Oft ist es am Besten, wenn man einfach komplett unvorbereitet an eine neue Serie ran geht. Mir erging es gestern so mit „How to sell drugs online (fast)“, einer neuen Netflix-Serie, die zudem erst die dritte aus deutschen Landen ist. Reden wir kurz über die anderen deutschen Serien: Da ist einmal Dark — ein echtes Meisterwerk, welches erzählerisch und mit tollen Bildern punkten kann, aber auch mit einem starken Ensemble.
Dann ist da noch „Dogs of Berlin“, für das ich es leider versäumt habe, euch ein Review zu schreiben. „Leider“ sage ich deshalb, weil die Serie für mein Empfinden in den Kritiken deutlich zu schlecht wegkommt und zu Unrecht als reiner „4 Blocks“-Klon bezeichnet wird. Als Drittes folgt nun mit „How to sell drugs online (fast)“ eine Comedy-Serie, in der es um einen Online-Drogen-Handel geht.
Spätestens seit „Lammbock“ wissen wir, dass wir es in Deutschland verstehen, eine Drogen-Story sowohl mit Drama als auch Comedy zu vermengen und daraus einen höchst unterhaltsamen Cocktail zu mixen. Ich frage mich, ob wir dafür nicht „Drugedy“ als Kofferwort etablieren sollten. Aber sei es drum, HTSDOF (ich kürz den sperrigen Titel mal ab) erzählt die Geschichte zweier junger Nerds, die zufällig ins Drogen-Business geraten und erfreulicherweise haben wir es hierbei mit keinem Breaking Bad-Klon zu tun.
How to sell drugs online (fast) – wer steckt hinter der Serie?
Ich sagte es weiter oben schon: Manchmal ist es eine schöne Situation, komplett unvoreingenommen an eine neue Serie heranzutreten. Das ist zweifellos bei HTSDOF der Fall, denn ich hatte weder eine Ahnung von der Story, noch davon, ob es eine lustige oder ernste Serie sein würde oder wer daran beteiligt ist. Ach so: Wollt ihr es ebenso halten, dann solltet ihr vielleicht nicht weiter lesen, da ich bezüglich der Story und der Gastauftritte natürlich ein wenig spoilern werde.
Gerade der letzte Punkt — die Frage nach den Beteiligten — ist dabei zu beachten: Hätte ich nämlich gewusst, wer seine Finger im Spiel hat, hätte ich direkt gewusst, dass ich mich hier tendenziell wohl fühlen dürfte. Das geht schon damit los, dass die bildundtonfabrik aus Köln-Ehrenfeld für diese deutsche Netflix-Eigenproduktion zuständig ist, die ihr von TV-Highlights wie Roche & Böhmermann und vor allem dem Neo Magazin bzw. dem Neo Magazin Royale kennen dürftet.
Neben Lars Montag (Folgen 1-3) führt auch Arne Feldhusen (4-6) Regie und vor allem letzterer ist für mich ein Garant für humorige Dialoge. Feldhusen verdanken wir Bücher/Filme wie „Vorsicht vor Leuten“ und vor allem die Serien „Stromberg“ und „Der Tatortreiniger“. Da wir schon das Neo Magazin Royale erwähnt haben: Dort hatte auch Stefan Titze als Autor seine Heimat und der ist bei HTSDOF auch mit von der Partie und neben Philipp Käßbohrer und Sebastian Colley fürs Drehbuch zuständig.
Wem der Name Titze bekannt vorkommt: Er ist auch Teil des Comedy-Podcasts „Das Podcast-UFO„, wo er zusammen mit Florentin Will für Unterhaltung sorgt. Auch Will kennen wir (u.a. als „Beef-Träger“) aus dem Neo Magazin Royale und auch er kommt in der Netflix-Serie zum Einsatz, wenn auch nur in einer kleinen Rolle als Polizist.
Aber da wir schon über die Darsteller sprechen: Die Hauptrollen des Moritz und Lenny spielen die bis dato unbekannten Maximilian Mundt (Moritz) und Danilo Kamperidis (Lenny), zudem sehen wir die u.a. aus den „Fack ju Göhte“-Filmen bekannte Lena Klenke als Lisa Novak. Bekanntestes Gesicht in der Serie dürfte aber Bjarne Mädel sein, den wir ebenfalls aus Stromberg und vor allem aus dem Tatortreiniger kennen und der hier als etwas bräsiger Kleinstadt-Krimineller glänzt.
Weitere Gastauftritte, die es zu bestaunen gibt: Ulrike Folkerts ist ebenso mit von der Partie wie Olli Schulz und der absolute Coup ist für mein Empfinden, dass die Macher der Serie tatsächlich Jonathan Frakes rangeholt haben, der uns in bester X-Factor-Manier das Dark Web erklärt. HTSDOF besteht in seiner ersten Staffel aus sechs Folgen, die jeweils zwischen 24 und 32 Minuten lang sind. Mit einer Gesamtdauer von etwa drei Stunden könnt ihr die Staffel also entspannt an einem Nachmittag oder Abend durch-bingen.
How to sell drugs online (fast) – darum geht’s in der Serie
Im Grunde hatte mich die Serie bereits in der ersten Minute am Wickel, als Hauptdarsteller Moritz nämlich in die Kamera erklärte:
[mg_blockquote]Wenn man im Internet im großen Stil Drogen verkauft, sollte man eine Sache auf gar keinen Fall machen: wildfremden Menschen davon erzählen — also, außer natürlich: Netflix ruft an und sagt, sie wollen ’ne Serie über dein Leben machen.[/mg_blockquote]Er ahmt dabei den typischen Netflix-Sound nach und die Macher hieven die Serie damit direkt von Anfang an auf eine Mockumentary-Ebene, wie wir sie u.a. von Stromberg kennen. Zwar spielt dieses Element im Verlauf der ersten Staffel nur noch sehr selten eine Rolle, aber das tut dem Spaß keinen Abbruch. Immer wieder wird die eigentliche Erzählung durch solche Elemente aufgelockert, beispielsweise in der X-Factor-Szene oder wenn in Traum-Sequenzen Drogen erklärt werden.
Die Story selbst könnte eigentlich bester Stoff aus einem John-Hughes-Film sein: Der blasse Nerd verliert seine Freundin, die sowieso deutlich oberhalb seiner Preisklasse angesiedelt ist, an einen Schönling und Mädchenschwarm. In der Folge versucht er alles, um sie zurückzugewinnen und zählt dabei auf die Hilfe seines behinderten Freunds, der im Rollstuhl sitzt und nicht mehr besonders lange zu leben hat.
Bis zu dieser Stelle klingt das tatsächlich nach einer klassischen Coming-of-Age-Story, der man durch die Drogen-Komponente aber neues Leben einhaucht. Für den Fall, dass euch dieser Teil der Geschichte — Teenager startet in einem deutschen Kinderzimmer sein Online-Drogen-Imperium — zu abgedreht erscheint: Die Story basiert grob auf tatsächlichen Begebenheiten. Googelt mal „Shiny Flakes“ oder lest diesen Vice-Beitrag.
Fun Fact: Maximilian S, der für sein Unterfangen in den Bau wanderte, meldete sich in Eigenregie bei den Produzenten der Serie und gab ihnen Einblicke in seine Vorgehensweise. Aber zurück zur Story: Lisa kehrt von einem Jahr im Ausland zurück in die miefige Kleinstadt und noch vom Flughafen aus macht sie Schluss mit Moritz. Der ist natürlich geschockt und schnüffelt ihr hinterher, weil er sie zurückgewinnen möchte. Er entdeckt, dass sie mittlerweile auf Partydrogen und den Kleinkriminellen Dan steht und kommt so auf den Trichter, dass sie ihn von seiner Coolness überzeugen muss — indem er selbst ins Drogengeschäft einsteigt.
Eigentlich will Moritz zusammen mit seinem besten Freund Lenny in bester Silicon-Valley-Manier groß rauskommen — mit einem Online-Shop für Items aus Online-Games. Im Verlauf der Serie wird dieser Shop eben in einen Drogen-Store im Darknet verwandelt, was natürlich nicht ohne Komplikationen abläuft. Viel mehr mag ich euch zur Handlung an dieser Stelle eigentlich nicht sagen, weil ihr ja schließlich die Serie noch selbst schauen sollt.
Der heimliche Star – das Internet
Wir erwähnten es bereits: Es ist eine Coming-of-Age-Geschichte und eine Drogen-Geschichte. Beides ist selbstverständlich nicht komplett neu, aber hier wird es sehr erfrischend erzählt. Das hängt auch damit zusammen, dass die Umsetzung eine sehr moderne ist, die sich natürlich an ein junges Publikum wendet, ohne dabei anbiedernd zu wirken.
Generell habe ich den Eindruck, dass man auf die Schädlichkeit der Drogen, aber ebenso auf das oberflächliche Social-Media-Dasein der heutigen Kids immer ohne den obligatorischen erhobenen Zeigefinger auskommt. Es wird also thematisiert, ohne es in den Vordergrund zu rücken, oder ohne zu belehrend zu wirken.
Auf diese Weise entsteht ein sehr realistisches Bild der Welt, in der die Kids und jungen Erwachsenen heute aufwachsen — okay, so wie ich mir das realistische Bild ihrer Welt vorstelle 😉 Das Internet ist in der Serie der heimliche Star, weil es eben die wichtige Rolle einnimmt, die es auch tatsächlich in unserem Leben längst innehat. Kommuniziert wird über Skype und WhatsApp, es spielt ständig eine Rolle, wer sich wie auf Instagram und Facebook präsentiert und selbst Moritz‘ kleine Schwester versucht sich bereits als Instagram-Sternchen.
Dazu sind die beiden Nerds durch Steve Jobs inspiriert und schauen generell gerne auf die großen US-Konzerne und wie sie zu unermesslichem Reichtum kamen. Sehr schöne Szene dazu: Ein Deepfake mit Mark Zuckerberg.
Die Instagram-Accounts der Protagonisten Lisa und Dan finden sich übrigens auch tatsächlich auf Instagram (hier hätte man allerdings ein wenig mehr Liebe zum Detail aufwenden können, indem man Lisas Account auch ein wenig befüllt – das hat man bei der Stalker-Serie You besser gelöst). Mehr zu den Instagram-Accounts und einem damit zusammenhängenden netten Gag erfahrt ihr bei den Kollegen von Watson.de.
Ohne, dass es zu viel Raum in der Staffel einnimmt, zeigt uns HTSDOF jedenfalls recht gut, dass es durchaus eine haarige Nummer ist, heute mit diesem ganzen Social-Media-Kram durch die Pubertät und das Erwachsenwerden zu schlittern. Fotos landen vielleicht ein bisschen zu schnell bei Instagram, das gleiche gilt für Live-Videos von ersten Drogen-Erfahrungen. Aber nochmals: All das ist nur am Rande Thema, ohne dass es zu belehrend in den Vordergrund gerückt wird und sich somit perfekt in die Story einfügt bzw. sie einfach authentischer erzählt.
How to sell drugs online (fast) – mein Fazit
Kommen wir zu meiner abschließenden Bewertung dieser kurzweiligen Serie aus deutschen Landen. Bekannte Komponenten — möglichst schnell reich werden, Freundin zurückgewinnen, Aufwachsen in der miefigen Kleinstadt — wurden hier recht originell und unterhaltsam miteinander vermengt und um eine „Breaking Bad“-Komponente erweitert.
Das wird modern und angenehm unaufgeregt erzählt, ohne zu bemüht jugendlich zu wirken. Die Dialoge sind spritzig und ich hab gerade bei den Statements von Bjarne Mädel lachen müssen, der in seiner Rolle als Drogen-Dealer auch wirklich so was wirkt wie ein böser und trotzdem irgendwie liebenswerter Schotty.
Schauspielerisch wirkt es hier und da ein wenig blass, aber gerade bei Moritz und Lenny stellt sich auf Anhieb das Gefühl ein, dass die beiden Freunde seit Ewigkeiten miteinander durch dick und dünn gehen. Die Gastauftritte lockern die Geschichte schön auf, die vom produzierenden Unternehmen bildundtonfabrik auch sehr flott in Szene gesetzt wurde. „Flott“ ist vielleicht eine etwas biedere Umschreibung, aber rasante Schnitte und das ständige Einbinden von Social-Media-Elementen wie Chat-Protokollen sorgen dafür, dass sich die Serie tatsächlich am Puls der Zeit präsentiert. Apropos „bildundtonfabrik“: Die Produzenten beweisen immer wieder viel Liebe zum Detail, beispielsweise, wenn sie beim Ort der Drogen-Übergabe genau die Koordinaten nennen, die in Wirklichkeit zum Firmensitz in Köln-Ehrenfeld führen.
Es gibt zudem einen sehr angenehmen Soundtrack, der für meinen persönlichen Geschmack seinen Höhepunkt im Song „17“ der großartigen, talentierten Ilgen-Nur findet.
Witzige Dialoge, ein interessanter Plot, tolle Darsteller und Cameos, gute Musik und technisch auf hohem Niveau produziert: Wer sowas alles ineinander rührt, liefert ein mehr als solides Netflix-Debüt ab, bei dem sich sicher nicht nur ich auf eine zweite Staffel hoffe. Von mir gibt es jedenfalls beide Daumen nach oben für einen sehr kurzweiligen Coming-of-Age-Spaß. Es ist sicher qualitativ kein Game-of-Thrones- oder Breaking-Bad-Niveau, aber es ist zweifellos gute Unterhaltung, selbst für einen alten Sack wie mich. Ich könnte mir vorstellen, dass „How to sell drugs online (fast)“ bei dem jüngeren Zielpublikum der „Generation Z“ noch deutlich besser ankommt und ja — das geht absolut klar!