Netflix muss sich, bevor Warner, Apple und Disney mit Konkurrenz-Diensten loslegen, mächtig ins Zeug legen, um seine Kundschaft bei Laune zu halten. Da sind Superhelden sicher immer ein probates Mittel. Gut für Netflix, dass es diese Helden nicht nur von Marvel und DC gibt, sondern auch von Comic-Schmieden wie Dark Horse Comics.
Dort haben zum Beispiel auch die Protagonisten der „Umbrella Academy“ ihre Heimat. Die Serie stammt aus der Feder von Gerard Way und Gabriel Bá, wobei euch der erstgenannte Name auch aus anderem Grund ein Begriff sein könnte. Way war nämlich auch Gründer und Sänger der Band „My Chemical Romance“. Nachdem er bei der längst aufgelösten Band also hauptsächlich Herzen von Emo-Mädchen in Wallung brachte, ist er nun als Comic-Zeichner erfolgreich und verzückt demzufolge mittlerweile Comic-Fans.
Mit „The Umbrella Academy“ ist jetzt erstmals eine Serie aus seiner Feder auf Netflix als Original zu bestaunen und — so viel kann ich vorwegnehmen — es gibt in den zehn Folgen der ersten Staffel in der Tat jede Menge zu bestaunen. Ich hab die Hefte nicht gelesen, hab mir aber erzählen lassen, dass die Story dort noch komplexer ist als in der Netflix-Umsetzung. Das soll aber nicht heißen, dass die Serie schlicht geraten wäre. Im Gegenteil: In den ersten ein, zwei Folgen (die Staffel besteht aus zehn einstündigen Episoden) werdet ihr zugeschüttet mit Infos. Da gilt es, ordentlich aufzupassen und die Informationen gierig in sich aufzusaugen.
Aber egal, wie gut man aufpasst: Es stellen sich dennoch unzählige Fragen und so viel kann ich schon verraten — die meisten werden nicht beantwortet. Fragen wie:
- Wieso werden 43 Mädchen weltweit am gleichen Tag Mutter — ohne vorher schwanger gewesen zu sein?
- Wieso weiß der äußerst kauzige Milliardär Sir Reginald Hargreeves überhaupt davon, dass diese Kinder besondere Kräfte haben?
- Wieso kann der Affe sprechen?
- Wieso ist die Mutter ein Roboter?
- Wie verdammt nochmal halten diese merkwürdigen Brillen?
- Wieso hat Luther so einen merkwürdigen Körperbau?
- Wieso ist Nr. 5 gleichzeitig deutlich älter und deutlich jünger als alle anderen?
- Wie ist die Nr. 6 der sieben Geschwister gestorben?
- Spielt tatsächlich Mary J. Blidge eine Profi-Killerin?
- Und wieso haben die beiden Profi-Killer überhaupt immer so merkwürdige Masken auf?
- Und wieso sind die beiden Profi-Killer in jedem Hotelzimmer per Rohrpost erreichbar?
- Hat man Netflix irgendwann dazu verpflichtet, bei den Soundtracks auf einen großen 80s-Anteil zu achten?
Fragen über Fragen also, auf die ihr hier im Beitrag vermutlich keine Antworten findet werdet. Stattdessen erfahrt ihr aber an dieser Stelle, ob die Serie taugt und ob ich sie euch als Binge-Watching-Material empfehlen kann.
The Umbrella Academy – darum geht’s
Vorab: Ich werde vermutlich nicht umhin kommen, hier und da ein wenig zu spoilern. Falls ihr also absolut noch keine Infos gebrauchen könnt, schaut euch die Serie lieber einfach so an. Ich versuche aber unabhängig davon, nicht zu viel aus dem Nähkästchen zu plaudern.
Zur Vorgeschichte: An einem Tag im Jahr 1989 werden 43 Mädchen schwanger. Vermutlich sind an diesem Tag noch deutlich mehr Frauen weltweit schwanger geworden, aber nur diese 43 haben ihre Kinder dann auch am selben Tag noch zur Welt gebracht. Der exzentrische Sir Reginald Hargreeves ahnt irgendwie das Potenzial dieser Kids und versucht, so viele davon zu adoptieren. Das in den USA vorherrschende Bild von exzentrischen Milliardären sieht augenscheinlich übrigens vor, dass sie auffällige Bärte und Monokel tragen. Hargreeves sieht in der Tat ein bisschen aus wie der Monopoly-Mann, wobei der natürlich selbst kein Monokel trägt.
Alle Frauen lassen sich natürlich nicht auf den Deal ein, aber immerhin sieben dieser außergewöhnlichen Kids kann er adoptieren. Er bietet ihnen in einer großen Villa ein schönes Zuhause und trainiert sie dann für größere Aufgaben. Die Talente der Kinder sind breit gefächert: Allison kann Menschen manipulieren, Klaus spricht mit Toten, Nummer 5 springt durch Raum und Zeit, Ben beschwört Monster usw.
30 Jahre nach ihrer Geburt und Jahre, nach denen sie sich aus den Augen verloren haben, kehren sie aus einem traurigen Anlass zurück in die Villa: Sir Reginald Hargreeves ist nämlich verstorben. Es scheint ein natürlicher Tod zu sein, lediglich Luther glaubt an etwas anderes.
Vielleicht ist „trauriger Anlass“ auch nicht für alle der Geschwister die passende Umschreibung, denn sagen wir, wie es ist: Als Vater taugte Hargreeves nun wahrlich nicht, er war gelinde gesagt sogar ein ziemliches Arschloch. Er wollte Zeit seines Lebens, dass diese besonderen Kinder eines Tages die Welt retten, aber dafür stahl er ihnen ihre komplette Kindheit.
Das hat alle geprägt und so offenbart sich schon in der ersten Folge, wieso diese Superhelden-Serie so anders ist als so ziemlich alle anderen: Im Grunde sehen wir hier nämlich eine Drama-Serie, in der es primär nicht um Superkräfte und Duelle mit Super-Schurken geht, sondern um eine furchtbar zerrüttete Familie und vielen sehr kaputten Charakteren.
Vor allem bei Klaus zeichnet sich das ab: Er ist sowas wie das typische schwarze Schaf und konsumiert alles an Drogen, was er in die Finger bekommen kann. Wenn er das nicht macht, versetzt er die Habseligkeiten anderer Leute, um Kohle für neue Drogen zu haben. Er ist aber ein sehr belebendes Element dieser Serie und während seine Geschwister hart genervt sind von ihm, ist er für mich persönlich — neben Nummer Fünf — mein Liebling der Umbrella Academy.
Nummer Fünf (wieso hat der eigentlich als einziger keinen Namen?) ist vermutlich auch der rücksichtsloseste und blutrünstigste der Geschwister. Das ist doppelt unterhaltsam, weil ihm die Reiserei durch die Zeit einen üblen Streich gespielt hat: So kommt es nämlich, dass er im Gegensatz zu den anderen deutlich mehr gealtert ist (er ist 58 Jahre alt), aber bei der Rückreise zur Villa plötzlich wieder in seinem 13-jährigen Körper landet. Es ist jedenfalls äußerst skurril, einen 13-Jährigen dabei zu beobachten, wie er einen ganzen Schwung professioneller Killer eliminiert, glaubt mir mal.
Schräg, schräger, The Umbrella Academy
„Skurril“ ist übrigens das Etikett, welches ich der Serie noch vor allen anderen verpassen würde. Das liegt schon an diesen schrägen Charakteren, wird aber auch großartig in Szene gesetzt zu herrlich überzogenen Sequenzen. Dazu gehören zweifellos die Tanz-Szenen, die wie aus dem Nichts kommen und die bis dahin vorherrschende Stimmung direkt mal auf den Kopf stellen. Dazu gehören aber auch die oft mit perfekter Musik unterlegten Gemetzel-Szenen. Nicht zuletzt ist es für mich aber auch dieses Zusammenspiel aus kuriosen Charakteren, was auch für die Neben-Charaktere zählt und nicht minder kuriosen Situationen. Wo verliert schon der Profi-Killer sein Herz an eine etwas spröde Donut-Verkäuferin und brennt mit ihr durch?
All das wird auch grafisch oft wirklich schön in Szene gesetzt. Toller Schnitt, starke Kamera-Fahrten und hin und wieder präsentiert sich das Geschehen in herrlich kitschiger und knallbunter Fünfziger-Jahre-Optik. Zwischendurch gibt es Rückblenden, die uns sowohl zeigen, was der Vater für ein hartes Regiment geführt hat, als auch die Kids im Einsatz, wenn sie beispielsweise Bankräubern das Handwerk legen.
Fazit: The Umbrella Academy
Damit komme ich jetzt schon zum Ende und zu meinem Fazit zur Serie. Ihr könnt es euch sicher schon denken, dass ich ziemlich angetan bin von dieser neuen Superhelden-Serie. Das liegt an all dem, was ich oben geschrieben habe, weil die Story stark ist, weil es keine typische Superhelden-Nummer ist, weil es liebevoll umgesetzt wurde und trotz des Familien-Dramas der ein oder andere Lacher dabei herausspringt. Dazu kommt dann noch ein feiner Soundtrack mit einigen — für Netflix fast schon obligatorischen — Perlen aus den Achtzigern, aber auch emotionale Nummern wie „Exit Music“ von Radiohead.
Retten die Geschwister die Welt? Verrate ich euch nicht, ein bisschen was müsst ihr schon noch selbst herausfinden. Unabhängig davon möchte ich euch die Serie aber ans Herz legen, wenn ihr auf abgefahrene Stories und Bilder steht (und ja, sowohl eine Roboter-Mutti als auch ein sprechender Schimpansen-Butler sind definitiv abgefahren). Ich hoffe jedenfalls inständig darauf, dass sich genug Fans für „The Umbrella Academy“ finden und Netflix eine zweite Staffel nachlegt. Hoffnung macht mir, dass die Comic-Vorlage schon eine breite Fan-Base besitzt und ja, auch dass Netflix die Superhelden-Serien zuletzt ein bisschen ausgegangen sind. Genau das könnte also die große Chance für The Umbrella Academy sein.