50 Millionen Video-Views und mehr als 25 Millionen erreichte Menschen kann „Wisst ihr noch“ auf Facebook jeden Monat vorweisen. Doch was ist das Erfolgskonzept der Nostalgie-Seite? Und wird man unabhängiger vom Zuckerberg-Konzern? Ein Interview.
Die guten alten Zeiten: Daran erinnern sich viele Menschen gerne zurück. Das gilt für Jung und Alt. Doch wie lässt sich aus Nostalgie ein vermarktbares Konzept erstellen? Und warum sind soziale Netzwerke dafür am besten geeignet?
Darüber haben wir uns mit Thomas Weigel, Chief Content Officer von „Wisst ihr noch“ und Christof Szwarc, Geschäftsführer der Online-Marketing-Agentur Cormes im Interview unterhalten.
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Wisst ihr noch wie alles begann?
BASIC thinking: Thomas, du hast „Wisst ihr noch … die 90er“ 2008 ins Leben gerufen. Wie bist du auf die Idee dazu gekommen?
Thomas Weigel: Zum einen wollte ich wissen, wie Social Media im Allgemeinen und Facebook im Speziellen funktioniert. Deshalb habe ich eine Fanpage zum Thema gestartet. Zum anderen war mir damals klar, dass die Themen Nostalgie, Retro und die 90er relevant sind.
Und auf eben diese Themen hatte ich große Lust. Während der Jahre ist das Projekt mit Freunden immer größer geworden. Es war allerdings immer ein Hobby, das verbunden war mit Fragen wie: Wie funktioniert die Plattform? Welche Formate eignen sich?
Was hat sich in den acht Jahren, bis Christof zum Projekt dazugestoßen ist, verändert?
Weigel: Ich habe im Laufe der Zeit mehrere Seiten aufgemacht. Darunter beispielsweise „Die 2000er: Wisst ihr noch?“. Ich habe also das gleiche Konzept auf andere Jahrzehnte übertragen. Irgendwann bin ich an dem Punkt angelangt, an dem ich das nicht mehr alleine umsetzen konnte. Zugleich hatte ich aber das Bedürfnis, mehr daraus zu machen.
Bei Prosieben hatte ich damals Martin und Christof kennengelernt. Ich habe ihnen das Thema gepitched und gesagt, dass ich daran glaube. Christof hat glücklicherweise auch das Potenzial erkannt und sich mit mir darauf geeignet, das Projekt zu professionalisieren.
Und was hast du in dieser Zeit gelernt?
Weigel: Ich habe vor allem gelernt, wie Content Marketing und Feed-Optimierung auf Facebook, Instagram und anderen Plattformen funktioniert. Wie muss ich einen Inhalt aufbereiten, damit er überall ankommt? Wie führt man eine Community?
Das habe ich mir damals autodidaktisch beigebracht – Learing by Doing sozusagen. Und das hilft mir und dem Team auch noch heute, um unsere Plattform auch mit neuen Herausforderungen gezielt weiterzuentwickeln.
Wie viel Zeit hast du damals in das Projekt gesteckt?
Weigel: Ich habe hauptberuflich gearbeitet und nebenbei noch mein Master-Studium beendet. Ich würde schätzen, dass ich eine bis zwei Stunden pro Woche in das Projekt investiert habe.
Das Erstellen von Content und das Verwalten der Community war auch damals schon übers Smartphone möglich. Deswegen war vieles davon auch unterwegs in der U-Bahn möglich. (lacht)
Vom Hobby zum eigenständigen Unternehmen
Wie sah der von dir bereits angesprochene Prozess der Professionalisierung konkret aus?
Christof Szwarc: Nachdem Thomas das Thema bei mir und Martin vorgestellt hatte, waren wir Feuer und Flamme. Cormes war damals bereits eine Online-Marketing-Agentur, die sich um Social Media und Suchmaschinenmarketing gekümmert hat. So konnten wir über „Wisst ihr noch“ gleich Schwerpunkte über unser Inhouse-Team setzen.
Die erste Anforderung war ein Online-Auftritt. So kam es 2016 auch zur Gründung der Website Wisstihrnoch.de. Das geschah vor dem Hintergrund, dass es damals auf Facebook noch keine Vermarktungsmöglichkeiten gab.
Außerdem hatten wir damit in unserem Business-Plan einen Revenue-Stream. So wurde eine Website aufgebaut, über die wir auch klassische Kampagnen über Video- und Display-Vermarktung spielen können.
Ist dann „Wisst ihr noch“ inzwischen das zentrale Projekt von Cormes oder betreut ihr auch weiterhin andere Kunden?
Szwarc: Im Kern sind wir immer noch eine Online-Marketing-Agentur. Darüber hinaus haben wir dank „Wisst ihr noch“ aber die Möglichkeit, Projekte als Inkubator zu fördern.
Dabei legen wir sehr viel Wert darauf, das intern ohne Investoren zu stemmen und erfolgreich aus dem Cash Flow zu wachsen. Grundsätzlich sind wir jedoch für Gespräche mit strategischen Investoren offen.
Wie groß ist inzwischen das Team dahinter?
Szwarc: Wir sind knapp 15 Leute, die sich auf unterschiedliche Units verteilen. Darüber hinaus bauen wir auch ein externes Netzwerk von Kreativen auf, die entweder Content für uns produzieren oder uns die Möglichkeit geben, ihre Inhalte für unsere Plattformen zu nutzen.
Hinzu kommt seit Anfang 2018 unser eigenes Studio in Berlin, in dem wir Inhalte und Videos selbst produzieren. Abgerundet wird das Konzept durch Distribution und Sales. Letzteres ist wichtig, um unsere große Reichweite gezielt zu vermarkten.
Die Facebook-Reichweite von „Wisst ihr noch“
Welcher Kanal ist für euch der wichtigste?
Weigel: Aktuell ist das auf jeden Fall Facebook. Im Gegensatz zu den meisten anderen Influencern und Content-Erstellern sind wir bei Facebook und nicht bei Instagram oder YouTube groß geworden.
Wir bauen unsere Aktivitäten in den Bereichen Video und Bild selbstverständlich auf allen relevanten Plattformen – Snapchat, Pinterest, Instagram, IGTV – weiter aus.
Wie groß ist eure monatliche Reichweite auf Facebook?
Weigel: Aktuell erreichen wir monatlich zwischen 25 und 30 Millionen Menschen, die für 1,6 Millionen Interaktionen verantwortlich sind. Diese Daten gibt uns Facebook. Im Video-View-Bereich liegen wir bei rund 50 Millionen Aufrufen und 32 Millionen angesehenen Minuten im Monat.
Szwarc: Im Durchschnitt sind wir jeden Tag mit 500.000 bis 1,5 Millionen Video-Views unterwegs. Dabei gibt es selbstverständlich leichte Schwankungen je nach Content.
Weigel: Und über alle unsere Verticals kommen wir derzeit auf rund 2,2 Millionen Fans und Follower. Wir haben unser Portfolio nach Jahrzehnten aufgeteilt. Da ist überall aber noch viel Luft nach oben.
Reichweiten und Fans sind natürlich nette Werte. Doch wie sieht es mit dem Engagement aus?
Weigel: Wir gehören zu den Top-Fünf-Entertainment-Communities in Deutschland. Um das einzuordnen: Unsere Community ist aktiver als die der Bild. Wir haben zwischen zehn und 15 Millionen Interaktionen auf unseren Kanälen im Monat in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das sind Zahlen, die sonst nur Fußball-Vereine erreichen.
Die Vermarktung und Monetarisierung von „Wisst ihr noch“
Wollt ihr, dass eure Community auf Facebook bleibt, oder schickt ihr sie auf die Website, um sie besser vermarkten zu können?
Weigel: Aktuell beides. Wir kreieren auf der Website stets neue und vor allem interaktive Content-Formate. Das geht über Listicles und Quizze hinaus. Das wollen auch unsere Nutzer, weil sie aktiv teilnehmen wollen. Unsere Zukunft liegt aber im Video-Bereich – und zwar auf allen Plattformen.
Wie würdet ihr eure Monetarisierungs- und Vermarktungsstrategie zusammenfassen?
Szwarc: Wir greifen auf alle möglichen Revenue-Streams zurück. Seit einigen Wochen bietet Facebook allen Publishern an, über Video-Vermarktung die eigenen Clips zu monetarisieren – eine Möglichkeit, von der wir enorm profitieren.
Da sind wir seit dem Beginn dabei. Das hat sich schnell zu einem sehr großen Umsatztreiber entwickelt. Darüber hinaus haben wir auf der Website die klassische Display- und Video-Vermarktung. Diese Inhalte lassen wir über unterschiedliche Vermarkter vertreiben.
Aktuell sind wir außerdem dabei, den Affiliate-Bereich weiter auszubauen und arbeiten an unserem eigenen „Wisst ihr noch“-Shop. Darin finden sich dann nostalgische Produkte wie T-Shirts oder Tassen.
Aber auch unsere eigenen Produkte gibt es dort. Dieses Jahr haben wir unter anderem eine 90er-CD mit Sony und ein „Wisst ihr noch“-Kochbuch herausgebracht. Zur Weihnachtszeit kommt noch ein 90er-Kartenquiz hinzu.
Was konntet ihr dabei lernen?
Szwarc: Ein großes Learning dieses Jahr war, dass wir eine eigene Sales-Unit benötigen, die sich gezielt darum kümmert, konzeptionell unsere Marke und Reichweite Kunden zur Verfügung zu stellen.
Weg vom klassischen Banner hin zur integrierten On- und Offline-Kampagne
Das heißt: Ihr macht euch ein Stück weit unabhängig vom Facebook-Algorithmus, indem ihr euch zusätzliche Standbeine aufbaut?
Weigel: Wir gehen natürlich in alle Kanäle, die sich monetarisieren lassen – sei es aus dem Facebook-, dem Google- oder einem sonstigen Universum. Als Medien-Unternehmen ist man heute sowieso dazu gezwungen, sich neue Umsatz-Quellen zu erschließen.
Darin liegt auch eine große Herausforderung. Wir müssen Wege finden, die uns einigermaßen unabhängig von den Plattformen machen.
Für das Jahr 2019 gehört deshalb auch zu unseren Zielen, mehr Auftragsproduktionen für unsere Kunden umzusetzen. Wir orientieren uns dabei sehr stark am US-amerikanischen Markt. Dort gehen die Kooperationen sogar soweit, dass Offline-Events aus Online-Partnerschaften entstehen.
In diesem Bereich pitchen wir derzeit sehr viel. Deutschland wacht hier so langsam auf. Deshalb ist hierzulande auch noch viel Musik drin. Es geht weg von Video- und Banner-Kampagnen hin zu integrierten Kampagnen, die on- und offline stattfinden.
Wie wollt ihr sicherstellen, dass ihr mit diesen Werbe-Kooperationen nicht eure Community verschreckt?
Weigel: Die Gefahr existiert. Das stimmt. Deshalb testen wir aktuell viel. Im Großen und Ganzen ist es allerdings so, dass wir Inhalte produzieren müssen, die unsere Nutzer auch mögen.
Da müssen wir den Spagat schaffen, dass die Marke es spannend findet, in dem Umfeld zu werben, und die Nutzer zugleich die Werbung unterhaltsam finden.
Für unsere 90er-CD haben wir beispielsweise ein Quiz entwickelt, bei dem zwei Spieler gegeneinander antreten müssen, um Songs zu erkennen. So stellen wir uns Content-Kampagnen vor.
Für einen Automobilhersteller könnte man zum Beispiel Auto-Karaoke-Videos erstellen und diese dann mit den Top-Hits aus dem jeweiligen Jahrzehnt verbinden. Damit wiederum im Gepäck könnte man im Anschluss durch Deutschland touren und die lokale Community zum Mitmachen über unsere Social-Media-Kanäle animieren.
Die Strategie für Instagram und YouTube
Neben Facebook ist „Wisst ihr noch“ auch auf Instagram und YouTube mit deutlich kleineren Fan-Zahlen vertreten. Welches Ziel verfolgt ihr mit diesen Kanälen?
Szwarc: Aktuell bespielen wir sie, um dort präsent zu sein. Allerdings sind wir momentan noch sehr weit von unseren Erwartungen entfernt. Daran arbeiten wir noch und der Ausbau unseres Teams wird sich positiv darauf auswirken.
In den nächsten Ausbau-Stufen stehen dann Instagram und YouTube weit oben auf der Agenda. Und spätestens wenn IGTV durchstartet, wollen wir dabei sein.
Seht ihr auf den einzelnen Plattformen dann auch neue Zielgruppen?
Szwarc: Ja, definitiv. Das fängt beim Alter unserer Nutzer an und hört bei der Verweildauer und den Content-Formaten auf. Genau dort liegt die Herausforderung. Wir wissen, dass unsere Inhalte für YouTube geeignet sind. Nur die Form passt noch nicht. In diesem Bereich sind wir noch nicht so weit. Um das zu ändern, bauen wir unser Team gezielt weiter aus.
Das heißt: Aktuell kommen noch über 90 Prozent eurer Interaktionen von Facebook?
Weigel: Das ist korrekt. Dazu muss man ergänzen, dass Facebook in den letzten Monaten Unternehmensprofile – zu denen auch wir zählen – ein wenig abgestraft hat. Trotzdem sind wir entgegen des Trends im Markt weiter gewachsen.
Das spricht für das Engagement unserer Community. Aus diesem Luxus heraus kam allerdings der Antrieb, in andere Kanäle zu expandieren, erst sehr spät. Das müssen wir uns ankreiden.
Tipps für den Start einer Facebook-Fanpage
Worauf würdet ihr achten, wenn ihr heute eine neue Facebook-Fanpage hochziehen würdet?
Weigel: Das Wichtigste heutzutage ist ein einzigartiges Thema. Wenn man beispielsweise eine neue Möglichkeit findet, Kochrezepte zu präsentieren und zu vermarkten, könnte man relativ schnell wachsen.
Im nächsten Schritt muss dieses Thema auf Bild- und Video-Inhalte zugeschnitten werden. Zum Schluss würde ich zunächst keine Website aufmachen, sondern nur auf den Facebook-Feed optimieren.
Ich muss jedoch nochmal hervorheben, wie wichtig die gewählte Thematik ist. Diese muss unbedingt neuartig und noch nicht vorhanden sein.
Wer bloß versucht, bestehende Konzepte zu kopieren, hat selbst mit viel Manpower kaum eine Chance. Das sehen wir an Konkurrenten – auch aus der Verlagsbranche –, die unseren Erfolg nachbauen wollten.
Szwarc: Die organische Reichweite ist dabei der wirksame Hebel. Man braucht fast gar kein Budget, um eine Fanpage aufzubauen und Wachstum hinzulegen.
Das komplette Universum von „Wisst ihr noch“ läuft mit marginalem Werbe-Budget. Dieses stammt wenn überhaupt aus der Business Intelligence, um neue Themen und deren Akzeptanz mit zweistelligen Euro-Beträgen zu testen.
Vielen Dank für das Gespräch, Thomas und Christof!
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