Vor einem Jahr habe ich meine eigene Agentur gegründet. Und auch vor einem Jahr habe ich Stadtflucht „begangen“ und bin aus der Metropole aufs Land gezogen. Zeit, einen kleinen Rückblick zu wagen. Meine Erfahrungen und Erkenntnisse.
Vor genau zwölf Monaten sind wir mit unserer Agentur YPS offiziell an den Start gegangen. Zeitgleich mit der GmbH-Gründung zog ich mit meiner Familie von der Stadt zurück aufs Land in unseren Heimatort.
Im Nachhinein war die Luftveränderung in vielerlei Hinsicht eine richtige Entscheidung. Weshalb, möchte ich gerne erklären. Zuvor noch ein Disclaimer: Es geht hier nicht um Handlungsempfehlungen, sondern ausschließlich um persönliche Erfahrungswerte.
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Pandemischer Augenöffner und die Stadtflucht
Als die Pandemie vor anderthalb Jahren Deutschland erreichte, hauten wir ab aufs Land zu unseren Eltern. Erst in dieser Zeit merkten wir, wie wichtig der Faktor „Raum für jeden einzelnen von uns Dreien war.
Das betraf insbesondere unseren Sohn, der während unseres Familien-Offsites nicht selten gleich nach dem Aufstehen nach draußen wollte. Statt quer durch die Stadt in irgendeinen Park zu fahren, konnten wir plötzlich einfach vor die Tür gehen. In den Garten, an den Fluss, in den Wald.
Klingt arg blumig und ein bisschen banal, aber auch ich merkte, wie schön es sein kann, bei der morgendlichen Laufrunde nicht ständig an irgendwelchen Ampeln warten zu müssen. Laufen, schnell laufen – wenn es sein muss. In die Weite, ohne Pause, zwischen Wäldern und am Fluss entlang. Gut für den Körper, gut für den Kopf.
Neue Gespräche und die Blase auf dem Land
In der Vergangenheit hatte ich nicht selten das Gefühl, gar nicht abschalten zu können. In der Stadt ist die digitale Gründer-Bubble schließlich um ein Vielfaches größer. Ihr zu entkommen, ist umso schwieriger.
Selbst wenn man privat unterwegs ist, lauert immer ein Berührungspunkt mit beruflichen Themen. Und sei es nur die Frage „Was machst du denn eigentlich so?“
Auch bei vermeintlichen Branchen-Insidern scheitere ich nicht selten daran, diese Frage zu beantworten. Also brauche ich es hier, zuhause, gar nicht erst versuchen. Ich sage dann nur Marketing. Darunter stellt sich zwar jeder etwas anderes vor – aber zumindest kann sich jeder etwas vorstellen.
Die „Blase“ hier auf dem Land ist eine völlig andere, aber keine, die mich weniger inspiriert. Wenn ich mit dem Baustoffhändler, der Gastronomin und dem Gerätebauer beim Bier zusammen sitze, stelle ich immer wieder fest: ihre geschäftlichen Themen und Probleme habe ich doch auch. Nicht selten regen mich genau diese Gespräche an, neue Wege einzuschlagen.
Ein stabiles, soziales Netz
Nachdem ich mein elterliches Nest vor knapp 15 Jahren verlassen hatte, bin ich zu einem regelrechten Wandervogel mutiert. Ich habe es neulich mal überschlagen: Auf 15 Jahre kommen ebenso viele Adressen an insgesamt sieben Orten. Insofern war es nur eine Frage der Zeit, bis ich einen inneren Drang nach Stabilität verspüren würde.
Stabilität ist ein gutes Stichwort: Ich habe in den ganzen Jahren viele Kontakte geknüpft und einzigartige Menschen kennengelernt, die mein Leben bereichert haben. Bis auf wenige Ausnahmen waren darunter aber keine zwischenmenschlichen Beziehungen, die einen Standortwechsel – mal abgesehen von sporadischen Kontakten – überdauert hätten.
Nun wieder in der Heimat zu sein, bedeutet auch, lange bestehende Verbindungen zu vertiefen. Ob man das will oder nicht – innerhalb der Familie passiert es einfach, zumindest in meinem Fall.
Dann sind da noch die Freunde von früher, mit denen man nun wieder mehr Zeit verbringt, nach Jahren des ebenfalls losen Kontakts. Und in vielen Fällen scheint es, als ob es da was gäbe, das nie weg war und vielleicht für immer bleibt.
Wenn der Nagellack nach der Stadtflucht zum Problem wird
Es bleibt ja nicht aus, dass bei einem solch persönlichen Jahresrückblick aus allen Monitorecken und Satzenden eine stattliche Menge an Pathos trieft. Während ich hier einige subjektive Gründe aufgeführt habe, untermauert mit emotionalem Gesäusel, ist der Umzug aufs Land nun wirklich kein Allheilmittel für mehr Ausgeglichenheit und innere Ruhe.
Die Nähe zur Familie birgt immer wieder Diskussionspotential, eben weil man über 15 Jahre in komplett unterschiedlichen Welten gelebt hat. Der Kosmos auf dem Land ist nun mal kleiner – und häufig auch der Horizont.
Oder ist es normal, dass ich mir plötzlich Gedanken darüber mache, was andere wohl denken, nur weil mein vierjähriger Sohn derzeit Nagellack cool findet? Und diesen auch trägt?
Seit einem Jahr übe ich mich im Spagat: Sich auf der einen Seite anzupassen und die ein oder andere Eigenheit des Landlebens schweigend hinzunehmen. Und gleichzeitig in den richtigen Momenten den Mund aufzumachen und klarzumachen, dass es durchaus noch andere Meinungen und Perspektiven gibt, als die hier vorherrschende.
Nah dran am neuesten Scheiß
Was den Job angeht, war ich selbst lange davon überzeugt, dass man am Schnittpunkt zwischen Unternehmertum, Marketing und Digitalisierung – also dort, wo ich tätig bin – beruflich nur Erfolg haben kann, wenn man in einer Metropole und damit nah am Puls der Zeit lebt und arbeitet. Nah dran am latest digital shit, jenen Trends, die die Welt verändern werden.
Ich habe für mich herausgefunden, dass der Blick für genau solche Themen deutlich schärfer wird, wenn sie nicht ständig um einen herumschwirren. Und dann sitze ich in Calls, unterhalte mich über Themen wie KI, Augmented Reality und Voicebots – und schaue dabei allen Ernstes aus dem Fenster auf die nächste Kuhweide.
Dieser Kontrast macht mir Freude. Genauso wie ich berufliche Reisen in die Stadt – natürlich auch aufgrund der Pandemie – noch mehr genieße als je zuvor. Vielleicht werde ich aber auch einfach nur alt und spießig – wer weiß das schon. Was ich sicher weiß: Es ist gut, dass ich gerade hier bin. Auch wenn nicht alles perfekt ist.
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