Die USA sind eine der größten Tech-Nationen dieser Welt. Doch wie stehen eigentlich die Amerikaner selbst zu all dem? Welche Trends begeistern sie, welche gehen völlig an ihnen vorbei? Genau darüber berichtet Marinela Potor – direkt aus den USA – ab sofort in regelmäßigen Abständen im BASIC thinking US-Update. Diesmal geht sie einem merkwürdigen Technologie-Trend unter Paaren nach: Online-Kalender synchronisieren.
Der Mittlere Westen im Allgemeinen und Cincinnati im Besonderen gehören nicht gerade zu den technologischen Hochburgen der USA. Meist startet ein Trend an den Küsten, geht dann nach Europa und findet dann irgendwann sehr viel später seinen Weg in die Mitte des Landes.
So war ich denn auch relativ überrascht, als ich hier einen Tech-Trend im Freundeskreis bemerkte, von dem ich noch nie etwas gehört hatte: Online-Kalender synchronisieren.
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Das mag jetzt banal klingen. Aber dahinter steckt sehr viel mehr als es den Anschein hat.
„Wie, eure Kalender sind nicht synchronisiert!?“
Mein Freund und ich unterhalten uns mit einem befreunden Pärchen. Es geht darum, wann wir uns am besten in der kommenden Woche treffen. Dienstag, Mittwoch und Donnerstag stehen im Raum. Da zückt er sein Smartphone.
„Schatz, also ich habe eigentlich an allen Tagen Zeit. Aber du hast am Dienstagnachmittag um 16 Uhr den Arzttermin, am Mittwoch triffst du dich mit den Kollegen zum Feierabendbier und Donnerstag wollten wir eigentlich zu Ikea … aber das können wir eigentlich auch Freitag machen.“
Während ich mich noch frage, wie er alle Termine seiner Freundin so genau im Kopf hat, fragen die beiden uns schon, ob der Donnerstag auch bei uns gehe. Mein Freund überlegt kurz und sagt, gegen Abend ginge es bei ihm. Auch bei mir sei der Termin frei, sage ich. All das ohne Online-Kalender wohlgemerkt.
Es heben sich zwei Paar Augenbrauen, Stirnen werden gerunzelt und beide fragen beinahe gleichzeitig: „Wie, ihr habt eure Kalender nicht synchronisiert?“ Mein Freund und ich lachen später über diesen Vorfall und fragen uns, ob unsere Freunde wirklich solche Organisationsfanatiker geworden sind.
Bis zum nächsten Pärchenabend – diesmal mit anderen Freunden. Ihre Mutter ruft an. Ob die beiden Zeit hätten, am Wochenende zum Grillen vorbeizukommen. Auch hier geht der Blick auf den Kalender am Smartphone. Sie hätte Zeit, er muss aber am Samstag von 10 bis 16 Uhr arbeiten. Sie kämen also gegen 17 Uhr vorbei.
Auch hier bekommen wir die gleiche Erklärung: Die beiden haben – natürlich! – ihre Kalender synchronisiert.
Eines ist klar: Anhand der Art und Weise wie dies immer betont wird und der merkwürdigen Blicke, die wir als nicht-synchronisiertes Paar ernten, geht es nicht nur darum, seine Termine online zu koordinieren.
Was hat es also mit diesem seltsamen Trend auf sich?
Online-Kalender synchronisieren als Meilenstein für Paare
Erstens geht es nicht nur darum, dass man sich einen Kalender teilt, in dem man gemeinsame Termine notiert. Nach einer Studie des Pew Research Center aus dem Jahr 2014 machen dies 14 Prozent der Paare in den USA.
Das ist aber nicht das, was unsere Freunde mit dem Synchronisieren meinen. Vielmehr geht es darum, dass jeder seinen eigenen Online-Kalender hat, beide aber Zugriff auf den Kalender des anderen haben.
Also: Sie kann immer sehen, was er so für Termine hat und er kann immer ihre Termine sehen. Und das natürlich in Echtzeit. Manche nennen dies „calender-connected“, also kalenderverbunden. Dafür gibt es sogar spezielle Apps.
Aus technischer Sicht ist das heutzutage natürlich nichts Weltbewegendes mehr. Aus emotionaler Sicht muss man aber bereit sein, sich auf so etwas einzulassen.
Denn schließlich weiß der Partner damit im Prinzip immer, wo man gerade ist und was man macht und mit wem. Und wehe, man tut vielleicht etwas, was nicht auf dem Kalender stand! Das ist ganz schön viel Nähe und Kontrolle, die man da zulässt.
Genau deshalb geht es beim Synchronisieren der Kalender in einer Beziehung auch nicht so sehr um die Technologie dahinter. Denn US-Amerikaner lieben es, jede Stufe einer Beziehung zu analysieren, zu kategorisieren und mit Bedeutung zu beladen.
- Heißt der Schlüssel zur Wohnung des anderen, dass man die Blumen gießen soll oder dass man bald heiratet?
- Wenn ich nach sechs Monaten noch nie seine Eltern gesehen habe, heißt das, dass mein Partner keine langfristige Beziehung mit mir plant?
In Deutschland, wo wir Beziehungen sehr viel weniger formalisieren und klassifizieren, klingt das ein bisschen lächerlich. Doch an der Frage, ob man jetzt als „Date“ oder „Girlfriend“ vorgestellt wurde, können hier ganze Beziehungen zerbrechen.
Genau so ist es mit den Kalendern. Wie der Schlüssel zur Wohnung, gilt nun das Synchronisieren der Online-Kalender als Meilenstein in einer Beziehung. Denn „calendar syncing“ zeigt angeblich auch, ob man als Paar „in snyc“ – also im Einklang miteinander – ist.
Lach nicht! Das wird ernsthaft diskutiert und sogar schon in beliebten TV-Serien aufgegriffen. Ganz nach dem Motto: „Dated ihr noch oder synchronisiert ihr schon?“ scheint die Kalender-Verbundenheit nun den Facebook-Beziehungsstatus zu ersetzen.
Bin ich zu altmodisch?
Amerikaner scheinen das Synchronisieren ihrer Kalender mehrheitlich als positives Zeichen für ihre Beziehung zu werten.
Sharing your online calendar with a loved one is:https://t.co/zop2DpGsOD
— All Tech Considered (@npralltech) March 21, 2016
Wenn man aber jetzt nicht gerade ein Power-Paar mit jeweils 20 Terminen am Tag ist und ich dann den Sinn dieser Kalender-Verbundenheit sogar nachvollziehen könnte, finde ich diesen Trend sehr befremdlich.
Vor allem, weil es nicht so sehr um den praktischen Nutzen zu gehen scheint, sondern vielmehr als Beziehungstest gilt und in gewisser Hinsicht auch öffentlichkeitswirksam allen anderen zeigen soll, wie sehr man doch miteinander verbunden ist.
Vielleicht bin ich ja altmodisch, aber ist es nicht sehr viel wichtiger für eine Beziehung, dass man sich gegenseitig vertraut – auch ohne, dass man zu jeder Stunde genau kontrolliert, was der andere tut?
Und, eine ganz verrückte Idee in dieser vernetzten, kalenderverbundenen Online-Welt: Wenn man wirklich wissen will, was der Partner so vorhat, könnte man ihn oder sie doch auch einfach fragen, oder?
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