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Warum wir radikale Veränderungen nur schwer verstehen

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Unsplash.com / Chetan Kolte
geschrieben von Carsten Lexa

Wir als Menschen sind nicht dazu in der Lage, radikale Veränderungen zu begreifen. Deshalb haben einige Menschen Probleme damit, exponentielles Wachstum zu verstehen. Das führt zu Problemen.

Stell dir einmal vor, du sitzt in einem Fußballstadium. Plötzlich beginnt es zu regnen und der Regen wird immer stärker.

In der ersten Minute fällt ein Tropfen. In der zweiten Minute fallen zwei Tropfen. Schon in der dritten Minute fallen vier Tropfen, in der vierten Minute fallen dann acht Tropfen und so weiter. Die Anzahl der Tropfen, die pro Minute fallen, verdoppelt sich von einer Minute zur nächsten. Wann solltest du dir überlegen, das Stadion zu verlassen, damit du nicht völlig nass wirst?


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Steigende Wassermassen und exponentielles Wachstum

Nun, die Antwort hängt natürlich davon ab, wie gut du mit Nässe umgehen kannst. Allerdings solltest du nicht allzu viel Zeit mit dem Überlegen verbringen. In der elften Minute werden über 1.000 Tropfen vom Himmel kommen, in der 18. Minute über 100.000 und in der 21. über eine Million!

Solltest du dann noch darüber erstaunt sein und ungläubig in den Himmel schauen, dann wird es dramatisch: In der 24. Minute sind es fast zehn Millionen Tropfen, in der 28. Minute sind es über 130 Millionen. Und schon in der 30. Minute fallen über 500 Millionen Tropfen vom Himmel.

In der 47. Minute werden es über 141 Billionen Tropfen sein, was einer Menge von 600 Millionen Litern entspricht – pro Minute!

Zum Vergleich: In ein Schwimmbad mit einer Länge von 25 Metern, zehn Metern Breite und drei Metern Tiefe passen 750.000 Liter Wasser. Die oben genannte Menge von 600 Millionen Litern füllt also 800 Schwimmbäder – und zwar pro Minute.

Radikale Steigerungen und das menschliche Gehirn

Jetzt wollen wir an dieser Stelle natürlich nicht über Wassertropfen und Schwimmbäder sprechen. Denn diese stehen natürlich nur sinnbildlich für etwas anderes, nämlich für radikale Veränderungen beziehungsweise Steigerungen.

Die Steigerung der Menge an Wassertropfen, die ich oben dargestellt habe, ist eine sogenannte exponentielle Steigerung. Anders als bei einer linearen Steigerung, bei der die Menge der Wassertropfen jede Minute um eine bestimmte Anzahl – beispielsweise zehn – steigt, steigt die Anzahl bei einer exponentiellen Steigerung explosionsartig.

Das Fiese daran ist, dass am Anfang die Steigerung nicht dramatisch aussieht. In meinem obigen Beispiel steigt beispielsweise die Anzahl der Wassertropfen von der ersten bis zur fünften auf gerade mal 16. In den darauf folgenden fünf Minuten steigt die Anzahl aber schon auf 512, was ungefähr dem Faktor 30 entspricht.

Und noch einmal fünf Minuten später liegt die Anzahl bei 16.384, was noch einmal dem Faktor 28 entspricht. Die Zunahme beschleunigt sich also mit der Zeit, was für unsere Vorstellungskraft unheimlich schwer zu bewältigen ist.

Exponentielle Entwicklung der Computerleistung

Wenn wir diese Überlegungen anhand von Wassertropfen nun auf unsere moderne Welt umlegen, entsteht ein vergleichbares Bild. Die Leistung von Computern legt seit Jahren exponentiell zu. Das bedeutet, dass sich die Leistungsfähigkeit ungefähr alle eineinhalb Jahre verdoppelt.

Und auch hier war diese gewaltige Verbesserung zu Beginn nicht klar erkennbar. Doch wenn man an die Leistungsfähigkeit von Smartphones denkt und sie mit dem Motorola DynaTAC aus dem Jahr 1984 vergleicht, wird zumindest klar, dass ein iPhone 13 Pro dem Motorola um einen gewaltigen Faktor überlegen ist, auch wenn wir aus dem Bauch heraus nicht genau sagen können, wie hoch dieser Faktor ist.

Unser Gehirn mag radikale Veränderungen und Steigerung nicht. Das gilt insbesondere, wenn wir solche Steigerungen vorhersagen sollen. Unser Denken ist in inkrementellen Steigerungen verhaftet. Das heißt: Bestehendes wird nach und nach verbessert, erhöht und beschleunigt. Das geschieht in kleinen, überschaubaren Stufen.

Geht es jedoch um exponentielle Steigerungen, werden die Entwicklungssprünge um einen Faktor erhöht, der eben nicht mehr so einfach erfassbar sind.

Radikale Veränderungen: Die Impfstoff-Debatte

Diese Schwierigkeiten, die wir mit diesen Entwicklungen haben, sorgen nun jedoch dafür, dass darauf ausgerichtete Reaktionen und Konsequenzen einfach nicht mehr passen.

So fällt es uns beispielsweise unglaublich schwer zu glauben, dass die Entwicklung eines Impfstoffes gegen ein neuartiges Virus innerhalb von knapp anderthalb Jahren möglich sein soll.

„Das war doch früher auch nicht so!“ – hört man überall. Ja, das ist korrekt. Aber früher gab es auch nicht die heutigen Computersysteme, die Labor- und Forschungsdaten in einer Geschwindigkeit verarbeiten können, die in keiner Weise vergleichbar ist.

Und das können wir auf viele weitere Bereiche übertragen. Seien dies autonome Fahrzeuge, Roboter oder Anwendungen der Künstlichen Intelligenz: In allen möglichen Bereichen gehen die Entwicklungen schneller voran, als wir das erwarten, was eben daran liegt, dass wir exponentielles Wachstum nicht erfassen.

Spürbare Konsequenzen für unser Leben

Doch was sich im Bereich der Technik vielleicht noch mit einem Schulterzucken abtun lässt – „Dann werden die Smartphones halt immer besser, interessiert mich nicht …“ – hat konkrete Konsequenzen für unsere Gesellschaft.

Denn: Radikale Veränderungen betreffen unser Zusammenleben, Gesetze zum Regeln der neuen Verhältnisse oder die Formen zukünftiger Tätigkeiten.

Ich finde solche Gedankengänge unheimlich spannend. Deshalb werde ich in der kommenden Woche diese weiterspinnen und mir versuchen vorzustellen, welche Auswirkungen auf unsere Gesellschaft zukommen könnten.

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Über den Autor

Carsten Lexa

Rechtsanwalt Carsten Lexa berät seit 20 Jahren Unternehmen im Wirtschafts-, Gesellschafts- und Vertragsrecht. Er ist Lehrbeauftragter für Wirtschaftsrecht, BWL und Digitale Transformation sowie Buchautor. Lexa ist Gründer von vier Unternehmen, war Mitinitiator der Würzburger Start-up-Initiative „Gründen@Würzburg”, Mitglied der B20 Taskforces Digitalisierung/ SMEs und engagiert sich als Botschafter des „Großer Preis des Mittelstands” sowie als Mitglied im Expertengremium des Internationalen Wirtschaftsrats. Er leitete als Weltpräsident die G20 Young Entrepreneurs´Alliance (G20 YEA). Bei BASIC thinking schreibt Lexa über Themen an der Schnittstelle von Recht, Wirtschaft und Digitalisierung.