Dass die Streaming-Branche in der Corona-Pandemie boomt, wirkt inzwischen wie eine Binsenweisheit. Natürlich profitiert auf der einen Seite auch der Audio-Anbieter Spotify. Auf der anderen Seite stehen Musikschaffende – aber nicht auf der Bühne, wo sie gern wären.
Nach einer stetigen positiven Umsatzentwicklung erwirtschaftete Spotify im Jahr 2020 rund 7,88 Milliarden Euro. Einen Gewinn konnte das schwedische Unternehmen nicht erzielen – mit 581 Millionen Euro fiel der Verlust deutlich höher als im Vorjahr aus.
Unterm Strich bleibt das Wachstum bestehen und beweist: Das Geschäftsmodell funktioniert. Trotzdem ist der im Jahr 2006 gegründete Streaming-Dienst nicht profitabel. Die Krux an der Sache: Ein Großteil des Umsatzes landet bei den Rechteinhabern. Laut Spotify waren es 2020 mehr als fünf Milliarden US-Dollar.
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Warum also der kritische Unterton? Was großzügig klingt, muss auch im Kleinen betrachtet werden. Wie viel Geld landet bei unbekannteren Künstlern? Die Vermutung liegt nahe, dass vor allem diejenigen das größte Kuchenstück bekommen, die auch ohne Spotify problemlos satt werden.
Das könnte man leichtfertig als kapitalistisches Grundprinzip abtun. Und tatsächlich steckt darin viel Wahrheit, denn es existieren keine Hebel, um diese Maschinerie von jetzt auf gleich zu stoppen.
Liegt die Verantwortung bei den Konsumenten?
Einerseits ist die These sehr gewagt, doch andererseits müssen Verbraucher nicht jedes Angebot nutzen, sei es noch so attraktiv. Neben dem radikalen Verzicht gibt es auch eine Zwischenlösung: direkte Unterstützung.
Ein mögliches Szenario: Spotify-Abonnenten nutzen den Dienst, um Musik zu entdecken. Wenn Bands und Solo-Interpreten überzeugen, folgt der proaktive Switch zur Website der Musiker oder zu einer fairen Plattform wie Bandcamp.
Wer dort Tonträger und gegebenenfalls Merchandise kauft, unterstützt die Rechteinhaber sehr viel direkter.
Letztlich fällt es oft leichter, die Schuldfrage an die große Glocke zu hängen. Dabei können Musikinteressierte viel in Eigenregie tun. Doch was mit Sicherheit nicht dazugehört, ist ein aussichtsreicher Kampf gegen marktführende Streaming-Player.
All das bedeutet nicht, dass ein Großteil des verfügbaren Geldes in die Kassen von Bands und Co. fließen soll. Auch dort gibt es Optimierungspotenzial.
Aber eine Frage darf erlaubt sein: Warum proklamieren viele Menschen, dass Musik ein bedeutender Teil ihres Lebens ist, aber eine finanzielle Investition geht oft nicht über die Spotify-Premium-Gebühr hinaus?
Spotify will mehr – viel mehr
Am 22. Februar 2021 veranstaltete der Marktführer ein virtuelles Stream-On-Event und versprach Neuerungen und Innovationen, die auch Chancen für Millionen von Künstlern seien. Zum Beispiel:
- Podcast-Neuerscheinungen
- Spotify HiFi
- Podcast Advertising
- Neue Tools für Musikschaffende
Die zentrale Mission von Spotify habe sich nicht verändert, denn nach wie vor sei es das primäre Ziel der Plattform, „Kreative mit Fans zu verbinden und Kreativen die Möglichkeit zu geben, von ihrer Kunst zu leben.“
Eine Aussage, die all den kreativen Menschen bestenfalls ein Schmunzeln abringt, bei denen Cent-Beträge auf der Spotify-Abrechnung stehen. Sie stellen das eine Ende der Nahrungskette dar.
Laut der „Union of Musicians and Allied Workers“ benötigen Kreative ungefähr 263 Spotify-Streams, um einen US-Dollar zu verdienen. Für einen Stundenlohn in der Höhe von rund 15 US-Dollar müssen monatlich etwa 658.000 Streams auf der Abrechnung stehen.
Am anderen Ende der Nahrungskette befinden sich Künstler wie The Weeknd. Der Kanadier verdiente mit dem Song „Blinding Lights“ allein durch Spotify angenehme 6,3 Millionen Euro, heißt es.
Die Single wurde fast 1,7 Milliarden Mal gestreamt. The Weeknd war auch für einen Grammy nominiert. Die Frage, ob Spotify in erster Linie vorhandenen Erfolg belohnt, wäre beantwortet.
Es scheint, als würde sich Spotify hinter dem Potenzial verstecken. Nach dem Motto: Theoretisch haben alle die gleichen Chancen. Dass die Praxis diese Chancengleichheit negiert, wissen auch die Verantwortlichen. So verkommt das hausintern hochgelobte Modell problemlos zur Farce.
A deposit appeared in my account today and so I am sharing it as an artist data point…even though few people give a hoot about this anymore
Sept 2019
206,011 Spotify streams
$753$0.003655144628199 per stream
— Zoe Keating (@zoecello) November 21, 2019
Dass Spotify nicht mit den Zahlen hausiert, die im mittleren und unteren Bereich liegen, ist aus Business-Sicht logisch. Stattdessen betont der Anbieter, dass die „Anzahl der Künstler, die mit ihren Katalogen mehr als 100.000 Dollar pro Jahr erwirtschaften, in den letzten vier Jahren um 79 Prozent auf mehr als 7.500 Künstler gestiegen“ ist.
Glückwunsch. Allein in Deutschland lebten Ende 2019 rund 17.600 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Musiker. In der globalen Betrachtung scheint das Geschäftsmodell von Spotify doch an einer gewissen Ungerechtigkeit zu kränkeln.
Fairerweise: Das gilt auch für vergleichbare Dienste wie Napster, Apple Music, Deezer und Amazon Music.
Spotify expandiert in mehr als 80 neue Märkte
Auch die geplante Markterweiterung ist eine Medaille mit zwei Seiten, von denen eine hochkarätig schimmert und die andere rostet. Natürlich erhöht die Expansion grundlegend für alle Kreativen die Möglichkeiten, ihre Hörerschaft zu vergrößern. Und genau darauf beruft sich Spotify weiterhin:
Dieser Schritt ist Teil des kontinuierlichen Bestrebens, ein grenzenloses Audio-Ökosystem aufzubauen, das Künstler*innen, und Hörer*innen miteinander verbindet.
Allerdings liegt die Vermutung nahe, dass sich die bestehende Ungleichheit dadurch nicht verbessert. Im besten Fall bleibt es beim aktuellen Stand, denn auch The Weeknd und Co. erhalten auf diese Weise neue Spotify-Hörer.
In dieselbe Kerbe schlagen die neuen Funktionen, mit denen Kreative ihre Hörerschaft erreichen können. Wie groß der Mehrwert von Clips, einer optimieren Sound-Qualität und modernen Visuals für unbekanntere Kreative ist, bleibt abzuwarten. Eine gesunde Skepsis ist jedenfalls vorhanden.
Bleiben wir bei der Wahrheit: Jegliche Unternehmungen von Spotify richten sich auf das eigene Wachstum aus. In diesen Business-Sphären ist das unter den gegebenen Marktbedingungen aus Sicht von Spotify auch sinnvoll.
Dennoch verhöhnt die permanente Betonung der Zusammenführung von Kreativen und Interessierten als scheinbar erste Intention vor allem die Künstler, die sich von den Tantiemen monatlich vier Tassen Kaffee kaufen können.
Im Endeffekt kann die Unterstützung von außen vorrangig von den Fans kommen, denn Spotify wird am Ist-Zustand nichts ändern.
Das verdeutlichen die Worte von CEO Daniel Ek aus dem Jahr 2020: „Du kannst nicht alle drei oder vier Jahre Musik aufnehmen und denken, dass das genug sein wird. Künstler sollen einfach mehr arbeiten, um über die Runden zu kommen.“
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Ich verstehe nach wie vor nicht, warum man Spotify unbedingt in ein sozialistisches Projekt umwandeln möchte. Umverteilung, Ungerechtigkeit usw.
Unbekannte Künstler sind nunmal unbekannt, weil sie kein Marketing machen oder eben gerade erst anfangen. Oder weil deren Musik einfach Nische bzw. „schlecht“ ist. Warum soll ein Weeknd tausende dieser Musiker mit „durchfüttern“?
Auf Amazon beschweren sich doch neue Autoren auch nicht über geringe Buchverkäufe und fordern die Bestseller zur Umverteilung auf?!
Ich kenne übrigens niemanden mit Premium-Account, der Großteil scheint also „gratis“ zu hören.
Danke für deinen Kommentar. Auch wenn ich mich ehrlich frage, ob du den Artikel in Gänze gelesen hast, denn der Inhalt ist dann doch deutlich differenzierter und bezieht mehrere Seiten ein. Allein die Headline zeigt, dass es hier nicht darum geht, aus Spotify ein sozialistisches Projekt zu machen, sondern darum, die Art und Weise, wie sich das Unternehmen präsentiert, in Frage zu stellen.