Von der Expertin für Virtual Reality hinters Lehrerpult: Diesen Weg ist Anett Gläsel-Maslov gegangen. Im Interview erklärt sie, warum sie sich für den Quereinstieg entschieden hat und worauf Quersteiger achten müssen, um glücklich und erfolgreich zu sein.
Viele Menschen haben ihren Beruf bewusst gewählt, aus unterschiedlichen Gründen. Das kann die Unkündbarkeit sein, der Wunsch nach Prestige, Leidenschaft für die Branche, Familientradition oder reine Neugier.
Und dann gibt es die Menschen, die in ihren Beruf irgendwie hineingeschlittert sind oder ihren ganzen Mut zusammengenommen haben, um etwas völlig anderes zu machen, als sie ursprünglich gelernt haben.
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Ich spreche von Quer- beziehungsweise Seiteneinsteigern. In vielen klassischen Unternehmen waren sie lange Zeit nicht gerne gesehen. Allerdings sind sie heute in handwerklichen oder IT-lastigen Berufen oder als Lehrkräfte im Schulunterricht gefragt. Im Grunde dort, wo ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften herrscht.
Quereinstieg im Aufschwung: Wenn Praxis an Bedeutung gewinnt
Die Not, Arbeitsplätze besetzen zu müssen, erlaubt es auf einmal, Menschen einen Job ausüben zu lassen, für den sie vorher als nicht qualifiziert galten. Und das nur aufgrund eines fehlenden Abschlusses. Plötzlich ist die praktische Expertise genauso wertvoll wie der in Deutschland als heilig angesehene Abschluss.
Dabei kam es schon immer auf die Praxis an. Sie bewies letztlich, ob jemand sein Handwerk beherrschte oder nicht. In der Politik gibt es zahlreiche Seiteneinsteiger wie beispielsweise Jens Spahn, der ein gelernter Bankkaufmann ist und heute das Amt als Bundesminister für Gesundheit innehat.
Oder denken wir an Tobi Schlegel? Wer sich an Viva erinnert, weiß, wen ich meine. Er wurde als Radio- und TV-Moderator bekannt und hat vor Kurzem seine Ausbildung zum Notfallsanitäter beendet.
Quereinstieg ist die Verknüpfung von Wissen und Erfahrung mit Veränderungsbereitschaft
Ich habe mich gefragt, welche Hürden und Herausforderungen ein Seiteneinsteiger bewältigen muss, um einen völlig neuen Job auszuüben. Schließlich reden wir hier nicht vom einem 16-jährigen Jugendlichen, der frisch von der Schule eine Lehre anfängt.
Quereinsteiger haben häufig bereits mehrere Jahre gearbeitet, ein Team geführt oder als Selbständige Kunden betreut. Auch habe ich mich gefragt, ob der neue Job nun tatsächlich ein Traumjob ist, den man sich erhofft hat. Oder ist es nicht vielleicht der Weg vom Regen in die Traufe?
Ich habe mit Anett Gläsel-Maslov gesprochen. Viele kennen sie aus dem Netz als @ideentraeger oder als eine der wichtigsten Frauen im Netz, die im Tech-Bereich mit dem Schwerpunkt Virtual und Argument Reality tätig war.
Anett befindet sich mitten im Quereinstieg und lässt sich gerade am Zentrum für Lehrerbildung in Dortmund ausbilden. Seit Anfang 2019 ist sie Lehrerin in Bochum und unterrichtet die Fächer Deutsch und Englisch.
BASIC thinking: Anett, danke, dass du dir Zeit nimmst für unser Gespräch. Bitte stell dich einmal vor!
Anett Gläsel-Maslov: Ich bin 39 Jahre alt und wohne in Bochum mit meinen drei Kindern. Ich wurde in Leipzig geboren und habe dort Anglistik, Germanistik und Journalistik studiert. Nach einem kurzen Ausflug in die Buch- und Verlagsbranche hat mich das Leben nach München in die Tech-Branche hineinmanövriert.
Während meiner Zeit als PR-Managerin für Metaio habe ich viele hochinteressante Menschen und Technologien kennengelernt, war sehr viel unterwegs und stand irgendwie immer unter Adrenalin. Ständig gab es etwas Neues, das wir oder andere entwickelt hatten.
Ich habe viele Konferenzen und Events besuchen und auch selbst organisieren dürfen, spannende Kooperationen knüpfen dürfen und großartige Kontakte kennengelernt. Nach dem Verkauf von Metaio an Apple bin ich ins Ruhrgebiet gezogen und habe mich dort selbständig gemacht.
Unter Ideentraeger-PR habe ich Konferenzen organisiert, PR für die Technologie-Branche – vor allem im Bereich AR und VR und Künstliche Intelligenz – gemacht und Start-ups beraten. Das war eine unglaublich spannende Zeit.
Nachdem du aus Bayern nach Nordrhein-Westfalen gezogen bist, warst du weiterhin in der PR und Event-Branche tätig und hast dich dann auch selbständig gemacht. Warum hast du dich für einen völlig neuen Job entschieden?
Nachdem ich bei Metaio viele spannende Technologien kennengelernt hatte, war klar, dass ich auch in der Branche bleiben möchte. Ich hatte davor schon Einblicke in die Buchbranche nehmen können und vor allem Social Media für Unternehmen gemacht.
Wenn ich aber eines gelernt habe in den letzten Jahren, dann dass das Leben und die Chancen, die wir heute haben, enorm vielfältig sind. Es ist nie zu spät, die Richtung zu ändern.
Die vielen Jahre, die ich noch arbeiten werde, möchte ich mit etwas verbringen, das mir Spaß macht, mich herausfordert und mir die Chance gibt, meiner gesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen.
Quereinstieg extrem: Von Augmented Reality ans Lehrerpult
Von der Tech-Blase in eine der wohl am wenigsten technisierten Bereiche in Deutschland überhaupt – die Schule. Das ist ein ziemlicher Schritt. Wer dich kennt, weiß, dass dein Herz für VR und AR schlägt.
Ja, das stimmt wohl! Ich hatte bis dahin nicht geglaubt, dass unsere Schulen echt noch im Kreidezeitalter stehengeblieben sind. Trotzdem: Es war schon immer mein heimlicher Wunsch, Kinder und Jugendliche zu unterrichten. Doch als ich damals studieren wollte, erschien mir nichts weniger sexy als Lehrerin zu sein.
Ich wollte erst einmal weg aus dem Schulleben und in die Welt des Journalismus eintauchen. Dann war ich bei Pro Sieben und N24 in München für ein Praktikum und habe in Großbritannien ein Auslandssemester verbracht.
Nach vielen Jahren PR und Marketing sowie unzähligen Konferenzen und Events war die Sehnsucht groß, etwas Nachhaltiges zu machen.
Warum hast du dich für den Lehrerberuf entschieden?
Ich bin in einer großen Familie aufgewachsen, in der die Anzahl der Ärzte und Lehrer dominierte. Eines Tages sagte meine Oma zu mir: „Anett, studier’ doch auch Medizin. Das passt zu dir.“ Ich fühlte mich geschmeichelt, lehnte aber dankend ab.
Meine Hochachtung für Mediziner kennt keine Grenzen, deshalb konnte ich mir das für mich nicht vorstellen. Meine Zeit in der Medien- und Technologie-Branche möchte ich jedoch auf gar keinen Fall missen. Das war genau das, was ich machen wollte.
Aber die Zeiten sind hart und die Konferenz-Landschaft war – auch vor Corona schon (man denke nur an die CEBIT) – völlig übersättigt. Genau so habe ich mich dann auch irgendwann gefühlt.
Wie bist du in den Beruf als Lehrerin eingestiegen und was waren deine Schritte dorthin?
Als ich im Oktober 2018 den Entschluss gefasst hatte, in den Schuldienst zu gehen, habe ich mich in Bochum erkundigt, wie man den Quereinstieg bewältigen kann.
Ich wollte wissen, welche Voraussetzungen ich brauche, welche finanziellen Einschränkungen eine erneute Ausbildung in Nordrhein-Westfalen mit sich bringen würde und wie lange all das dauern würde.
Überraschenderweise ist der Lehrermangel ziemlich hoch gewesen und ist es jetzt mehr denn je, sodass der berufliche Einstieg für mich relativ einfach war. Da ich Anglistik und Germanistik studiert hatte, war ich damit für die Hauptfächer Deutsch und Englisch ausreichend qualifiziert.
Ich habe genau drei Bewerbungen geschrieben – eine an eine Gesamtschule, zwei an Grundschulen – und mein Vorstellungsgespräch war relativ kurz. Meine heutige Schulleiterin hatte wohl schon vorher beschlossen, dass sie mich haben will.
Die Gedanken vor dem Quereinstieg
Welche Gedanken hast du dir im Vorfeld gemacht, bis du deine Entscheidung zu wechseln getroffen hast?
Ich habe mich vor zwei Jahren immer öfter gefragt, was ich mit meinem Leben noch anfangen möchte. Wohin die Reise gehen soll und wie ich das machen kann, was mir wichtig ist.
Ich arbeite gerne mit Kindern und Jugendlichen zusammen. Jeder Tag, jede Stunde ist anders und es ist ein großartiger, ehrlicher, menschlicher Austausch. Es ist nicht immer nur Zuckerschlecken, keine Sorge. Lehrer haben es ziemlich schwer heute.
Welche Hürden haben sich für dich ergeben, als du dich mit den Eingangsvoraussetzungen befasst hast?
Ich hatte bereits nach meinem Studium 2011 die Idee als Seiteneinsteigerin in Baden-Württemberg in den Schuldienst zu gehen. Jedoch hätte ich dafür noch das Latinum nachholen müssen und das war ein KO-Kriterium für mich.
2018 habe ich mich dann erneut mit den Voraussetzungen für den Quereinstieg beschäftigt. Und siehe da: Man kann auch Lehrer ohne Latinum sein.
Die zweite Hürde war das Einstiegsgehalt während der Lehrerausbildung. Ich bin praktisch zwei Jahre lang in Vollzeit für das Land Nordrhein-Westfalen im Schuldienst. 18 Monate davon bin ich einmal in der Woche am Zentrum für Lehrerbildung in Dortmund und erhalte dort meine theoretische Ausbildung.
Während dieser Zeit erhalte ich auch nur ein Einstiegsgehalt – ohne Kinderzuschlag, ohne weitere Vergütungen. Da ich alleinerziehend bin, musste ich mir das wirklich gut überlegen. Am Ende dachte ich mir: No risk, no fun. Im Frühling 2021 habe ich mein zweites Staatsexamen und dann winkt die Verbeamtung.
Du bist nun 1,5 Jahre als Lehrerin tätig. Was hat sich alles für dich geändert?
Ziemlich viel. Was ich am meisten vermisse, ist meine Flexibilität, wann und wo ich arbeite. Des Lehrers Geisel ist der Stundenplan. Pünktlich um 8 Uhr musst du vor der Klasse stehen. Ausnahmen gibt es keine. Wer zu spät kommt, verliert als Lehrer sein Gesicht.
Der Vorteil des Stundenplans ist, dass ich jeden Nachmittag zuhause sein kann und dadurch flexibler mit meinen Kindern bin. Aber wer denkt, dass Lehrer morgens recht und nachmittags frei haben, irrt.
Ich habe auch heute manchmal noch 50-Stunden-Wochen, wenn ich Unterricht vorbereiten, korrigieren und Feedback geben muss, an Lehrerkonferenzen teilnehme oder Elterngespräche führe. Manchmal sitze ich abends oder am Wochenende noch sehr lange für Prüfungen und Korrekturen.
Das ist dann ziemlich vergleichbar mit meiner Selbständigkeit. Abgesehen vom Zeitfaktor kann ich aber sagen, dass mich dieser Beruf glücklich macht. Die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen ist sehr erfüllend und hält mich ständig auf Trab.
Was ich sehr schätze, ist das ehrliche Feedback meiner Schüler. Die ganz Kleinen sagen direkt, was sie denken. Die Teenager versuchen dir ganz diplomatisch den Spiegel vorzuhalten. Großartig!
Tipps für den Quereinstieg
Wie ist es für dich, die du jahrelang in einer komplexen und technisierten Branche tätig warst, nun in einem Bereich zu arbeiten, der noch in den technischen Anfängen steckt?
Ernüchternd. Und es macht mich unglaublich wütend. Kinder sind unsere Zukunft! Sie haben das Recht, darauf vorbereitet zu werden. Wir sind die Erwachsenen und wir sind die, die ihnen zeigen sollten, wie es geht.
Stattdessen werden unsere Schulen vom Land nicht anständig ausgestattet, viele Lehrer haben Angst vor Technologie und dass sie ihr Gesicht verlieren würden, wenn sie vor ihren Schülern zugeben würden, dass sie sich nicht auskennen.
Dabei gibt es aber auch großartige andere Beispiele. Lehrer, die Video-Unterricht in Corona-Zeiten geben, iPad-Klassen – fast ausschließlich an Gymnasien, da die Technik privat von den Familien finanziert werden muss. Ein absolutes Unding! – und Schulen, die die gesamte Organisation digitalisiert haben.
Meine Söhne gehen an ein Bochumer Gymnasium, das von der Stadt als Vorzeigeobjekt gelobt wird. Und ja, das ist es auch. Die Kinder können im Handumdrehen Power-Point-Präsentationen erstellen – das kann mancher Lehrer nach 30 Jahren Windows nicht – und anhand verschiedener Apps tragen sie keine schweren Bücher und Hefter mehr mit sich herum, sondern haben alles digital auf ihrem Tablet. Alles prima.
Andere Schulen hingegen kämpfen damit, dass sie ständig nach Kreide laufen müssen, eklige Schwämme im verkeimten Waschbecken herumliegen und selbst nach der Schließung der Schulen im Corona-Frühling noch nicht einmal alle Schüler und Eltern über die favorisierte Schul-App verfügen, um die Aufgaben für die unterrichtsfreie Zeit (sprich: Shutdown) abzurufen.
Da mangelt es an technischen Geräten, an Datenvolumen und teilweise auch an der Medien-Kompetenz.
Ich bin in diesen Beruf via Quereinstieg mit der Vorstellung eingetreten, dass ich helfen könnte, Unterricht medial zu gestalten, den Schülern Technologien näherzubringen und dort anzuknüpfen, wo ich aufgehört habe. Das war naiv – ohne Zweifel.
Dass es teilweise so schlimm aussieht in unseren Schulen, hätte ich nicht gedacht. Wer weiß: Vielleicht wird das Thema „Digitale Schule“ durch Corona und die Herausforderung des Home-Schoolings den dringend notwendigen Aufwind bekommen.
Vielleicht werden die kleinen, grauen Kästen, die in unseren Klassenzimmern in den letzten Monaten angebracht wurden, auch irgendwann wie versprochen Highspeed-WLAN liefern. Und wer weiß: Vielleicht könnten Lehrer auch irgendwann dazu verpflichtet werden, sich mit digitalen Medien zu beschäftigen.
Kinder aus bildungsfernen Schichten könnten irgendwann die gleichen Rechte und Möglichkeiten haben wie Kinder aus Gutverdiener-Haushalten. Das hoffe ich. Und auch deshalb bin ich Lehrerin geworden.
Welche Tipps hast du für Menschen, die einen Quereinstieg in Erwägung ziehen?
Ich habe mich im Vorfeld über den Quereinstieg ins Lehramt genau informiert. Dazu habe ich beispielsweise ein Buch gelesen, dass sich mit genau dem Thema beschäftigt. Und ich habe mich hingesetzt und durchgerechnet, ob der Verdienst ausreichen wird, um meine Kinder und mich finanzieren zu können.
Darüber hinaus habe ich mich seelisch und moralisch drauf eingestellt und mich gefragt, ob ich mit möglichen Widerständen gut klar komme oder eben nicht. Die Realität ist dann immer noch eine andere. Mit Ängsten muss man klar kommen. Das ist völlig normal und das kenne ich auch aus der Selbständigkeit.
Am Ende zählt nur, ob man es wirklich will, und dann muss man aktiv werden. Das wären meine Empfehlungen: Informieren und sich klar werden, ob man den anderen Job wirklich will. Und dann machen!
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