Meine Mutter hat mir erzählt, dass sie eine Kreuzfahrt machen möchte. Erst habe ich sie angemeckert. Dann habe ich unsere Klimabilanzen verglichen. Dürfen wir anderen wirklich ihre Klimasünden vorwerfen? Eine Selbstkritik.
Ich schreibe nun schon seit geraumer Zeit über die Zukunft der Mobilität. Offensichtlich ist es lange genug, dass ich mich selbst in eine Blase aus sauberer Luft, nachhaltigen Transportmitteln und fahrradfreundlichen, grünen Städten geschrieben habe und ich das Gefühl habe: Jeder sieht das ähnlich.
So war es doch recht unsanft, als neulich diese Blase zerplatzte … beziehungsweise zerschlagen wurde. Von meiner eigenen Mutter!
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Ich denke an eine Generation, die für ihre Zukunft kämpft
Sie habe eine Kreuzfahrt gebucht, verrät sie mir. Sie ist aufgeregt, aber auch ein bisschen stolz, dass sie den Mut dazu aufgebracht hat, sich einer Gruppe von reiselustigen Freunden zu dieser einmaligen Reise anzuschließen.
Einmalig? Ich denke an die Verschmutzung der Weltmeere. An die CO2-Umweltsünder „Kreuzfahrtschiffe“. Und an die Fridays for Future, bei denen gefühlt eine ganze Generation von jungen Menschen gegen den Klimawandel und für ihr eigenes Überleben … und irgendwie gegen Menschen, die Kreuzfahrten unternehmen, demonstriert.
Was sagt man dann, wenn einem die eigene Mutter gerade freudig erzählt, dass sie jetzt dazu beitragen wird, das Klima zu zerstören?
Ich weiß nicht, was „man“ sagt, aber ich sagte (in etwa): „Bist du noch ganz bei Trost?!“ Was folgte, war ein nicht ganz publizierfähiges Streitgespräch.
Gut, den Nobelpreis in Mutter-Tochter-Diplomatie werde ich in diesem Leben wohl nicht mehr bekommen.
Doch das Ganze bringt mich schließlich zum Nachdenken. Kann / Darf / Soll ich meiner Mutter wirklich ein schlechtes Gewissen machen?
Darf ich wirklich Moralapostel spielen?
Auf den ersten Blick: Natürlich! Schließlich macht sie Urlaub auf Kosten meiner Generation und der Generation meiner Kinder.
Doch je länger ich darüber grübele, desto unsicherer werde ich. Denn lebe ich wirklich so nachhaltig, dass ich es mir anmaßen kann, anderen Vorwürfe über ihren Lebenswandel zu machen und mich als Moralapostel aufzuspielen?
Zumal meine Mutter alles andere als eine Umweltsünderin ist.
Ich vs. meine Mutter: Wer hat die bessere Klimabilanz?
Meine Eltern leben in einem Haus nach modernsten deutschen Energiestandards. Kurze Strecken geht meine Mutter grundsätzlich zu Fuß oder fährt mit dem ÖPNV. Längere Strecken fahren meine Eltern immer öfter aus Prinzip nur noch mit der Bahn und mein Vater überlegt gerade, seinen Diesel gegen ein Elektroauto umzutauschen.
Urlaub machen meine Eltern mit Vorliebe in Deutschland. Meist gehen sie dabei auch noch wandern und spenden für lokale (Umwelt-)projekte, wenn sie können. Ihre Flugreisen in den letzten zehn Jahren kann ich an einer Hand abzählen.
Im Haushalt meiner Eltern gibt es keine Plastikflaschen und auch keine Plastiktüten. Die Haushaltsgeräte sind alle nach den neuesten Energiespar-Standards ausgewählt.
Sie kaufen Eier von einem bekannten Bauern und essen Fleisch von glücklichen Tieren. Obst und Gemüse kommen vom lokalen Bio-Bauern und darüber hinaus hat mein Vater seinen eigenen Obst- und Gemüsegarten.
Und ich? Nun ja … ich bemühe mich.
Ich verzichte bewusst auf ein eigenes Auto, wo ich nur kann und fahre ersatzweise Fahrrad, Bus, Bahn, E-Bike oder nutze Carpooling.
Plastik vermeide ich auch fast durchweg (wo es geht) und ich recherchiere manchmal sogar einen ganzen Tag lang den ökologischen Fußabdruck eines Shampoos oder eines Speiseöls, bevor ich es kaufe. In Restaurants nehme ich meine eigenen Tupperdosen mit für Reste – nur damit sie mir nicht in Einwegbehälter gepackt werden.
Doch reise ich zum Beispiel sehr viel mehr als meine Eltern – und da sind im Schnitt zwei Flugreisen pro Jahr dabei. Auch wenn ich dafür meinen „CO2-Ausgleich“ zahle, geflogen ist geflogen.
Wenn ich bei einem meiner häufigen US-Aufenthalte innerhalb des Landes reise, tue ich das mit einem Auto – und bislang war das immer ein Benziner. Bei den langen Strecken dort würde es mich auch nicht wundern, wenn ich sogar mehr Kilometer pro Jahr im Auto fahre als meine Eltern.
Habe ich also wirklich das Recht, meine Mutter ihre Kreuzfahrt madig zu machen?
Vorwürfe führen selten zum Umdenken
Ich finde nicht!
Zwar bin ich nach wie vor der Meinung, dass eine Kreuzfahrt mit Hinblick auf den Klima- und Umweltschutz nicht die beste Wahl ist. Doch daraus folgt eigentlich nur, dass ICH keine solche Kreuzfahrt buchen werde.
Natürlich kann ich ihr sagen, was ich denke. Besser ist es jedoch, wenn ich das tue, wenn sie mich tatsächlich nach meiner Meinung fragt. Denn sonst endet man am Ende wie die unerwünschten Staubsauger-Vertreter an der Haustür: Man erzählt völlig ungefragt anderen Leuten Dinge, die sie gar nicht wissen wollen.
Mit anderen Worten: Man nervt und wenn man nervt, hört keiner auf das, was man eigentlich sagt, so gut die Botschaft auch sein mag.
Ich glaube, manchmal vergessen wir das im realen Leben. Schließlich posaunen wir täglich über sozialen Netzwerke lautstark unsere Meinung heraus. Egal, ob das jemanden interessiert oder ob uns jemand etwas fragt. Wir haben eine Meinung, eine Einstellung. Und die ist richtig und die müssen wir vertreten. Immer. Alle, die etwas anderes denken / sagen / machen, sind überspitzt gesagt Idioten.
Solche Denkmuster sind toll für Facebook-Algorithmen und Filterblasen, aber nicht für den Austausch mit anderen Menschen.
Denn natürlich weiß meine Mutter, – ohne, dass ich meinen Senf dazugeben muss – dass ihre Urlaubspläne nicht klimaneutral sind.
Am Ende bleibt es aber ihre persönliche Entscheidung. Und in diesem Fall finde ich: Ich kann eine andere Meinung haben, aber es ist nicht fair, sie dafür zu verurteilen, denn sie ist ganz bestimmt kein Mensch, dem die Umwelt egal ist.
Was ich stattdessen kann und soll ist vielmehr auf mein eigenes Verhalten achten. Manchmal denke ich, das würde uns allen ganz gut tun. Ein bisschen mehr „Was kann ich fürs Klima tun“ anstatt „Die anderen machen alles falsch“ wäre wahrscheinlich in vielen Dingen der bessere Weg.
Meckern ist schließlich immer leicht, es selbst anders machen wiederum nicht so sehr. Selbst wenn man der vermeintlich klimaneutralste Umwelt-Guru der Welt ist – anderen Menschen von seinem vermeintlich hohen Ross herab vorzuwerfen, dass sie es nicht sind, ist nicht fair und vor allem, absolut nicht hilfreich.
Nicht fair, weil ich mir nicht denken kann, dass es so etwas wie den (einen) perfekten klimafreundlichen Lebensstil gibt und wir nie zu 100 Prozent wissen, warum eine Person eine bestimmte Entscheidung getroffen hat. Und nicht hilfreich, weil aggressive Kritik und Vorwürfe viele Reaktionen hervorrufen, aber selten zum Umdenken führen.
Im besten Fall lähmen sie die andere Person, die denkt, dass sie niemals umweltfreundlich leben kann und es dann gleich frustriert aufgibt. Im schlimmsten Fall löst es eine Trotzreaktion aus.
Wäre es da nicht besser gewesen, wir hätten nichts gesagt und jeder leistet einfach das, was er kann fürs Klima, ohne sich ständig anhören zu müssen, was er alles NICHT tut?!
Daher nochmals zurück zur Ausgangsfrage: Was können wir tun, wenn uns unsere Mutter von ihrer Kreuzfahrt berichtet?
Viel Spaß, Mama!
In meinem Fall: ihr viel Spaß wünschen (und eventuell dezent auf atmosfair verweisen).
WIR alle können aber vor allem weiter achtsam bleiben, Fakten sorgfältig prüfen, nicht jeden Umwelttrend blind mitmachen und, so gut es geht, nachhaltige Entscheidungen treffen. Am besten ohne, dass das in reinen Stress ausartet und man vor jeder Kauf- oder Lebensentscheidung drei Stunden Wikipedia-Fußnoten wälzt. (Das ist bestimmt auch schlecht fürs Klima … gibt es da keine Studie?)
Am Ende können wir nur hoffen, dass wir unseren eigenen Klima-Fußabdruck so gering wie möglich halten und andere durch unsere Taten inspirieren es uns nachztun.
Das hilft dem Klima wahrscheinlich langfristig mehr als Vorwürfe.