Es sieht auf den ersten Blick nach einem vernünftigen System aus. Um den Problemen von Sharing-Angeboten entgegenzutreten, ging ein chinesischer Anbieter von Mietfahrrädern einen neuen Weg. Mobike begünstigte das „Wohlverhalten“ seiner Nutzer. Doch bietet dieses System wirklich nur Vorteile?
Aufgrund des großen Bedarfs an kostengünstiger Mobilität in Städten nehmen die Anbieter von mietbaren Fahrrädern zu. Seit November 2017 ist das Bike-Sharing-Unternehmen Mobike unter anderem in Berlin vertreten.
Nach eigenen Angaben unterstützt das chinesische Unternehmen mittlerweile mehr als 30 Millionen Fahrten pro Tag. Hinzu kommen über 200 Millionen registrierte Nutzer weltweit.
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Einfache Mietabwicklung
Per App können Kunden ein Rad finden, freischalten und losfahren. Später stellt der Nutzer es innerhalb eines definierten Gebiets wieder am Straßenrand ab und verriegelt es. Feste Stationen gibt es für die Fahrräder nicht.
Was unkompliziert und praktisch klingt, führt auch zu Ärger. Mutwillig abgestellte und zugeparkte Wege und Plätze, verstopfte Gehwege und Einfahrten verursachen Chaos und reichlich Ärgernisse. Mit diesem Problem haben grundsätzlich alle Anbieter von Shared-Mobility-Lösungen zu kämpfen.
Mobike geht neuen Weg beim Belohnungssystem
Jeder Nutzer bekam einen für ihn in der App leicht erkennbaren Mobike-Score. Gutes Verhalten belohnte das Unternehmen mit Freifahrten. Je verantwortungsbewusster ein Mobiker sein Fahrrad nutzt, desto höher war sein Guthaben (Credits). Sank der Sore auf Null wurde das Benutzerkonto gesperrt. Der Nutzer hatte keinen Zugang zu den Mobike-Diensten mehr.
Zum guten Verhalten gehörte aber auch, dass Nutzer falsch geparkte Fahrräder melden oder defekte Bikes anzeigen. Wörtlich hieß es dazu in den FAQ: „Wenn du illegal oder schlecht geparkte Mobikes siehst, sende uns bitte dein Feedback und du wirst mit Mobike Credits belohnt.“
Social Scoring aus China
In diesem Belohnungssystem spiegelt sich das Überwachungssystem der Kommunistischen Partei China (KPC) wieder. In China soll bis zum Jahr 2020 ein Sozialkreditsystem (Social Scoring) eingeführt werden.
Dieses erfasst von der Zahlungsmoral bis zu den Einkaufsgewohnheiten und dem Sozialverhalten jedes Bürgers möglichst alles. Ausgehend von diesen Daten etabliert der Staat dann ein System von Belohnungen und Bestrafungen.
Das Ziel besteht darin, die chinesische Gesellschaft durch eine umfassende Überwachung zu mehr „Aufrichtigkeit“ im sozialen Verhalten zu erziehen. Was so harmlos und vernünftig klingt, kann der erste Schritt in ein digitales Überwachungssystem sein.
Eine weitere Parallele zum Social-Scoring-System Chinas ist die Transparenz. Der Mobike-Nutzer konnte sich jederzeit über seinen Punktestand informieren. Was aber war, wenn der Nutzer sieht, dass sein Mobike-Score Richtung Null geht?
War es dann nicht ein Anreiz, verstärkt illegal oder schlecht geparkte Mobikes zu melden, um so Credits zu bekommen? Das wiederum führte dazu, dass die Nutzer, die sich nicht „wohl verhalten“ haben, ihrerseits mit Abzügen im Mobike-Score rechnen müssen.
Neues System in Deutschland
In Deutschland war und ist diese Kombination von Punktesystem und Wohlverhalten absolut neu. Spontan könnte man hier auf den Gedanken kommen, dass darin ein Verstoß gegen den lauteren Wettbewerb und gegen Datenschutzvorschriften lag und immer noch liegt.
Masse an gesammelten Daten
Doch damit nicht genug. Bedenkt man, dass jedes Mobike-Fahrrad mit einem GPS-fähigen Schloss ausgestattet ist und macht sich bewusst, welche Menge an allgemeinen Daten tagtäglich von Mobike über die Nutzer gesammelt wird, rückt noch ein anderer Faktor in den Fokus.
Der Geschäftsführer von Mobike Deutschland, Jimmy Cliff, hat dazu in einem Interview erklärt, dass man wissen wolle, wo die Fahrräder sich befinden und wie sie benutzt werden.
Dadurch könne das Produkt weiter verbessert und den Städten sogar durch die Verkehrsdaten geholfen werden, dort die Infrastruktur auszubauen, wo viele Menschen Rad fahren.
Ausdrücklich weist er darauf hin, dass die personenbezogenen Daten sein Unternehmen nicht interessieren. Diese Daten werden getrennt von den Bewegungsdaten gespeichert.
Mobike und die Nutzerdaten
Kritiker argwöhnen, dass aus wirtschaftlicher Sicht die Einnahmen durch die Gebühren allein nicht ausreichen, um die Betriebskosten zu decken. In der Tat zieht sich Mobike derzeit aus verschiedenen Ländern in Asien und der Pazifikregion zurück. Die Präsenz in Europa steht nicht auf dem Spiel.
Profitabel könne das System nur werden, wenn es die Daten seiner Nutzer vermarktet. Es drängt sich deshalb die Vermutung auf, dass es Mobike in erster Linie um die Daten der Nutzer gehen könnte.
Bei der Registrierung der Mobike-App muss der Nutzer langwierigen und undurchsichtigen Geschäftsbedingungen und Datenschutz-Erklärungen zustimmen. Diese kann Mobike jederzeit ändern. Die letzte Version stammt vom 2. April 2019.
Derzeit wird zumindest nach dem Wortlaut eine weitergehende Speicherung und Nutzung von Daten nicht durchgeführt. Was das aber genau bedeutet, ist nicht klar. Denn zumindest Daten zu Fahrten, zum Beginn und Ende einer Strecke und zur Geschwindigkeit werden vom User generiert.
Sie stehen Mobike folglich zumindest prinzipiell zur Verfügung. Eine Nutzung zu internen Zwecken kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, zumal das Unternehmen ja einem Scoring-System nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber steht.
Vorsicht ist angebracht
All das wirkt nicht gerade vertrauenserweckend. Jeder Nutzer sollte die von Mobike angewandte Abwicklung des Mietvorgangs und deren weiteres Vorgehen bei einer eventuellen „Beeinflussung des Nutzerverhaltens“ wachsam im Auge behalten.
Dies sieht wohl auch der Berliner Beauftragte für Datenschutz so und hat im Dezember 2018 ein Prüfverfahren eingeleitet. Daraufhin wurden von Mobike im März 2019 zumindest die FAQs und die Datenschutzerklärung geändert. Ein Hinweis auf das Scoring-System fehlt nun.
Mobike bittet nun die Nutzer, Hinweise zu erkannten Problemen bei der Nutzung der Fahrräder zu geben. Nichtsdestotrotz kann wohl nicht ausgeschlossen werden, dass Mobike noch immer Daten sammelt.
Es bleibt abzuwarten, wie sich dieser interessante Fall entwickelt und ob Mobike nicht in Zukunft mit einer neuen Version eines Social-Scoring-Modells an den Start geht. Das könnte eine erneute Herausforderung der deutschen und europäischen Standards sein.
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