Mercedes Benz hat vor kurzem eine neue Verkaufsstrategie namens „Best Customer Experience 4.0“ vorgestellt. Das Ziel des Herstellers: Bis zum Jahr 2025 soll ein Viertel aller Verkäufe über das Internet stattfinden.
Das Autohaus ist einer der altmodischsten Aspekte der Automobilindustrie. Meistens entscheidet der Autoverkäufer schon auf den ersten Blick, wer ein potentieller Käufer ist und wer nicht. Die Digitalisierung ging in der Automobilbranche eher schleppen voran, bis Unternehmen wie Tesla frischen Wind in die Sache brachten. Was jedoch die deutsche Automobilindustrie angeht, war Mercedes schon immer eines der vorausschauendsten Unternehmen.
Bereits 2013 überdachte Mercedes den Umgang mit seinen Kunden. Damals richtete sich die „Best Customer Experience“ vor allem an technisch versierte und gut informierte Kunden.
„Nahezu jeder besitzt heutzutage ein Smartphone und jeder geht davon aus, ständig mit dem Internet verbunden zu sein. Moderne Fahrzeuge sind gewissermaßen Smartphones auf Rädern. Das Auto ist zum persönlichen Begleiter geworden“, sagte Britta Seeger, Vorstandsmitglied von Mercedes-Benz Cars Sales & Marketing, anlässlich der Einführung der „Best Customer Experience 4.0“ in Den Haag.
Bis zum Jahr 2025 soll ein Viertel aller Verkäufe über das Internet stattfinden – ein ambitioniertes, aber kein unrealistisches Ziel. Im Durchschnitt verbringen Käufer neunzehn Stunden mit Recherche, bevor sie Fuß in ein Autohaus setzen. Mit der Customer Experience 4.0 hat Mercedes ein neues Konzept entwickelt, um Kunden über die sozialen Medien, darunter auch Instagram, in eigens zu diesem Zweck gestaltete Autohäuser zu bringen.
Ich glaube zwar nicht, dass Leute ihre Autos in Zukunft nur aufgrund eines Instagram-Posts kaufen werden, aber die Idee ist äußerst interessant. Meine Gedanken zu diesem Thema habe ich bereits in einem anderen Artikel geäußert. Für die Kunden beginnt die Reise eigentlich erst dann, wenn sie sich bei Mercedes Me anmelden. Dort erhalten sie genauere Informationen zu den einzelnen Modellen und bekommen die Möglichkeit, ihr eigenes Auto zu konfigurieren. Die App dient jedoch nicht nur zum Autokauf – sie bietet auch die Möglichkeit, mit allen digitalen Diensten von Mercedes zu interagieren. Wer nicht davon überzeugt ist, dass eine App für mehr Umsätze sorgen kann, sollte einen Blick auf folgende Zahlen werfen: Über neunzig Prozent aller neu verkauften Mercedes-Benz-Fahrzeuge wurden in der App aktiviert und insgesamt hat Mercedes Me bereits drei Millionen Nutzer.
In der Mercedes Me-App könnt ihr sehen, welche Händler die von euch ausgewählte Fahrzeugkonfiguration auf Lager haben. Wer möchte, kann direkt einen Termin vereinbaren und dem Autohändler einen Besuch abstatten.
Besucher werden direkt am Eingang vom „Star Assistant“ begrüßt. Über ein iPad werden Kunden, die keinen Termin vereinbart haben, zur passenden Abteilung geführt – die Mitarbeiter des Autohauses erhalten daraufhin eine Benachrichtigung.
Das ermöglicht deutlich besseren Kundenservice, denn in den meisten Autohäusern muss man zunächst eine gefühlte Ewigkeit warten, bis ein Verkäufer endlich sein Büro verlässt und seine Hilfe anbietet. Meiner Erfahrung nach, sind viele Autoverkäufer ohnehin nicht sonderlich hilfreich, und wann immer ich ohne meinen Vater unterwegs war, erhielt ich keinen guten Kundenservice.
Bei Mercedes läuft die Sache zum Glück anders ab. Wenn ihr euch ein Auto ansehen möchtet, wird der „Star Assistant“ einen Produktspezialisten rufen. Dabei handelt es sich aber nicht einfach nur um Verkaufspersonal. Die einzige Aufgabe der Produktspezialisten ist es, Fragen zu beantworten, Provisionen gibt es keine. So fühlen sich Kunden nicht so sehr unter Druck gesetzt.
Revolutionär finde ich auch den Ansatz zum Thema Provisionen. Verkäufer erhalten eine deutlich geringere Provision, dafür erhält nun auch der Autohändler eine Provision. Das soll bei den Händlern für mehr Teamgefühl sorgen.
Kunden haben die Möglichkeit, die Autos 48 Stunden lang Probe zu fahren.
Sobald ihre eure Kaufentscheidung getroffen habt, könnt ihr ein Treffen mit einem Verkaufsmitarbeiter vereinbaren. Da das neue Verkaufsmodell erst seit einigen Monaten läuft, gibt es noch keine offiziellen Angaben zu seiner Effektivität. Allerdings hat sich die Anzahl der Kaufinteressenten deutlich erhöht und die Verkäufer haben nur noch mit Leuten zu tun, die ein wirkliches Interesse am Kauf eines neuen Fahrzeugs haben.
Beim Abschluss des Kaufs hat Mercedes bereits einiges an Arbeit in die emotionale Bindung zwischen Käufer und Fahrzeug gesteckt.
Die Fahrzeugübergabe ist übrigens ein echtes Erlebnis – sie läuft in jedem Land anders ab und ihr könnt euch auf eine Lichtershow und eine Enthüllung des Autos freuen.
Auch bei der Schlüsselübergabe geht es dramatisch zu, das Ganze wird sogar auf Video festgehalten, damit ihr es euch später noch einmal ansehen oder mit Freunden teilen könnt.
Die Customer Experience 4.0 geht zu Hause weiter
Die Mercedes Me-App steht auch nach dem Kauf im Mittelpunkt – beispielsweise könnt ihr damit das Multimediasystem eures Fahrzeugs steuern oder Erinnerungen erhalten, wenn das Auto einen Ölwechsel oder andere Kundenserviceleistungen benötigt.
Im brandneuen Autohaus in den Niederlanden erkennt ein System automatisch das Kennzeichen eures Wagens, um euch bei Werkstattterminen zu unterstützen.
Ein Mechaniker erklärt euch, welche Wartungsdienste notwendig sind, und die App informiert euch über den Status der Wartung. Nach dem Kauf könnt ihr außerdem die Hilfe von
Kunden können in der App den Fortschritt der gebuchten Services überprüfen und nachsehen, wann sie das Fahrzeug wieder abholen können.
Mercedes möchte sich aber vor allem auf digitale Dienste konzentrieren.
Über den Mercedes Me Store lassen sich automatische Upgrades erwerben, mit denen sich beispielsweise das Smartphone in einen Autoschlüssel verwandeln lässt.
Es gibt auch eine App für Elektrofahrzeuge, die maßgeschneiderte Routen für Navigationsgeräte bereitstellt – diese berücksichtigen Ladestationen, an denen mit der App gezahlt werden kann. Diese Funktion wurde zeitgleich mit der Vorstellung des ersten vollelektrischen Fahrzeugs von Mercedes-Benz, dem EQC SUV, hinzugefügt.
Mit der Bertha-App können Leuten, die keinen Mercedes besitzen, Partner-Tankstellen besuchen und dort mithilfe der Smartphone-App bezahlen. Und mit Mercedes Me Parking könnt ihr freie Parkplätze finden und direkt die Parkgebühren begleichen.
Mercedes testet auch eine Carsharing-App, die es mehreren Nutzern ermöglicht, auf ein einziges Auto zuzugreifen. Im Fahrzeug befindet sich ein spezieller Schlüssel, denn die Nutzer erhalten über ihr Smartphone Zugriff auf das Fahrzeug und können in der App ihre Nutzungszeiten eintragen.
Pop-Up-Stores – die Autohäuser der Zukunft
Der „Point-of-Sale“ wird zum „Point of Experience“ – Mercedes-Pop-Up-Stores in Einkaufszentren und anderen Veranstaltungsorten bringen die Marke dorthin, wo die Kunden sind. Die Autohäuser bieten dagegen Hightech und detaillierte Informationen und Videos auf großen Leinwänden.
Das Ziel: Einen Mercedes zu kaufen soll so einfach sein, wie online ein Buch zu bestellen. Bis zum Jahr 2025 sollen ein Viertel aller Verkäufe über das Internet stattfinden.
Trotz der Digitalisierung bleibt die menschliche Komponente ein wichtiger Bestandteil der Strategie von Mercedes-Benz. Schließlich möchten sich Kunden – egal wie gut sie informiert sind – erst mit einem Autohändler unterhalten, bevor sie den Kaufvertrag unterschreiben.
Mehr als 80 Prozent aller Kunden wünschen sich persönliche Beratung und Probefahrten. Autohäuser werden für Mercedes also weiterhin wichtige Verkaufsorte bleiben.
Autohäuser befinden sich meistens nicht in den Innenstädten und lassen nicht immer leicht erreichen. Die Pop-up-Stores sind ein wichtiger Bestandteil der Strategie, um potentielle Kunden in die Autohäuser zu locken.
Welche Rolle spielen Autohäuser für die Zukunft der Mobilität?
Der Wandel vom traditionellen Automobilhandel hin zum Konzept „Mobilität als Dienstleistung“ wird immer mehr Realität. Das ist auch der Grund, weshalb immer mehr Hersteller Partnerschaften mit Carsharing-Dienstleistern und Tech-Unternehmen eingehen. Aber welche Rolle werden Autohändler in Zukunft spielen?
Die Antwort: Autohäuser werden weiterhin der Dreh- und Angelpunkt des Automobilvertriebs bleiben, denn die Branche braucht diese Umsatzmöglichkeit mehr denn je. Sowohl für die Hersteller als auch für die Händler steht viel auf dem Spiel. Die ständigen Weiterentwicklungen auf dem Gebiet der autonomen Fahrzeuge tragen dazu bei, Aussichten auf neue Mobilitätsdienstleistungen zu schaffen, welche die Automobilindustrie neu definieren könnten. Hersteller, Autohändler und Start-Ups müssten sich als Folge zunehmend auf Mobilitätsdienstleistungen konzentrieren.
Mercedes-Benz hat erhebliche Fortschritte gemacht, um den Autohandel an die Kundenbedürfnisse von heute anzupassen.