Beim Online-Proctoring werden Studierende mit digitalen Tools in Prüfungen überwacht. Kann das gegen Schummeln helfen – und was ist mit dem Datenschutz?
Online-Prüfungen sind im deutschen Bildungssystem noch im Anfangsstadium. Vom Urheberrecht von Lehrmaterialien über digitale Kompetenzen von Lehrkräften bis hin zu rechtlichen Fragen zum Datenschutz ist noch sehr vieles im Aufbau oder schlicht ungeklärt.
In diesem Jahr zwang aber das Coronavirus viele Bildungseinrichtungen dazu, Prüfungen auch online durchzuführen.
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Es war das wohl bislang größte Digitalisierungsexperiment an Schulen und Hochschulen in Deutschland. Und es zeigte, wie schwierig es ist, eine funktionierende – und sichere – digitale Infrastruktur aufzubauen.
Eines der großen Probleme dabei: Wie kann man auch online sicherstellen, dass nicht geschummelt wird? Eine Möglichkeit, die derzeit insbesondere an Hochschulen diskutiert wird, ist das Online-Proctoring.
Schweift der Blick ab, schlägt die Software Alarm
Proctoring bedeutet „Aufsicht“. Beim Online-Proctoring geht es also um technische Anwendungen zur Beaufsichtigung von Studierenden.
Das kann in Form von menschlichem Proctoring stattfinden, bei dem etwa ein Professor die Studierenden über eine Webcam beobachtet und so das Schummeln erkennen kann. Eine andere Variante ist das Proctoring über automatisierte Verfahren – also über Tools, die auf Künstlicher Intelligenz basieren.
Das Unternehmen Proctorio ist mit seinem Browser-Plug-in einer der größten Anbieter in diesem Bereich. Derzeit ist Proctorio an rund 400 Hochschulen als Beaufsichtigungssoftware weltweit in der Anwendung.
Zu den Beaufsichtigungsmechanismen gehören dabei unter anderem Gesichtserkennung, Aufnahme und Speicherung von Audio- und Videodateien oder auch das Blockieren von bestimmten Browser-Funktionen wie etwa das Öffnen von neuen Tabs.
Die Gesichtserkennung soll beispielsweise nachvollziehen, ob der Blick der Prüfungsteilnehmer abschweift – also beispielsweise in eine Ecke im Raum, in der ein Spickzettel strategisch im toten Winkel der Kamera liegen könnte.
Beim Audio-Tracking geht es darum zu verhindern, dass die Lösungen mit einer anderen Person abgesprochen werden.
Im Zweifelsfall fällt man durch
Die Hochschule Fresenius setzte Proctorio in diesem Jahr als Aufsichtsmethode bei Online-Prüfungen ein. Dabei mussten Studierende vorab ein Formular unterschreiben, das der Software weitreichenden Zugriff auf persönliche Daten erlaubte.
Leonard Wolf absolvierte eine Prüfung mit Proctorio, fühlte sich damit aber sehr unwohl. Im Anschluss reichte er bei seiner Hochschule eine Beschwerde ein, weil er die Anzahl der gesammelten Daten unverhältnismäßig fand.
Grundsätzlich hatten die Studierenden die Wahl zwischen Online- und Präsenzprüfung. Da Wolf aber wegen einer Diabeteserkrankung zu einer Covid-19-Risikogruppe gehört, entschied er sich für die Online-Klausur.
Gegenüber Netzpolitik.org sagte Wolf später, dass das Online-Proctoring etwas mit ihm gemacht habe. So habe er etwa mal seinen Blick zum Nachdenken schweifen lassen wollen, habe das aber bewusst vermieden, aus Angst, die Software würde dies als Schummeln einstufen.
Tatsächlich erhalten die Nutzer bei Proctorio kein direktes Feedback, wenn das Tool Alarm schlägt. So lässt sich im Nachhinein nicht nachvollziehen, was die Software als Schummeln eingestuft hat.
Im Zweifelsfall fällt man dann durch die Prüfung, weil man nicht nachweisen kann, dass man zum Beispiel nur ein Pop-up-Fenster für ein Windows-Update weggeklickt hat.
Selbst in den USA, wo Datenschutzgesetze oder auch Prüfungsregelungen an Bildungseinrichtungen nicht so strikt sind wie in Europa, gibt es zunehmend Kritik von Datenschützern an den automatisierten Proctoring-Tools.
Proctoring: Viele ungeklärte Fragen
Gleichzeitig stellt sich durch die Digitalisierung für Bildungseinrichtungen verstärkt die Frage: Wie können wir das Schummeln bei Online-Prüfungen verhindern?
Denn, so viel ist klar, das Erschleichen von besseren Noten durch Schummeln, wird immer Thema sein – egal ob online oder offline. Schulen und Universitäten müssen sich also auch für Digitalformate Beaufsichtigungsmethoden überlegen.
Nur, ganz so einfach, wie – „da installieren wir mal eine Software“ – ist es in der Praxis nicht. Es gibt viele Fragen um das Proctoring, wie etwa zur Finanzierung, zur technischen Schulung der Dozenten, zur Einrichtung einer Infrastruktur und eines IT-Supports genauso wie zum Datenschutz.
Eine Hochschule muss etwa garantieren, dass die Server nicht zusammenbrechen, wenn 500 Studierende gleichzeitig eine Online-Prüfung absolvieren. Auch müssen Dozenten vorab zur jeweiligen Software geschult werden, um ein grundlegendes Verständnis im Umgang mit der Technologie zu haben.
Es sollte ebenfalls ein IT-Support vorhanden sein, der im Notfall helfen kann.
Schließlich ist es auch eine Kostenfrage, die entsprechende Infrastruktur – Internetverbindung, Serverkapazitäten und Endgeräte für Studierende – zur Verfügung zu stellen.
Und zu guter Letzt müssten die Technologien der genutzten Software transparent sein. Auch muss man Studierende umfassend über die Datenspeicherungsprozesse aufklären und sich deren Einverständniserklärung dafür einholen.
Die verwendeten Programme müssen außerdem DSGVO-konform sein. Bei Unternehmen in der EU ist dies eine Sache. Doch wie können das Programme wie etwa Proctorio, die auch Server im Ausland haben, garantieren?
Auch scheinen sich in ersten Praxistests Studierende nicht sehr wohl dabei zu fühlen, Unternehmen außerhalb der EU Zugriff auf ihre Daten zu erlauben. Selbst bei EU-basierten Unternehmen müssen die Bildungseinrichtungen dann noch verschiedene Gesichtspunkte betrachten.
Sie müssen etwa entscheiden, ob sie automatisiertes oder menschliches Proctoring nutzen wollen.
Eventuell braucht es Gesetzesänderungen
Das automatisierte Proctoring nutzt Künstliche Intelligenz und setzt Methoden wie das Tracken von Blicken, Fingerbewegungen oder visuelle 360-Grad-Beobachtung ein. Die KI kann so potenziell mehr Betrugsversuche erkennen und stoppen, aber auch eben fehlerhaft ausschlagen.
Beim menschlichen Proctoring dagegen mag der Eingriff in die Privatsphäre geringer sein. Doch ein Dozent wird auch nicht permanent 200 Studenten in einer Prüfung gleichermaßen per Kamera kontrollieren können.
Darüber hinaus haben Bildungseinrichtungen in Deutschland noch ein weiteres Problem: Es gibt strikte Auflagen zum Prüfungsrecht.
Zum einen darf es dabei im Sinne der Gleichstellung keine Online-Pflicht geben. Studierende müssen also immer zwischen Online-Prüfung und Präsenz-Prüfung wählen können.
Das bringt schon das nächste Problem mit sich. Denn Hochschulen müssen zum Beispiel auch sicherstellen, dass alle Studierenden unter den exakt gleichen Bedingungen geprüft werden.
Wie garantiert man das, wenn man sowohl online als auch im Seminarraum prüft? In einer Studenten-WG herrschen grundsätzlich andere Bedingungen als in einem stillen Klassenraum.
Teilweise haben aber nicht nur die Bundesländer, sondern auch die Universitäten und Schulen selbst individuelle Prüfungsauflagen. Hier eine einheitliche Lösung zu finden, wird also unter Umständen gar nicht möglich sein. Eventuell muss sogar die Gesetzeslage angepasst werden, damit Online-Proctoring zum Einsatz kommen kann.
Am Ende wird wahrscheinlich jede Bildungseinrichtung unabhängig entscheiden müssen, welche Methode zum Online-Proctoring sie wählt.
Internet-Recherche statt Proctoring?
Einige Universitäten haben derzeit lediglich menschliche Live-Video-Überwachung im Einsatz und die Videos werden anschließend auch nicht gespeichert.
Andere Unis und Schulen geben dagegen Prüfungen mit nach Hause. Hier dürfen die Studierenden dann nach dem Open-Book-System sogar Hilfsmittel wie etwa die Internet-Suche explizit einsetzen.
Dann müssen die Dozenten allerdings die Klausuren entsprechend so gestalten, dass sie das Wissen anderweitig abfragen.
Auch das kann eine Alternative zum Proctoring sein. So hat sich Tobias Thelen, Informatikdozent an der Uni Osnabrück schon lange vor Corona dazu entschieden, seinen Studenten das Nachschlagen von Wissen im Internet zu erlauben. Das täte man im Berufsalltag ja schließlich auch.
Seiner Meinung nach ist es ohnehin sinnvoller, Transferwissen abzufragen anstatt Auswendiggelerntes zu prüfen. Das vergesse man ohnehin nach der Klausur sofort wieder. Viel wichtiger sei es dagegen, ein Konzept verstanden zu haben und es anwenden zu können.
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