die Logistik wirft Fragen und Probleme auf. Ebenso melden mehrere Verbände rechtliche Bedenken gegenüber der neuen gesetzlichen Regelung. Gegenüber dem Tagesspiegel wirft beispielsweise Lars Wagner vom VDV die Frage nach der Beförderungspflicht im Personenbeförderungsgesetz auf.
Dort steht, dass Verkehrsbetriebe dazu verpflichtet sind, Menschen zu befördern, die einen gültigen Fahrschein haben. Ein Rauswurf ist nur möglich, wenn die betreffende Person eine Gefahr für andere Fahrgäste darstellt.
In diesem Kontext stellen Lars Wagner, der VDV und beispielsweise auch die Taxi-Branche die Frage, ob ein fehlender 3G-Nachweis eine solche Gefährdung darstellt.
Ebenso stellt sich die Frage nach der Strafe. Die Koalitionsparteien um SPD, FDP und Grüne wollen einen Verstoß gegen die 3G-Regel in Zug, Bus und Co. als Ordnungswidrigkeit behandeln. Offen ist: Wie hoch ist die Strafe? Und: Wer fordert sie ein?
Ungeimpfte sind Treiber und Leidtragende der Corona-Pandemie
Das Ziel der 3G-Regelung in Bus, Bahn und Co. ist nachvollziehbar. Die Verbreitung des Coronavirus soll ausgebremst werden. Die Anzahl der Neuansteckungen muss zurückgehen, um die Pandemie-Lage wieder unter Kontrolle zu bekommen. Dafür braucht es weitreichende Maßnahmen.
Zu diesen Maßnahmen gehören auch Zutrittsbeschränkungen für Ungeimpfte. Schließlich zeigen die Zahlen des Robert-Koch-Instituts und der Landesämter der Bundesländer, dass es massive Unterschiede zwischen Geimpften und Ungeimpften gibt.
Die Inzidenz-Unterschiede zwischen Geimpften und Ungeimpften in Bayern
So weist beispielsweise das bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) am 19. November 2021 für Ungeimpfte eine Hospitalisierungs-Inzidenz von 14,1 pro 100.000 Einwohner und eine 7-Tage-Inzidenz von 1.468,9 aus.
Zum Vergleich: Bei Geimpften liegt die Hospitalisierungs-Inzidenz bei gerade einmal 2,9 und die 7-Tage-Inzidenz bei 109,7. Anhand dieser Zahlen wird deutlich, dass eine sehr hohe Impfquote von 85 Prozent oder sogar über 90 Prozent signifikant dazu beiträgt, das Coronavirus einzudämmen.
Je mehr Menschen geimpft sind, desto niedriger sind die Inzidenzen. Und je niedriger die Inzidenzen, desto weniger Einschränkungen gibt und braucht es. Bei einer vollständigen Immunisierung der Bevölkerung bräuchte es überhaupt keine Eingriffe in das gesellschaftliche Leben mehr.
3G im ÖPNV trifft die falschen Menschen
Trotz aller berechtigten und nachvollziehbaren Argumente trifft eine 3G-Pflicht im ÖPNV die falschen Menschen. Das liegt daran, dass der ÖPNV wie auch Supermärkte, die von den Regelungen ausgenommen sind, zu den Grundbedürfnissen der Menschen gehören.
Was bedeutet das? Schon zu Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 hat sich gezeigt, dass sich vor allem die Menschen dem Risiko einer Infektion im ÖPNV aussetzen, die es ohnehin schon schwierig haben. Denn fest steht auch: Ein Auto ist ein Luxusobjekt.
Führerschein und Auto sind Privilegien
Insbesondere junge Menschen, sehr alte Menschen, Menschen mit Behinderung oder Menschen mit Migrationshintergrund sind auf den ÖPNV angewiesen. Sie dürfen teilweise keinen Führerschein besitzen und können ihn auch nicht machen. All jene Menschen brauchen den ÖPNV, um zum Arzt zu kommen oder Einkäufe zu erledigen.
Gerade in diesen Fällen, in denen Vorerkrankungen oder fehlende Impf-Empfehlungen dafür sorgen, dass eine Impfung gegen das Coronavirus teilweise nicht möglich ist, stellt 3G im ÖPNV eine kaum zu überwindende Hürde dar.
Ein kostenloser Test pro Woche reicht nicht
Die angesprochenen und andere Personengruppen sind also teilweise nicht dazu in der Lage, sich impfen zu lassen. Zugleich ist es für sie sehr schwierig, sich testen zu lassen. Schließlich ist in vielen Fällen dafür eine Fahrt mit Bus oder Bahn zum Testzentrum oder zur Apotheke notwendig.
Hinzu kommt, dass der eine kostenlose Schnelltest oder Antigen-Corona-Test in der Woche, den die Bundesregierung am 12. November 2021 wieder eingeführt hat, für zahlreiche Menschen nicht genügt, um das tägliche Leben zu bewerkstelligen.
So gibt es in vielen Regionen beispielsweise am Sonntag kaum Möglichkeiten zu kostenlosen Antigen-Tests, weil die entsprechenden Testzentren nicht geöffnet haben. Das macht einen Testnachweis am Montagmorgen sehr schwierig.
ÖPNV ist so wichtig wie der Supermarkt
Alles in allem steht somit (für mich) fest, dass die Einführung von 3G im ÖPNV einen unverhältnismäßig tiefen Eingriff in die Freiheitsrechte der Menschen und der besonders Hilfebedürftigen darstellt.
Die 3G-Regeln im ÖPNV sind – wie mehrfach angedeutet – nachvollziehbar. Nichtsdestotrotz sind Busse und Bahnen für die Gesellschaft ebenso wichtig wie der Lebensmitteleinzelhandel. Eine Zugangsbeschränkung hat dementsprechend große Auswirkungen.
Dies ist ein Kommentar. Die persönlichen Einschätzungen des Autors spiegeln nicht zwingend die Meinung der gesamten Redaktion wider. Der Autor ist zweifach geimpft und findet Maßnahmen gegen das Coronavirus wichtig.
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