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Der neue Digitalrat: Nur heiße Luft oder schlagkräftiger Expertenrat?

Digitalrat, Bundesregierung, Digitalisierung
Der neu gegründete Digitalrat der Bundesregierung im Bundeskanzleramt. (Foto: Screenshot / Twitter)
geschrieben von Carsten Lexa

Der digitale Wandel bietet enorme Chancen für die Menschen in Deutschland. Damit auch alle daran teilhaben können, muss die Bundesregierung politisch die richtigen Weichen stellen. Ist der neu gegründete Digitalrat der richtige Weg? Carsten Lexa ordnet ein.

Warum gibt es den Digitalrat?

Die Digitalisierung verändert schon jetzt in Deutschland viele Aspekte des täglichen Lebens. Und die Veränderungen werden mit unvermindertem Tempo weitergehen, sich sogar noch beschleunigen.

Beim Setzen der Rahmenbedingungen für den Umgang und die Nutzung dieser Veränderungen hakt es jedoch noch, teilweise sogar gewaltig. Das liegt zum einen ganz einfach an den jeweiligen Prozessen in der Gesetzgebung und der Verwaltung.

Zum anderen liegt es aber auch schlicht und einfach am fehlenden Sachverstand im Kanzleramt, in den Bundesministerien und den für die Umsetzung zuständigen Verwaltungsebenen. Darüber hinaus besteht in Deutschland ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber den schon jetzt sichtbaren Veränderungen.

Der Digitalrat soll hier Abhilfe schaffen. Er ist ein ehrenamtlich arbeitendes zehnköpfiges Gremium aus Expertinnen und Experten, welche laut Kanzlerin Angela Merkel die Bundesregierung „antreiben und unbequeme Fragen stellen“ soll.

Etwas unklar sind noch die Themen, mit denen sich der Digitalrat beschäftigen wird. Die Bundeskanzlerin bezeichnete in einem Video-Podcast die Beschäftigung mit den Themen „Breitbandausbau, Bildung, E-Government und Künstliche Intelligenz“ als maßgeblich.

Laut einem Artikel des Tagesspiegel vom 22. August 2018 jedoch soll sich der Digitalrat vor allem mit diesen vier zentralen Themen beschäftigen:

  1. Der Zukunft der Arbeitswelt
  2. Dem Umgang mit Daten
  3. Der Gründerszene
  4. Neuen Partizipationsmöglichkeiten

Hinzu soll als Querschnittsthema die Frage kommen, wie sich die Digitalisierung auf Kultur und Gesellschaft auswirkt. Gewünscht wird wohl auch ein Austausch mit den einzelnen Ministerien, die teilweise eigene Abteilungen für sie betreffende digitale Fragestellungen unterhalten.

Wer gehört dem Digitalrat an?

Die Mitglieder des Digitalrates kommen dabei nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus der Schweiz, Österreich und den USA: Aus New York ist Rechtsprofessorin Beth Simone Noveck dabei, die unter Barack Obama, dem Ex-Präsident der USA, für das Thema Digitalisierung zuständig war.

Weiter sind dabei:

  • Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internet Governance and Regulation in Oxford
  • Urs Gasser, Direktor des Berkman Klein Center for Internet & Society aus Harvard
  • Ada Pellert, Rektorin der Fernuniversität Hagen
  • Peter Parycek, Leiter des Kompetenzzentrums Öffentliche IT am Fraunhofer FOKUS Institut
  • Wissenschaftler Andreas Weigend
  • Die drei Unternehmer und Gründer Ijad Madisch (Researchgate), Stephanie Kaiser (Heartbeat Labs) und Hans-Christian Boos (Arago).

Wo gibt es Defizite in Deutschland?

Defizite gibt es in Deutschland reichlich. Da fällt es schwer, überhaupt irgendwo anzufangen. Bei der Internetversorgung – Stichwort Breitbandausbau – liegt Deutschland bestenfalls im Mittelfeld.

Die digitale Ausstattung von Schulen in Deutschland ist teilweise haarsträubend schlecht. Tablets, E-Learning-Angebote oder einfach nur gute Computer sind oftmals nicht vorhanden.

Von vernünftigen Fortbildungsangeboten – zum einen unter Nutzung digitaler Angebote, zum anderen hinsichtlich digitaler Kompetenzen – für Lehrkräfte ganz zu schweigen.

Und wirft man einen Blick in Länder wie Estland und schaut sich dort die Angebote hinsichtlich E-Government und digitaler Verwaltung an, kann man sich ob der dortigen Angebote nur die Augen reiben: Digitales Meldewesen (Reisepass oder Personalausweis online beantragen), Unternehmensgründungen (zum Beispiel eine GmbH) online, Behördengänge mit Online-Unterstützung – anderswo Realität, in Deutschland Fehlanzeige.

Woran hakt es bei der Beseitigung?

Darüber hinaus sind Unternehmensgründungen unnötig kompliziert, weil mehrere Stellen für diverse Anmeldungen und Registrierungen zuständig sind.

Die Rahmenbedingungen für innovative Geschäftsfelder wie E-Health, Künstliche Intelligenz oder selbstfahrende Fortbewegungsmittel (Autos, Lkws, Drohnen etc.) sind, wenn überhaupt, nur rudimentär vorhanden.

Beim Thema Datenschutz kommt es reflexartig zu hysterischen Anfällen, anstatt die Chancen wahrzunehmen.

Die Staatsministerin für Digitales Dorothee Bär hat es in einem Interview mit dem Münchner Merkur so schön formuliert: „Wir sind das Land der Rabattkarten, Coupons und Preisausschreiben, werfen jedem unsere Daten hinterher – sind aber bei Technologie die großen Bedenkenträger.“

Die Defizite sind also vielfältig. An Ideen, wie man diese Defizite beseitigen könnte, fehlt es aber auch nicht. So gab es in der Vergangenheit unter anderem Ergebnisse der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft, Expertengruppen in diversen Ministerien mit konkreten Vorschlägen sowie diverse Weiß- und Grünbücher und Konferenzen zur verschiedenen Digitalisierungs-relevanten Bereichen mit Handlungsempfehlungen.

Ich selbst durfte zum Beispiel für die Wirtschaftsjunioren 400 junge Unternehmer beim G20 YEA Summit 2017 in Berlin begrüßen, auf dem diverse Forderungen und Empfehlungen der jungen Unternehmer der G20-Staaten an die Staats- und Regierungschefs formuliert wurden.

Man kann also festhalten: Es gibt kein Erkenntnisproblem bezüglich der digitalpolitischen Fragen, sondern ein massives Entscheidungs- und Umsetzungsdefizit.

Wird mit dem Digitalrat alles besser?

Wenn man sich die Kommentare zum Digitalrat anschaut, dann stellt man fest: Die Erwartungen sind nicht hoch. Von einem „Laber-Gremium“ ist die Rede, von einem „Trauerspiel, wenn die Regierung im Jahr 2018 noch Nachhilfe bei der Digitalisierung benötigt“ und von „fehlendem Mut, konsequent für die digitale Entwicklung ein- und aufzutreten“. Der Digitalrat – ein Fehlschlag, vielleicht sogar ein Desaster?

Ich glaube, manche Kommentatoren und Sprecher diverser politischer Parteien gehen hier in ihren Äußerungen zu weit. Denn bei einem Blick auf Deutschland wird klar, dass ein zentrales Problem der tendenziell negative Blick auf die Digitalisierung und ihre Chancen ist.

Es werden eher Probleme gesehen. Negative Einzelbeispiele stehen im Fokus. „Lieber mal machen, auch wenn es vielleicht nicht gleich klappt“ steht weit hinter „erst mal 120-prozentig planen“.

Hier aber sehe ich spannende Tendenzen der Besserung: Zum einen gibt es mit der Digitalministerin endlich eine hochrangige politische Vertreterin mit großer Reichweite in den Medien, die positiv über die Chancen der Digitalisierung redet.

Und zusätzlich gibt es nun einen Digitalrat, der nicht nach Parteiproporz besetzt ist, sondern objektiv eines an Sachverstand versammelt. Natürlich kann man immer an den einzelnen Personen und deren Expertise herummäkeln. Das ändert aber nichts am großen Ganzen.

Auch der Digitalrat wird nicht nur auf die Probleme blicken. Dafür werden schon die drei Unternehmer sorgen, die ja schon von ihrem unternehmerischen Background her Interesse an den Möglichkeiten haben, die die Digitalisierung bietet.

Darüber hinaus wird der Digitalrat direkten Zugang zur Bundeskanzlerin haben, denn diese soll er nämlich hauptsächlich beraten. Und damit verfügt er über genügend Rückendeckung, dass man ihn und seine Ansichten nicht einfach ignorieren kann.

Fazit

Natürlich wird es letztendlich davon abhängen, ob die Bundeskanzlerin den Vorschlägen des Digitalrats Gehör schenkt. Und natürlich müssen, wenn dessen Vorschläge angenommen werden, diese Vorschläge auch umgesetzt werden.

An dieser Stelle wird sich dann klar zeigen, ob die Bundeskanzlerin es ernst meint mit dem „Antreiben und unbequem sein“.

Und klar ist auch, dass sich der Digitalrat beweisen muss. Es ist an den Mitgliedern des Rates, sich selbst aktiv einzubringen, vielleicht auch mal bei unsinnigen Vorhaben klar Stellung zu beziehen und „Nein“ zu sagen.

Und er wird zeigen müssen, dass er die besondere Rolle der Digitalpolitik als Querschnittsthema mit ihren unterschiedlichen Facetten durchdringt und bei seinen Äußerungen berücksichtigt.

Für mich ist dabei positiv, dass der Digitalrat internationaler besetzt ist, als es sonst bei Beratungsgremien der Bundesregierung üblich ist. Denn gerade diese internationale Expertise ist ein Vorteil, der helfen wird neue Blickweisen zuzulassen.

Ich für meinen Teil bin derzeit hinsichtlich des Digitalrats vorsichtig optimistisch. Lassen wir den Digitalrat mal seine ersten Vorschläge unterbreiten und schauen wir dann, wie die Umsetzungen verlaufen.

Wer erwartet hat, dass der Digitalrat Deutschland in das „digitale Paradies“ schießt, der ist in meinen Augen ein Träumer.

Wenn es aber um den nächsten Schritt geht, um Deutschland im Ganzen mit den Chancen der Digitalisierung stärker vertraut zu machen und die Weichen für die Zukunft zu stellen, dann könnte der Digitalrat dieser nächste Schritt sein.

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Über den Autor

Carsten Lexa

Rechtsanwalt Carsten Lexa berät seit 20 Jahren Unternehmen im Wirtschafts-, Gesellschafts- und Vertragsrecht. Er ist Lehrbeauftragter für Wirtschaftsrecht, BWL und Digitale Transformation sowie Buchautor. Lexa ist Gründer von vier Unternehmen, war Mitinitiator der Würzburger Start-up-Initiative „Gründen@Würzburg”, Mitglied der B20 Taskforces Digitalisierung/ SMEs und engagiert sich als Botschafter des „Großer Preis des Mittelstands” sowie als Mitglied im Expertengremium des Internationalen Wirtschaftsrats. Er leitete als Weltpräsident die G20 Young Entrepreneurs´Alliance (G20 YEA). Bei BASIC thinking schreibt Lexa über Themen an der Schnittstelle von Recht, Wirtschaft und Digitalisierung.