Mit seinem Hashtag #SoGehtEsUns hat Autor Paul Bokowski eine große Diskussion losgetreten. Im Interview haben wir mit dem Initiator über die Situation der Kulturbranche in der Corona-Pandemie, Privilegien für Geimpfte sowie den Astra Zeneca Impfstoff gesprochen.
Paul Bokowski ist gebürtiger Mainzer und lebt seit 18 Jahren in Berlin. Als Autor blickt er bisher auf drei Romane, ein Hörbuch und zahlreiche Veröffentlichungen in Anthologien zurück. Sein Stil kennzeichnet sich dabei stets durch viel Herz und Humor sowie einen Hang zu Absurditäten.
BASIC thinking: Hallo Paul, schön, dass du dir die Zeit genommen hast. Wie geht es dir in Pandemie-Zeiten aktuell beruflich und privat?
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Paul Bokowski: Beruflich ist die Situation für mich genau so angespannt wie in den vergangenen zwölf Monaten auch. Der überwiegende Teil meiner Veranstaltungen wurde abgesagt. Dabei sind genaue diese Veranstaltungen eine von zwei Kernsäulen, mit denen ich meinen Jahresumsatz generiere.
Privat und psychisch geht es mir im Moment aber noch ganz okay. Ich hab ein kleines soziales Netz, das mich auffängt. Aber natürlich es ist eine große Belastung, wenn man besonders als Kulturschaffender überhaupt nicht weiß, wie die berufliche Situation für einen weitergeht. Es gibt eine nagende, stetige Unruhe ob der eigenen Zukunft. Das geht natürlich sehr an die Substanz, auch psychisch.
Wie viele Veranstaltungen von dir sind betroffen?
Im Schnitt habe ich circa 80 bis 100 Veranstaltungen pro Jahr. Das sind Sololesungen mit meinen Büchern, aber auch Gastauftritte bei anderen Veranstaltungen. Da konnte im vergangenen Jahr fast nichts stattfinden. Sogar die Freiluftveranstaltungen waren dürftig gesät, weil die Beschränkungen und Hygienehürden für viele Veranstalter einfach zu groß waren.
Besonders traurig ist: Alles, was im Sommer nicht stattfinden konnte, wurde im Endeffekt abgesagt. Ich komme also für die Zeit seit März 2020 auf kaum mehr als auf zehn Auftritte.
#SoGehtEsUns in der Kulturbranche
Vor kurzem hast du den Twitter-Hashtag #SoGehtEsUns ins Leben gerufen und auf deine finanzielle Situation und Auftragslage im Kontext der Pandemie hingewiesen. Viele haben es dir gleich getan. Was war deine Intention dahinter? Und: Hast du mit einer solchen Resonanz gerechnet?
Ich war sehr überrascht davon, wie erfolgreich der Tweet geworden ist. Immerhin war der Impuls ein überaus spontaner. An diesem Tag (Anm. d. Red.: 12. Februar 2021) habe ich meine allererste Rechnung für das Jahr geschrieben: 770 Euro für anderthalb Monate.
Ich hatte sofort den Impuls, dass ich das als Information in meiner Filterblase streuen sollte. Zuerst habe ich versucht ganz gezielt kein politisches Thema draus zu machen und überlegt, wie man es schaffen könnte, das Ganze nicht allein auf das Finanzielle herunterzubrechen, sondern auch die gesamtgesellschaftliche Frage zu stellen: Wie geht es uns eigentlich?
#SoGehtEsUns emotional
An wen hast du dabei gedacht?
Dabei habe ich zuerst an meine Kolleginnen und Kollegen gedacht. Also alle aus dem Kultur- und Kleinkünstlermilieu. Von denen wollte ich dann einfach wissen: Wie geht es euch emotional? Wie geht es euch sozial, psychisch, privat und finanziell. Und da kam dann die Idee, diesen Hashtag zu etablieren.
Ich war sehr froh, dass das dann unter den Kommentaren thematisch auch genau soweit gefasst und aufgegriffen wurde. Da waren vor allem viele Leute dabei die gesagt haben, dass es ihnen psychisch an die Substanz geht. Und wenn es psychisch an die Substanz geht, geht es irgendwann auch finanziell an die Substanz.
Wie steht es um deine finanzielle Lage im Kontext der Pandemie?
Als hauptberuflicher Autor verdiene ich mein Geld durch meine Bücher und die Auftritte und Lesungen, die ich damit mache. Die Bücher laufen weiter. Das heißt diese Einnahmen, beziehungsweise die Vorschüsse, die ich in der Vergangenheit oder für kommende Projekte bekommen habe, halten mir ein bisschen den Rücken frei.
Da geht es mir besser als manchen Kollegen und Kolleginnen von mir, die nicht bei Major Labels sind, sondern bei kleinen Indie-Verlagen. Die können oft überhaupt keinen Vorschuss leisten. Das heißt: Ich bin finanziell etwas besser abgesichert als manch anderer.
Aber tatsächlich ist es so, dass ich momentan auch von meinem Ersparten lebe. Weil auch die Aussicht für die kommenden Monate düster ist, habe ich jetzt im Februar die Neustarthilfe vom Bund beantragt.
Kaum Corona-Hilfen für Kulturschaffende
Vielerorts hört man, dass die staatlichen Hilfen zu bürokratisch sind und zu langsam fließen. Was hätte man da auf politischer Ebene besser machen können?
Was ich persönlich für eine ziemliche dumme Idee halte ist, dass man bei den Hilfen ein Vergleichsjahr voraussetzt. Gerade Kleinkünstler und Kulturschaffende bekommen ja ganz unstete Zahlungen. Es gibt immer wieder Jahre, in denen ziemlich wenig reinkommt.
Was ich auch ziemlich undurchdacht finde ist, dass sich fast alle Corona-Hilfen auf gewerbliche Nebenkosten beziehen. Und viele haben einfach keine oder kaum gewerbliche Nebenkosten. Die sind aber trotzdem selbstständig. Das fängt bei Autoren an, geht über Theaterschaffende, Schauspieler und Coaches.
Es wurde auch oft das Argument genannt: Wenn es ganz schlecht läuft, dann meldet euch doch einfach beim Jobcenter und beantragt Hartz 4. Das ist für viele, die ich kenne, aber keine Option, weil sie dann aus der Künstlersozialkasse fliegen würden. Das ist einfach perspektivisch keine gute Alternative.
Außerdem gibt es bei den Corona-Hilfen auch unglaubliche Zahlungsverzögerungen. Das ist dann natürlich existenzbedrohend, wenn es an bürokratischen Verzögerungen hapert.
Unterstützung durch Buchkauf
Um nochmal auf den Hashtag zurückzukommen: #SoGehtEsUns hat vor allem auch für viel Solidarität gesorgt. Um dich zu unterstützen, haben viele Menschen deine Bücher gekauft. Ist zu irgendeinem Zeitpunkt der Gedanke mitgeschwungen, damit den Verkauf anzukurbeln oder Eigenwerbung zu betreiben?
Den Hinweis mit den Büchern habe ich erst zehn oder zwölf Stunden später abgesetzt, da mich viele Leute gefragt haben, wie sie mir helfen können. Bei vielen Kolleginnen und Kollegen habe ich auch gesehen, dass sie ganz direkt darauf hingewiesen haben, wie man sie unterstützen kann. Das finde ich vollkommen legitim.
Ein Kollege aus Hamburg, der bei einem sehr kleinen Label ist und seine Bücher größtenteils selbst vertreiben muss, hat dadurch immerhin 90 Bücher verkauft, was ihm zumindest eine Monatsmiete sichert.
Das ist eine total naheliegende Form Autoren und Autorinnen zu unterstützen. Ich finde es auch völlig in Ordnung, wenn Kollegen ihren Paypal-Link teilen und darauf hinweisen, wo man ihren Content abrufen kann. Dafür sollte sich niemand schämen müssen.
Solidarität und Twitter-Muster
Gab es auch kritische Stimmen?
Nach 24 Stunden hatte ich das Gefühl, dass der Hashtag politisch gekapert wird. Da sind dann Stimmen aus dem rechten und konservativen Lager aufgepoppt.
Es wurde sofort damit angefangen, das Ganze politisch aufzuladen und Künstler, die sich völlig wertneutral zu Wort gemeldet haben, dafür zu kritisieren, dass sie den falschen Lebensweg eingeschlagen hätten und selbst Schuld an ihrer Miesere seien.
Das ist aber ein klassisches Twitter-Muster und ganz ehrlich habe ich auch ein Stück weit darauf gewartet. Manche Kollegen von mir haben sogar von Glück gesprochen, dass es nicht noch schlimmer gekommen ist.
Aber es waren auch totale Lichtblicke dabei. Als Leute wie Micky Beisenherz oder Sophie Passmann den Hashtag geteilt haben und darauf aufmerksam gemacht. Die Solidarität ist also quasi die komplette Pyramide einmal heruntergewandert. Das war schon toll anzusehen.
Die Abwärtsspirale des Buchmarktes wurde gebremst
So belastend und schlimm die aktuelle Situation für viele (Solo-)Selbstständige und Kulturschaffende ist: Kann man dem Ganzen in beruflicher Hinsicht auch etwas Positives abgewinnen?
Aus Autorensicht kann ich sagen, dass ganz viele Kollegen und Kolleginnen von mir jetzt endlich die Zeit hatten mit Herzensprojekten anzufangen, die lange Zeit auf Eis lagen. Mit dem eigenen Roman zum Beispiel.
Es gibt auch eine regelrechte Flut an Manuskripten bei den hiesigen Verlagen. Was ich darüber hinaus von meinem Verlag gehört habe ist, dass im Lockdown sehr viele Bücher gelesen wurden. Die Abwärtsspirale des deutschen Buchmarktes hat da nochmal eine Bremse bekommen. Darüber freue ich mich persönlich gerade sehr.
Was das Wiederaufleben der Szenen betrifft, bin ich zur Zeit sogar vorsichtig optimistisch. Mit etwas Glück könnten überall neue Kulturveranstaltungen aus dem Boden schießen. Ich ahne auch, dass die Leute regelrecht feierwütig sein werden. Vielleicht ist auch nur der Wunsch Vater des Gedankens, aber sogar mein eigener Drang nach Unterhaltung einfach riesengroß.
Aber es fühlt sich trotzdem auch immer ein bisschen böse an so zu denken, weil wir als Kulterschaffende gerade einen sehr hohen Preis dafür bezahlen. Dieser Preis ist, dass ganz viele von uns aktuell am Hungertuch nagen. Ich kenne einige, deren berufliche Existenz jetzt ganz eindeutig auf der Kippe steht.
Digitalisierung und Kultur
Welchen Einfluss haben die zunehmende Automatisierung und Digitalisierung, die durch die Corona-Pandemie nun beschleunigt werden, deiner Meinung nach auf die Kulturbranche?
Ich kenne viele Leute, die im ersten Lockdown angefangen haben, Streaming-Formate zu entwickeln. Das lief auch sehr gut und hat für viel Solidarität und auch Spenden gesorgt.
Teilweise haben die Kollegen damit auch mehr verdient als live, da ja die Zuschauerzahl deutlich höher ausfallen kann. Gerade im ersten Lockdown gab es eine große Welle der Solidarität mit den Kulturschaffenden.
Ich weiß aber auch, dass das extrem schnell wieder abgeflacht ist, weil es auf Dauer extrem unsexy ist, auf einen kleinen Bildschirm zu starren. Da geht die Atmosphäre einfach flöten. Und für Live-Veranstaltungen ist die Atmosphäre eben ein sehr wichtiger Aspekt.
Ich bin mir nicht sicher, welches Überbrückungsformat sich genug bewährt hat, um zu überleben. Womit ich mich persönlich mittlerweile arrangiert habe, sind Zoom-Konferenzen. Ich hoffe, dass uns das auch in Zukunft als Möglichkeit erhalten bleibt.
Welche Auswirkungen hat das auf den Arbeitsmarkt allgemein?
Grundsätzlich glaube ich, dass sich der klassische Arbeitsmarkt verändern wird. Dass die Gewichtung von Home Office wichtiger wird. Und ich hoffe ganz inständig, dass das Thema Digitalisierung dadurch endlich einmal einen kräftigen Schub bekommt.
Was vielen Veranstaltern das Genick gebrochen hat
Und was hätte bei der Pandemiebewältigung deiner Meinung nach besser laufen können?
Mittlerweile gibt es ja sehr detaillierte Statistiken dazu, wie hoch das Infektionsrisiko in bestimmten geschlossenen Räumen ist und war. Kinosäle oder Veranstaltungsorte mit einem sehr guten Hygienekonzept, rangieren da oftmals auf den letzten Plätzen.
Die Zahlen belegen: Da ist und war das Risiko sich anzustecken, gerade im Vergleich zur Schule oder U-Bahn, minimal.
Da wurden teilweise extrem gute Hygienekonzepte ausgearbeitet, für die die Veranstalter viel Geld ausgegeben haben. Und dann wurde genau den Leuten gesagt, dass sie schließen müssen. Das hat sehr vielen Veranstaltern in Deutschland das Genick gebrochen.
Strategien für die Kulturbranche
Wie könnte die Strategie für Kulturveranstaltungen in den kommenden Wochen und Monaten aussehen?
Persönlich wäre ich dafür gewesen, einfach einen ganz harten Lockdown durchzuziehen. Komplett alles für ein paar Wochen dichtzumachen, in der Hoffnung, dass es damit dann halbwegs überstanden ist. Ich weiß aber auch, dass das möglicherweise eine Illusion ist, weil es Strukturen gibt, die wir einfach nicht zumachen können oder wollen.
Beruflich hoffe ich jetzt sehr auf den Frühling und den Sommer, weil ganz viele Kulturveranstalter endlich in die neue Open Air Saison starten können und so relativ kostenarm alle Risikofaktoren umgehen.
Ich merke auch selbst schon, wie die Veranstaltungsbranche langsam wieder anläuft, weil mir mein Booker immer mehr Sachen für den Sommer zuschiebt. Hoffen wir darauf, dass es ein langer und warmer Sommer wird, damit all diese Veranstaltungen auch stattfinden können.
Grünes Licht für Geimpfte?
Bevor wir zum Schluss kommen: Hast du noch etwas auf dem Herzen?
Ich denke zur Zeit sehr viel über diese Astra-Zeneca-Geschichte nach. Ob man die Impfreihenfolge umstruktieren könnte. Vielleicht sollte man den Impfstoff, der immerhin von einem Großteil der höheren Risikogruppe abgelehnt wird, dann doch für andere und jüngere Leute freigeben.
Als jemand der zum großen Teil von seinen Auftritten lebt, liebäugele ich auch mit der Idee, dass Leute, die bereits geimpft sind, grünes Licht bekommen, um wieder am öffentlichen Leben teilzunehmen.
Ich glaube es könnte der Kulturbranche wirklich helfen, wenn man Veranstaltungsorte für Leute aufmacht, die die zweite Impfung schon hinter sich haben. Vor allem die über 60-jährigen sind ein sehr umsatzstarkes Publikum für die deutsche Kulturlandschaft. Das wäre zumindest eine Überlegung wert.
Ich würde allerdings keinen generellen und zeitlich unbegrenzten Freifahrtschein daraus machen. Aber ich bin mir sicher: Es könnte auch ein Anreiz sein, sich impfen zu lassen.
Vielen Dank für das Gespräch.
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