Männer können sich besser orientieren und damit besser navigieren als Frauen. Diese Behauptung hält sich beinahe so hartnäckig wie die These, dass Frauen nicht gut einparken können. Doch ist sie auch wahr? Wir haben den Mythos-Check gemacht.
Männer haben einen besseren Orientierungssinn als Frauen. Ist das ein reiner Mythos oder wirklich wahr?
Google Maps im Gehirn
Bevor wir darauf eingehen, ob Männer oder Frauen sich nun besser orientieren können, ist es ganz hilfreich einen Blick darauf zu werfen, wie sich Menschen generell im Raum zurechtfinden.
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Menschen nutzen zum einen äußere Faktoren wie Orientierungspunkte oder mathematische Raummodelle (euklidischer Raum). Um diese zu verarbeiten, wird die Region des Hippocampus aktiviert. Das ist die Stelle im Gehirn, an der wir Eindrücke und Erinnerungen verarbeiten.
Zum anderen gibt es aber auch interne Faktoren, die uns beim Navigieren helfen, eine Art inneres GPS in unserem Gehirn. Dafür aktivieren wir neben dem Hippocampus auch den entorhinalen Cortex in den Schläfenlappen. Genau hier liegt nämlich nach neuesten Erkenntnissen unser mentales Navigationssystem, in dem unser Gehirn hirneigene Koordinaten abspeichert.
Unser Gehirn erstellt also mehr oder weniger unser persönliches Google Maps, das uns dabei hilft, uns schneller im Raum zu orientieren.
Das legt erstmal nahe, dass der Orientierungssinn individuell anders ist, aber nichts mit Männern und Frauen zu tun hat.
Doch wieso belegen dann zahlreiche Studien, dass Männer sich besser orientieren können?
Haben Männer wirklich den besseren Orientierungssinn?
Tatsächlich sind das eigentlich zwei Fragen.
- Können Männer sich besser orientieren?
- Wenn ja – warum ist das so?
Auf die erste Frage antwortet eigentlich so ziemlich jede jemals durchgeführte wissenschaftliche Studie mit einem klaren „Ja“.
Deshalb muss man beim Mythos-Check relativ deutlich sagen: Es ist kein Mythos. Männer können sich besser orientieren.
Männer können sich vor allem deshalb besser orientieren, weil sie (durchschnittlich betrachtet) die bessere Navigationsstrategie nutzen – das euklidische Modell.
Während Frauen sich bei der Orientierung vor allem auf Orientierungspunkte verlassen, nutzen Männer meist Raumvektoren. Also: Wo bin ich im Verhältnis zum Ziel. Zahlreiche Experimente zeigen: Damit kommt man direkter und schneller zum Ziel.
Denn wenn man sich nur auf Landmarken verlässt und dann doch mal falsch abbiegt oder einen Orientierungspunkt verpasst, weiß man nicht mehr wo man ist und verläuft sich schneller.
Nun gibt es natürlich auch zahlreiche Frauen, die ebenfalls die euklidische Strategie nutzen und sich genauso gut orientieren können und Männer, die sich eher an Orientierungspunkte halten und sich oft verlaufen. Deshalb sprechen Forscher bei diesen Studien auch immer nur ganz vorsichtig von Durchschnittswerten.
Dennoch stellt sich am Ende immer die Frage: Warum nutzen (im Schnitt) die meisten Männer die bessere euklidische Raumstrategie zum Navigieren und die meisten Frauen die unterlegenere Landmarken-Strategie?
Ist das einfach aus der Erfahrung heraus? Wird uns das im Kindesalter so beigebracht? Oder ist das wirklich genetisch bedingt?
Genau das ist die komplizierte zweite Frage nach dem „Warum“. Im Gegensatz zur ersten Frage ist dieser Punkt bislang noch nicht eindeutig geklärt. Es gibt zwar zahlreiche Theorien, klare Antworten allerdings nicht.
Die Steinzeit-Theorie
Eine sehr populäre Antwort auf diese Frage ist die Steinzeit-Theorie.
Die geht in etwa so: Männer haben in der Steinzeit weit entfernt von der Höhle gejagt. Frauen haben dagegen nur in der näheren Umgebung Pflanzen gesammelt und ansonsten die Kinder gehütet.
Deshalb war es ein Evolutionsvorteil für Männer (weniger für Frauen), wenn sie sich besser orientieren konnten. Ergo: Männer haben evolutionsbiologisch bedingt den besseren Orientierungssinn.
Das klingt schön einfach und logisch, ist es aber bei genauerem Hinsehen dann doch nicht.
Denn erstens gibt es keine eindeutigen archäologischen oder anthropologischen Befunde, die nachweislich belegen, dass die Geschlechteraufteilung in der Steinzeit wirklich so simpel war.
So haben Forscher zum Beispiel Beweise dafür gefunden, dass Männer Handarbeiten verrichteten und Frauen schwer körperlich arbeiteten. Eine Theorie ist deshalb, dass möglicherweise sowohl junge Männer als auch junge Frauen jagen gingen, während ältere Männer und Frauen Höhle und Kinder hüteten.
Zweitens, sind natürlich zwischen Steinzeit und heute ein paar Jährchen vergangen und es ist zumindest fraglich, dass das, was in der Steinzeit in unserem Gehirn vorging, auch noch heute völlig unverändert genauso ist.
Drittens, selbst wenn ein besserer Orientierungssinn ein evolutionärer Vorteil allein für Männer in der Steinzeit war, werden die Gene dafür sicherlich nicht nur und ausschließlich an männliche Nachkommen weitervererbt.
Oder etwa doch?
Die Sex-Theorie
Um genau das zu testen, haben Forscher der University of Utah den Orientierungssinn von Männer und Frauen in zwei Stämmen (Tew und Tjimba) in Namibia untersucht.
Ihrer Meinung nach eigneten sich diese Stämme besonders gut für die Untersuchung, weil die Männer dieser Stämme für ihre zahlreichen Affären (was übrigens dort ganz normal und akzeptiert ist) sehr weite Entfernungen zu Fuß zurücklegen und somit nach Meinung der Forscher am ehesten zum Steinzeit-Muster passten.
Die Wissenschaftler verglichen in diesen Stämmen das Orientierungsvermögen von Männern und Frauen und stellten auch hier fest, dass Männer ein besseres räumliches Denkvermögen haben und sich besser orientieren können.
Doch nicht nur das. Die Männer mit dem besten Orientierungssinn hatten auch die meisten Affären und die meisten Kinder. Klare Sache, urteilten die Forscher. „Diese Ergebnisse sind eine starke Bestätigung für die Geschlechterunterschiede im räumlichen Orientierungsvermögen“, heißt es in der Studie.
Ob das nun genetisch bedint ist, ist allerdings Interpretationssache. Denn die Forscher untersuchten nie die Gehirnaktivitäten der Männer und Frauen oder ihrer Kinder. Auch ist es zweifelhaft, dass die Männer und Frauen in der Steinzeit sich genauso verhalten haben wie diese zwei afrikanischen Stämme im 21. Jahrhundert.
So lässt sich schwer sagen, ob sich die Männer der Tew und Tjimba besser orientieren können, weil sie einfach öfter weitere Entfernungen gehen und so mehr Übung im Navigieren haben oder weil sie eine natürliche Begabung dafür haben.
Auch wenn es möglicherweise Hinweise darauf gibt, dass erwachsene männliche Gehirne Aufgaben, die mit dem Orientierungssinn verbunden sind, schneller ausführen können, sind sich Wissenschaftler nicht sicher, ob das genetische oder anerzogene Ursachen hat.
Selbst sehr groß angelegte Studien, die Unterschiede im männlichen und weiblichen Hippocampus untersucht haben, kommen zu keinen eindeutigen Ergebnissen.
Die Steinzeit-Theorie ist also im besten Fall fragwürdig.
Die Videospiel-Theorie
Doch es gibt auch andere Erklärungsversuche. In einer anderen aktuellen Studie der University of California Santa Barbara, mussten Männer und Frauen durch ein Computer-Labyrinth hindurch an ein bestimmtes Ziel gelangen.
Dabei wurden drei Experimente durchgeführt.
Einmal hatten die Studienteilnehmer Zeit, sich an die Umgebung zu gewöhnen und bekamen auch Orientierungspunkte zur Hilfe.
Im zweiten Fall hatten sie keine Gewöhnungsphase, dafür aber Orientierungspunkte.
Im letzten Fall wiederum gab es weder eine Gewöhnungsphase noch Orientierungspunkte.
Auch hier stellten die Forscher fest: Männer nutzen das mathematische Raummodell besser und kommen so (im Schnitt) schneller und direkter ans Ziel als Frauen.
Doch auch hier konnten die Wissenschaftler nicht klar beantworten, warum das eigentlich so ist.
Ihre These: Männer spielen möglicherweise mehr Videospiele als Frauen und finden sich daher in einer Labyrinth-Computersimulation schneller zurecht.
Können Männer sich also besser orientieren, weil sie Männer sind oder weil sie mehr mit virtuellen Raummodellen interagieren? Unklar!
Das zeigt, warum es so schwierig ist eindeutig zu klären, warum Männer sich besser orientieren können und ob das wirklich genetisch bedingt ist. Es gibt einfach zu viele Variablen.
Moderne Navigationssysteme und Orientierung
Viele davon wurden auch noch nie wirklich intensiv untersucht.
Interessant wäre zum Beispiel zu untersuchen, ob sich der Orientierungssinn von Millennials, die Geschlechterrollen sehr flexibel sehen, von dem Orientierungssinn älterer Generationen unterscheidet.
Gibt es Unterschiede beim Navigieren in den Gehirnen von Babys? Oder tauchen diese erst später im Leben auf – und sind damit eher erlernt?
Können Männer besser räumlich denken, weil sie eher Sportarten spielen, bei denen das wichtig ist?
Kann es möglicherweise einfach sein, dass bestimmt Verhaltensweisen in gewissen Kulturen dazu führen, dass ein Mann oder eine Frau sich besser orientieren kann?
Auch sehr spannend zu klären wäre, ob sich unser Orientierungssinn durch die Nutzung von Computer-Navigationssystemen verändert und ob es hier Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt.
Was bleibt? Diskussionspotenzial!
Am Ende ist also eigentlich nur eins klar: Die meisten Männer können sich besser orientieren als Frauen – auch wenn das eine Regel mit vielen Ausnahmen ist.
Doch warum das so ist, weiß bislang keiner so genau.
Was aber wiederum im Umkehrschluss bedeutet: Darüber können wir alle weiter herrlich spekulieren.