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Die skandalöse Story von der Niedrigpreispolitik und gestohlener Ware auf Amazon

geschrieben von Nicole Scott

Wenn der Preis zu gut ist, um wahr zu sein, ist er das wahrscheinlich auch. Vor ein paar Jahren sah sich die Firma GoPro einem ernsten Problem gegenüber, als plötzlich unbekannte Amazon-Händler gestohlene GoPro-Kameras zu Spottpreisen verkauften.

Das Problem waren aber nicht die gestohlenen GoPros – die Verkaufszahlen waren nämlich relativ gering – sondern der Dominoeffekt, der dadurch ausgelöst wurde. Andere Händler versuchten nämlich, den Preis der Hehler zu übertreffen. Erst reduzierte Amazon den Preis, dann Best Buy und schließlich auch Walmart. Einigen Interviews auf The Information zufolge, schwächte dieser Vorfall GoPros Preisstrategie erheblich.

Es ist jedoch unklar, ob das von Anfang an der Plan der Diebe war, oder ob sie nur schnelles Geld verdienen wollten.

Amazon wird allgemeinhin als vertrauenswürdige Webseite angesehen, auf der sich größtenteils nur seriöse Händler tummeln. Auf den ersten Blick scheinen eher Craigslist und eBay die Anlaufstelle für den Verkauf von gestohlenen Waren zu sein – schließlich kann dort jeder seine Sachen verkaufen.

Das eigentliche Problem ist jedoch nicht, dass auf Amazon Hehlerware verkauft wird, sondern vielmehr, dass Amazon in der einzigartigen Position ist, die Preise des Einzelhandels zu beeinflussen. Weil Käufer auf Amazon einfach auf den jeweils niedrigsten Preis klicken können, sehen sich Einzelhändler dazu gezwungen, auf Amazons Preisschwankungen zu reagieren.

Es gibt keine öffentlichen Statistiken dazu, wie häufig Hehlerware auf Amazon verkauft wird, aber GoPro scheint nicht der einzige Hersteller mit diesem Problem zu sein. Auch Sonos, ein Hersteller von Wireless-Lautsprechern, und August Home, eine Firma, die smarte Türschlösser herstellt, hatten mit ähnlichen Problemen zu kämpfen.

Die beiden Unternehmen gaben außerdem bekannt, dass sich Amazon nicht gerade kooperativ zeigte, als man sie über die Lage informierte – obwohl Amazon eigentlich strenge Richtlinien gegen den Verkauf von Hehlerware hat.

GoPro ergriff extreme Maßnahmen, um die Preise wieder zu stabilisieren und engagierte einen Ex-Soldaten, um die schuldigen Verkäufer ausfindig zu machen. Selbst einige seriöse Händler verletzten dabei ihre Verträge mit GoPro und in manchen Fällen beteiligten sich sogar Mitarbeiter der Warenlager an der Masche. Häufig reichte schon ein Anruf aus, um die Sache zu lösen, aber die unbekannten Diebe blieben zunächst unbehelligt.

Jeder kann einen Amazon-Shop einrichten und Amazon stellt Händlern sogar das eigene Warenlager zur Verfügung, damit Bestellungen schneller abgewickelt werden können. Egal, ob Amazon oder Dritthändler – der Käufer bemerkt bei der Bestellung so gut wie keinen Unterschied. Die bestellten Produkte lassen sich sogar einfach an Amazon zurückschicken, ohne dass der eigentliche Verkäufer kontaktiert werden muss.

GoPro bestellte schließlich einige Kameras, um die Seriennummern nachverfolgen zu können und ermittelte so die betroffenen Warenlager und Verteilungszentren. Gerüchten zufolge legte sich GoPro sogar mit einer organisierten Verbrecherbande an.

Hätte Amazon einfach die Seriennummern der Produkte herausgegeben, wäre die Sache für den Hersteller wesentlich einfacher gewesen. Im Jahr 2016 startete Amazon einen Testlauf mit InComm Product Control, einem Trackingdienst, mit dem sich der Verkauf von gefälschter und gestohlener Ware unterbinden ließe. Amazon entschied sich jedoch dazu, den Dienst nicht zu nutzen.

Nicht jeder ist davon überzeugt, dass gestohlene Waren auf Amazon ein großes Problem snid. So genannte „Graumarkt“-Produkte sind Produkte, die zwar offiziell von einem Hersteller bzw. mit dessen Erlaubnis produziert wurden, aber nicht über die autorisierten Vertriebswege verkauft werden. Das Ganze ist zu einhundert Prozent legal und wer seine Waren günstiger verkaufen kann, sollte das laut dem Prinzip des Kapitalismus auch tun.

In den USA kaufen knapp die Hälfte aller Online-Shopper auf Amazon ein. Und aufgrund der Fördermittel der US-Regierung gibt es keine Anzeichen dafür, dass sich dieser Trend in naher Zukunft verlangsamen wird. Auch in Deutschland erfreut sich Amazon einer stetig wachsenden Beliebtheit. Wir sollten uns deshalb Sorgen machen, welche Auswirkungen das auf die Konkurrenz des Online-Giganten haben wird. Amazon gestaltet die Dynamik des Online-Shoppings neu und übt immer größer werdenden Druck auf Preisgestaltung und Gewinnmargen aus.

Wir sollten vorsichtig sein, wenn es darum geht, Unternehmen, die eigentlich keinen Profit machen müssen, eine solch ernorme Macht zu überlassen. Amazons Geschäftsmodell ist ein völlig anderes als das der Produkthersteller, die ihre Waren auf der Plattform verkaufen möchten.

Amazons Vorherrschaft hat natürlich eine Welle von neuartigen und interessanten Einzelhandelsmodellen inspiriert, die der aktuellen Homogenisierung des Einzelhandels entgegenwirken möchten.

Aber wenn uns die Geschichte eines gelehrt hat, dann dies: beim Wettrennen um den niedrigsten Preis gibt es keine Gewinner.

Source: The Information

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Nicole Scott