Sollten Unternehmen eher auf Profitabilität und nachhaltiges Wachstum setzen oder sind enorme Marketing-Budgets und hohe Wachstumsraten das Allheilmittel für Start-ups? Eine Antwort liefert die Geschichte von Scoyo.
Früher, als es das Internet und die Digitalisierung noch nicht gab, mussten Unternehmen ziemlich rasch profitabel sein. Sonst drohte ihnen der Bankrott und damit das Ende.
Heutzutage hingegen existieren zahlreiche Möglichkeiten, als junges Unternehmen Geld zu akquirieren, um erst über einen Zeitraum von mehreren Jahren das Thema Profitabilität zu erreichen.
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Investoren setzen häufig eben nicht, wie im klassischen Anlagengeschäft, auf eine jährliche Ausschüttung. Anstelle dessen wetten sie auf den großen Reibach, das Unicorn und eine millionen- oder sogar milliardenschwere Rendite.
Wachstum statt Profitablität
Wer in diese Dimensionen vorstoßen möchte, muss gegenüber potenziellen Investoren nachweisen können, dass das Geschäftsmodell und die Firma etwas taugen. Und das tut man – vor allem, solange man (noch) nicht profitabel ist, – oft über die Wachstumsschnelligkeit.
Die einen sagen, man müsse exponentiell wachsen, die anderen setzen auf Nachhaltigkeit. Welches Modell zielführender ist, darüber haben wir mit Daniel Bialecki, Geschäftsführer der Online-Lernplattform Scoyo, gesprochen.
BASIC thinking: Daniel wie fing alles an?
Daniel Bialecki: Als ich anfing, war Scoyo nur eine Idee. Und so war eigentlich auch die Atmosphäre: Als ich zum ersten Mal da reinkam, gab es ein großes offenes Büro mit ganz vielen leeren Tischen und relativ wenigen Leuten. Ich hatte sofort das Gefühl: Hey, hier geht noch richtig was. Hier wird noch viel passieren. Es kommen noch ganz viele Leute. Hier fängt was an.
Hattest du das Gefühl deshalb, weil du wusstest: Es wird wachsen?
Das hat für mich mit Wachstum gar nicht so viel zu tun gehabt, sondern viel eher damit, dass Leute zusammenkommen, die tatsächlich einer Idee folgen, wohin auch immer sie gehen mag.
Ich wusste zu dem Zeitpunkt ja überhaupt nicht, wie groß der ursprüngliche Anspruch gewesen ist, was man alles erreichen wollte in Bezug auf diesen kleinen Personenkreis und die Größe der Welt.
Wie wurde damals sichergestellt, dass ihr alle das gleiche Verständnis oder die gleiche Idee von Scoyo habt? Oder ist das etwas, was überhaupt nicht stattgefunden hat?
Das hat zumindest nicht institutionell stattgefunden. Wir mussten uns untereinander austauschen. Deshalb haben wir uns in die Kaffeeküche gestellt, diskutiert und darüber gesprochen. Wir haben uns auch wahnsinnig über erste Prototypen gefreut.
Aber es gab keine visionäre Führungsperson, die gesagt hat: So wird das mal alles werden oder so. Es gab vielmehr diesen Gedanken, diese Ursprungsidee, das Lernen zu verändern.
Wenn Marketing-Budget nicht die Lösung ist
Scoyo wurde von Bertelsmann groß gedacht und sollte, so hieß es, das Google für den Bereich Lernen werden. Im Januar 2009 ist die Plattform dann online gegangen – und der ersehnte große Erfolg hat sich nicht eingestellt.
Man konnte in der Branche der europäischen – speziell deutschen – Online-Lernprodukte nicht von null auf jetzt mit einem Produkt irgendwie einsteigen und erwarten, dass es total steil geht. Heute ist digitale Bildung zumindest ein in der Öffentlichkeit bekanntes Thema. Das war 2009 überhaupt noch nicht der Fall. Null. Es gab keine Marke.
Deshalb musstest du das Thema erst einmal mit Vertrauen aufbauen. Unser Geschäft war rückblickend viel zu krass geplant: Von Anfang an waren die Ziele sehr, sehr hoch gesteckt. Es gab den Glauben, dass man nur am Marketing-Budget schrauben muss, damit es groß genug wird. Die Abschlüsse würden sich schon herstellen lassen. Das war nur leider nicht der Fall.
Ab wann hattest du das Gefühl, die Ziele könnten zu hoch gesteckt sein?
Im Sommer 2009 wurde die Arbeit komplexer. Auf einmal waren die Budgets nicht mehr ohne Weiteres abrufbar. Normalerweise war es so, dass unsere damalige Geschäftsleitung turnusmäßig nach Gütersloh zur Bertelsmann AG, unserer Mutter, fuhr und dann wie an Weihnachten mit großen Geschenken heimkam. Auf einmal wurde jedoch wochenlang diskutiert, sodass wir das Produkt nicht so schnell weiterentwickeln konnten, wie es eigentlich geplant war.
Gab es denn intern irgendwelche Konsequenzen? Hat sich irgendjemand hingestellt und gesagt, wir müssen jetzt die Organisationskultur oder irgendwas ändern?
Ich wüsste nicht, dass es zu dem Zeitpunkt große Pläne gegeben hat, alles anders oder eine radikale Kehrtwende zu machen. Ich glaube, dass tatsächlich der Ursprungsplan vor allem von Größe getrieben war. Immer groß bleiben.
Ich muss allerdings auch an der Stelle der Fairness halber dazu sagen: Die Leute, die das gemacht haben, die damalige Geschäftsführung also, sind Leute gewesen, die Bertelsmann gut gekannt haben. Sie haben ein sehr großes Initial-Investment möglich gemacht. Vielleicht ging es deshalb auch nur so. Vielleicht war es so, dass mit der damaligen Bertelsmann-Kultur kleiner oder weniger einfach gar nicht möglich gewesen wäre.
Hohe Kosten, geringe Erträge
Die Zahlen waren deswegen so ambitioniert, weil du einfach einen sehr großen Kostenapparat hattest, sowohl hinsichtlich der Produktentwicklung als auch der Teamzusammensetzung. Glaubst du, das Ding hätte überhaupt funktionieren können mit solch ambitionierten Zielen?
Nein. Tatsächlich glaube ich nicht, dass es dazu die Chance gehabt hätte. Die Erwartung an Neukundenzahlen waren – gemessen am Zeitraum – schlicht unrealistisch. Wir hatten zwar enorme Marketing-Budgets. Aber letztlich kaufst du durch den immensen Marketing-Druck und hohe Rabatte einen Neukunden.
Dabei kommen vierstellige Euro-Beträge, die wir für Akquise von einem neuen Kunden ausgegeben haben. Das sind keine Kunden, die man haben möchte, weil sie gar nicht lang genug bleiben können, um sich je zu monetarisieren. Die gehen so schnell wieder raus, dass du gar nicht profitabel werden kannst mit deinem Produkt.
Warum?
Weil du den Kunden mit hohen Anfangsrabatten lockst und zu späteren Nutzungsphasen die Preise anhebst, in denen das Kernproblem des Kunden vielleicht schon weitgehend gelöst ist.
Du überzeugst den Kunden nicht, sondern verleitest ihn zum Spontankauf, was bei erklärungsbedürftigen Service-Produkten ohnehin schon schwer ist und dann eben nicht mal auf Ebene des Vertragswertes funktioniert. Das ist einfach nicht nachhaltig.
Würde so etwas für andere Geschäftsmodelle funktionieren?
Spontan würde ich sagen, dass schneller Kundenfang ohne Gegenleistung in Form von Nutzen oder Mehrwert generell nicht nachhaltig funktioniert. Es sei denn, du hast die Strategie, dass du sehr schnell, sehr viele Leute für dein Geschäftsmodell brauchst, weil du zum Beispiel erst aus deren Daten deinen Wert generierst.
Übernahme von Scoyo und Ausrichtung auf nachhaltiges Wachstum
Scoyo wurde dann ja verkauft. Super RTL, das euch gekauft hat. Der neue Eigentümer hatte jedoch andere Pläne.
Das ist richtig. Ich war ja über Nacht nicht mehr für das Produkt, sondern für alles bei Scoyo verantwortlich. Und habe viel Vertrauen von Claude Schmit, dem Geschäftsführer von Super RTL, bekommen.
Für ihn war es wichtig, dass wir auf Basis eines eingeschränkten Marktes (DACH), des bestehenden Produktes und drastisch reduzierter Kosten schnell die schwarze Null erreichen.
Wann war klar, dass ihr dieses Ziel erreichen werdet?
Im Prinzip hat sich das schon Mitte 2010 abgezeichnet. Die Zahlen waren dann nach ein paar Jahren stabil. Es ist uns immer besser gelungen, die Kunden zu halten. Und wenn wir Neukunden gewonnen haben, gelang uns das auf clevere Weise, indem wir ihnen über hochwertigen Content Mehrwert geboten haben – ohne aggressive Rabattschlachten.
Scoyo ist nun seit ein paar Jahren stabil profitabel. Und mittlerweile gelingt euch das nicht nur, indem ihr wenig Geld investiert, sondern auch und weil ihr das Produkt stark weiterentwickelt.
Es ist immer einfach, wenn du mehr Geld verdienst, als du ausgibst. Du bist dann unabhängiger und kannst mit einem guten Investor im Rücken vernünftige Entscheidungen treffen. Jeder Investor ist froh, wenn etwas funktioniert und er keine weiteren Millionen in etwas reinstecken muss.
Scoyo wächst ja durchaus, aber man muss ja auch so ehrlich sein, dass Scoyo – zumindest bis jetzt – nicht so groß geworden ist, dass man es als Google für das Thema Lernen verstehen kann. Seid ihr gescheitert?
Nein, das war auch nie Ziel des Teams, das seit 2010 am Werk ist. Wir wollen, dass Kinder motiviert und erfolgreich lernen und die Eltern ihnen vertrauen. Wir wollen im Team motiviert und erfolgreich arbeiten und uns gegenseitig vertrauen. Als Folge haben wir ein Unternehmen, das nachhaltig operiert, Menschen Arbeit bietet und vielen tausend Kindern dabei hilft, spielerisch für die Schule zu lernen.
Mit all dem Wissen und den Erfahrungen der letzten Jahre: Was braucht es, um ein nachhaltig gesundes Unternehmen zu bauen?
Ein wirklich gutes Produkt. Ein wirklich starkes Team. Und Geduld.
Vielen Dank für das Gespräch, Daniel!
Disclaimer: Das Unternehmen von Sachar Klein betreut und berät Scoyo.
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