Eine alte Freundin aus frühen Studientagen bat demletzt über Facebook ihr Umfeld um Rat. Sie ärgere sich über SUV-Muttis, die vor der Grundschule die Feuerwehrzufahrt zuparken und bespräche nun gerne, ob sie diese mit der Wegeheld-App melden solle oder nicht. Aber sowas von, finde ich!
„Seit mehr als 4 Jahren geht mir fast jeden Tag der Blutdruck hoch, weil einige Eltern ständig, völlig schamlos, in der Feuerwehreinfahrt der Grundschule parken (nein, nicht nur kurz anhalten, zum Aus- oder Einsteigen lassen…), sondern um minutenlang zu verschwinden, das Gör in den Klassenraum zu bringen oder langatmig abzuholen.
Das durchschnittliche Kind dieser Schule wohnt übrigens keine 500 Meter entfernt… Die Leute ansprechen? Sinnlos, sie haben keinerlei Unrechtsbewusstsein und es geht da auch nicht um Notfälle, es sind immer wieder und sehr konsequent dieselben…
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Jetzt habe ich die App „Wegeheld“ entdeckt, mit der man Falschparker fotografieren und ans Ordnungsamt melden kann. Ich: Bäm! Zittert, Eppendorfer SUV-Muttis! Der Mann aber nennt mich „Blockwart“… Was meint ihr??“
Lohnt es sich, gegen Falschparker anzugehen?
Bevor ich meine Antwort hier gebe, möchte ich gerne klären, ob wir in einem Rechtsstaat oder einem Unrechtsstaat leben.
Die Frage muss jeder für sich beantworten – und ich komme wohl zu einem anderen Ergebnis als der Polo-Fahrer vor uns auf der Autobahn, dessen Nummernschild mit „88“ endet und dessen Heck Aufkleber wie „Todesstrafe für Volksverräter“ und das eiserne Kreuz zieren.
Ich bin überzeugt davon, dass wir in einem Rechtsstaat leben. Bei allen Schwächen, Unschärfen und verbesserungswürdigen Details.
Wenn wir also von einem Rechtsstaat ausgehen, kann es im engeren historischen Sinne keinen Blockwart geben, also einen faschistischen Denunzianten, der in einem Unrechtsstaat Verstöße anzeigt, die häufig zu Deportation und Tod der Bewohner führen.
Sollten wir dagegen in einem Unrechtsstaat leben, sollte wir unsere Energie nicht gegen falschparkenden Eltern, sondern gegen eben dieses Unrecht (das größer sein dürfte als Falschparken) richten.
Jetzt, wo wir das geklärt haben: Ich finde es völlig in Ordnung, Verkehrssünder via Wegeheld-App* zu melden.
Apps wie Wegeheld erhalten das System
Meine Begründung ist so einfach wie emotionslos: Ohne Systeme funktioniert unser Leben nicht. Und ein System lebt von klaren Regeln (putze deine Zähne, parke nicht in der Feuerwehreinfahrt) sowie der Überwachung und Einhaltung dieser Regeln.
Wo diese Regeln nicht mehr eingehalten oder ein Verstoß gegen sie nicht mehr geahndet werden, bekommt das System Risse bis hin zur Anarchie.
Vorausgesetzt, den Teilnehmern an diesem Spiel sind die Regeln bekannt. Wer sich trotz besseren Wissens nicht daran hält, nimmt eine Sanktion in Kauf, die auch bekannt sein dürfte. So eine „Blockwart-App“ wie Wegeheld hat also systemstabilisierende Funktion. Und das ist gut.
Oh ja, ich ärgere mich auch, wenn ich geblitzt werde. Besonders aktuell auf der A60, der Ringautobahn von Mainz mit ihrem famosen „Hechtsheimer Tunnel“, dessen Bau so langwierig und teuer war wie jener für den Bahnweg unter dem Ärmelkanal zwischen Frankreich und England. Zumindest ungefähr.
Kurz vor diesem Hechtsheimer Tunnel steht eine feste Blitzanlage, dort ist die Geschwindigkeit auf 80 Stundenkilometer beschränkt. Der Effekt: Vor dem Blitzer bremsen alle, danach beschleunigen alle. Um jetzt in den mobilen Blitzer zu fahren, der dort seit ein paar Tagen steht.
Radarfallenplaner – was für ein Traumberuf für von Machtlosigkeit ergriffenen Beamte und Mitarbeiter des öffentlich Dienstes, bei denen es nicht zum Schaffner oder Fahrkartenkontrolleur gereicht hat!
Der Beschwerdebriefkasten bin ich selbst
Doch ganz ehrlich: Bei wem sollte ich mich beschweren, wenn ich auf einer 80er-Strecke 100 fahre? Bei diesen Beamten? Beim Bürgermeister?
Bei jenem ehemaligen Bundestagsabgeordneten unserer Stadt, der weiland den Ausbau mit dem Argument, man könne dann vierspurig in das schöne Rheinhessen fahren, propagiert hatte?
Oder doch bei der Lügenpresse, den Volksverrätern und Linksversifften?
Nein, der einzig wahre Beschwerdebriefkasten bin ich selbst. Ich weiß, dass dort die Geschwindigkeit beschränkt ist. Ich weiß, dass es eine Geldstrafe gibt, wenn ich zu schnell fahre. Wenn ich es dennoch tue, muss ich die Strafe akzeptieren – und nicht wüten, erwischt worden zu sein.
So ähnlich sage ich es meinen Kindern: „Ich bringe euch die Regeln bei, wie ihr sie brecht, müsst ihr selbst herausfinden!“
Dieser Artikel erschien zuerst bei Guido Augustin.
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