In der Serie „Start-up-Check!“ nehmen wir regelmäßig die Geschäftsmodelle von Start-ups unter die Lupe. Wer steckt hinter dem Unternehmen? Was macht das Start-up so besonders und was gibt es zu kritisieren? Heute: Livin Farms.
Start-ups. Das klingt nach Erfindergeist, Zukunftstechnologien, neuen Märkten. Doch in der Realität erweisen sich viele der Neugründungen leider oft als eine Mischung aus einer E-Commerce-Idee, planlosen Gründern und wackeligen Zukunftsaussichten.
Dabei gibt es sie durchaus: Die Vordenker, die an den großen Problemen tüfteln und Geschäftsmodelle revolutionieren. Diese zu finden und vorzustellen, ist die Aufgabe des Formats Start-up-Check. Heute: Livin Farms aus Hong Kong.
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Wer steckt hinter Livin Farms?
Die Nahrungsmittelproduktion ist ein heikles Thema – gerade wenn es sich um Fleisch- oder Wurstwaren handelt. In Zeiten von Massentierhaltung und Antibiotika-Zugaben sind viele Menschen verunsichert und auf der Suche nach einer gesunden, nachhaltigen Protein-Alternative.
Das Team um die Livin-Farms-Gründerinnen Katharina Unger und Julia Kaisinger hat für dieses Problem eine ganz besondere Lösung entwickelt – die eigene Mehlwurmzuchtstation für Zuhause.
Wie man darauf kommt? Nun, Österreicherin Katharina Unger verschlug es als Industrie-Designerin nach Hongkong. Dort erkannte sie schnell, dass die meisten Lebensmittel importiert werden. Nur woher? Das weiß kaum jemand. So machte sie sich an die Recherche nach neuen Alternativen und stieß dabei auf Insekten.
Nach einigen Projekten und Testläufen gründete sie 2015 mit ihrer langjährigen Freundin Julia Kaisinger Livin Farms. Das Ziel: Es Menschen möglich zu machen, selbst eine nachhaltige Proteinquelle zu züchten und damit die eigene Küche zu revolutionieren.
Livin Farms wurde noch im selben Jahr in den HAX-Accelerator für Hardware-Startups im chinesischen Shenzhen aufgenommen und erhielt Unterstützung vom Business-Angels-Netzwerk.
Dank einer Kickstarter-Kampagne und 830 Unterstützern sammelte Livin Farms im Anschluss mehr als 145.000 US-Dollar. Die Wurmstöcke, die sogenannten Hives, konnten damit in Produktion gehen.
Danach tourte das Start-up durch Europa, Asien und die USA, um die Proteinproduktion für Zuhause vorzustellen.
Was macht Livin Farms?
Der Hive selbst funktioniert als siebenstöckiger Kreislauf. Die Mehlkäfer paaren sich im obersten Stockwerk und legen dort Eier in die dafür vorgesehene Lade. Wenn die Würmer schlüpfen, fallen sie in die nächste Ebene – von dort aus treten sie ihren Weg nach unten an.
Jede Etage verfügt dabei über Lamellen, die man öffnen kann, um die Würmer in den Sortierbereich oder die Lade darunter zu befördern. Unten angekommen, werden die Mehlwürmer durch sanfte Vibrationen von den sich verpuppenden Mehlwürmern, Futter und Kot getrennt und lassen sich ernten.
Die Puppen kommen wieder ganz nach oben in die Puppenkammer. Dort schlüpfen die neuen Käfer. Der Kreislauf beginnt von vorne. Nach der Ernte sollte man die Würmer mindestens fünf Stunden einfrieren, bevor man sie weiterverarbeitet.
Im Hive sorgt ein Ventilationssystem mit Karbonfiltern während des gesamten Prozesses dafür, dass kein Geruch entsteht. Das intelligente System aus Sensoren und Heiz-Elementen kontrolliert das Mikroklima und gewährleistet das ideale Wachstum und die Gesundheit seiner Bewohner.
Das Füttern und die Pflege der Mehlwürmer gestalten sich als Kinderspiel. Trockenes Substrat bestehend aus Haferflocken oder Brotkrumen sowie Küchenabfälle, festeres Obst oder Gemüse sind völlig ausreichend. Der Hive selbst wird am besten einmal wöchentlich gereinigt.
Für rund 700 US-Dollar kann man sich den Hive in Europa, USA, Kanada, Mexiko, Australien und einigen asiatischen Ländern nach Hause bestellen und selbst zum Insektenzüchter werden.
Anfang letzten Jahres konnte Livin Farms bereits 1.000 Kunden in 50 Ländern verzeichnen. Aktuell ist der Hive 1.0 auf der Webseite allerdings ausverkauft.
Was macht Livin Farms so besonders?
Der Wurmstock verspricht die umfassende Kontrolle der Ernährung im Vergleich zu Fleischprodukten und einen niedrigeren Ressourcen-Verbrauch.
Insekten benötigen laut einer UN-Studie lediglich zwei Kilo Futter, um ein Kilo essbares Gewicht zu erzeugen – Schweine hingegen die vierfache, Rinder sogar die zwölffache Menge an Futtermitteln.
Und die Rechnung geht auf: Für dieselbe Portion Mehlwurm versus Steak braucht man lediglich zehn Prozent der Fläche, verbraucht weniger Wasser und produziert nur ein Fünftel des Abfalls sowie einen Bruchteil an CO2.
Auch im Vergleich mit proteinhaltigen pflanzlichen Nahrungsmitteln haben die Insekten den Vorteil, dass sie mit deutlich weniger Aufwand und Fläche gezüchtet werden können.
Mit dem Hive lassen sich in einer Woche zwischen 200 und 500 Gramm der Würmer ernten. Das entspricht circa der Menge an Protein, die man mit einem Steak aufnehmen würde.
Mehlwürmer enthalten außerdem die Vitamine B12 und B5, Phosphor für Zähne und Knochen, essenzielle Aminosäuren, Ballaststoffe und vieles mehr. Die Würmer selbst lassen sich in der Küche sehr flexibel einsetzen.
Durch ihren neutralen bis nussigen Geschmack sind sie vielfältig kombinierbar. Rezepte gibt es dazu auf dem Blog von Livin Farms. Wie wäre es beispielsweise mit Zucchini-Mehlwurm-Pancakes?
Gibt es Kritikpunkte?
Einige Zeit sah es so aus, als würde die Europäische Union (EU) Livin Farms einen gehörigen Strich durch die Rechnung machen. Erst seit der neuen Richtlinie innerhalb der Novel-Food-Verordnung der EU vom Januar 2018 ist der Verkauf von Lebensmitteln, die essbare Insekten enthalten, erlaubt.
Auch wenn diese Hürde aus dem Weg geschafft ist, muss die Werbetrommel jedoch kräftig gerührt werden. Während in Asien Insekten auf der Speisekarte völlig normal sind, gleicht das für europäische und US-amerikanische Gaumen eher einer Mutprobe.
Wenn ich von der Idee hinter Livin Farms erzähle, blicke ich eher in zweifelnde und angeekelte als in begeisterte Gesichter.
Es bleibt außerdem abzusehen, wie es um die Zukunft des Unternehmens bestellt ist. Der Hive 1.0 ist ausverkauft. Anfang 2019 startete Livin Farms eine neue Kickstarter-Kampagne, um den Hive 2.0 Explorer auf den Markt zu bringen – einen Starter Hive, um sich mit dem Thema erstmals vertraut zu machen.
Das angebotene Set besteht aus einer mehrteiligen Box, in der die Mehlwürmer gezüchtet und mit Essensabfällen gefüttert werden können. Damit soll das Angebot auch interessant für Schulen, Universitäten und Forschungseinrichtungen sein.
Das Projekt scheiterte jedoch an zu wenig Unterstützern. Livin Farms will zusätzlich in die Großproduktion einsteigen, um im großen Stil Insekten für die Futter- und Lebensmittelindustrie zu produzieren und der Lebensmittel-Verschwendung Einhalt zu gebieten.
Auf der Webseite heißt es, dass in diesem Segment bereits an diversen Projekten gearbeitet wird. Eine Auskunft zu diesen Plänen und wann die Hives für den Privatbedarf wieder vorrätig sind oder verschickt werden, haben wir allerdings noch nicht erhalten.
Fazit
Mit Blick auf die Zukunft macht das Konzept von Livin Farms sehr viel Sinn – gerade, wenn es darum geht, Nutzflächen, Futtermittel und Treibhausgase einzusparen und zu reduzieren. Auch gesundheitlich haben Mehlwürmer durch den hohen Protein- und Vitamingehalt viele Vorteile.
Allerdings wird es meiner Meinung nach einiges an Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit brauchen, um den Wurm an die Frau oder den Mann und damit auch auf unseren Speiseplan zu bringen.
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