Bevor ich hier auch nur einen Satz schreibe: Ja, natürlich werde ich in meiner Besprechung der dritten Staffel von Stranger Things spoilern. Ich werde versuchen, nicht zu viel auf die Handlung einzugehen, aber der ein oder andere verräterische Hinweis wird sich nicht vermeiden lassen. Falls ihr die dritte Staffel also noch vor euch habt: Artikel bookmarken und später lesen 😉
[mg_blockquote]Da kommt etwas. Etwas Bluthungriges. Ein Schatten wächst an der Wand hinter euch.[/mg_blockquote]
Das war der erste Satz, der damals geredet wurde in der allerersten Folge von Stranger Things, jenem Serien-Überhit von Netflix. Alles, was danach kam, ist TV- bzw. Streaming-Geschichte und diese Geschichte wird seit gestern in acht neuen Folgen der dritten Staffel weitererzählt. Im Schnitt sind diese Folgen etwa 50 Minuten lang, die finale Folge bringt es sogar auf 77 Minuten.
Bevor ich gestern morgen vor der ersten neuen Folge auf „Play“ drückte, machte ich mir meine Gedanken, wie man diese Geschichte jetzt wohl weiter erzählt. Vorher wusste man ja bereits, dass sie im Jahr 1985 spielen würde. Wer sich noch erinnern kann: Es war die Zeit des kalten Krieges, die sich auch im Kino damals manifestierte. Bereits 1984 kam „Die rote Flut“ ins Kino — ein Streifen mit großem Staraufgebot, dessen Handlung allerdings … na ja, vermutlich seht ihr ihn euch besser selbst an. Ein weiterer Kalter-Krieg-Klassiker ist Rocky IV, wo Balboa auf den legendären Ivan Drago trifft.
Das erzähle ich euch deswegen, weil die erste Staffel beginnt und wir uns tatsächlich mitten im schönsten Sowjet-Szenario wiederfinden. Auf der Metaebene finde ich das so grandios — einfach, weil wir damals im Kino oder zuhause auf Video eben genau diese Filme geschaut haben, in denen der Amerikaner immer der Held und der Russe immer der Arsch war. Gerade bei einer Serie, die genau in dieser Zeit spielt und von oben bis unten voll ist mit Referenzen an diese Zeit, passt das natürlich perfekt ins Bild. Anlässlich der zweiten Staffel schrieb ich vor etwa eineinhalb Jahren:
[mg_blockquote]Es ist den Machern gelungen, sowohl die Story schlüssig voranzutreiben, die Charaktere weiterzuentwickeln bzw. neue spannende Personen einzuführen und bei all dem auch noch seinen Charme beizubehalten. Gerade letzteres hätte man leicht überspannen können, indem man die Retro-80s-Nummer einfach zu platt und breit auswalzt.[/mg_blockquote]Genau das passt alles exakt auch wieder für die neue Staffel, mit einer klitzekleinen Einschränkung. Für den ein oder anderen mögen es vielleicht mittlerweile zu viele Anspielungen sein — man kommt kaum noch hinterher, weil so viele alte Songs laufen, die Charaktere im TV Serien wie Magnum glotzen, im Kino läuft Zurück in die Zukunft und so weiter. Spielzeuge, Poster, Lebensmittel — aus jeder Szene schlägt einem die volle Achtziger-Breitseite entgegen.
Für mich persönlich ist das kein Problem, im Gegenteil — ich liebe es. Aber ich könnte mir vorstellen, dass es für den ein oder anderen jetzt doch schon des Guten zu viel ist. Ähnlich sieht es beim Product-Placement aus. Die New York Times berichtet, dass Netflix für Stranger Things mit annähernd 75 Unternehmen Werbe-Deals ausgehandelt hat. Besonders oft bekommen wir Produkte von Burger King und Coca-Cola zu sehen.
Wer sich noch erinnern kann: 1985 brachte Coca-Cola sein Getränk mit einer neuen Rezeptur auf den Markt und nannte es seine „New Coke“. Die schmeckte den Cola-Trinkern so super, dass sie lieber zur Coke Classic griffen und die neue Cola ruck zuck wieder vom Markt verschwunden war. Und genau diese neue Cola wird in der Serie nicht nur getrunken, es werden darüber natürlich auch Sprüche geklopft. Der Hype um Stranger Things ist in den USA sogar so groß, dass das Unternehmen diese einst verschmähte Brause jetzt sogar in limitierter Auflage wieder in die Geschäfte bringt.
Auch die Platzierung zahlreicher Produkte stört den Fluss der Story für mein Empfinden nicht im Geringsten, aber auch hier könnte ich mir vorstellen, dass es Zuschauer gibt, die genervt sein könnten.
Worum geht es in der dritten Staffel?
Ich sagte ja bereits, dass ich nicht zu viel von der Handlung verraten möchte und nicht so ins Detail gehen werde. Aber grob den roten Faden möchte ich euch hier schon aufzeigen. Nachdem in der zweiten Staffel das Tor zur anderen Welt mühevoll geschlossen werden konnte, haben sich nun die Sowjets unter der nagelneuen Starcourt Mall in geheimen Labors breit gemacht und wollen dieses Tor wieder öffnen.
Blöderweise hat man das Schattenmonster aus dem zweiten Durchlauf der Serie nicht so komplett eliminiert, wie sich die Kids das vorgestellt haben und so kehrt es jetzt zurück und manifestiert sich sogar auf ziemlich ekelhafte, Alienesque Weise. Der Mind Flayer sieht aus wie eine Mixtur aus Spinne, Alien-Monster und „The Fly“ und auch effekttechnisch bedienen sich die Duffer-Brüder an diversen Filmvorlagen.
Wenn wir schon bei Filmvorlagen sind: Einer der russischen Antagonisten sieht aus, als hätte man ihn aus Arnold Schwarzeneggers Terminator und Ivan Drago geklont. Immer abwechselnd sind unsere Helden in den acht Folgen mal im Kampf mit dem Monster und mal mit den Sowjets.
Wenn euch jemand erzählt, dass Stranger Things 3 irgendwie wie die ersten beiden Staffeln ist, dann stimmt das natürlich. Die Achtziger-Jahre-Anspielungen, die in dieser Staffel noch ausgeprägtere Coming-of-Age-Thematik, die Jungs und Mädels, die gegen ein Monster antreten — alles schon so wie gehabt.
Aber ich kann nicht erkennen, dass das einen Nachteil darstellt in den neuen Folgen. Im Gegenteil: Ab der ersten Minute der dritten Staffel fühlt es sich an wie die heißgeliebte Kuscheldecke, in die man sich einwickelt und sofort wohlfühlt. Auch hier Respekt an die Duffer-Brüder — niemand bekommt das perfekter hin. Die Geschichte wird flott erzählt, ohne jegliche Längen. Der Schnitt und die Kameraarbeit sind dabei auf dem identisch hohen Niveau, wie wir es aus den ersten beiden Staffeln gewohnt sind.
Alte und neue Helden
Die meisten unserer kleinen Helden kennen wir natürlich aus den ersten beiden Staffeln: Eleven ist selbstverständlich wieder dabei (gespielt von Millie Bobby Brown), ebenso Mike (Finn Wolfhard), der immer noch ebenso großartige wie zahnlose Dustin (Gaten Matarazzo) und Will (Noah Schnapp) und Lucas (Caleb McLaughlin). Komplettiert wird die Riege erneut durch Max, außerdem sind auch viele der anderen altbekannten Charaktere wieder am Start, zum Beispiel Hopper und Joyce.
Stranger Things schafft es aber, wie schon in der zweiten Staffel, ganz behutsam neue Charaktere einzubauen, die sich, ohne dass man es merkt, in unser Herz schleichen. Da wäre beispielsweise die quirlige und vorlaute kleine Erica, Lucas‘ kleine Schwester. Deutlich schneller fand Robin ihren Weg in mein Herz. Sie arbeitet in der Mall und wird mit zunehmender Dauer der Staffel immer wichtiger für unsere Gruppe. Bei Twitter hab ich schon gesehen, dass ich nicht der einzige bin, der von Maya Hawke begeistert ist, die übrigens die Tochter von Uma Thurman und Ethan Hawke ist.
https://twitter.com/WelcomeSeaside/status/1146724830139432960?
Das angewachsene Ensemble zeigt sich spielfreudig und agiert wieder einwandfrei vor der Kamera, während ihre Charaktere behutsam weiter entwickelt werden.
Mein Fazit zur dritten Staffel von Stranger Things
Nachdem die letzte Folge gelaufen war, überkam mich direkt wieder diese Traurigkeit und dieses Mal gleich doppelt. Einmal hieß es zum Ende Abschied nehmen für die Gang, weil u.a. Joyce und ihre Kinder aus ihrem Haus in eine andere Stadt ziehen, aber es heißt natürlich auch erst mal wieder für lange Zeit Abschied nehmen von der Serie, bis es wieder neues Futter gibt (während der Autor diese Zeilen schreibt, läuft übrigens mittlerweile die zweite Folge der ersten Staffel 😀 ).
In der zweiten Staffel habe ich einige wenige Schwächen ausgemacht, was ich in dieser dritten Staffel in keiner Sekunde so empfunden habe. Es war eine rasante Achterbahnfahrt von vorne bis hinten, bei dem hier und da vielleicht ein wenig die Tiefe fehlte. Aber wie gesagt: Es stört mich kein bisschen, weil es Top-Popcorn-Kino ist. Man muss nicht so viel grübeln wie beim ebenfalls großartigen „Dark“, um der Story folgen zu können, alles ist so rasant inszeniert, dass man — auf eine gute Art — nie zur Ruhe kommt.
Stranger Things 3 trieft nur so vor Klischees: Da sind diese unzähligen Teenager-Komödien, die man hier wiederfindet, eine fast ebenso große Zahl an merkwürdigen Paaren mit ihren Problemen, die in bester Buddy-Movie-Manier immer wieder aneinander geraten und auch die üblichen Rollen, die speziell in den Achtzigern den Sowjets und Amis zugedacht waren — die Sowjets sind die einsilbigen, grundbösen Miesepeter, die US-Amerikaner die strahlenden Helden. Das ist herrlich überzeichnet und zwar bis zu einem Maß, dass es Spaß macht, ohne die Geschichte selbst zu (zer)stören.
Ebenfalls klasse: Wir haben es in dieser Staffel gleich mit mehreren Grüppchen zu tun, so dass wir ständig zwischen mehreren Schauplätzen hin und her springen, bis dann zum großen Finale in der Mall alle Fäden zusammenlaufen.
Stranger Things 3 ist spannend, ist streckenweise schreiend komisch, vor allem zum Ende aber auch zum Weinen und von der ersten bis zur letzten Minute einfach unterhaltsam. Mir egal, ob ihr zu viel Werbung in den Folgen entdeckt, zu viele Achtziger-Anspielungen oder zu viele Szenen euch an vorherige Staffeln erinnern: Für mich kann eine TV-Serie schlicht nicht besser sein als das, was ich mir da jetzt gerade in den etwa sieben Stunden reingezogen habe.
Ein Punkt, der mich besonders begeistert hat: Wie vorher auch schon haben wir es ständig mit Anspielungen an Achtziger-Jahre-Filme zu tun — Stand by me, E.T., Alien, Das Ding aus einer anderen Welt, Zurück in die Zukunft und so viele mehr. Aber — und das ist es, was sich für mich so unglaublich gut anfühlt: Wenn ich Stranger Things sehe, fühlt es sich genau so an, als würde ich selbst wieder als 14-jähriger Knirps vor dem alten Röhren-Fernseher sitzen und Serien oder Filme genau so schauen, wie ich sie damals geschaut habe. Der ganze Look, die Dialoge, die Story, die Klischees und die vielen Anspielungen ergeben eine Melange, die für mich funktioniert wie eine Zeitmaschine.
Wenn ihr das nur einigermaßen nachvollziehen könnt und da ähnlich tickt wie ich, dann ist die dritte Staffel von Stranger Things auch etwas, was ihr lieben werdet. Falls nicht, ihr aber die ersten beiden Staffeln mochtet, dann ist es zumindest etwas, was ihr euch sehr entspannt und begeistert reinziehen könnt. Wer Haare in der Suppe finden will, wird diese natürlich finden und ich hab ja selbst ein paar Punkte angesprochen, die man kritisieren könnte. Für mich ist es aber die beste denkbare Unterhaltung und das einzige Problem, welches Netflix mit Stranger Things haben könnte: Sie haben nichts Vergleichbares, was die Leute nur annähernd so über Jahre begeistern kann.
Ausblick: Das Rocky-Balboa-Problem
Einen kleinen Blick in die Zukunft will ich mir noch erlauben: Die vierte Staffel ist ja bereits bestätigt und ich bin gerade hin und her gerissen: Sollte man die Serie mit einer vierten Staffel ausklingen lassen oder soll man sie am liebsten noch 20 Jahre lang weiter erzählen? Würde die Vernunft siegen, würde man vermutlich nach einer vierten oder fünften Staffel Schluss machen, bevor das Interesse tatsächlich nachlässt, die Folgen schlechter werden oder ähnliches.
Die Zwischenüberschrift habe ich „Das Rocky-Balboa-Problem“ genannt und das hat auch seinen Grund: Nach Rocky IV wusste auch Sylvester Stallone nicht so recht, wie es mit der Reihe weitergehen sollte. Zuvor war er vom Nobody zum Weltmeister aufgestiegen und hat im vierten Teil dann auch Ivan Drago kaputtgeknüppelt. Mehr ging damals von der Story nicht: Spätestens, wenn man die Sowjets geschlagen hat, gab es keine Feinde mehr, die man sich im nächsten Teil vorknöpfen konnte. Ich erinnere mich an ein Interview mit Sly, in dem er auch sagte, dass nach dem vierten Teil eigentlich Schluss sein müsste und er begründete es so: „Gegen wen soll Rocky denn jetzt noch kämpfen? Gegen Außerirdische?“
Und exakt diese Hürde muss Stranger Things auch bewältigen: Die Monster werden größer und bedrohlicher von Staffel zu Staffel, aber auch das kann man entweder irgendwann nicht mehr steigern — oder es wirkt nicht mehr so schlüssig. Aber warten wir es mal ab, wie die Duffers den Faden weiterspinnen werden.
Dadurch, dass die Protagonisten in den kommenden Folgen nicht mehr am selben Platz leben werden, ergibt sich zudem ein völlig neues Setting, was nochmal Schwung in den Laden bringen könnte. Die Sowjets werden wieder eine Rolle spielen und wenn die nächste Staffel dann tatsächlich im Jahr 1986 spielen sollte — eines meiner liebsten Musik-Jahre — dann hoffe ich natürlich auch wieder auf einen herausragenden Soundtrack. Vorhin hab ich mich übrigens bei dem Gedanken ertappt, dass Freund Caschy sicher mindestens auf acht Staffeln hofft — dann würden in der Serie nämlich seine geliebten Neunziger beginnen 😉