Ernährungsministerin Julia Klöckner stellt sich mit Nestlés Deutschlandchef vor die Kamera, lobt den umstrittenen Konzern und grinst schief. Unfassbar peinlich und perfide ist die Sache sowieso. Aber ist da obendrein nicht auch Schleichwerbung im Spiel? Ein Kommentar.
Industrieller Zucker, Salz und Fett sind doch toll! Also, wir sollten natürlich nicht so viel davon essen. Aber in geringen Mengen ist das alles voll okay. Es schmeckt gut und Essen soll ja Spaß machen.
Und überhaupt: Wir sind doch mit der bunten Nestlé-Kelloggs-Packung auf dem Frühstückstisch aufgewachsen. Der kleine Zuckerschock am Morgen ist noch im Rahmen. Ist es da nicht umso toller, dass der Konzern seine Lebensmittel ein bisschen von industriellen Nährstoffen befreit?
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Julia Klöckner lobt Nestlé – wofür eigentlich?
Julia Klöckner hat sich also mit Nestlé zusammengeschlossen, um den umstrittenen Lebensmittelriesen in einem Twitter-Video zu loben. Dafür, dass er jetzt auf weniger Zucker, Salz und Fett in seinen Produkten setzt. Weil das ja gesünder ist.
Natürlich wirkt der Clip aufgesetzt. Die Ernährungsministerin steht mit dem Nestlé-Vorstandsvorsitzenden Marc-Aurel Boersch vor der Kamera – richtig wohl scheinen sich beide nicht zu fühlen.
Klöckner sieht dabei aus, als wäre sie von Nestlé eingekauft worden – oder einfach eine schlechte Schauspielerin. Eines ist der Clip jedenfalls nicht: Authentisch. Vielleicht, weil Klöckner genau weiß, was sie da für einen Unsinn redet?
Auch Boersch sieht für den Manager eines Lebensmittelriesen, der mit dem Slogan „Good Food, Good Life“ wirbt, ganz schön betrübt und träge aus.
Einfache Doofheit oder perfide Schleichwerbung?
Hinter dem Clip soll eine freiwillige Vereinbarung stecken, die das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) im Dezember 2018 mit einigen großen Lebensmittelkonzernen getroffen hat. Klöckner will damit erreichen, dass Fertigprodukte gesünder werden.
Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Unsere Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft findet industrielle Fertigprodukte gut. Nur weniger Zucker, Salz und Fett sollten sie halt enthalten.
Klöckner formuliert allen Ernstes: „Essen und Trinken ist wichtig, aber die Frage ist: Ist es mit unserer Umwelt gut vereinbar und ist es vor allen Dingen gut für die Gesundheit?“ Ist das jetzt einfache Dummheit oder Lobbypolitik und perfide Schleichwerbung?
Weniger #Zucker, Fette und #Salz in Fertigprodukten – dafür setzt sich BMin @JuliaKloeckner mit der #Reduktion|s- und #Innovationsstrategie ein.
Dass dies geht, zeigt @NestleGermany, die die Strategie unterstützen. Sie haben 10% der Inhalte reduziert; weitere 5% sollen folgen. pic.twitter.com/jLpVSHRoyJ
— BMEL (@bmel) 3. Juni 2019
Sollte eine Ministerin für gesunde Ernährung nicht dafür sorgen, dass wir uns wirklich für gesunde Ernährung interessieren? Für frisches Obst, Gemüse und was die Natur sonst noch hergibt?
Stattdessen setzt sich Klöckner öffentlich dafür ein, verarbeitetes Pseudo-Essen zumindest ein wenig von schädlichen Inhaltsstoffen zu befreien. Wie beruhigend. Die Ministerin will sich in dem Clip empathisch zeigen. Sie spricht von weniger Zucker, Salz und Fett in „Produkten, die die Bürger gerne mögen“.
Aber Frau Klöckner, wissen sie denn nicht, dass Fertiggerichte noch voller anderer verarbeiteter Inhaltsstoffe stecken? Und sollen wir sie noch darüber aufklären, warum Nestlé ungefähr der fieseste Großkonzern im ganzen Lebensmittelgeschäft ist?
Das klingt so grotesk, dass eigentlich nur Lobbypolitik und Schleichwerbung dahinter stecken können.
So regiert das Netz auf das Video
Natürlich ist das Video nicht unkommentiert geblieben. SPD-Politiker Karl Lauterbach twitterte, der „Vorgang ist peinlich, ja bitter“. Die Fraktions-Chefin der Grünen Katrin Göring-Eckardt warf der Ministerin vor, sie habe ein „Werbevideo“ für Nestlé gedreht.
YouTuber Rezo kritisierte das Ministerium auf Twitter zudem für die Art der Darstellung und warf ihm Schleichwerbung vor. Er schrieb: „Fun Fact: Hätte ich exakt diesen Tweet mit genau so einem Video gepostet, hätte ich es als #Werbung kennzeichnen müssen.“ Der Tweet bekam bislang über 14.000 Likes.
Fun Fact: Hätte ich exakt diesen Tweet mit genau so einem Video gepostet, hätte ich es als #Werbung kennzeichnen müssen.
— Rezo (@rezomusik) 5. Juni 2019
Das sagt das Ministerium zur Schleichwerbung-Kritik
Klöckner und das BMEL reagierten lächerlich oberflächlich. Die Ministerin bezeichnete die Kritiker nur als „Hatespeaker“.
Auf Rezos Kommentar reagierte das Ministerium: „Wir verstehen den Punkt. Und gleichzeitig werben wir dafür, dass es vorangeht mit gesünderen Lebensmitteln – weniger #Zucker, #Fette, #Salz. Dabei sehen wir gerade auch die ganz Großen in der Verantwortung!“
Da hat sich jemand aber schnell aus der Affäre gezogen.
Die Richtlinien für Werbung
Grundsätzlich gilt, dass Posts in sozialen Medien als Werbung gekennzeichnet werden müssen, sobald sie eine Werbewirkung für Unternehmen und dessen Dienstleistungen erfüllen – oder es sich natürlich um Beiträge handelt, für die Nutzer oder Influencer von Unternehmen entlohnt werden.
Das Thema wurde erst Anfang 2019 im Fall der Bloggerin Vreni Frost wieder groß und breit diskutiert. Sie hatte in Instagram-Posts Marken vertaggt, ohne die Beiträge als Werbung zu kennzeichnen.
Instagram hat die Richtlinien für Werbung so festgehalten: „Gemäß unseren Richtlinien müssen Creator und Herausgeber Geschäftspartner in Beiträgen mit Branded Content markieren, wenn es zu einem Wertaustausch zwischen einem Creator/Herausgeber und einem Geschäftspartner kommt.“
Facebook und YouTube führen die Regeln auch so auf. Bei Twitter heißt es: „Du darfst ohne unser vorheriges Einverständnis über unsere Dienste keine Videos mit Werbeinhalten von Drittanbietern wie Pre-Roll-Videoanzeigen oder Sponsorship-Grafiken senden, posten oder darstellen.“
Da Klöckner den Clip über den offiziellen Twitter-Account ihres Ministeriums veröffentlicht hatte, ist er rechtlich gesehen also keine Werbung. Das ist natürlich ein wichtiger Punkt.
Doch was wäre, wenn die Ministerin das Video über ihren privaten Account geteilt hätte? Hätte sie den Beitrag dann als Werbung kennzeichnen müssen? Schließlich tritt sie im Prinzip als Influencerin für Nestlé auf.
Frau Klöckner, Sie tragen Verantwortung
Man kann sich jetzt fragen, ob das Video auf anderen Plattformen hätte gekennzeichnet werden müssen. Ob das BMEL davon wusste und den Clip deshalb nur über Twitter ins Netz stellte, wissen wir nicht.
Im Grunde vermittelt das Video aber sowieso nicht den Eindruck, es würde nur die Medienpräsenz von Nestlé steigern wollen, sondern vor allem die der Ministerin selbst. Und das ist fast noch perfider.
Klöckner trägt Verantwortung. Es gibt genug Menschen, die sich nicht über alternative Medien informieren, welche Lebensmittel gesund sind und welche nicht. Sie vertrauen dem BMEL.
Das schamlos zu ignorieren und scheinheilig zu behaupten, die Gesundheit der Bürger würde Klöckner wichtig sein, ist einfach nur peinlich und hinterhältig.
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